AGAINST ME!

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Reinventing Welle machen

Knapp eineinhalb Jahre nach der Bekanntgabe des Wechsels zu einem Majorlabel erscheint Ende August nach langem Warten endlich das vierte Studioalbum von AGAINST ME!, der zur Zeit vielleicht beliebtesten Band unter dem Punkrock-Himmel. Ein Status, den sich die Band aus Gainesville, Florida auf ganz althergebrachte Weise durch unzählige Auftritte erspielt hat. Kamen auf ihrer ersten Europatour gerade mal knapp vierzig Leute zu ihrer Show ins Hamburger Störtebecker, war das Konzert im Molotow fast fünf Jahre später innerhalb weniger Tage restlos ausverkauft. Und das alles ganz ohne den üblichen Presseschmu, den sich die großen Labels normalerweise bei aufstrebenden Bands aus den Fingern saugen müssen. Denn AGAINST ME! hat dies mitnichten nötig und ist auch weiterhin keineswegs gewillt, den seit der Gründung 1997 eingeschlagenen Weg aus Punk, Politik und Persönlichem zu verlassen, wie auch das neue Album, ein Plädoyer für künstlerische Eigenständigkeit, beweist. Über die Entstehung und den Hintergrund von "New Wave" sprach ich mit Sänger/Gitarrist Tom Gabel und Bassist Andrew Seward vor ihrem Auftritt auf der Reeperbahn.

Innerhalb der letzten Jahre hat sich viel verändert für euch. Wie geht ihr mit der steigenden Popularität um?


Andrew: Wir versuchen, uns nicht sonderlich darum zu kümmern.


Das dürfte mit dem neuen Album "New Wave", das beim Major Sire erscheint, aber äußerst schwer werden.

Tom: Auf den ersten Blick scheint es wahrscheinlich so, ja. Eigentlich ändert sich aber nicht viel, bis auf die Tatsache, dass wir einen besseren Vertrieb für unsere Musik erreicht haben. Wir spielen mittlerweile vielleicht in größeren Hallen, aber wie du hoffentlich merkst, sind wir immer noch dieselben Menschen wie immer.


Und warum ausgerechnet Sire?

Tom: Es gab eine Vielzahl von Labels, die uns unbedingt unter Vertrag nehmen wollten, was ja schon 2005 die DVD "We're Never Going Home" dokumentierte. Damals sprachen wir mit einigen Label-Vertretern und es stellte sich ziemlich schnell heraus, dass viele der Majors alles dafür tun würden, um ihr Ziel zu erreichen und uns unter Vertrag zu nehmen. Einigen Musikscouts haben wir als Zeichen unseres Unwillens während der für die DVD aufgezeichneten Gespräche übel mitgespielt. Damit sie uns deswegen später nicht verklagen konnten, ließen wir sie vor den Aufnahmen eine offizielle Verzichtserklärung unterschreiben, was alle anstandslos taten. Alle, bis auf Sire. Die meinten, dass die Zeit anscheinend noch nicht reif wäre für eine Zusammenarbeit, sie aber gerne mit uns in Kontakt blieben, was sie dann auch wirklich ernsthaft taten. Als wir dann soweit waren, fiel die Wahl nicht mehr schwer, vor allem, weil wir bei ihnen jegliche künstlerische Freiheit haben.


Viele gestandene Musiker bezeichnen das Musikbusiness als härteste Branche überhaupt ...

Tom: Na ja, Krabbenfischer in der Nordsee haben es bestimmt auch nicht leicht! Aber Scherz beiseite, wir sind uns der Vorteile und Gefahren durchaus bewusst.


Butch Vig hat das Album produziert. Wie kam es dazu?

Tom: Wir hatten eine ganze Reihe an Produzenten, die in Frage kamen und einer war eben Butch. Er war der Erste, dem wir die Demos der neuen Songs schickten und es war ziemlich schnell klar, dass er ebenso Interesse an einer Zusammenarbeit hatte. Das erste direkte Gespräch fand am Telefon statt, im Verlauf dessen wir ihn zu einer Show einluden. Alles lief ganz easy ab und war für uns letztlich eine wirklich gute Entscheidung.


Inwiefern?

Tom: Butch ist ein ruhiger Zeitgenosse, der sich für alles und jeden sehr viel Zeit nimmt. Er ist ein absoluter Perfektionist und kann auf eine große Erfahrung zurückgreifen, da er bereits mit den unterschiedlichsten Künstlern gearbeitet hat. Leider wird er oftmals auf die Produktion von NIRVANAs "Nevermind" reduziert, was seiner Arbeit nicht ganz gerecht wird, denn neben NIRVANA hat er auch Alben von SAMSHING PUMPKINS, SONIC YOUTH oder Sub Pop-Bands wie THE FLUID produziert. Darüber hinaus hat er sich einen Namen als Remixer gemacht, weshalb er sich auch an unserer ersten Single "White People For Peace" versuchte, wozu es neben der normalen Version mittlerweile auch ein extra Remix-Video gibt.

Andrew: Wenn ich die Arbeit mit Butch mit der Arbeit mit J. Robbins, dem Produzenten von "Searching For A Former Clarity" vergleiche, fällt zunächst auf, dass wir für die Aufnahmen von "New Wave" viel mehr Zeit und Ruhe hatten. Wir wollten 2005 unbedingt J. Robbins als Produzenten, weil er einfach einen guten Sound hinbekommt. Butch hat darüber hinaus aber den Drang, das Beste aus einem Song herauszuholen. Er macht Vorschläge, mischt sich ein. Die Arbeit mit ihm war wirklich eine Herausforderung, vor allem für Warren, unseren Drummer. Butch spielt selbst Schlagzeug, bei GARBAGE. Er ließ Warren einen ganzen Monat Drumtakes einspielen!

Tom: Dafür durfte er aber auch auf der Snare spielen, mit der GUNS N' ROSES "November Rain" und SAMSHING PUMPKINS das Album "Gish" aufnahmen. Zumindest hat das Mike Fasana, der Drum-Tech, erzählt.


Wie sah ein normaler Studiotag aus?

Tom: Jeder Tag hatte einen festen Ablauf, so dass sich die Bandmitglieder teilweise gar nicht sahen, da meist immer nur ein Instrument berücksichtigt werden konnte. Insgesamt hat das Ganze ungefähr drei Monate gedauert. Die ersten beiden Oktoberwochen waren Vorproduktion und mein letzter Tag im Studio war der 22. Dezember. Das weiß ich noch so genau, weil der Gesang erst ganz zum Schluss aufgenommen wurde.


Die Spielzeit von "New Wave" beträgt knapp dreißig Minuten. Wolltet ihr nach "Searching For A Former Clarity", das fast doppelt so lang ist, wieder an alte Zeiten anknüpfen?

Tom: Der Gedanke war zunächst einmal, ein in sich geschlossenes, kürzeres Album aufzunehmen, auf dem unsere zurzeit besten Songs zu finden sind. Wir hatten insgesamt fünfundzwanzig zur Auswahl, von denen wir siebzehn auch aufnahmen. Von einigen gibt es zudem verschiedene Versionen.


Du bist diesmal für alle Songs verantwortlich. Warum?

Tom: Das hat damit zu tun, dass wir bis kurz vor den Aufnahmen nonstop auf Tour waren, also blieb eigentlich nur währenddessen Zeit, Songs zu komponieren und die Texte dazu zu schreiben. Ich habe auf Tour immer eine Akustikgitarre dabei, auf der alle meine Songs entstehen. Wenn dann mal Gelegenheit zum Jammen ist, stelle ich den anderen die neuen Ideen vor. So bekomme ich kurzfristig Feedback zu dem geschriebenen Material und kann im Anschluss weiterarbeiten.


Der erste Gedanke, den ich hatte, als ich "New Wave" zum ersten Mal hörte, war, dass du eine ganze Menge Fragen stellst. Die sind allesamt rhetorischer Natur und klingen irgendwie nach Verzweiflung. Hast du die Nase voll davon, dich erklären zu müssen?

Tom: Eine wirklich gute Frage, da ich das so noch nie gesehen habe. Bisher hat mich auch niemand darauf aufmerksam gemacht, aber du hast vollkommen Recht, ich frage ganz schön viel auf diesem Album!. Antworten erwarte ich auf rhetorische Fragen natürlich keine. Ich glaube aber, dass ich wahrscheinlich lieber Fragen stelle, als so zu tun, als ob ich die richtigen Antworten hätte.


Du als Songschreiber und AGAINST ME! als Band, ihr tretet immer wieder in Kontakt mit euren Fans, sei es durch Songs oder auf Konzerten. Wie wichtig ist Kommunikation für euch?

Tom: Ich bin der festen Überzeugung, dass für eine gute Beziehung, egal mit wem, eine gesunde Kommunikationsstruktur unabdingbar ist.


Vielleicht deswegen auch die vielen Fragen in dem Song "New Wave"?

Tom: Bestimmt, ja. Mir ging es aber zunächst darum zu sagen, dass wir wie jeder andere auf dieser Welt auch die Chance haben, aus unserem Leben das zu machen, was wir wirklich daraus machen wollen. Und das ist die Herausforderung, der man sich stellen sollte und die ich im Song versuche klarzumachen. Wir als Musiker berufen uns zwar dabei auf das, was bereits an Musik in der Welt vor uns passiert ist, wollen aber trotzdem, soweit es eben möglich ist, versuchen, dem Ganzen unseren eigenen Stempel aufzudrücken. Wenn du so willst, ist das auch als eine Art Aufruf zu sehen. Wir als Künstler können dafür den Anstoß geben, die Entscheidung liegt aber bei jedem selber.


In die gleiche Richtung geht schon das Cover, das einen Tiger zeigt. Ein Tier, das symbolisch für Stärke, Mut und Freiheit steht.

Tom: Ja, sicher. Man muss ab und an auch mal sein Maul aufmachen, vor allem, wenn man eigene Pfade einschlagen will. Genau genommen ist das übrigens ein in den USA beheimateter Florida-Panther, der zu der Familie der Tiger gehört. Das Bild habe ich in einer Ausgabe des National Geographic gefunden.


Die erste Single "White People For Peace" ist ein Plädoyer gegen den Krieg. Wie kam's?

Tom: Der Song entstand an einem freien Tag während des Pukkelpop-Festivals in Belgien. Das war ziemlich am Ende des Entstehungsprozesses der Songs für das Album. Ich wollte unbedingt noch einen Song haben, der sich mit dem aktuellen Thema Krieg beschäftigt. Als Künstler ist das eben die klassische Waffe, die man einsetzen kann. Und auch wenn jetzt viele bezweifeln, dass ein Song etwas ändern kann, so kann er wenigstens darauf aufmerksam machen, dass in unserer Welt zurzeit etwas nicht in Ordnung ist. Genau das ist ja die Funktion eines Protestsongs. Er fasst das in Worte, was vielleicht Tausende von Menschen denken, aber nicht zu äußern wagen und schafft ein Bewusstsein in Bezug auf einen aktuellen Missstand. Das Thema wird noch deutlicher durch das Video zu dem Song, das der Comiczeichner und Videokünstler Adam Egypt Mortimer gedreht hat.


Du bist als Sohn eines Soldaten auf verschiedenen Army Bases groß geworden. Inwieweit hat das dich und deine Denkweise beeinflusst?

Tom: Ich habe einen Großteil meiner Kindheit auf Armeestützpunkten verbracht. Alle paar Jahre sind wir umgezogen, teilweise sogar in andere Länder. Das hat schon früh meine Sinne geschärft, den Beruf meines Vaters kritisch zu betrachten.


Sind AGAINST ME! eine politische Band?

Tom: Nein. Das ist genau der Kurzschlussgedanke, den ich befürchte.


Würdest du denn dich persönlich als politischen Menschen bezeichnen?

Tom: Ich weiß nicht, ich habe damit so meine Probleme und würde mich und uns lieber als "politisch bewusst" bezeichnen. Eine Band politisch zu nennen ist eine Gleichung, die zu einfach ist. Und was heißt in diesem Zusammenhang eigentlich politisch? Heißt das, dass sie für gute oder schlechte Politik einsteht, oder ist das unwichtig?


Ich verstehe, was du sagen willst. Die Hardrock-Band TWISTED SISTER, die mit ihren Songs den letzten Wahlkampf der Republikaner unterstützte, wäre demnach natürlich ebenso als politisch einzustufen.

Tom: Exakt, denn mit ihrer Musik steht sie ja für eine bestimmte politische Haltung ein und bekennt sich offen zu ihr. Genauso wie die britische Band CRASS oder der amerikanische Countrysänger Toby Keith, der mit seinem "Taliban song" aus dem Album "Shock'n Y'all" ganz klar Stellung bezogen hat: Seiner Aussage nach schrieb er ein patriotisches Liebeslied, in dem die USA nach der Jagd auf die Taliban die Welt wieder glücklich und sicher gemacht haben. Grauenhaft!


Welcher Künstler hatte den größten Einfluss auf euch persönlich?

Andrew: So genau weiß ich das gar nicht zu beantworten. Die Szene an sich, in der wir groß geworden sind, würde ich als wichtigsten Einfluss nennen wollen, da sie uns die Werte mitgegeben hat, die bis heute ausmachen, wie und wer wir sind. Als Band fällt mir in diesem Zusammenhang sofort FUGAZI ein, die einfach das Maß aller Dinge sind, wenn es darum geht, etwas unabhängig und selbstverantwortlich auf die Beine zu stellen.

Tom: Ich kann das ganz gut nach Lebensjahren klassifizieren: Zwischen meinem achten und zehnten Lebensjahr waren es GUNS N' ROSES, zwischen dem zehnten und zwölften NIRVANA und PEARL JAM, zwischen dem zwölften und vierzehnten THE DOORS und zwischen dem vierzehnten und achtzehnten CRASS und Punk an sich.


In dem Song "Americans abroad" setzt du dich kritisch mit der amerikanischen Außenpolitik und dem Verhalten von Amerikanern im Ausland allgemein auseinander. Im Chorus heißt es "I hope I'm not like them / But I'm not so sure". Woher kommen deine Zweifel, Tom?

Tom: Wir haben während der letzten Jahre die Erfahrung gemacht, dass es überall auf der Welt Amerikaner gibt, egal wie abgelegen der Ort oder die Bar auch sein mag, wo du gerade bist. Als Amerikaner meinen wir, mit der Zeit einen besonderen Blick dafür entwickelt zu haben, wer US-Staatsbürger ist und wer nicht. Viele unserer Landsleute verhalten sich einfach unmöglich, wenn sie verreisen. Meist reicht ihnen eine Woche, um ganz Europa gesehen zu haben, was natürlich totaler Quatsch ist und wofür wir uns dann irgendwie schämen, schließlich sind das Landsleute. Und gleichzeitig werden diese Amerikaner wahrscheinlich etwas Ähnliches von uns denken und sagen: "Mann, was sind das für Penner, sind die peinlich!"


Der Song, der mir von dem Album am besten gefällt, ist "The Ocean".

Tom: Vielen Dank, das weiß ich zu schätzen. Schließlich ist der Song im Vergleich zu all unseren anderen Liedern auch etwas anders ausgefallen. Basis ist eine Struktur, die dem Calypso/Reggae nicht ganz unähnlich ist und sich stetig wiederholt, dabei aber an Intensität zunimmt. Der Song entstand kurzfristig während einer Session. Die Texte sind ganz persönliche Bilder und Erinnerungen an meine Kindheit, die ich versucht habe, aneinanderzureihen. Wir lebten eine Zeitlang in der Nähe des Meeres und viele Dinge, die mir damals wie Kleinigkeiten vorkamen, wie der Wind, der Strand oder die Tatsache, dass wir als einzige Familie keine Air Condition hatten, habe ich nie vergessen und bisher stets für mich behalten.


Einer Band, der du letztens im Studio unter die Arme gegriffen hast, waren die NEW YORK DOLLS. Eine besondere Ehre?

Tom: Der A&R-Mann der Band ist ein Bekannter von mir. Er wollte eigentlich, dass ich einen Song für das neue NEW YORK DOLLS-Album schreibe. Von keinem der Versuche, die ich unternahm, wollte ich mich aber nachher trenne n und behielt sie dann doch lieber alle für mich und AGAINST ME!. Ich sagte ihm also ab mit der Bemerkung, gerne auf dem Album singen zu wollen, wozu es dann auch kam. Am Anfang war es schon komisch, da sich herausstellte, dass es eher seine Idee gewesen ist, mit mir etwas zu machen, als die der Band. Ich war schon immer ein großer Fan von Sänger David Johansen, aber der Musik seiner Band konnte ich auch nach der Kollaboration nicht wirklich etwas abgewinnen. Es hat aber trotzdem viel Spaß gemacht, die Vocals für "Punishing world" mit einzusingen.


Euer letztes Album hat es bis in die US-Billboard Charts geschafft. Was erwartet ihr von "New Wave"?

Tom: Bis in die Top 100 kamen wir aber nicht, was jetzt nicht bedeutet, dass ich darüber enttäuscht bin. Ich erwarte ehrlich gesagt nicht viel. Ich hoffe lediglich, dass den Leuten das Album gefällt, mehr nicht. Im Fat Wreck-Büro hat Fat Mike übrigens nicht ohne Stolz ein offizielles Billboard-Poster aufgehängt, auf dem NOFX nach dem Erscheinen von "The Decline" den glorreichen Platz 200, also den letzten, einnehmen. Mal sehen, vielleicht können wir die wenigstens um einen Platz schlagen.