RENTOKILL

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Im Chor gegen die Gleichgültigkeit

Manchmal genügen ein Händedruck und das Wechseln weniger Worte, um zu erkennen, dass man jemanden vor sich hat, der die Sache ernst meint. Jemanden, für den Punk nicht eine leere Worthülse oder ein Modestatement ist. So jemand ist für mich Jack Unterweger, Sänger der Punkrock-Formation RENTOKILL. Mit ihrem aktuellen Album "Antichorus" ist den Österreichern ein melodisches und politisch motiviertes FastForward-Punkrock-Album geglückt, das an Bands wie STRIKE ANYWHERE oder PROPAGANDHI erinnert.

Auf eurem aktuellen Album hört man jede Menge hymnischer Chöre, dennoch ist das Album mit "Antichorus" betitelt. Ein Widerspruch?


Na ja, vielleicht tatsächlich ein Widerspruch, wenn man annimmt, dass meine Bandkollegen blind die Texte singen, die ich ihnen vorsetze. Nein, im Ernst, die Texte kommen zwar von mir, aber die anderen wissen schon, worum es geht. "Antichorus" handelt doch davon, dass die Masse auf politisch motivierte Inhalte reinfällt, ohne zu hinterfragen, worum es eigentlich wirklich geht. Der Widerspruch darin ist doch, dass Punkrock als alternative Form von Musik heute oft in verkaufsfähigem Rahmen präsentiert wird, und nach einer Stunde subversivem Fäuste-in-die-Höhe-fuchteln, gehen die Kids nach Hause, und da muss ich mich schon zwangsläufig fragen, wie viel da inhaltlich hängen bleibt. Da geht es doch mitunter nur darum, die Umsätze der Musikindustrie aufrechtzuerhalten, und da kommt der Underground, wie alles andere, gerade recht.


Stilistisch gibt es auf "Antichorus" starke Einflüsse von Bands wie STRIKE ANYWHERE oder PROPAGANDHI hören, Vorbilder von euch?

Ja, ich denke, die Einflüsse sind nicht zu leugnen. Jeder von uns hört verschiedene Musik und auch Musikrichtungen, aber im modernen Punk/Hardcore-Bereich sind wir alle zu Hause, würde ich sagen. Vor allem textlich sind die oben genannten Bands immer sehr ausdrucksstark gewesen. Und so was hat mir persönlich schon imponiert, als ich begonnen habe, Punkrock zu hören. Als ich das erste Mal mit dreizehn BAD RELIGION gehört habe und vor allem die Texte las, zugegebenermaßen mit Wörterbuch, war ich schon ziemlich beeindruckt. In dem Sinne haben mich politisch motivierte Bands schon immer beeinflusst, und die beiden Beispiele sind wohl auch musikalisch unumgänglich geworden für modernen Punkrock.


Auf euren Shows wird man mit klaren politischen Ansagen konfrontiert. Warum ist es für dich so wichtig, Stellung zu beziehen?

Nun ja, für mich persönlich bringt der Inhalt die Musik erst richtig auf den Punkt. Es gibt so viele Sachen, über die man singen kann, aber mal ehrlich, wer braucht noch mehr Songs über Liebe, Strand und Sonnenaufgänge oder so Zeugs? Manche Leute mögen meinen, es wurde alles schon irgendwann einmal gesagt, aber mir liegen einfach bestimmte Dinge am Herzen und zwar jetzt, und über die singe ich dann auch. Wenn ich mir die aktuelle Asylrechtssituation in Österreich anschaue, oder die "Ergebnisse" so mancher Klimakonferenz oder die westliche Ignoranz gegenüber den Problemen des postkolonialen Afrika, kann ich auch gar nicht anders. Wir sehen uns einfach als politische Band, und das wollen wir auch von der Bühne aus rüberbringen. Und wenn wir uns für das Essen bedanken und irgendwer aus dem Publikum schreit "scheiß Veganer", stellt er sich damit ohnehin selbst ins Aus.


Ist Punk auch im Jahr 2007 noch eine Gegenkultur?

Wie schon erwähnt, die Grenze zwischen Underground und Ausverkauf verschwimmt aus meiner Sicht. Ich denke, Gegenkultur ist etwas, das jeder für sich selbst lebt, also wie er oder sie das interpretiert oder sich von einem Konzert mit nach Hause nimmt. Gerade Themen wie Umweltpolitik rücken in jüngster Zeit immer mehr ins öffentliche Licht, und einfach "nur" dagegen zu sein, macht in diesem Zusammenhang wohl auch nicht viel Sinn, oder? Nur, auf die Musik bezogen, ist die Thematik schon etwas schwieriger, zumal es heute so viele unterschiedliche Möglichkeiten der Wahrnehmung gibt, wenn ich an MySpace, YouTube oder dergleichen denke. Wir waren beispielsweise immer bestrebt, unsere Releases in einer professionellen Qualität zu produzieren, und allein darüber ließe sich schon eine Diskussion vom Zaun brechen. Gegenkultur könnte schließlich bedeuten, ein Mikrofon in den Proberaum zu stellen und auf Qualität im herkömmlichen Sinne zu pfeifen. Aber was soll's, die Interpretation von "gegen" bleibt eben für jeden frei. Und es ist auch klar, dass sich das über die Jahre ändert, aber es ist nun mal, was die Leute daraus machen.


Du hast mit RENTOKILL 1996 begonnen. Wie hat sich die musikalische Punkrock-Landschaft in Österreich über die Jahre verändert?

Wir haben tatsächlich vor über zehn Jahren begonnen, mal unsere Instrumente zu lernen, das hat ganz schön lang gedauert. Zu Beginn haben wir es einfach nicht über unseren Vorgarten hinaus geschafft, und so haben wir auch nicht viel von einer Punkrock-Landschaft mitbekommen. Mitte der Neunziger ging so was wie eine frühe österreichische Punk-Ära zu Ende, als Bands wie STRAHLER 80 oder FLOWERS IN CONCRETE langsam von der Bildfläche verschwanden. Mit dem Melodycore-Hype kamen einige junge Bands nach, und kurzzeitig entstand auch in Wien so etwas wie eine Szene, hauptsächlich rund um das damals gegründete Label Remedy Records. Aber als diese Bands sich, leider, auch nicht dauerhaft halten konnten, kristallisierten sich RED LIGHTS FLASH als österreichische Konstante heraus, einen Ruf, den sie bis heute behalten dürfen. Danach gab schließlich Graz den Takt an und brachte Bands wie SICK OF SILENCE, ANTIMANIAX oder BOUNZ THE BALL hervor. Man hatte so um 2002/03 den Eindruck, dass anhand dieser Bands ganz Österreich sehen konnte, dass es sehr wohl möglich ist, mit der eigenen Musik hinauszutreten, im wahrsten Sinne des Wortes. Und das ist ein Spirit, den man meiner Meinung nach hierzulande auch heute noch spüren kann. Punkrock ist einfach mehr als vor dem PC sitzen und "friends" adden. Und es gibt heute eine sehr gute lokale Szenekultur - ich nenne da mal neustadtpunk.net, um von unserer eigenen Region zu sprechen -, sehr viel Interaktion zwischen Bands und viele gute Veranstalter.


Bedeutet die MySpace-Styling-Emo-(Un-)Kultur den Untergang der denkenden und aktiven Jugend?

Ja, natürlich! Rupert Murdoch hat es in Absprache mit MY CHEMICAL ROMANCE und GOOD CHARLOTTE geschafft, die gesamte heutige Jugend so zu verblöden wie damals Biene Maja. Na, ernsthaft, es gibt so viele, auch junge Menschen da draußen, die aktiv politische Arbeit leisten, und auch über die heutigen Möglichkeiten mehr diesbezüglich kommunizieren als jemals zuvor, da sind wir von einem Untergang weit entfernt. Hoffe ich zumindest. Aber sprechen nicht die jüngsten Demonstrationen in Heiligendamm eine deutliche Sprache? Wer sich lieber die Zeit mit Hairstyling vertreibt, bitte, aber auf Dauer überlegen sich die Leute von selbst, was ihnen im Leben wichtig ist. Und gerade in der heutigen Zeit wird individuelle Erfüllung als immer wichtigeres Lebensziel angesehen, und da hilft ein MySpace-Profil nicht weiter, wage ich zu behaupten. Die Leute kommen von selbst raus, irgendwann.


Was soll uns ein Song wie "The political aspect of unpolitical thinking" sagen?

Dass mit Konsum in unserer zivilisierten Welt politische Verantwortung einhergeht. Dass ich nicht behaupten kann, dass ich ein "unpolitisches" Leben lebe und mich für das alles nicht interessiere, sondern Spaß haben will. Spaß, der auf Ausbeutung, fragwürdigen Machtverhältnissen und Umweltzerstörung basiert? Wenn das tagtägliche Medienbombardement nur etwas mehr Rücksicht auf die Hintergründe unserer Wohlstandsgesellschaft nehmen würde und ein paar mehr Informationen durchsickerten, würde sich schon einiges ändern. Die meisten Leute wollen definitiv keine Kindersoldaten im Kongo oder Sklaven bei der Kakaoernte oder Kinderarbeit in Indonesien, aber was man nicht sieht, stört eben nicht. Konsum muss Spaß machen, um zu funktionieren, und der Kapitalismus hat ganz gut gelernt, die Schattenseiten zu verschleiern.


Kann ein einzelner Song etwas verändern?

Glaub ich kaum. Weltpolitisch? Was hat "Sunday bloody sunday" unterm Strich verändert? Um jetzt mal einen politischen Song zu nennen, der sicherlich sehr viele Leute erreicht hat. Viele Leute wissen, worum es da geht, oder was ungefähr das Problem in Nordirland war oder ist. Aber was hat's verändert? U2 kann ihnen die Problematik wohl nicht mehr glaubhaft näher bringen, denn die spielen als Stars auf riesigen Bühnen und sind damit nicht erreichbar. Oder sie spielen auf der Superbowl, während Stealth-Bomber drüberfliegen, um den US-amerikanischen Nationalstolz zu untermauern. Wir sind in letzter Zeit oft drauf angesprochen worden, warum wir beispielsweise einen Song über den Krieg in Tschetschenien geschrieben haben und nicht den Irak-Krieg oder so. Insofern rückt die Thematik jetzt durch die Diskussion vielleicht ein bisschen mehr in den Vordergrund, aber wir haben "War in the shadows" in erster Linie geschrieben, weil es uns ein Anliegen war, darüber zu singen, und nicht, um die Situation im Kaukasus von heute auf morgen zu verändern. Es gab ein paar Leute, die aufgrund von "Clockwork of meat industry" daherkamen und sagten: "Hey, ich hab jetzt drüber nachgedacht und bin jetzt selbst Vegetarier!" Immerhin etwas. Und vermutlich hat der eine oder andere Song uns selbst verändert, das ist doch auch nicht schlecht.


Über die Jahre habt ihr schon mit so mancher Szenegröße gespielt. Ich nenne da nur mal AGAINST ME! oder auch GOOD RIDDANCE. Gibt es eine Band, mit der ihr unbedingt noch spielen wollt?

Schwierige Frage ... RICH KIDS ON LSD! Okay, das geht erst im nächsten Leben, und an das glaub ich nicht. Wir spielen wieder zwei Gigs mit STRIKE ANYWHERE, auf die freuen wir uns schon sehr, da die Jungs wirklich großartige Menschen sind, und man von so einer Begegnung immer ganz viel Positives mit nach Hause nimmt. PROPAGANDHI würde ich sehr gern mal kennen lernen. Aber egal, ich finde es jedes Mal super, auf eine Band zu treffen, die viel unterwegs ist, man kann soviel voneinander lernen. Da hab ich eigentlich gar keine Präferenzen.