SONIC YOUTH

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Daydream Nation 2.0

Sie begleiten mich seit Beginn meiner Punk- und Indierock-Sozialisation, "Sister" von 1987 war und ist eine ewige Lieblingsplatte. Seit damals haben sich die Zeiten und Trends geändert, SONIC YOUTH aber sind geblieben, wurden zu Elder Statesmen des Postpunk. Ohne Schaffenskrise veröffentlichen sie alle paar Jahre ein neues Album, ihre Konzerte sind immer noch gänsehauterregend, und wenn sie seit ein paar Monaten ihren von 1988 stammenden Klassiker "Daydream Nation" mit dem markanten Kerzen-Cover von Gerhard Richter hier und da in Gänze live darbieten, hat das nichts mit Nostalgie zu tun - sagt Steve Shelley. Ich traf den SY-Drummer vor dem Konzert im Kölner E-Werk.


Steve, kannst du dich erinnern, was du vor 20 Jahren gemacht hast?


Vor 20 Jahren hatten wir gerade unser "Sister"-Album veröffentlicht und waren damit auf Tour. Wo wir auf den Tag genau waren, das müsste ich nachschauen, aber ich tippe mal, wir waren in den USA und Europa unterwegs. Nach Japan und Australien hatten wir es damals noch nicht geschafft, das kam erst 1988.


Was war damals grundsätzlich anders als heute?

Wir hatten nicht so viel Hilfe wie heute. Wir konnten es uns nicht leisten, mit so vielen Leuten auf Tour zu gehen wie heute. Einen eigenen Mischer hatten wir dabei, das war wichtig, und auch jemand fürs Licht, und das war's auch. Wir waren den ganzen Tag unterwegs, schleppten unsere Instrumente in den Club, machten Soundcheck, aßen und spielten. Da haben wir es heute einfacher, weil so viele Leute für uns arbeiten. Wir haben tagsüber frei, können uns die Stadt anschauen, in der wir spielen, mal in ein Museum gehen, einen Spaziergang machen, es einfach genießen auf Tour zu sein. Damals war immer was los, du warst ständig beschäftigt. Und die Konzerte waren ziemlich unberechenbar: Du hattest mal ein richtig gutes, dann aber auch echt schwache, wo du nichts hören konntest auf der Bühne und das Gefühl hattest, richtig schlecht zu sein. Heute ist das viel ausgeglichener, es ist immer okay, und zwischendrin hast du dann mal eines, das wirklich sehr gut ist, wo das Publikum stimmt, die Anlage, der Club, die Songauswahl. Das gab es damals auch, aber es hing viel mehr von unserer Form ab, während wir heute zu zwölft unterwegs sind, was verglichen mit anderen Bands immer noch eine recht kleine Roadcrew ist, uns aber das Leben auf Tour sehr erleichtert. Wir kennen uns gut, gehen freundschaftlich miteinander um.


War es damals aufregender?

In gewisser Weise, es war ja noch vieles neu für uns. Aber es ist auch heute noch aufregend, denn ich kann mir eigentlich keinen besseren Job vorstellen als diesen, wo ich Musik machen kann und um die Welt reise. Doch damals war es aufregender, weil wir in viele Länder das erste Mal kamen, vieles das erste Mal machten. Heute waren wir schon fast überall mal, aber es gibt auch jetzt noch so erste Male: In ein paar Tagen spielen wir das erste Mal in Polen, das ist spannend, denn wir haben gehört, es soll dort sehr schön sein, das polnische Publikum wirklich gut. Und letzte Woche waren wir das erste Mal nach 18 Jahren wieder in Russland, das war auch spannend, da hatte sich so viel verändert, und als wir das erste Mal dort waren, war es echt anstrengend für uns.


Was hat euch 1989 nach Russland geführt?

Wir kannten einen englischen Booker, der hatte da Kontakte, und der brachte uns da rein. Das war damals so eine Übergangsphase in Russland, die Mauer war noch nicht gefallen, aber es gab schon Glasnost. Vor uns waren kaum Bands in Russland gewesen, kurz zuvor wohl Paul McCartney, und auch Billy Joel, vielleicht BON JOVI.


Wie schafft man es nach über zwanzig Jahren immer noch, Spannung in eine Tour reinzubringen?

Bei jeder Tour hast du eine andere Mischung von Songs, du spielst ganz neue Sachen, aber auch alte, und ich denke, es ist das Interesse an der Musik, das dich bei der Stange hält. Wenn mir die Musik keinen Spaß mehr machen würde, wäre das sicher schwieriger. Wir sind einfach alle große Musikfans, wir mögen es, wenn sich Dinge verändern. Es ist aber nicht so, dass wir uns für eine Tour bestimmte Ziele setzen.


Wie kam es dazu, dass ihr seit einer Weile das gesamte "Daydream Nation"-Album aus dem Jahre 1988 live spielt?

Wir haben ja vor einer Weile angefangen, unsere alten Platten als Deluxe-Doppel-CD-Version neu aufzulegen, so als unser kleines Archiv-Projekt. Und nach "Dirty" und "Goo" war jetzt eben "Daydream Nation" dran. Bei "Goo" haben wir auf der zweiten CD Demo-Aufnahmen von damals veröffentlicht, bei "Dirty" waren es frühe Versionen der Songs, und bei "Daydream Nation" hatten wir solche Aufnahmen nicht, denn die Platte ist älter, da gab es nicht wirklich Proberaumaufnahmen. Und so haben wir Live-Aufnahmen zusammengetragen für die Bonus-CD, und wir haben die Platte neu gemastert. Das war gut, denn damals steckte das Mastering für CDs noch in den Kinderschuhen. Es ist nicht so, dass wir die alten Aufnahmen im Nachhinein verändern wollen, sondern wir versuchen sie mehr so klingen zu lassen, wie wir das damals im Studio auf Band gebannt haben. Damals hatten CDs eben noch ihre Nachteile, die Wandlung von analog zu digital war nicht so weit fortgeschritten wie heute. Wir wollen mit diesen Neuauflagen unseren Fans nicht die gleiche Platte noch mal verkaufen, die alte CD ist völlig okay ... Was die Konzerte zu "Daydream Nation" betrifft, geht die Idee auf unseren Freund Barry Hogan vom ATP-Festival zurück. Der hat schon verschiedene Bands gebeten, ihr "klassisches" Album live zu spielen, und auch uns hat er schon seit Jahren immer wieder gefragt, aber wir ließen ihn abblitzen. Er hörte nicht auf zu fragen, und als wir dann an diesem Rerelease-Projekt arbeiteten, war uns klar, dass wir das entweder jetzt oder nie machen. Und so sagten wir zu. Das Konzert in London war dann natürlich sofort ausverkauft, und verschiedene Veranstalter fragten uns, ob wir das nicht bei ihnen machen könnten, und so ergab es sich, dass wir seitdem auf Bitte des örtlichen Veranstalters "Daydream Nation" spielen, etwa morgen in Berlin. Wir haben da erst vor einem halben Jahr unser "normales" Set gespielt, da bietet es sich an. Es ist also eigentlich eine ganz normale Sache, es gibt keinen Grund skeptisch zu sein, wir sind definitiv nicht auf dem Nostalgietrip. Außerdem ist es eine Herausforderung für uns.


Welche Songs von "Daydream Nation" sind denn bis heute Teil eures Live-Programms?

Lieder, die wir ohne zu üben noch konnten, sind "Teenage riot", "Eric's trip", "Candle" und "Silver rocket". Die anderen Songs hatten wir teilweise seit 18 Jahren nicht gespielt, da mussten wir erst ein paar Wochenenden in einem Keller in Massachusetts zubringen, um die wieder draufzuhaben. Wir hatten einen CD-Player dabei und mussten immer wieder nachhören, wie dieser oder jener Teil geht.


SONIC YOUTH sind eine Band, die sich über die Jahre nicht stark verändert hat, ihr seid eurem eigenen Sound weitgehend treu geblieben, während sich die Welt um euch herum verändert hat. Woran liegt das?

Du meinst, wir haben nie ein Techno-Album gemacht? Haha! Ja, wir klingen immer noch nach uns selbst - keine Ahnung, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Das hat sicher auch was mit unseren eingeschränkten musikalischen Fähigkeiten zu tun ... Dazu kommt, dass wir keine Lust darauf haben, irgendwelchen aktuellen Trends zu folgen, denn die meiste moderne Musik mögen wir nicht. Nimm als Beispiel mal Neil Young und CRAZY HORSE. Was immer die machen, klingt für mich ganz aktuell. Okay, Neil Young selbst hat hier und da mal einen Trend mitgemacht, aber mit CRAZY HORSE ist er sich immer treu geblieben. Oder nimm Tom Waits, der klingt auch immer nur wie er selbst.


Aber um sich in einer sich ständig verändernden Welt selbst treu zu bleiben, muss man ziemlich eigensinnig sein, oder sehr überzeugt von seinem Tun - oder einfach Geschmack haben?

Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Auf jeden Fall gefällt uns, was wir tun, und wir sind alle vier eigensinnig, ja. Das bringt mich wieder zu "Daydream Nation", wo die Leute so begeistert waren, dass wir das gespielt haben. Wir wollten nicht, dass es nostalgisch wirkt, und dann merkten wir, dass die meisten Leute, die uns sahen, damals wohl gerade erst zehn Jahre alt waren, diese Songs noch nie live von uns gehört hatten. So konnten die Leute zu uns aufschließen, und vielleicht waren wir damals auch unserer Zeit etwas voraus.


Inwiefern unterscheiden sich die Songs denn von denen, die ihr heute schreibt?

Damals waren unsere Songs etwas kompakter, wir waren uns auch persönlich, als Band, näher. Wir verbrachten mehr Zeit mit dem Schreiben und Einspielen einer neuen Platte als heute, vor allem mit der Pre-Production. Und wir hatten damals mehr Schnörkel und Verspieltheiten, etwa im Vergleich mit unserer letzten Platte, die recht schnell eingespielt wurde, eine sehr unmittelbare, basale Platte ist. Es gibt also auf jeden Fall Unterschiede, und jeder hat seine Favoriten, so dass ich nicht sagen kann, dass die eine Platte besser ist als die andere. "Daydream Nation" ist aber auf jeden Fall eine besondere Platte. Es machte Spaß, sie aufzunehmen, und es machte Spaß, an der Neuauflage zu arbeiten.


Du machst ja auch das Label Smells Like Records. Was hast du in letzter Zeit rausgebracht?

In den letzten Jahren habe ich die Vinylversionen der Reissues gemacht, und das sind ja jeweils 4-LP-Boxen. Ich mache das alleine und da reicht mir eine Veröffentlichung im Jahr. Eine Zeit lang war das Label ja etwas größer, aber das wurde dann richtig viel Arbeit und war mir einfach zuviel. Jetzt ist es wieder eine Art Hobby, und so ist es okay. In letzter Zeit gab es jetzt wieder ein paar neue Veröffentlichungen, Platten von Freunden. So habe ich was zu tun, wenn wir nicht auf Tour sind. Irgendwie sind wir vor allem von Juni bis September unterwegs, im Rest des Jahres läuft weniger, wir sehen uns kaum.


Zum Schluss noch die Frage, wann ein neues SONIC YOUTH-Album ansteht.

Keine Ahnung! Im Herbst kommt Thurstons neues Solo-Album, auf dem ich auch gespielt habe, und ich werde ihn auch live begleiten, wohl im Winter. Wir spielen "Rather Ripped" jetzt schon ein Jahr lang live, es wird Zeit, dass wir wieder was Neues machen - aber sicher nicht mehr dieses Jahr.