PORTUGAL. THE MAN

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Bigger than life?

Es ist, als ob sich ein Mensch zurück zu seinen Wurzeln begibt: John Gourley hatte Hippie-Eltern und in seiner Kindheit keinen anderen Einfluss als die BEATLES, LED ZEPPELIN, verschiedene Motown-Bands und die eindrucksvolle Landschaft von Alaska, seiner Heimat. Daraus ist nun der Nachfolger zum fantastischen "Waiter: ?You Vultures!?" geworden, welches sich als Debütalbum schon in die Liste der "nicht zu toppenden" Alben einreihte. Nach einer emotionalen, und wie sich später herausstellte, sehr einflussreichen Europatournee ging das Trio (neben Sänger und Gitarrist Gourley noch Bassist Zach Carothers und Schlagzeuger Jason Sechrist) wieder ins Studio, um sich an den Nachfolger zu machen. Herausgekommen ist "Church Mouth", ein Album, dessen Sound man stellenweise gerne mit dem der WHITE STRIPES vergleichen möchte, das aber wieder so viel mehr kann. Musik ist ja schließlich mehr als nur eine Stimme ...

Welches Instrument ist eurer Meinung nach das wichtigste in einer Band?


Carothers: Bass.

Gourley: Ich werde dann wohl die Gitarre nehmen ...

Sechrist: Für mich ist es am wichtigsten, dass alle Instrumente in einer Band zusammenarbeiten, und deshalb sind die Bands, bei denen einzelne Instrumente hervorstechen, nicht so interessant. Ich denke, wir haben eine ziemlich ausgeglichene Basis. Das ist auch gut, da alle etwas Neues einbringen und ihren Teil dazu beitragen können.

Carothers: Wenn du so anfängst, dann sag ich auch, dass ich die Stimme sehr wichtig finde.

Gourley: Natürlich ist der Groove unheimlich wichtig.


Nehmt ihr euch während der Aufnahme eigentlich vor, bestimmte Experimente einzugehen, oder kommt das von ganz allein?

Gourley: Was immer passiert, passiert. Wir haben uns nie zusammengesetzt und bewusst gesagt, dass wir etwas total Abgefahrenes ausprobieren wollen. Wir haben sozusagen nichts Verrücktes gemacht, nur um verrückt zu klingen. Wir spielen einfach und es ist besser, wenn man bei einem künstlerischen Prozess nicht das hinterfragt, was man gerade macht. Sonst verzettelt man sich noch in seinen Gedanken.


Was ist denn wichtiger, die Lyrics oder die Musik?

Gourley: Eigentlich sollte beides Hand in Hand gehen. Natürlich gibt es viele herausragende Songwriter, die sich besser über ihre Lyrics als über ihre Musik ausdrücken können, aber ein guter Song hinter einer Stimme kann jedes Lied gut machen.

Carothers: Für mich hängt das immer von der Stimmung ab, in der ich mich gerade befinde. Es gibt Zeiten, da steh ich total auf den Groove und den Rhythmus, aber dann sind da auch Momente, in denen ich mich nur mit den Texten auseinandersetze.

Sechrist: Ich kann dir meine Sichtweise kurz an einem Beispiel erklären: Ich habe den letzten Auftritt von Elvis gesehen, bevor er starb. Er stolperte über die Bühne, verhedderte sich in den Songs, aber er hat dennoch so viel Herz und Seele in seine Stimme gelegt, dass man vergessen konnte, was für ein menschliches Wrack er war. In diesem Beispiel war also die Musik nicht so wichtig

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Die Lyrics auf "Church Mouth" sind sehr kryptisch. Benutzt ihr die Stimme eigentlich als ein Instrument oder als einen Kanal, um euch mitzuteilen?

Gourley: Für mich sind meine Texte sehr prosaisch. Ich versuche mich so auszudrücken, dass es für mich einen Sinn ergibt. Von einer anderen Perspektive betrachtetet - also von der des Zuhörers -, mögen diese Texte sehr kryptisch klingen. Ich verschlüssele sie aber nicht bewusst. Wenn man sich ein bisschen mit den Hintergründen zu meinen Texten beschäftigt, dann wird man sie sicherlich auch "entschlüsseln" können. Natürlich ist die Stimme auch ein Instrument, welches in unseren Songs lebt. Wir haben dieses Mal noch mehr auf Gesangsharmonien geachtet, so dass sich die Stimme quasi richtig entfalten kann.


"Sugar cinnamon" ist ein sehr rhythmusbetonter Song - so wie eigentlich alle PORTUGAL. THE MAN-Songs. Wie arrangiert ihr eure Songs, wenn ihr sie schreibt?

Carothers: John kommt eigentlich mit dem Grundgerüst zu uns und wir machen den Song dann quasi fertig. Zu dem Zeitpunkt bestehen die Lyrics übrigens nur aus Melodien, in die später die Texte eingesetzt werden. Wir versuchen, so viel, wie es geht, aus unseren Möglichkeiten als Musiker zu machen, damit die Songs dann nach dem Besten klingen. Wir stehen auch total auf Jammen.

Sechrist: Das Gute an den beiden ist, dass beide sowohl Gitarre als auch Bass spielen können. Die spielen mir dann ihre Ideen für Melodien und Rhythmen vor und ich versuche, den richtigen Beat zu finden.


"Telling tellers tell me" startet mit einer Art HipHop-Beat. Insgesamt sind die Songs auf "Church Mouth" sehr unterschiedlich. Erzählt mir mehr über eure Einflüsse.

Carothers: Wir hören, wie wahrscheinlich jeder, unheimlich viel Musik. Wenn du eine Stunde bei uns im Van mitfahren würdest, würdest du in dieser Zeit eine Menge verschiedener Musikrichtungen hören von Punk über Soul und Rock bis HipHop. Wir stehen total auf HipHop, sind aber eine Rockband und können keinen reinen HipHop machen. Also lassen wir ihn als Stilelement in unsere Songs einfließen, wie in diesem Fall bei "Telling tellers tell me".


Wenn ich sage, dass man die Bands heraushören kann, die euch während des Schreibens beeinflusst haben, würdet ihr da zustimmen? Was haltet ihr von dem offensichtlichen Vergleich zu den WHITE STRIPES?

Gourley: Ich denke, das liegt vor allem an der hohen Stimme, wegen der wir schon mit THE MARS VOLTA verglichen wurden. Dazu kommt, das auf den iPods der WHITE STRIPES so ziemlich dasselbe drauf sein wird wie auf unseren.

Sechrist: Der Vergleich zu den WHITE STRIPES drängt sich bestimmt auch wegen des Gesamtsounds auf. Wir haben viele Bluesgitarren und trockene, nüchterne Beats aufgenommen.


Äußert ihr euch gerne zu eurer Musik, oder wollt ihr euren Zuhörern totale Interpretationsfreiheit lassen?

Gourley: Es ist wichtig, dass die Leute unsere Musik für das halten, was sie gerade denken. Schließlich machen auch wir uns unsere Gedanken, wenn wir anderer Leute Musik hören, und starten unser Kopfkino. Wenn wir dann hören, was die eigentliche Bedeutung ist, kommt es oft vor, dass unsere Gedanken in eine ganz andere Richtung gegangen sind. Ich finde, dass es nicht notwendig ist, den Leuten zu sagen, wie sie unsere Songs verstehen können. Aber irgendwie ist es auf der anderen Seite auch cool, Anhaltspunkte zu geben.

Carothers: Meiner Meinung nach hängt das immer von der Attitüde der Bands ab. RAGE AGAINST THE MACHINE zum Beispiel erklären voll und ganz, wie ihre Songs zu verstehen sind.

Sechrist: Es ist verrückt, den Leuten zu sagen, was sie zu denken haben. Wenn die unter der Dusche stehen, Radio hören und sich sagen: "Wow, der Beat ist verdammt gut", dann werden wir die Leute nicht mit dem Handtuch empfangen und ihnen sagen, wie dieser Beat denn gemeint ist. Musik ist einfach eine Gefühlssache und wie jemand etwas empfindet, kann man ihm oder ihr nicht vorschreiben.


Ihr habt erzählt, dass euer letzter Aufenthalt in Europa und besonders die Tour durch Europa einen großen Einfluss nicht nur auf euch, sondern auch auf "Church Mouth" hatte.

Carothers: Oh ja, diese Zeit hat uns wirklich sehr beeinflusst ...

Gourley: Vor allem unsere Live-Shows haben sich seitdem sehr verändert. Wir sind in den vier Wochen damals sehr zusammengewachsen und wir sind uns über die Richtung bewusst geworden, die wir einschlagen wollen. Eigentlich hat sich unser Leben in dieser Zeit komplett verändert. Sie hatte einen riesigen Einfluss auf alles, was mir seitdem gemacht haben. Als wir hier in Deutschland auf Tour waren, hatten wir nur ein Album, das wir präsentieren konnten, und so haben wir ziemlich exzessiv gejammt, um die Leute nicht schon nach einer halben Stunde unbefriedigt stehen zu lassen. Die Fragmente, die wir in der Zeit jammten, haben wir nun im Studio zu richtigen Songs geformt. Es kann also sein, dass der eine oder andere aufmerksame Konzertbesucher die Teile wieder erkennt.

Carothers: Wir haben in der Zeit herausgefunden, wer wir sein und wie wir klingen wollen. Dazu kommt, dass diese Zeit die schönste Erfahrung war, die ich bis jetzt gemacht habe. Wenn wir in Amerika touren, müssen wir eigentlich nie Zugaben spielen. In Münster mussten wir letztes Jahr sogar zweimal wieder auf die Bühne, weil die Leute noch nicht genug hatten.


Welche Einschätzung gefällt euch besser: Dass "Church Mouth" ein Blues-Album geworden ist oder ein Prog-Album?

Gourley: Für mich ist es ein bisschen von beidem: schließlich basiert Rock auf Blues. Natürlich geht es im Rock auf immer darum, progressiv zu sein und neue Tore aufzustoßen. Individualität ist sehr wichtig und da kommt dann ja eh vieles zusammen. Ich hab in letzter Zeit viele Ideen gehabt, die ich jetzt erst richtig umsetzen konnte. Dazu gehört es dann auch, dieses Blues-Feeling in die Songs einzubringen. Denn genau dieses Gefühl hat mich zum Gitarrespielen gebracht. Vor allem Muddy Waters hat mich mit seiner Art Gitarre zu spielen unheimlich beeinflusst.

Sechrist: Damals war die Musik noch nicht so sehr verzerrt und die Leute mussten ganz anders spielen, um sich auszudrücken.



An dieser Stelle ein kurzer Abriss über die Vergangenheit von PORTUGAL. THE MAN und seinen Mitgliedern: Am bekanntesten ist in diesem Zusammenhang die Geschichte von John Gourley und seinen Eltern. Aufgewachsen ist der Sänger und Gitarrist in den Weiten von Alaska. Seine Eltern sind nach seiner Aussage Hippies gewesen, die nicht viel mehr als Liebe zum Leben brauchten. So kam es dann auch, dass Gourley seine Jugend in einer Holzhütte mit Generator verbrachte, während sich seine Eltern daran machten, das jährliche Iditarod-Hundeschlittenrennen zu veranstalten. Gesellschaft leisteten ihm zur damaligen Zeit ein altes Radio mit schlechtem Empfang und die Platten der Eltern (BEATLES, LED ZEPPELIN und diverse Motown-Bands).

Die eingeschränkte Vielfalt der Songs und die wunderschöne Landschaft Alaskas sorgten dafür, dass der Sänger seine ganz eigene Art von Kreativität entwickelte und er 2002 ANATOMY OF A GHOST gründete. So lernte er Bassist Zach Carothers kennen, und als sie beide im Jahr 2004 die Band nach nur zwei Jahren wieder verließen, gründeten sie mit Wesley Hubbard, der sich größtenteils um die Effekte kümmerte, PORTUGAL. THE MAN. Ohne einen Schlagzeuger, nur mit einem Drumcomputer bestückt, klang man anfangs eher nach "BEATLES meet the WU-TANG CLAN" aber die Dinge entwickelten sich trotzdem: Die drei gingen nach Portland, um ihre ausgefallenen Ideen auf eine Platte zu bannen, und trafen dort Jason Sechrist, der von nun an hinter den Toms und Becken Platz nahm.

Die Aufnahmen zu ihrem Debüt "Waiter: ?You Vultures!?" brachten die jungen Musiker fast bis an ihre Grenzen, denn sie hatten quasi kein Geld mehr, um sich eine feste Bleibe zu suchen, nachdem sie fast ihr gesamtes Gespartes in die Aufnahmen investiert hatten. Dennoch ist es ein Album geworden, das zu keiner Zeit verzweifelt klingt, sondern eher mit seinen bezaubernden Momenten im Gedächtnis bleibt. Nach der letztjährigen Europatour verließ Wesley Hubbard PORTUGAL. THE MAN, weil er sich mehr um seine Familie kümmern wollte. Dennoch ging die Band Ende 2006 ins Studio, um mit "Church Mouth" einen Nachfolger zu schreiben, der sowohl Blues-betont als auch magisch psychedelisch klingt. Wie schon auf ihrem Debütalbum gelingt es der Band und vor allem Sänger und Gitarrist John Gourley textlich nicht nur schöne Momente einzufangen, sondern auch das politische und soziale Weltgeschehen in den Texten zu dokumentieren.

Der Name PORTUGAL. THE MAN basiert im Übrigen auf einer Idee von David Bowie und seines "Bigger than life"-Denkens. Die drei wollten ihrer Band dieses Gefühl verschaffen, weigerten sich aber, sich nach einem der Mitglieder zu benennen. "Ein Land besteht aus einer Gruppe von Menschen und Portugal stand eben ganz oben auf unserer Liste mit Ländernamen", gibt Courley zu. Die Band gibt sich also den Namen eines Landes, hängt aber noch "the man" an, um wieder zu Bowies Idee mit der einzelnen Person zurückzukommen.

Würdet ihr mir zustimmen, wenn ich sage, dass das Album zu atmen scheint? Es gibt da die ruhigen Momente und auf der anderen Seite auch sehr laute Stellen, was den Gesamtfluss von "Church Mouth" mit dem Auf und Ab eines Brustkorbes vergleichbar macht.


Gourley: Also im Gegensatz zu "Waiter: ?You Vultures!?" haben wir "Church Mouth" nicht so komplett zugebaut. Wir haben in den Songs viele Stellen gelassen, in denen nur ein Instrument zu hören ist. Das Album wird eigentlich von einem ständigen Beat getrieben, der eher einem Herzschlag gleicht als der Bewegung eines Brustkorbes.

Sechrist: Wir haben viele Experimente gemacht, bei denen sich die Ideen quasi aus dem Nichts heraus angebahnt haben. Deswegen scheint die Platte so viele verschiedene ruhige und schnelle Momente zu haben. Schließlich hatten wir nicht unbedingt einen Masterplan oder roten Faden, als wir die Songs geschrieben haben.


Das "Church Mouth"-Cover zeigt konturenhaft eure drei Köpfe und in euch scheint sich das ganze Universum abzuspielen. Hab ich das richtig gedeutet?

Gourley: Als ich das Cover entwarf, hatte ich die ganze Zeit das Layout von alten 70s-Platten im Kopf, auf denen die Band zu sehen ist und "bigger than life" dargestellt wurde. Es sollte eigentlich allen klar machen, dass wir die Band sind. Man kann sich vielleicht auch schon denken, wie sich die Platte anhören wird - allein durch die Betrachtung des Covers.


Was haltet ihr davon, wenn jemand behauptet, dass eure Musik nicht dafür da ist, analysiert zu werden, sondern gehört?

Carothers: Dem würde ich voll und ganz zustimmen.

Gourley: Musik sollte für das gehalten werden, was sie ist, und sobald man sie auseinander nimmt, verliert sie ihren Wert.

Carothers: Mir ist mal die Lust am Lesen vergangen, als wir in der Schule jedes Buch bis ins kleinste Detail analysiert haben und es quasi kein Spaß mehr war, Bücher zu lesen. Ich habe in der Zeit richtig ungern gelesen, weil mir meine Lehrer die Lust am Lesen nahmen und sie durch Arbeit ersetzten. Das wäre ja so ein ähnlicher Fall. Nach zwei Jahren hat sich das mit dem Lesen aber wieder geändert ...

Sechrist: Natürlich kann man aber auch Musik analysieren, um dabei selbst etwas von anderen zu lernen.


Macht es euch nichts aus, dass ihr oft auf eure Herkunft Alaska angesprochen werdet? Schließlich scheint die Landschaft euch so sehr zu inspirieren, dass viele Texte von ihr handeln.

Gourley: In erster Linie schreibe ich über die Leute, die dort leben. Alaska ist in zwei Lager geteilt. Es gibt dort auf der einen Seite die Menschen, die total konservativ sind, National Rifle Association-Mitglieder, und einfach zum Spaß oder aus Langeweile auf die Jagd gehen. Auf der anderen Seite gibt es auch viele Leute, die zurückgezogen auf dem Land leben und sich von der Gesellschaft abschotten. Die Leute könnten nicht verschiedener sein ... Aber Alaska ist ein wunderschöner Platz und du kannst innerhalb einer halben Stunde diesen ganzen verrückten Menschen entkommen und bist in der Mitte von Nirgendwo. Es ist gut, solche Orte zu haben, an denen man sich verstecken kann.