GENTLEMEN RECORDS

Foto

Die hohe Schule des D.I.Y.

Außer Beat-Mans Voodoo Rhythm-Label und dem Züricher Leech-Redda-Imperium fällt auf Anhieb in Sachen Schweizer Musikszene nur noch Gentleman Records aus Lausanne ein, wo in den letzten Jahren Platten von APPLESEED CAST, MAGIC RAYS und HONEY FOR PETZI erschienen. Bereits seit zehn Jahren ist der 30-jährige Fig Chef des Labels, einst Bassist bei den geschätzten FAVEZ und denen bis heute verbunden, selbst aktuell bei den MAGIC RAYS als Sänger aktiv, der nicht nur Platten veröffentlicht, sondern im Raum Lausanne auch Konzerte veranstaltet und für die Schweizer Bandlegende YOUNG GODS arbeitet. Ich besuchte Fig in seinem Büro in der Altstadt von Lausanne.


Wie bist du zur Musik gekommen, wie verlief deine "Karriere"?


Mein Großvater war Musiklehrer, und er hatte versucht, meinen Vater für Musik zu begeistern, aber der interessierte sich mehr für Sport. Mein Vater wiederum wollte mich für Sport begeistern, und bis ich 15 war, klappte das auch, aber von da an interessierte ich mich nur noch für Musik. Ich nahm die Gitarre meines Großvaters, saß in meinem Zimmer und spielte. Ich gründete bald meine erste Band, und vor zehn Jahren dann sah ich das erste Mal FAVEZ, eine phantastische Band, also sprach ich sie an, ob ich ihnen nicht irgendwie helfen könne. Ich spielte dann auch zwei Jahre bei FAVEZ, verließ sie aber wieder, um mich darum zu kümmern, sie zu managen. Ich arbeitet auch mal für eine große Firma hier in Lausanne, die Konzerte veranstaltet, merkte aber, dass ich so nicht arbeiten kann und will, und 2001 gründete ich dann Gentleman Records. Seit zwei Jahren arbeite ich auch noch als Stagemanager für die YOUNG GODS, und jeden Sommer veranstalte ich in Pully, in der Nähe von Lausanne, ein Festival. Ich habe einfach sehr viel Spaß daran, an allen Aspekten um eine Band, um die Musik herum zu arbeiten. Ich unterhalte mich gerne mit Menschen und versuche ihnen zuzuhören, so kann man viel lernen.



Normalerweise wird das Musikmachen als kreative Leistung angesehen, aber wie bringst du dich bei deiner Arbeit um eine Band herum kreativ ein?

Eine große, gute Band muss natürlich kreativ sein, aber das allein reicht nicht: Sie braucht eine Menge guter Leute um sie herum, etwa einen Manager, einen Booking-Agenten, einen guten Soundmann und so weiter. Alles muss top sein, sonst funktioniert das nicht. Und manchmal bekommt man ja auch mit, dass eine Band eigentlich scheiße ist, aber eben gute Leute um sich herum hat, die sie voranbringen. Und genauso kann eine Band musikalisch beeindruckend sein, aber trotzdem keine Platten verkaufen. Eine Band allein ist also gar nichts, sie muss ein gutes Team um sich haben. Außerdem ist ein guter Songwriter eben nicht unbedingt auch ein guter Geschäftsmann.


Würdest du sagen, dieses "Drumherum" ist in den letzten Jahren wichtiger geworden, angesichts wachsender Konkurrenz und geänderter Rahmenbedingungen, etwa den Möglichkeiten des Internets?

Ich habe schon das Gefühl, dass das so ist, dass die eigentliche Musik in den letzten Jahren an Bedeutung eingebüßt hat. Viele Manager arbeiten so, dass sie nur auf der Suche nach einer passenden Band sind, die möglichst viele Platten verkauft. Das ist nicht mein Ansatz: Ich will mit Leuten arbeiten, die ich mag und die tolle Musik machen, bei denen ich beim Anhören einer Platte oder einem Konzert das Gefühl verspüre, dass ich unbedingt was mit denen machen muss. Klar ist es heute einfacher als früher, Musik zu machen: Man geht in den Laden, kauft sich die Ausrüstung, nimmt was auf und stellt es ins Internet. Allerdings glaube ich nicht, dass nur deshalb, weil es einfacher ist, Musik zu machen, heute mehr gute Bands existieren als vor zehn Jahren.


Nun sitzt Gentlemen in der Schweiz, einem kleinen Land mit kleiner Szene. Was hat das für Vorteile, was sind die Nachteile, verglichen mit Deutschland?

Der Vorteil ist, dass Deutschland größer ist, man auch in den großen Läden Indie-Platten finden kann, es viel mehr Bands, Labels und so weiter gibt. In der Schweiz dagegen gibt es keine "Pop-Akademie" oder sonst eine Schule, wo man lernt, Booking-Agent oder Manager zu werden. Wer sich dafür interessiert, muss sich alles selbst beibringen, und deshalb gibt es in der Schweiz noch verhältnismäßig viele Indie-Plattenläden und -labels. Für die Majors ist das nicht interessant, und die Leute, die dort arbeiten, die kennen sich in der Musikszene einfach nicht aus. In Deutschland ist das anders, da gibt es viel mehr eigentlich nette Leute, die sich für Indie-Musik interessieren, aber eben bei einem Major arbeiten. In der Schweiz arbeiten bei den Majors, etwa EMI, nur Leute, die keine Ahnung von Musik haben und vorher bei einer Versicherung oder Bank waren. Und so ist die Szene in der Schweiz wirklich noch sehr indie.


Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass die Schweiz, gerade der deutschsprachige Teil, schon sehr stark auf den großen Nachbarn schaut, sei's die Musikpresse oder die Mailorderlandschaft. Und die Schweiz ist eben ein sehr kleines Land, das zudem noch in drei Sprachräume geteilt ist.

Die Schweizer sind sehr interessante Kunden, denn sie kaufen übers Jahr gesehen mehr CDs als die Deutschen oder die Engländer, so dass es eine recht gute Infrastruktur von Läden gibt. Das ist das Positive. Das Problem ist, dass die Schweiz so klein ist. Wären wir in Paris oder Berlin, könnten wir mit dem gleichen Arbeitseinsatz sicher viel mehr erreichen, und so denken wir durchaus darüber nach, ein Büro in Paris zu eröffnen oder ganz dahin umzuziehen. Dazu kommt, dass man mit den Jahren natürlich auch merkt, dass die Inspiration einer recht kleinen Szene wie hier in Lausanne etwas nachlässt. In einer Stadt wie Paris zu leben und zu arbeiten, macht sicher manches schwieriger, es bietet aber auch ganz neue Möglichkeiten und man findet leichter neue Bands.


Und wie kann man dann als Indielabel in einem so kleinen Land wie der Schweiz überleben?

Indem man alles selbst macht. In der Schweiz arbeiten so wenige Leute professionell im Musikbereich, dass es für mich beispielsweise unmöglich war, einen Tourbooker zu finden. So kommt es, dass wir, aber auch etwa Leech Redda, nicht nur ein Label machen, sondern auch das Management, das Merchandise, das Booking und die Konzerte. So können wir auch sicherstellen, dass beispielsweise bei einem Auftritt von FAVEZ in Bern dort die Platte in den Läden steht. Wir arbeiten alle viel, sind nur wenige Leute im Büro, aber dafür wissen wir auch genau, was wir tun. Und weil wir alles selbst machen, schaffen wir es auch, in einem so kleinen Markt wie der Schweiz zu überleben. Außerdem bekommen die Musiker der Bands auf unserem Label ein Gehalt.


Was?!?

Ja. Wir nehmen für die das gesamte Geld aus den Auftritten und den Verkäufen ein, dafür zahlen wir ihnen ein monatliches Gehalt. Davon abgesehen glaubt einem in der Schweiz sowieso niemand, dass es möglich ist, von seiner Musik zu leben. Was zur Folge hat, dass niemand in der Schweiz, der in einer Band spielt, seinen Job dafür aufgeben wird. Woraus wiederum resultiert, dass seitens der Band keine Notwendigkeit besteht, sich wirklich anzustrengen, etwa mal ein paar Wochen lang auf Tour zu gehen. Der Lebensstandard in der Schweiz ist eben sehr hoch, die Leute haben so viel Geld, dass jede Band sich einen Proberaum leisten kann und sich da dann einmal die Woche trifft - und erst mal was kifft ... Vergleiche das mal mit den USA, da hat kaum eine Band einen eigenen Proberaum, die müssen sich den stundenweise mieten und dann alles geben.


Ist dementsprechend also nur ein armer, hungernder Künstler ein guter Künstler?

Sagen wir so: Ich habe sechs Jahre gebraucht, um zu merken, wie schwer es ist, einen Künstler dazu zu bringen, im übertragenen Sinne "hungrig" zu sein. Ich schaue mir heute deshalb Bands vor allem unter dem Aspekt an, wie ihre Attitüde ist.


Gibt es jemanden, der dich in Sachen Label inspiriert hat?

Einer, den ich sehr interessant finde, ist Richard Branson, der einst Virgin Records gegründet hat. Ich habe seine Autobiografie gelesen und ich bin kein Fan von ihm, aber ich denke, Branson ist ein sehr kreativer Mensch mit guten Ideen. Du musst die guten Ideen einfach immer eine Weile vor anderen Leuten haben und dann musst du bereit sein, ein Risiko einzugehen. Und je größer das Risiko, desto größer der mögliche Gewinn, nicht nur in finanzieller Hinsicht. Ein ähnlicher Typ ist Tim Renner von Motor in Deutschland. In geschäftlicher Hinsicht finde ich den auch sehr interessant. Und hier in Lausanne gibt es eine Organisation namens CMA, das steht für "Fondation romande pour la chanson et les musiques actuelles", das ist eine Stiftung, die für Musiker Fortbildungen und Seminare organisiert, und man lernt bei denen immer was.


Gib mir doch mal einen Überblick über die Releases von Gentlemen Records.

In Deutschland ist von unseren Bands wohl APPLESEED CAST am bekanntesten, von denen haben wir zwei Alben veröffentlicht. Auch etwas bekannter sind HONEY FOR PETZI - von denen war auch das erste Release auf Gentlemen, und sie nehmen Ende des Jahres ihr neues Album auf, wohl wieder mit Steve Albini. Die meisten der Bands kommen übrigens aus Lausanne, weil ich am liebsten mit Leuten arbeite, die ich kenne, mit denen ich persönlich reden und feiern kann. So sehr ich APPLESEED CAST mag, so schwer ist es doch, angesichts der Distanz, mit einer amerikanischen Band zu arbeiten. Dann sind da noch ROSQO, die gerade ein neues Album eingespielt haben, das im Oktober erscheint - ein brillantes Indierock-Album. Im März dieses Jahres kam das MAGIC RAYS-Album, das ist also noch recht neu. Und dann sind da TOBOGGAN, eine Band bestehend aus zwei Mädels und einem Jungen, und den Namen kann man sich trotz seiner seltsamen Schreibweise leicht merken: ein B für den Boy, zweimal G für die Girls. Deren Album soll im Herbst erscheinen. Und dann steht noch eins an von Fauve & Raphaelson, Letzterer ist der Sänger der MAGIC RAYS, und beide Solokünstler nehmen gemeinsam ein Album auf. Und ein paar andere Bands habe ich jetzt sicher vergessen, aber die findet man ja auf der Website.