PUNK IN DER DDR-EINLEITUNG

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No Reißbrett

"Punk war unberechenbar in einem Land, wo der ganze Lebenslauf vom Reißbrett kam", umschreibt Henryk Gericke das Leben als Punk in der DDR. Gericke, unterdessen frei schaffender Autor, nennt sich heute nicht mehr Punk, aber wie viele spätere kreativ Schaffenden sagt er, sei er vom Punk "nachhaltig geprägt" worden. Das erinnert ein bisschen an Wessi-Punks. Hört man sich heute in Westdeutschland unter Künstlern, Autoren, Journalisten und Schauspielern um, so haben viele in ihrer Biografie irgendwo Stachelhaare und die Losung "No Future" schlummern. Ost gleich West also?

Hendrik Frankes Aussage könnte dafür stehen: "Die Reaktionen aus dem Staat und der Bevölkerung waren teilweise recht hart. Prügel wurde auf offener Straße angedroht, Dauer-Ärger in der Schule [...], die Chefs in der Ausbildung und die FDJ-Kreisleitung machten auch mit bei der Punker-Inquisition, die Arbeitslager-Sprüche ..." Im Hintergrundartikel schreibe ich: "Kleinbürger in Ost- und Westdeutschland hatten hier die Wiedervereinigung zeitweise wohl schon an der Vorurteilsfront vollzogen." Die ersten Wessi-Punks dürften es wissen: sie wurden Anfang der 1980er Jahre verprügelt oder bespuckt, hatten ständig Ärger mit der Polizei, gerade in Kleinstädten und auf Dörfern mied man einzeln oder in Kleinstgruppen Volksfeste, denn es konnte böse enden, falls Kleinbürger mal wieder jemanden zeigen wollten, was der Volkszorn ist. Gerne bekam man als Punk auch zu hören, man gehöre ins KZ oder Arbeitslager - sowie: "Geh doch nach drüben!"

"Drüben", damit war die "Deutsche Demokratische Republik" (DDR) gemeint, wohin die Westspießer gerne ihre Problemkinder entsorgen wollten. Die DDR war eine Mischung aus Sozialismus und Diktatur, ein Resultat des Zweiten Weltkrieges. Nachdem Nazideutschland seinen Krieg verloren hatte, gab es vier Besatzungszonen: Großbritannien, Frankreich und die USA hatten im Westen "Zonen", aus denen später die Bundesrepublik entstand. Die von der Roten Armee besetzte SBZ ("Sowjetische Besatzungszone") wurde zur DDR, auch "Ostzone" genannt. Deutschland war geteilt, der Rüstungswettlauf und Kalte Krieg drohte mehrmals "heiß" zu werden. Regiert wurde die DDR von der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED), ein Zwangszusammenschluss der SPD-Mitglieder in der SBZ mit der damaligen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD).

Der Begriff "Demokratische Republik" täuschte: die SED war allein herrschend, ihre Parteisekretäre wurden als Regierungschefs mit Wahlergebnissen von um die 98 Prozent ins Amt gewählt oder bestätigt. Bürger des sich antifaschistisch nennenden "Arbeiter- und Bauernstaates" waren häufig (Pflicht-)Mitglieder verschiedener, quasi-uniformierter Massenorganisationen, etwa der in "Blauhemden" auftretenden "Freien Deutschen Jugend" (FDJ). Nichtmitgliedschaft in SED oder deren Organisationen bedeutete nahezu immer Einschnitte im Bildungs- und Berufsleben hinnehmen zu müssen. Den Dienst an der Waffe in der "Nationalen Volksarmee" (NVA) konnte man nur unter großen Schwierigkeiten verweigern, musste aber dann "Bausoldat" werden. Es gab eine Planwirtschaft - auf ein Auto musste man oft Jahre warten, ehe es ausgeliefert wurde. Wegen einer in fast allen Lebensmittel- und Güterbereichen herrschenden Mangelwirtschaft kam es in den 1960er Jahren zu ersten Massenfluchten, weswegen um Berlin eine Mauer und zum Westen hin der "Todesstreifen" errichtet wurden. "Republikflucht" konnte dazu führen, auf der Flucht erschossen zu werden. Überlebte man und wurde aufgegriffen, wurde man inhaftiert. Familienangehörige wurden drangsaliert. Über alles wachten Volkspolizei und Stasi. 1989 fiel die Mauer dann infolge von nicht mehr zu unterdrückenden Massenprotesten.

Ossi-Punk gleich Wessi-Punk? Noch mal Henryk Gericke: "Auf jeden Fall war ein Punk-Outfit in der DDR eigentlich ein klarer Fall von Republikflucht, da man das FDJ-Blauhemd und überhaupt die hilflose und ältliche DDR-Jugendmode verhöhnte." Während der kapitalistische Westen bald lernte, mit Punk zu leben, daraus eine Mode machte und alles wirtschaftlich vermarkten wollte, blieben die Ossi-Punks die Schmuddelkinder ihres Systems. Punkplatten konnte man nur in liberaleren "Bruderstaaten" kaufen: "Erste Punkplatten [...] waren [...] BUZZCOCKS [und] SEX PISTOLS [...]. Beide habe ich mir von Bekannten aus Ungarn einschmuggeln lassen und 100 beziehungsweise 120 Ostmark pro Platte bezahlt. Bei einem Verdienst von 800 Mark war das schon ein stattlicher Preis", sagt Arnim Bohla, heute Labelmacher. West-Radio war da oft der einzige Weg, Punk-Musik zu hören, zu tapen und weiter zu kopieren. "Meistens war es so, dass DDR-weit alle das gleiche Tape hatten, auch mit den gleichen Aussetzern und Aufnahmefehlern. Es gab halt für unsere Punkkassetten wirklich in den meisten Fällen nur eine Quelle!", sagt Hendrik Franke. "Und dabei kostete eine Leerkassette zwischen 22 und 30 Mark", ergänzt Andreas Kohl, der heute ein Label betreibt. Und während Wessi-Punks ihre Mode zwischen Springerstiefel, Lederjacken und Tonnen von Nieten längst kaufen konnten, bastelten die Ossi-Punks: "Da wir nicht in eine Punk-Boutique gehen konnten, haben wir ziemlich viel selbst gebastelt und eigene Ideen entwickelt", sagt Jörg Löffler, damals wie heute Musiker bei KALTFRONT. Und Noch-immer-Punk Steffen Schölzel erklärt: "Meine erste Lederjacke war aus Kofferleder."

"Festnahmen, Verhaftungen und Verordnungen (Auflagen) waren an der Tagesordnung. Zu Feierlichkeiten der DDR musste ich mich innerhalb der Wohnung oder außerhalb Berlins aufhalten. Bei Zuwiderhandlungen sofortige Festnahme. Regelmäßige Vorladungen auf Reviere der Polizei waren die Regel und Hausdurchsuchungen waren auch nichts Ungewöhnliches mehr", umschreibt Mike Göde, lange Musiker in DDR-Punkbands, was Punks von einem sich demokratisch und antifaschistisch darstellenden Staat zu erwarten hatten. Punks wurden teilweise verurteilt und in Knästen inhaftiert. Jener Aspekt kommt in den zahlreichen Interviews mit ehemaligen Protagonisten der DDR-Punkszene(n) etwas zu kurz. Shanghai, einst Sänger von VITAMIN-A, heute ANTI-X, saß seinerzeit wegen der Texte seiner Band gemeinsam mit einem Freund im Knast - beide wurden für den Schwerpunkt nicht befragt. Ein ebenso nicht behandelter Aspekt sind Zitate aus Stasi-Akten von Punks. Nettes war dort auf jeden Fall selten über sie zu lesen - oft erinnerten die Einträge nicht nur an Nazijargon, sie waren es. Abgesehen von diesen beiden Auslassungen, hoffen wir dennoch, mit den Interviews zu skizzieren, wie es denn so war, mit grellen Klamotten und bunten Haaren unter Arbeitern und Bauern.