INFERNO

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Hardcore, born in Süddeutschland

Mit "Pioneering Work" erscheint im August die ultimative Doppel-CD-Werkschau einer Band, an die sich hierzulande kaum noch jemand erinnert. Die von 1981 bis 1990 bzw. 1992 existierenden INFERNO aus Augsburg waren in den Achtzigern einer der bekanntesten deutschen Export-Artikel in Sachen Punk und Hardcore - damals, als das in San Francisco ansässige Maximumrocknroll-Fanzine noch DAS weltweite Vernetzungsmedium der D.I.Y.-Szene war, kannten Extremmusik-Fans von Asien bis Kalifornien, von Skandinavien bis Südamerika die süddeutsche Formation, die kompromisslos wie damals kaum eine andere Band ihre Songs rausballerte und dazu meist deutsche Texte herauschleuderte.

Die Bandgeschichte im Schnelldurchlauf: Die "Tod & Wahnsinn"-LP erschien 1983 auf Mülleimer Records, 1985 die "Son Of God"-EP auf dem US-Label Subversive, eine Split-12" mit EXECUTE im gleichen Jahr auf Pusheads Pusmort-Label, dann 1986 das legendäre "Hibakusha"-Album auf dem bandeigenen Label Rise & Fall, hinter dem Sänger Howie steckte (der heute fürs Trust-Fanzine schreibt), und 1990 dann mit "It Should Be Your Problem" das letzte Album (Gitarrist Archi war da schon nach Berlin desertiert und tauchte später bei TERRORGRUPPE wieder auf) - über eine kurze Reunion 1992 breitet man lieber den Mantel des Schweigens. Anzumerken ist noch, dass vor ein paar Monaten, als die Band bereits an der Wiederveröffentlichung arbeitete, ein Schlaumeier ein INFERNO-Bootleg veröffentlichte, obwohl die Band leicht zu kontaktieren gewesen wäre. Der Blödmann wurde natürlich prompt gestellt und um seinen Gewinn erleichtert.

Ich stellte Archi ein paar Fragen zu damals, dann schalten wir unten um zu einem Text, der sich auch im Booklet der CD findet und in dem Archi und Howie die Bandgeschichte Revue passieren lassen.

Archi, was habt ihr damals unter "Hardcore" beziehungsweise "Hardcore-Punk" verstanden?


Hardcore-Punk bedeutete für uns, Punkrock wieder auf den Punkt zu bringen. Schnell, kraftvoll, aggressiv, simpel! Punk hatte 1980 nicht mehr den Effekt, den er 1977 auf mich hatte. Es war also logisch, dass neue Extreme her mussten, um weiterhin den Kick zu haben, einer ganz besonderen Jugendbewegung anzugehören, eine ganz besondere Musik zu hören und zu machen. Das kann ich heute so analytisch sehen, damals passierte das einfach automatisch aus dem Bauch heraus.


Mir scheint, dass Süddeutschland damals eine Szene-Hochburg war. Wie kam das?

Süddeutschland hatte schon immer eine starke Punkszene, etwa in München, Augsburg, Freising, Allgäu, Freiburg. Daraus wuchs natürlich eine starke Hardcore-Szene. Warum gerade in Süddeutschland so extrem gepunkt wurde, kann ich nur vermuten. Es gab dort wahrscheinlich mehr Gründe zu rebellieren.


INFERNO waren immer eine sehr stark international vernetzte Band, was für mich damals den Reiz der Hardcore-Szene ausmachte. Wie kam es dazu, dass ihr letztlich in den USA bekannter wart als in Deutschland?

Unsere Musik war von Anfang an sehr eigenständig, fast schon experimentell, darum fanden uns wahrscheinlich die Amis ganz schick. Aber nicht nur die, wir hatten viele Sympathisanten in Holland, Belgien, Südeuropa, im Ostblock und in Südamerika. Deutschland war eher noch klassisch Punk-orientiert. Für die meisten Leute hier waren wir wohl wahnsinnige Dilettanten, die viel zu schnell spielten, damit man ihre Fehler nicht so lange mitbekommt. Man belächelte uns. Außer Herr David Pollack , der war so was wie der Hardcore-Oberfuzzi von Berlin und powerte die HC-Szene nach oben.


Kannst du der eMail-Generation erklären, wie man damals kommunizierte, wie man in Kontakt kam?

Man schickte sich die guten alten Briefe untereinander mit der Post zu. Telefonieren war auch meist zu teuer, ich machte das allerdings immer von meinen Eltern aus.


Wie wichtig waren euch Inhalte, was waren wichtige Themen?

Ein Song ohne Inhalt ist nur ein halber Song, egal in welcher Musikrichtung, der Meinung bin ich noch heute. Egal, ob man jetzt Gefühle beschreibt oder über konkrete Themen textet. Wir texteten über unseren Alltag, Probleme mit Alkohol, Probleme mit Skinheads der rechten Sorte, falsche Freunde etc. Aber auch über unsere Ängste in einer nicht zu durchblickenden Zeit des Kalten Krieges. Zongs Bundeswehrzeit und Howies Zivildienstzeit spielten immer wieder eine große Rolle. Die Kirche und heuchlerischer Glaube war auch ein Thema für uns, wir kamen ja aus Bayern.


Wie hast du damals die Beeinflussung durch Metal wahrgenommen, wie gingen die beiden Szenen miteinander um? Und wie weit gingen die Gemeinsamkeiten, was trennte?

Thrash, Speed und Death Metal wurden direkt von der ersten Generation der Hardcore-Bands beinflusst. Bands wie SLAYER, S.O.D., ANTHRAX, METALLICA betonten oft in Interviews, wie sehr sie von HC-Bands wie RAW POWER, INFERNO, CRUZIFIX beeinflusst wurden. Das machte uns natürlich stolz, denn diese Bands waren damals schon recht fett. Folglich beschäftigten wir uns Mitte der 80er alle schon sehr intensiv mit diesen Bands, was dann wiederum auch den Sound der Hardcore-Combos stark beeinflusste. Bei uns war es das "Hibakusha"-Album auf dem man diese Entwicklung deutlich hören kann. Diese Fusion ging soweit, dass man heute nicht mehr weiß, ob eine Band nun Hardcore-Punk oder Metal-Hardcore ist. Gemeinsamkeiten hatte man damals viele, es trennte uns vielleicht lediglich die Haarlänge und das Können an den Instrumenten.


Was ist aus euren Bandkollegen geworden, habt ihr noch Kontakt?

Ich habe noch Kontakt zum INFERNO-Sänger Howie, vorwiegend natürlich wegen des "Werkschau"-Projekts. Die ganze alte Band ist das letzte Mal 1996 bei einem TG-Gig in Augsburg zusammengetroffen.


Und was machen die, was macht ihr heute?

Soweit ich recherchieren konnte, macht Zong noch experimentelle Musik mit seinem Bass. Was Praxe, der Drummer, macht, weiß ich leider nicht. Howie ist freischaffender Mediengestalter und ich mache wie immer Krach, allerdings hauptsächlich mit jungen, talentierten Bands wie THE MOVEMENT, THE CREETINS, BITUME, GRINGA LOCA in Funktion des Produzenten.


Wurde denn mal über eine Reunion nachgedacht?

Kurz, aber gleich wieder verworfen. Das wäre Unsinn. So was wie INFERNO funktioniert nur mit dieser jugendlichen Unbeschwertheit. Als 40-Jähriger bekommt man dieses Flair nicht wieder hin. Es gibt keine Reunion-Band, die mir jemals das Gegenteil bewiesen hätte.


Wenn du die damalige Szene mit der heutigen vergleichst, was hat sich positiv, was negativ verändert?

Alles war damals frisch, hatte wahnsinnig Energie, war unorganisiert und sehr anarchistisch. Das gefiel mir gut. Die Szene verlor für mich den Reiz, als sie eine solche wurde, und somit auch die Musik. Alles, was ich von Hardcore heute mitbekomme, kickt mich nicht besonders. Zu viele Regeln, Dogmen, konservatives, prolliges Gepose. Die Musik wurde auch immer haarspalterischer, degenerierter, komplizierter. Das eigentliche und wichtige Grundrezept schmecke ich da meist nicht mehr raus.


Und wie kommst du heute mit Dolf klar ...?

Gut ... Ich freue mich, wenn ich ihn ab und zu mal sehe, und lese hin und wieder in seinem Heft, dem Trust.


Und wie mit S.O.D., die euch damals gecovert haben? Habt ihr jemals über diese Aktion gesprochen?

Damals waren wir etwas erbost darüber, dass sie uns nicht vorher gefragt hatten, als sie den Song "Ram it up" coverten. Aber im Ernst, wir waren damals stolz wie Bolle und regten uns gern und öffentlich über diese Sache auf. Das war pures Prahlen durch die Hintertür, nichts weiter. S.O.D. und TERRORGRUPPE hatten 1999 mal einen gemeinsamen Gig auf dem With Full Force Festival. Da hatte ich eine sehr nette Unterhaltung mit Scott und Billy. Scott wollte unbedingt den Hintergrund zum Song "Linke Sau" wissen. Als ich ihm erklärte, dass das nichts mit "left wing" zu tun hat sondern mit "hinterhältig", war er beruhigt.


In eurer Story, siehe unten, fehlt der "Rest", die Reunion von 1992. Kannst du diese Lücke schließen?

Nö, mir scheint, dass auch Howie gern den Mantel des Schweigens darüber breitet, aber du kannst ihn gern selbst fragen.


Wieso hast du dich später mit TERRORGRUPPE musikalisch vom Hardcore abgewandt, eher klassischen Punkrock gemacht?

TERRORGRUPPE agierte wieder mehr an der Wurzel. Da war das alte Gefühl wieder da, etwas ganz Besonderes zu kreieren, mit dieser unglaublichen Energie, nach dem alten ursprünglichen Punkrezept. Wenn ich mir heute den Werdegang von TG so anschaue, lagen wir 1993 bombenrichtig. Auch hat TG viel aus meinen Erfahrungen mit INFERNO profitiert: die Dreistigkeit, ultrakurze extrem, simple Songs zu machen wie zum Beispiel "Ich will nicht mit dir gehn" oder "Namen vergessen" oder pure persönliche Angst-Songs wie etwa "Allein gegen alle". Wenn TERRORGRUPPE mal schneller und härter klingen sollte, war es für mich kein Problem, das umzusetzen. Mein Drang, mit einer deutschsprachigen Band ins fremdsprachige Ausland zu fahren und dort souverän aufzutreten, kommt sicher auch aus INFERNO-Zeiten.



Joachim Hiller



AUGSBURG HARDCORE INSANITY

Prolog von Howie oder auch Donald - Sänger der Band:

Es war einmal (gute Geschichten beginnen immer so!) der 1. November 1981. Es war kalt, und uns (Zong, Igor, PZ, mir = Howie) war langweilig. Wir hingen in unserer Stadt rum, tranken Bier und überlegten, ob wir zu einer Demo des DGB gehen sollten oder nicht. Keiner hatte zu irgend etwas Lust, bis Zong auf die Idee kam, in den nahegelegenen Übungsraum der Augsburger Punkband SKANDAL zu gehen, um zu trinken und ein wenig "Krach" zu machen. Zong und Igor spielten nämlich zu dieser Zeit bei SKANDAL und waren irgendwie meine Idole, was die Augsburger Musikszene betraf. Also gingen wir in den stickigen "skandalösen" Übungsraum, Igor und Zong schnappten sich die gewohnten Instrumente, PZ setzte sich sofort ans Schlagzeug und ich freute mich, ein eklig nach alter Spucke riechendes Mikrofon in meinen Händen zu halten. Und los ging's! Mann, hatten wir einen Spaß. Wir coverten "Sex & violence" von EXPLOITED (hieß bei uns aber "PZs Füße" ...), machten Tempo und natürlich auch sehr viel Krach, und da war noch ein eigener Song, den wir komponierten: "Ram it up". Nie hätten wir gedacht, dass Jahre später eine Band wie S.O.D. diesen Song covern würde, doch eines war uns klar - wir gründeten an diesem Tag eine Band! Nach einem DISCHARGE-Song nannten wir uns schlichtweg DECONTROL und gaben nunmehr regelmäßig im Proberaum das Beste. Ein paar Monate später hatte Igor irgendwie keine Lust mehr, mit uns zu spielen, was auch hauptsächlich daran lag, dass er sich mittlerweile extrem stark in der "Ted-Szene" bewegte. Wir mussten uns nach einem neuen Gitarristen umsehen. Auch der Bandname wurde in INFERNO geändert ...

Archis (oder auch Archi Alert, wenigen auch bekannt als MC Mothafucka) Erinnerungen - Gitarrist:

Wenn ich heute daran zurückdenke, wie ich damals 1981 im einzigen Augsburger Punk-Club Subway dem Punk-Bassisten Zong vorschwärmte, in was für einer genialen Punkband (SEXUALTÄTER) ich Gitarrist wäre, ist mir mein damaliges Großmaul heute noch höchst peinlich. Aber gerade diese unsägliche Übertreiberei sollte der Grund sein, warum Zong Interesse an mir gefunden hatte und mich zu den Proben für sein neues Hardcore-Punk-Projekt einlud.

Als ich 13 Jahre alt war, das war so um 1978, zog mich diese "Punkrock"-Sache magisch an. Ich fand sehr schnell Freunde, die meine Faszination dafür teilten, und zwei Jahre später probte ich mit zwei Punk-Kumpels im Keller meiner Großmutter. Wir nannten uns SEXUALTÄTER und bekamen so wenig gebacken, dass mir schnell klar wurde, dieses Projekt hat wirklich "No Future". Zur gleichen Zeit besuchte ich meine ersten Punk-Konzerte. Eine der Shows fand in einer Disko statt, sonntagnachmittags, mit einer Augsburger Ur-Punkband namens SKANDAL. Es war ein kleines, gemütliches Konzert. Ich tanzte zum ersten Mal Pogo und eben dieser besagte kleine, gedrungene Typ namens "Zong" spielte Bass in dieser Band. Cooler Typ, er fiel mir mehr auf als der Sänger.

Ich war saumäßig nervös, als ich zum ersten Mal mit den anderen drei Jungs, nämlich PZ (Pezet oder auch Peter Ziegler), Howie und Zong, in deren Proberaum stand und sie mir die Akkorde zu ihrem ersten Song "Administration" zeigten. Zu meinem Glück kapierte ich alles recht schnell, und als wir dann nach einigen Anläufen das Lied zum ersten Mal ganz durchspielten, war ich völlig überwältigt von der Energie, die da plötzlich in diesem stinkendem Kellerloch entstand. Das Lied war unglaublich schnell, PZ wirbelte wie ein Irrer auf seinem zusammengeliehenen Schlagzeug herum und starrte mich mit einem konzentriert aggressiven Blick an. Howie brüllte mit einer Reibeisenstimme, wie ich sie bislang noch nicht gehört hatte, und Zong spielte irre viele Noten in kürzester Zeit, mit einem unglaublich schnellen Anschlag. Er schien die Grundmelodie des Songs völlig zu ignorieren, er umschrieb sie eher mit seinem Bass. Den Sound, den wir da kreierten, hatte ich in dieser Form noch nie vorher gehört.

Zong lud mich des Öfteren zu sich nach Hause ein und spielte mir seine neuesten Punk-Platten vor. Ich kannte bislang eher Bands aus England, aber Zong hatte Platten aus der ganzen Welt. Aus den USA, Schweden, Finnland und so ... meist sehr schnelle, harte Musik von Bands, deren Namen mir vollkommen neu waren. Eine seiner Lieblingsbands hieß DISCHARGE, und Zong schwärmte mir vor, er wolle, dass wir noch schneller und aggressiver klingen sollten. Wir gaben uns den Namen DECONTROL. Bald wurde aber daraus INFERNO. Der Name passte irgendwie besser zu uns und unserer Vision ...

Wir probten viel, es machte einen Heidenspaß und wir spielten bald unser erstes Konzert, eine Matinee-Show im Augsburger Subway. Viele der älteren Punks waren da und mochten uns auf Anhieb. Sie erzählten uns nach dem Konzert erstaunt, wir würden etwas Neues machen - wilder, härter, schneller als der herkömmliche Punk.

Es war schwer, in Augsburg und Umgebung Auftrittsmöglichkeiten zu bekommen. Wir sahen uns nach Räumen um, in denen wir auftreten könnten. Wir verloren meist unser Erspartes, da bei den Konzerten immer etwas kaputt ging und die Vermieter unsere Kaution einbehielten. PZ, Howie und Zong hingen öfters mit so einem eigenartigen Typen rum, der monatelang eine Brille mit nur einem Bügel trug. Wann immer er besoffen war, und das war er oft, schloss der Kerl Wetten ab und kletterte an Hausfassaden mehrere Stockwerke hoch. Dolf Hermannstaedter Jr. nannte sich dieser schwindelfreie Freak. Er hatte Briefkontakt mit Leuten aus der ganzen Welt, sammelte Fanzines und Platten und wusste nahezu alles über die ständig wachsende HC-Punk-Szene. Dolf bot sich an, unsere kleine Band zu managen, und wir wussten keinen, der geeigneter für diesen Job gewesen wäre. Er betreibt heute noch ein deutsches Underground-Fanzine namens Trust, für das auch Howie nach wie vor schreibt.

Eine von Dolfs ersten Aktionen war, uns einen Auftritt in der Alten Post in Ampermoching bei München zu beschaffen. Der Club hatte Kultstatus, hier spielten schon SLIME, ZSD, DIE TOTEN HOSEN (vor 30 Leuten) oder G.B.H. Für uns war das so etwas wie das Tor zur Welt. Der Gig war nicht gerade der glorreichste. Dolf tanzte den wildesten Pogo von allen Anwesenden. Es waren wenig Leute gekommen, schätzungsweise knapp über 30. Im Publikum befand sich ein älterer Typ mit grauen, kurzen Haaren, den alle nur den "Lehrer" nannten. Dieser Typ sprach uns nach dem Konzert an und fragte nach unseren Telefonnummern.

Zong und ich trampten an Wochenenden oft durch Süddeutschland, einmal auch auf ein Konzert nach Memmingen im Allgäu. Eine Band namens BRUTAL VERSCHIMMELT spielte. Wir fanden die Band zu langsam und zu schlapp und gingen raus vor die Kneipe, in deren Theatersaal das Konzert stattfand. Dort trafen wir einen langen, schlaksigen Typen, der sich uns als Thomas Ziegler vorstellte. Er war der Betreiber des damaligen Labels Mülleimer Records. In Momenten wie diesen konnte ich mich voll und ganz auf mein Großmaul verlassen. Ich erzählte Thomas von unserer Band, und als er nach unserem Sound fragte, zählte ich einfach meine damaligen Lieblingsbands auf: "Eine Mischung aus BLACK FLAG, DISCHARGE und den BAD BRAINS vielleicht", war meine knappe Antwort. Seine Augen fingen an zu leuchten. Er ließ sich unsere Telefonnummern geben und wir gingen zusammen hinein, den Headliner NORMAHL anzusehen.

Thomas Ziegler lud uns zu einer Aufnahmesession in ein kleines Studio in der Nähe von Pforzheim ein, ohne uns einmal vorher gehört zu haben.

Frühjahr 1983. Das erste Mal in einem echten Tonstudio. Die Realität war ernüchternd. Wir fanden uns in einem Studio wieder, in dem bislang nur drittklassige Schlager- und Volksmusikproduktionen entstanden. Die Felle des Studioschlagzeugs waren mit Gaffa-Band dermaßen zugekleistert, dass kein einziger lebendiger Ton mehr rauskam. Des Studiobesitzers größter Stolz war ein Foto von Alfred Biolek, der bei ihm anscheinend mal eine Sprachaufnahme verbrochen hatte. Wir versuchten, das Beste daraus zu machen und nahmen zwei Songs für Thomas Zieglers "Ultra Hardcore Power 1"-Sampler auf: "Nationalgefühl" und "Wir sind schon tot". Mit gemischten Gefühlen fuhren wir nach Hause und waren nicht gerade zufrieden mit dem Resultat. Allerdings erhielten wir für die beiden Titel auf dem Sampler ein irre großes Feedback, so dass Thomas Ziegler uns einen Plattenvertrag für ein ganzes Album anbot. Wir fuhren nach Böblingen, um den Plattenvertrag zu unterschreiben. Thomas Zieglers Plattenfirma-Büro befand sich im Jugendzimmer des Hauses seiner Eltern.

Nachdem wir unterschrieben und die Ratifizierung mit ordentlich Bier begossen hatten, zeigte uns "Ziegengeist" (sein eigentlicher Nachname, den er aber ändern ließ) noch seine Schwulen-Porno-Video-Sammlung.

Der "Lehrer" organisierte ein Konzert in der besetzten Gassergasse GaGa in Wien. Das Festival trug den Namen "Chaotische Ostern 1983", sollte über drei Tage gehen. Ein Mix aus jungen und bekannteren bayerischen und Wiener Bands wurde engagiert. Auch INFERNO lud der grauhaarige Typ ein, der sich inzwischen als Fan unserer kleinen, wilden Band outete. Wir spielten mit bekannteren Bands wie ZSD, DEAD NITTELS, NIKOTEENS und KGB. Aber auch unsere Hardcore-Freunde K70 aus Bad Wörishofen waren dabei. Alle angereisten Bands schliefen in einem großen Raum auf dem Boden. Dort fiel mir ein besonders unangenehmer Zeitgenosse auf, den ich Wochen vorher in Kaufbeuren im Allgäu noch als Mofaproll in Aktion erlebte. Auch jetzt war er besonders laut und unverständlich, trug den selbst gewählten Namen "Lepra", hatte den längsten Iro und die meisten Nieten auf der Jacke und hatte natürlich auch hier die größte Klappe. Der Wahlmünchner war später Sänger der AUSGEBOMBTEN und BOMBERS OF BURUNDI.

PZ, unser Drummer, verlor langsam das Interesse an der Band und erschien immer seltener zu den Proben. Wir wussten, dass wir mehr üben mussten, denn wir beherrschten unsere Instrumente immer noch nicht richtig. Es kam zu einer unangenehmen Aussprache im Proberaum, und PZ verließ die Band. Mit Lorenz Praxenthaler, auch Praxe (= Max) genannt, fanden wir schnell ungeübten Ersatz und bereiteten uns auf die nächsten, anstehenden Gigs vor. Wir wurden zu einem Konzert in einer alten, verlassenen Tankstelle in St. Ingbert im Saarland eingeladen. Tote Hose hieß der Club, offensichtlich nach einer gerade bekannter werdenden Band aus Düsseldorf benannt, welche dort auch schon ein Gastspiel gegeben hatte. Der Clubbesitzer weigerte sich, uns die versprochenen Schlafplätze zu Verfügung zu stellen. Auch wollte er uns nach dem Konzert nicht auszahlen. Im angetrunkenen Zustand nutzten wir die bierselige Unaufmerksamkeit des Clubbesitzers und klauten sein Mischpult. Mit unserer neuen Errungenschaft nahmen wir unser erstes Demotape, das "Hagenbach Tape", in unserem Proberaum selbst auf. Der bierselige Veranstalter war natürlich noch eine Weile hartnäckig hinter seinem Live-Mischpult her, hatte uns auch in Verdacht, ließ sich allerdings erfolgreich abwimmeln.

Dolf schickte unser Demotape in die USA, an das große Punk-Fanzine Maximum Rocknroll und brachte uns eine der darauf folgenden Ausgaben mit. Wir wurden von mehreren Redakteuren, unter anderem auch Jello Biafra von den DEAD KENNEDYS, in die Top Ten ihrer Lieblings-Playlisten aufgenommen. In diese Zeit fällt auch die Einladung des Bielefelder AJZ - damals einer der bekanntesten Punk-Läden in Norddeutschland. Dort traf ich zum ersten Mal auf meinen späteren, langjährigen und besten Freund Dave Pollack, heute Betreiber der bekannten Booking-Agentur und des Labels Destiny. Er spielte dort mit seiner Punkband SICK PLEASURE, einer sehr US-Punk orientierten Band aus Berlin. Der Abend endete wild und wir hatten uns viele neue Freunde gemacht. Max fiel bei einer "Schuhplattler"-Demonstration im Zuschauerraum besoffen in eine Glasscherbe, musste ins Krankenhaus gebracht und am Knie genäht werden. Das erledigte Dolf mit meinem alten Toyota Corolla. Dolf konnte sowieso nur noch fahren, weder stehen noch gehen. Mein Auto hat es eh nicht mehr lange gemacht.

Thomas Ziegler buchte drei Tage im Berliner Musiclab-Studio, damit wir unser erstes Album aufnehmen konnten. Das Studio war sehr bekannt in der Punk-Szene, Harris Johns nahm dort schon die Alben von Bands wie SLIME, BLUT+EISEN, CANALTERROR etc. auf. Wir waren ziemlich aufgeregt. Im November 1983 holte uns Thomas Ziegler in einem geliehenen, alten VW-Bus in Augsburg ab. Wir fuhren gemeinsam nach Berlin, um unsere erste Platte aufzunehmen. Als wir die Grenze zur DDR hinter uns hatten und uns auf der Transitstrecke befanden, überraschte uns ein für die Jahreszeit etwas verfrühter Schneesturm. Dummerweise funktionierte die Heizung unseres Vehikels nicht, so dass unsere Windschutzscheibe von innen zuzufrieren begann. Die Sicht war durch Schnee, Nebel und Eis auf der Scheibe so schlecht geworden, dass wir eine Abfahrt verpassten. Wenig später begrüßte uns mitten in der Nacht ein Ortsschild "Berlin - Hauptstadt der DDR", an dem wir verwundert vorbeituckerten. Beim anschließenden Wendemanöver gerieten wir sogar fast auf das Rollfeld des Flugplatzes Schönefeld. Was tun? Wir suchten den Weg zurück auf den Berliner Ring, wurden allerdings nach ein paar Kilometern müde. Den Rest der Nacht verbrachten wir in unseren Schlafsäcken im Bus auf einem Rastplatz der DDR. Der verspätete Check an der deutsch-deutschen Grenzstelle Dreilinden sollte uns eine Menge Ärger und eine 45-minütige Befragung einbringen.

In der Nähe des Checkpoint Charlie stand das Gebäude, in dem das Musiclab-Studio untergebracht war, gleich neben dem Arbeitsamt Charlottenstraße. Wir warteten auf Harris Johns, den Studioinhaber, im Hausflur des Hinterhauses. Harris hatte lange schwarze Haare, sah aus wie Winnetou, und als er uns eröffnete, dass er tatsächlich Angehöriger eines seltenen nordamerikanischen Indianerstamms sei, schauten wir ganz schön blöd aus der Wäsche. Schon am ersten Tag spielten wir die Hälfte der geplanten 20 Songs ein. Nicht besonders sauber, aber schnell und mit viel Energie. Harris gab schon bald auf, uns gerade biegen zu wollen und achtete nur noch auf die Qualität seiner Aufnahmen. Unser Nachtquartier fanden wir in einem Haus in der Görlitzer Straße 36, einem berühmt-berüchtigten besetzten Haus in Kreuzberg. Wir schliefen in einem schlecht beheizten Proberaum der DEUTSCHEN TRINKERJUGEND zusammen mit deren Schlagzeuger Uwe, der uns im Amphetaminrausch den notwendigen Schlaf raubte.

"Tod und Wahnsinn" war in 33 Stunden eingespielt und gemixt worden. Dolf gewann den bekannten amerikanischen Punk-Künstler Pushead, ein unverwechselbares Plattencover dafür zu entwerfen. Pushead verlangte nur 30 Tonträger für seinen Job, was uns positiv überraschte. Für das Album bekamen wir innerhalb kürzester Zeit unglaublich viel Anerkennung aus der ganzen Welt. Das amerikanische Punk-Magazin Maximum Rocknroll plante einen internationalen Hardcore-Punk-Sampler: "Welcome To 1984"! Wir wurden gefragt, ob wir nicht einen exklusiven Titel beisteuern wollten und so fuhren wir im Frühjahr 1984 erneut ins Berliner Musiclab, um in einer ultraschnellen Blitzaktion sechs weitere Titel aufzunehmen. Wir fuhren morgens um 8:00 Uhr in Augsburg mit zwei Pkw los, begannen um 17:00 Uhr in Berlin mit den Aufnahmen, beendeten gegen Mitternacht die letzte Mischung und fuhren die Nacht durch wieder die 600 Kilometer nach Augsburg zurück.

1984 gestaltete sich als sehr aufregendes Jahr für unsere kleine Band. Wir wurden nach Mailand eingeladen, fuhren zum ersten Mal zu Konzerten nach Holland und Belgien und spielten einen verkorksten Gig als Vorgruppe der ADICTS in Freiburg. In derselben Zeit standen mehrere Auftritte in Süddeutschland auf dem Programm und wir bekamen Fanpost aus aller Welt. Zong schaffte es leider nicht, sich erfolgreich vor dem Wehrdienst zu drücken, was uns dann stark vom Proben abhielt und ihm ein ernst zu nehmendes Alkoholproblem einbrachte.

Wir wollten einen Gig in Norddeutschland spielen. Da Zong am selben Tag Bundeswehrdienst hatte, beschlossen wir, ihn krankschreiben zu lassen. Um den Bundeswehrarzt beeindrucken zu können, gehörte allerdings einiges mehr dazu, als über Kopf- oder Rückenschmerzen zu klagen. Zong erklärte sich bereit, sich von uns den großen Zeh brechen zu lassen. Wir fuhren an einen von Augsburgs Baggerseen und Zong ließ sich systematisch mit Wodka voll laufen. Währenddessen saß er auf der Ladekante meines Kombis am Ufer des Sees, sein linker Fuß steckte in einem Eimer, der mit Salatessig gefüllt war. Wir wollten so den Knochen seines großen Zehs aufweichen, um ihn dann später leichter brechen zu können. Wissen oder Glaube? Nach zwei Stunden konnte sich Zong kaum noch gerade halten. Max nahm einen großen Schraubenschlüssel aus meiner Werkzeugkiste und drosch mit aller Kraft auf Zongs seit Stunden eingeweichten Zeh. Zong schreckte auf und kreischte: "Der volle Molli haut mir geg'n Fuß!" Er hüpfte auf einem Bein und sprang samt Klamotten ins Wasser. Die Diagnose des Arztes war ernüchternd. Zong hatte eine starke Prellung am linken großen Zeh, wurde nicht krankgeschrieben und wir mussten leider unseren Auftritt absagen.

Wir bekamen immer mehr Fanbriefe aus Übersee. Dolf stand in Kontakt mit einigen Leuten, die uns unbedingt auf Tournee nach USA holen wollten. Zum Glück kannten wir einige europäische Bands wie RAW POWER aus Italien oder RIISTETYT aus Finnland, die sich bereits auf dieses Abenteuer eingelassen hatten. Alle hatten derbe finanzielle Verluste eingefahren und mussten sich nun mit den Schulden abmühen. Unsere Begeisterung für Amerika hielt sich somit in Grenzen und wir lehnten jedes Angebot aus Übersee dankend ab. Wir tourten lieber ein weiteres Mal mit unseren Venloer Freunden von PANDEMONIUM durch Holland und Belgien. Unsere zahlreichen Ausflüge nach Benelux rechneten sich immer und wir hatten jedes Mal reichlich Spaß.

Im Frühjahr 1985 fuhren wir erneut ins Musiclab-Studio nach Berlin, um einen Schwung neuer Lieder aufzunehmen. Unter anderem für eine Split-12"-EP mit der japanischen Band THE EXECUTE. Die EP sollte auf Pusheads Label Pusmort erscheinen und unsere erste, offizielle weltweite Veröffentlichung werden. Harris Johns widmete sich mittlerweile zeitaufwändigen Thrash-Metal-Produktionen wie HELLOWEEN oder SODOM, so dass wir mit seinem neuem Assistenten Frank Osterland ans Werk gingen. Wieder einmal nahmen wir fünf Songs an einem Tag auf, inklusive Mixdown und fuhren in derselben Nacht wieder nach Hause.

Wir spielten ein weiteres Mal im Virus/Milan zusammen mit den HC-Lokalmatadoren THE WRETCHED, machten eine kleine Norddeutschlandtour und hatten unseren ersten Auftritt in Novisad bei Belgrad. Leute kamen aus allen Teilen Jugoslawiens und sogar aus Griechenland und Ungarn angereist, nur um uns zu hören und zu sehen. Wir hatten noch nie vor so vielen Leuten gespielt und auch niemals zuvor so gestrichen die Hosen voll. Skinheads aus Kroatien schlugen sich während des Gigs mit Hardcore-Punks aus Serbien. Howie musste mit ansehen, wie mitten in einem Gespräch seinem weiblichen Gegenüber von ihrem Bruder, ohne Vorwarnung, ins Gesicht geschlagen wurde, weil sie sich mit einem fremden Mann unterhielt. Howie hatte aber Glück. Die Security wies den übereifrigen Bruder aus dem Konzertsaal. Das Mädel war dann wie befreit. Unser Auto wurde von einer anderen Security-Gruppe auf dem Parkplatz bewacht. Die Angestellten des Musikladens, welcher uns die Anlage stellte, bewachten während des Gigs ihr Equipment. Sie standen teilweise hinter den Verstärkern und hielten sie fest. Der Veranstalter und seine Freunde waren mit der Situation völlig überfordert. Am Ende ging doch alles irgendwie gut und wir behielten den Gig als befremdende, aber positive Erfahrung in Erinnerung.

Wir wurden ein weiteres Mal nach Berlin zu einem Konzert eingeladen. Ein seltsamer Typ Namens Johnny von Schlitz-Records (ZERSTÖRTE JUGEND) wollte ein Konzert mit RAZZIA und uns in einem Laden namens Knox im Wedding veranstalten. Wir reisten schon einen Tag vorher an und suchten Johnny in seiner Wohnung in einem Kreuzberger Hinterhaus auf. Wir sollten dort auch zwei Tage übernachten. Johnny, ein älterer, pockenvernarbter, sehr freundlicher Typ mit schwarzem Cowboyhut, lud uns sofort eine Etage tiefer zu seinem "Schwager" auf ein Pfeifchen ein. Der Freund seiner Schwester war ein Angst einflößender großer Skinhead namens Briese (später Bassist in der Berliner Punkband TROOPERS, er starb Ende der 90er an einer Überdosis Heroin), der gerade von der Kreuzberger Punk- und Hausbesetzerszene "entnazifiziert" wurde, wie uns Johnny berichtete. Der Entnazifizierungsprozess war anscheinend zu dem Zeitpunkt noch nicht ganz abgeschlossen, denn beim nachmittäglichen bekifften Risiko-Spiel rutschten dem guten Briese immer noch abfällige Bemerkungen über meine rote Armee oder gar Zongs pinke Armee raus. Man merkte allerdings schon, dass er sich etwas zusammenriss.

Am nächsten Tag spielten wir vor unserem eigentlichen Gig noch im Blockshock in Kreuzberg, wo Dave Pollack ein anderes Punk-Konzert organisierte, auf das er uns noch zusätzlich einlud. Später im Knox wunderten wir uns dann doch über den Verbleib unseres Sängers Howie, der, seit wir den Laden betreten hatten, unauffindbar war. Wir sollten als letzte Band spielen und Howie war immer noch nicht aufgetaucht. Ich versuchte mit Hilfe von Rajas, dem Sänger von RAZZIA, ein Notprogramm auf die Beine zu stellen, was aber leider nicht ganz so gut funktionierte. Als wir dann gegen drei Uhr morgens in Johnnys Wohnung ankamen, fanden wir Howie völlig frustriert und fertig auf der Treppe vor Johnnys Wohnungstür kauernd. Ein Skinhead am Eingang des Knox hatte ihn mit einem Messer bedroht. Es war offensichtlich einer von Brieses weniger entnazifizierten Kumpels. Howie bekam Panik und flüchtete zu Fuß in Richtung Kreuzberg. Auf dem mehrstündigen Fußmarsch nach Hause gab es noch zusätzlich Ärger mit einer Türkengang.

Die Nacht in Johnnys Kreuzberger Hinterhauswohnung war für mich kurz, aber voller Überraschungen. Die hübsche Schlafsackpartnerin, die mich aus dem Club begleitet hatte, biss mir andauernd ins Ohr und in die Unterlippe. Nach einer halben Stunde hatte ich genug, von ihrer Interpretation eines katzenartigen Liebesspiels. Unser Gastgeber versuchte verzweifelt und im Halbdelirium unserem schon im Koma und im Bett des Wohnungsbesitzers liegenden Roadie Chicky die Lederhose auszuziehen. Es sah so aus, als wollte er mit ihm ficken. Ich schielte öfter mal rüber, unser Gastgeber mühte sich allerdings vergeblich bis zum Sonnenaufgang ab. Dolf war bei diesem und den nächsten Ausflügen nicht mehr dabei. Wir waren der Meinung, er würde die Band dazu benutzen, um persönliche Kontakte mit Szeneleuten in der ganzen Welt knüpfen zu können, ohne dabei in unserem Interesse zu handeln. So trennten wir uns von ihm. Dolf war verständlicherweise deswegen sehr aufgebracht.

Im Sommer 1985 bereiteten wir uns auf die Aufnahmen zu unserem zweiten Album vor. Der Titel "Hibakusha" (ein japanischer Begriff, der allgemein für die Atombombenexplosionen in Japan 1945 benutzt wurde und soviel bedeuten soll wie: Menschen, Bombe, Leiden) stand schon vor den Aufnahmen fest. Zum ersten Mal wurde unsere Musik von den damals stark populär werdenden Thrash Metal-Bands wie SLAYER, METALLICA und ANTHRAX beeinflusst, welche ihrerseits unsere kleine Band des Öfteren als Inspiration schätzten. Die Katze fing von hier ab an, sich in den eigenen Schwanz zu beißen. Wir beschlossen, das neue Album selbst zu produzieren und zu veröffentlichen, da wir auch Thomas Ziegler von Mülleimer Records nicht mehr trauten. Zu oft hatten wir Schlechtes über ihn gehört und zu undurchsichtig waren seine Verkaufsstatements. Wir waren in der Hardcore-Szene auf der ganzen Welt bekannt, jeder hatte unsere Platte und wir sollen nur zwei- bis dreitausend Platten verkauft haben? Das konnte keiner von uns verstehen.

Wir fuhren erneut auf eine Tour nach Holland, mittlerweile anscheinend schon regelmäßig alle sechs Monate. Allerdings wurden wir ständig mit Fragen bezüglich des Verbleibs unseres Ex-Managers Dolf konfrontiert. Dieser hatte anscheinend an alle uns bekannten Leute Briefe geschickt, in denen er uns in verschiedenen Punkten schwer anklagte. Zu unserem Glück verstanden die meisten der benachrichtigten Leute die Sache als Privatstreit und versprachen weiterhin Unterstützung.

Wir nahmen "Hibakusha" in zwei Sessions auf: die erste im November 1985 und die zweite im Februar 1986. Wieder fuhren wir zu den Aufnahmen nach Berlin ins Musiclab-Studio, wo wir erneut unter der Leitung von Frank Osterland die 14 Songs einspielten. Zong, der inzwischen seinen Grundwehrdienst überstanden hatte, zeigte sich verantwortlich für den Namen unserer eigenen Plattenfirma: Rise & Fall Productions. Wir liehen uns Geld von unseren Eltern zusammen, um die Platte produzieren zu können. Beim Coverentwurf half mir mein alter Künstlervater und das Lager unserer kleinen Plattenfirma befand sich im Keller des Reihenhauses, in dem Howie mit seiner Familie hauste.

Wir machten zum ersten Mal alles selbst. Howie war das Organisationstalent von uns und kümmerte sich zuverlässig um den Vertrieb der Platte. Zong, Max und ich versuchten völlig planlos, eine Promokampagne auf die Beine zu stellen. Trotz unserer organisatorischen Anfängerprobleme schafften wir es, dass uns Vertriebe und Mailorders aus der ganzen Welt im ersten halben Jahr fast 2.000 Platten abkauften. Ich hatte gelegentlich Gelegenheitsjobs als Maler und finanzierte so den Versand meiner Belegexemplare in die ganze Welt.

Nach einer erneuten Tournee durch Holland, zum Teil zusammen mit der englischen Hardcore-Legende THE VARUKERS, kam ich schwer angeschlagen wieder nach Hause. Wir hatten uns inzwischen einen eigenen Bandbus zugelegt, einen VW-Bulli, der schon einige Jährchen auf den Buckel hatte, und ließen uns auf unsere erste zweiwöchige Tour durch Benelux ein. Damals schien "Speed" bei den Leuten, die uns die Tour organisierten, schwer angesagt gewesen zu sein. Was zur Folge hatte, dass ich völlig überdosiert wieder nach Hause kam und drei Tage an Schlafentzug litt. Am Ende des dritten Tages rastete ich aus und zerkloppte die Hälfte meiner Wohnungseinrichtung, da ich Halluzinationen bekam und der Meinung war, verschiedene Gegenstände in meiner Wohnung würden sich bewegen und mich beobachten.

So langsam wurde es brenzlig für mich. Ich hatte es nicht geschafft, mich ausmustern zu lassen, und es schien, als müsste ich entweder den Wehrdienst verweigern oder mein Dasein die nächsten 18 Monate an einem Schreibtisch in der Bundeswehrkaserne fristen. Zur Ausbildung an der Waffe wollten die Bundeswehrärzte mich nicht zulassen. Aufgrund meiner besonders starken Pollenallergie und des daraus resultierenden Asthmas war ich nur beschränkt einsatzfähig. Trotzdem musste ich mich um eine Alternative kümmern, denn schon allein der Umstand, dass ich von irgendjemanden gesagt bekomme, was ich die nächsten Monate zu tun und zu lassen hätte, verletzte meinen Freiheitsdrang enorm und kam für mich überhaupt nicht in Frage. Ich plante meinen Umzug nach West-Berlin. Der Vier-Mächte-Status sorgte in Berlin für eine bundeswehrfreie Zone und versprach mir Freiheit.

Wir spielten weiterhin Gigs in Österreich, Norddeutschland, Jugoslawien und Holland. Zong, der sich bei einem unserer letzten Auftritte in Venlo/Holland einen Bänderriss am Fuß zugezogen hatte, konnte leider nicht mit uns nach Bielefeld ins AJZ zu einem Gig mit CARCASS, einer Grindcore-Band aus England, fahren. Wir reisten trotzdem zu dritt an und schnitten das Konzert auf Kassette mit. Die Aufnahmen waren so kraftvoll und klar, dass wir beschlossen, ein Live-Album daraus zu machen. Wir nahmen die Live-Aufnahmen aus Bielefeld, mieteten in Augsburg ein Aufnahmestudio und Zong musste über das ganze Tape seine fehlende Bassspur spielen, ohne anzuhalten oder auszubessern - wie unter Live-Bedingungen eben. Wir brachten unser erstes und letztes Live-Album "Live And Loud" als eine Art Pseudo-Bootleg heraus, ohne Label, Titel oder andere Angaben.

Immer wieder mal spielten wir vereinzelte Gigs, probierten einige Gitarristen aus, da wir uns davon einen fetteren Sound versprachen und schrieben an neuen Songs. Einen passenden zweiten Gitarristen fanden wir allerdings nie. Ich musste häufiger nach Berlin, um mich nach einer Wohnung umsehen. Es wurde langsam knapp, ich bekam schon Post von der Bundeswehr. Wir hatten die Idee, einen internationalen Sampler auf Rise & Fall herauszubringen. "The Incredible Power Of Darkness" sollte er heißen. Wir wollten damit alle unsere damals befreundeten Bands und natürlich uns selbst featuren, und planten eine neu aufgenommene Version von "Ram it up" dafür in Berlin einzuspielen. Mit dieser Version wollten wir der US-Thrash Metal-Band SOD in den Arsch treten, die unseren Song bei den "Speak English Or Die"-Sessions gecovert hatten, es aber nirgendwo erwähnten. Wir waren es leid, bei Konzerten ständig gefragt zu werden, warum wir einen Song von S.O.D. covern würden. "Ram it up" war der allererste INFERNO-Song, geschrieben 1981!

Es war inzwischen Sommer 1987, ich wohnte in einer kleinen schäbigen Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin-Kreuzberg, wo sich meine Augsburger Bandkollegen für ein paar Tage einnisteten. Wir spielten "Ram it up" unter der erneuten Leitung von Harris Johns im Musiclab-Studio ein. Einen ganzen Tag gönnten wir uns dafür, das war schon ein großer Luxus im INFERNO-Aufnahme-Universum. Ich kam nur noch selten nach Augsburg, dementsprechend wenig probten wir auch. Mittlerweile spielte ich zusätzlich in zwei neuen Berliner Bands, NICKANUKE und VELLOCET (der VKJ-Nachfolgeband) und verlor zunehmend meine Bindung an Augsburg. Im Herbst 1987 trennte ich mich schweren Herzens von INFERNO in allseitigem, verständnislosem Einverständnis.



Epilog von Howie:

Nun war also das eingetreten, was sich schon lange abgezeichnet hatte. Wir standen ohne Gitarristen da, und es war in Augsburg gar nicht so einfach, einen Nachfolger für Archi zu finden. Aber da gab es ja noch den Andreas, mit dem ich schon in meiner Kindheit befreundet gewesen war, und Andreas ("sie nannten ihn Anderle") konnte auch ganz passabel Gitarre spielen.

Okay, es ging weiter. Wir wurden zwar etwas metallischer und verabschiedeten uns auch von den deutschen Texten. Doch der Spaß war uns geblieben. Es dauerte aber nicht besonders lange, bis unser Max sich an Unzuverlässigkeit selbst übertraf und wir gezwungen waren, uns auch noch nach einem neuen Schlagzeuger umsehen zu müssen. Und da hatte ich eine Idee. Zu dieser Zeit rief mich regelmäßig der größte INFERNO-Fan Schrobenhausens an. Rolf hieß er. Er wollte immer alles über INFERNO wissen und war dabei nie aufdringlich.

Ich wusste, dass Rolf sehr gut und powervoll Schlagzeug spielen konnte. Jetzt rief ich ihn an und schon am nächsten Tag probten wir zusammen. Noch heute, wenn ich mir das "It Should Be Your Problem"-Album anhöre, läuft es mir im positiven Sinne eiskalt den Rücken runter, wenn ich das "Tier" am Schlagzeug höre.

In der Zeit von Herbst 1987 bis zum Split 1990 machten wir aber nicht nur dieses eine Album. Wir waren auch sehr viel unterwegs. Ich erinnere mich noch gut an eine Tour durch Jugoslawien, mit tollen Auftritten in Sarajewo, Zagreb, Ljubljana, Ilirska Bistrica. Uns hat es die Herzen zerrissen, als kurz darauf Krieg auf dem Balkan geführt wurde. Und da war dann auch noch eine unbeschreibliche kleine Englandtour, die uns so viel an Erfahrung brachte, dass wir verfrüht die Heimreise antreten mussten.

Absolut stolz machte uns auch ein Anruf gleich nach der Grenzöffnung aus Ost-Berlin, der uns Auftritte im Haus der jungen Talente und in einem Jugendclub namens Lampe bescherte. Bezahlt wurden wir in Ostmark, war aber egal.

Ich habe jetzt Tausende von Eindrücken absichtlich und unabsichtlich weggelassen. Und auch das Reunion-Jahr 1992 lasse ich hier außer Acht, denn wir wollen ja kein Buch schreiben, sondern Musik hören.

Zum Abschluss bedanke ich mich bei allen, mit denen wir im Laufe von INFERNO in irgendeiner Weise zu tun hatten. Namen zu nennen würde hier den Rahmen sprengen und doch gibt es einen besonderen Dank an: Pushead, Dolf Hermannstaedter Jr., Michael Alber, Armin Heitmann, Tomislav Buic.