SOCIAL DISTORTION

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Auch Killer müssen waschen gehen

Zu einem Interviewangebot mit Mike Ness sagt man nicht nein, auch wenn der eigentliche Anlass nicht gerade eine Sensation ist: SOCIAL DISTORTION haben ein Best-Of-Album veröffentlicht, das nicht nur von der Songauswahl her recht knapp ist, sondern auch alles andere als umfassend, aber immerhin gibt es einen neuen Song, und das reicht dem devoten Fan, der man ja selbst in gewissem Maße auch ist, natürlich aus, um das Interviewangebot auch wahrzunehmen. Also bei Nessens in Los Angeles angerufen, die Gattin am Telefon, die einmal "Michael!" durchs Haus ruft, und kurz darauf ist der Meister selbst am Apparat - nur um sich kurz zu entschuldigen, und während der dann die Hand auf die Muschel hält, weist er erst mal den Sohnemann darauf hin, dass er doch gefälligst die Spülmaschine ausräumen solle, er habe das schon zigmal gesagt, blablabla. Man sieht: Auch ein Rock'n'Roll-Held hat die gleichen Alltagsprobleme wie wir alle.

Mike, auf der Best-Of ist mit "Far behind" auch ein neuer Song, in dem die Textzeile "With friends like this, who needs enemies" auftaucht. Das klingt verbittert, hat das einen konkreten Hintergrund?


Findest du, das klingt verbittert?


Na ja, positiv klingt anders.

Nun, wenn Leute hinter deinem Rücken Blödsinn erzählen, gibt es verschiedene Wege damit umzugehen. Du kannst sie direkt darauf ansprechen, du kannst ihnen aufs Maul hauen, oder du verewigst sie in einem Song und schaffst es vielleicht, dass andere Leute darüber nachdenken. Und ich habe mich für Letzteres entschieden, und es hatte für mich eine richtig therapeutische Wirkung. Vielleicht fragt sich der eine oder andere auch, ob der Song über ihn geschrieben wurde. Ansonsten ist der Song nicht anders als die anderen auch, so habe ich schon immer geschrieben - mal eher positiv, mal eher negativ. Und in diesem Fall war es einfach notwendig, mich so klar auszudrücken.


Gab es für den Song einen konkreten Anlass?

Nein, das ist eher eine allgemeine Sache.


Auf jeden Fall passt das Thema in die SOCIAL D-Tradition, vom Mann im Kampf mit sich selbst und der Welt, der kleine Held, der sich von den Widrigkeiten des Alltags nicht unterkriegen lässt.

Klar!


Reflektierst du denn die Texte, die du vor Jahren geschrieben hast und heute noch ständig singst?

Manche meiner Songs haben auch heute noch ihre Bedeutung, und man hofft eigentlich bei jedem Lied, dass es auch später noch relevant ist.


Sprichst du mit deiner Frau oder deinem Sohn über deine Texte, stellen sie dir dazu Fragen?

Nein, eigentlich stellen die mir dazu fast nie eine Frage, keine Ahnung, warum.


Sprichst du mit ihnen beim Songwriting darüber, fragst du sie, wie sie etwa eine Textzeile finden?

Ja, meine Frau ist da echt gut darin, mir da Ratschläge zu geben. Die ist einfach klüger als ich.


Mike, wer hat die Auswahl für die Best-Of-CD getroffen?

Ich und das Label. Wir wollten nicht einfach nur die alten Sachen neu verpacken, deshalb wurde jeder Song neu gemastert, so dass sich die Songs auf der neuen CD von den Sachen unterscheiden, die bislang schon erhältlich waren. Wir merkten aber auch, dass das Projekt für eine CD zu umfangreich und aufwändig war, da hätte man gleich eine Doppel-oder Triple-CD machen müssen. Und so wird es wohl noch einen zweiten und vielleicht auch einen dritten Teil geben.


Nach was für Kriterien wurde die erste CD zusammengestellt?

Hier finden sich Songs, die Radio-Airplay bekommen haben oder wo das Video viel gespielt wurde. Für den zweiten Teil könnte ich mir vorstellen, da die wirklich essentiellen SOCIAL D-Songs zusammenzufassen, oder unsere persönlichen Favoriten, oder die Songs, die nie im Radio gespielt werden. Ein Kontrastprogramm eben. Es sollte eben nicht aussehen wie das Umverpacken von bereits Bekanntem, das ist mir wichtig.


Für wen ist die Best-Of gedacht?

Ich weiß nicht, über so was denke ich nicht nach.


Ich meine ja nur, weil die alten Fans die Songs ja schon alle haben.

Ja ... aber sie sind eben remastert und ein neuer Song ist auch dabei, das Artwork ist neu, und ein Teil der Auflage kommt mit einer Bonus-DVD. Außerdem sind unsere Fans Leute, die gerne alles von einer Band sammeln, und da ist diese CD natürlich eine schöne Ergänzung.


Was ist mit unveröffentlichtem Material von SOCIAL D, gibt es da was?

Klar.


Ja und wann bekommt man das mal zu hören?

Also wir haben derzeit drei Sachen in Planung. Da ist natürlich das neue Studioalbum, für das wir derzeit noch Songs schreiben, mit den Aufnahmen haben wir noch nicht begonnen. Und dann arbeiten wir an einer DVD, eine Doku über die Geschichte der Band. Und das dritte Projekt ist ein Akustik-Album, für das ich gerne "Story of my life", "Reach for the sky" oder "Prison bound" neu aufnehmen würde, mit einer anderen Herangehensweise eben, so mit einem Johnny Cash- oder Bob Dylan-Feeling. Manchmal sind Songs einfach kraftvoller, wenn man sie nur mit einem Sänger und einer Gitarre spielt.


Würdest du das denn unter dem Namen SOCIAL DISTORTION oder als Mike Ness-Soloplatte machen?

Ich denke schon, dass das als SOCIAL DISTORTION-Platte laufen würde, obwohl es eigentlich nicht stimmt, wenn da nicht die ganze Band beteiligt ist. Andererseits sind es SOCIAL D-Songs, was anderes macht da auch keinen Sinn.


Apropos Band: Wer ist derzeit in der Band?

Eigentlich ist es das gleiche Line-up wie in den letzten fünf Jahren, also Charlie Quintana am Schlagzeug und Jonny "2 Bags" Wickersham an der Gitarre, und nur am Bass gab es vor einer Weile einen Wechsel, da spielt jetzt Brent Harding. Und live haben wir Danny McGough an Orgel und Keyboard mit dabei.


Letztes Jahr hast du dir - verheerend für einen Gitarristen - das Handgelenk gebrochen. Bei einem Haushaltsunfall ...?

Nein, beim Skaten. Das hat mich natürlich echt behindert, aber jetzt ist es wieder okay. Es hat höllisch weh getan und die mussten da ordentlich operieren. Seitdem habe ich kein Skateboard mehr angerührt, ich glaube, meine Skater-Zeiten sind vorbei. Ich halte mich jetzt lieber an Schach, das ist ungefährlicher, haha. Allerdings bin ich darin nicht wirklich gut, muss mich von meinem elfjährigen Sohn schlagen lassen. Mir fehlt da wohl ein Gen, das man für solch strategisches Denken braucht. Von daher halte ich mich wohl besser ans Gitarrenspiel.


Interessierst du dich eigentlich für all die Bands da draußen, die es darauf anlegen, wie SOCIAL D zu klingen?

Nein, das interessiert mich überhaupt nicht, wie mich generell die gegenwärtige Musiklandschaft überhaupt nicht interessiert. Das ist irgendwie unterbewusst, ich ignoriere das einfach, das ist besser für mich.


Was für Musik interessiert dich denn dann?

Ein bisschen von allem, vor allem Musik aus den Dreißigern bis zu den Siebzigern. In der Zeit wurden die Pionierleistungen vollbracht, waren die Musiker wirklich innovativ. Es ist für mich in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, zu den Quellen vorzudringen. Aber aktuelle Produktionen haben durchaus auch interessante Aspekte, etwa was die Produktion anbelangt, und auch heute gibt es ja hier und da noch interessante, neue Bands.


Andererseits haben SOCIAL DISTORTION mal als Punkband angefangen, und Punk hatte ja auch immer die Attitüde, den lahmen alten Scheiß wegzufegen. Ist da deine heutige Attitüde nicht irgendwie ein Widerspruch?

Klar, als ich 17 war, hätte ich es nicht ertragen, mir fünf Minuten lang einen alten Blues-Song anzuhören. Aber wenn man älter wird, merkt man eben, dass es da Verbindungen gibt zu Punk. Von amerikanischer Roots-Musik, von Blues zu Punk gibt es eine direkte Verbindung. Es hat also weniger was damit zu tun, dass ich die jungen Punkbands von heute nicht mag, sondern eher damit, dass es so ist, wie es schon immer war: Man muss sich durch einen Berg Scheiße arbeiten, um die guten Sachen zu finden, und dazu fehlt mir eben die Zeit.


Du hast vorhin eine DVD-Doku über SOCIAL D erwähnt, und so was geht ja schon beinahe in Richtung einer Autobiographie. Hast du über so was schon mal nachgedacht?

Ja, aber ich denke, das ist eher was für später, haha, wenn man sich auf den Ruhestand vorbereitet. Und den kann ich bei mir nun echt nicht erkennen, denn SOCIAL DISTORTION laufen derzeit wirklich gut, wir sind beliebter als je zuvor, und ich wüsste ja gar nichts mit mir anzufangen, sollte ich die Band nicht mehr haben.


Ich bin auch immer wieder überrascht, dass ihr ja permanent in den USA auf Tour seid. Warum nimmst du das auf dich?

Ich habe das Gefühl, da einiges aufholen zu müssen, all die verschwendete Zeit. Das heißt, nein, die Zeit war nicht verschwendet, es gab leider eine große Lücke zwischen den Platten. Es war wohl notwendig, aber ich würde das nicht wieder so machen. Es ist sehr leicht, eine neue Platte immer wieder aufzuschieben, und da halte ich es für gut, ständig live zu spielen, zusammen zu sein, das macht es einfacher, neue Songs zu schreiben. Wenn ich mir eine Auszeit nehme, um Zeit für meine Familie zu haben und an meinen Autos zu arbeiten, dann steht die Gitarre viel zu lange ungenutzt in der Ecke und man wird faul. Deshalb habe ich mir vorgenommen, etwas arbeitsamer zu sein. Wir waren nie eine Band, die jedes Jahr ein neues Album macht, und wir werden nie so eine Band werden, und vielleicht ist das ja schlecht, aber ich habe eher das Gefühl, das sich so die Mittelmäßigkeit einschleicht. Und die Gefahr des Burn-Outs ist auch gegeben.


Es ist zwei Jahre her, seit ihr das letzte Mal in Deutschland wart.

Ich weiß ... Derzeit ist auch nichts geplant, und realistischerweise würde ich auch davon ausgehen, dass das auch frühestens zum Release eines neuen Studioalbums wieder was wird - ob nun akustisch oder ein normales. Deshalb liegt unser Fokus jetzt auch auf dem Schreiben neuer Songs.


Wie ist das Songwriting organisiert, was kommt von dir, was von den anderen?

Ich habe eine Idee, ich komme damit zur Probe, zeige sie der Band. Oft frage ich sie nach ihrer Meinung zu meinen Arrangements, und Jonny ist auch seit sehr langer Zeit der Erste, mit dem ich mich beim Songwriting wohl fühle. Deshalb half er mir auch beim Schreiben einiger Songs der letzten Platte, und es gibt jetzt auch größeres Wir-Gefühl in der Band als je zuvor. Früher gab es zwar Songs, die Dennis Danell als Songwriter auswiesen, aber meist war es so, dass wir die zusammen geschrieben haben oder ich ihnen den letzten Schliff verpasste. Alles in allem blieb letztlich eben immer alles an mir hängen, und da gefällt es mir jetzt ganz gut, dass ich da Hilfe habe. Es nimmt einfach Druck von mir, und live übernimmt seit einer Weile Jonny die Leadguitar, was es für mich auch einfacher macht. Früher war es halt so, dass ich immer Freunde in die Band holte, und musikalische Qualitäten waren erst in zweiter Linie von Belang, was dazu führte, dass ich über viele Jahre nie so recht zufrieden war mit dem Sound der Band. Heute dagegen kommt für mich die musikalische Fähigkeit an erster Stelle, und Freunde kann man immer noch werden.


Würdest du dich als Perfektionist bezeichnen?

Ja. Schon ein bisschen ...


Du bist ja auch ein großer Liebhaber alter Autos. Nun gibt es in Deutschland idiotische Bestrebungen, Oldtimer wegen der Abgaswerte aus den Städten zu verbannen, und in Kalifornien werden die Abgaswerte von jeher sehr streng kontrolliert. Wie stehst du zu dem Thema?

Es gibt hier auch seit Jahren Gerüchte in dieser Richtung, aber das ist doch alles Blödsinn, denn aus anderen Bereichen kommt so viel mehr Verschmutzung, dass die paar alten Autos kaum ins Gewicht fallen. Nimm nur die Fleischindustrie, die stößt mehr klimaschädliche Gase aus als Millionen von Autos. Bei allem Respekt vor Europa und den Maßnahmen zum Klimaschutz, die von da ausgehen: Ich halte es für unsinnig, alte Hotrods zu verbieten, da machen andere Maßnahmen weitaus mehr Sinn.



Mike, ich danke dir für das Interview.