MADBALL

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The HipHop Head

Als der gerade mal zwölfjahrige Freddy Cricien 1988 als Frontmann von MADBALL auf die New Yorker Bühnen trat, war das die Geburt einer der heute dienstältesten Hardcorebands jener Stadt. Heute, fast zwanzig Jahre später, ist der kleine Bruder von AGNOSTIC FRONT-Sänger Roger Miret immer noch als Frontmann von MADBALL aktiv und hat mit "Infiltrate The System" gerade das siebte reguläre Studioalbum seiner Band vorgelegt. Nicht nur der recht provokante Titel des neuen Albums machte mich neugierig, auch inhaltlich haben die New Yorker das politischste Album seit "Set It Off" aufgenommen. Ich sprach mit einem sehr aufgeschlossenen Freddy vor der Show im Marburger KFZ über das erste Konzeptalbum von MADBALL, seinen Bruder Roger und den Verhältnis von Punk und Hardcore, HipHop und Religion.


Freddy, du hast im Vorfeld über "Infiltrate The System" gesagt, dass die eine Hälfte ein Konzeptalbum sei und die andere Hälfte typischer MADBALL-NYHC, wie man ihn kennt und liebt. Was kann ich mir unter einem MADBALL-"Konzeptalbum" vorstellen?


Ich habe das gesagt, weil viele der neuen Songs sich direkt auf den Albumtitel "Infiltrate The System" beziehen. Deshalb meine Aussage, es sei ein Konzeptalbum. Der andere Teil setzt sich etwas zufälliger zusammen. Manche Songs "dissen" eher, andere wiederum handeln von verflossener Liebe, verstehst du? Aber der Hauptteil dreht sich eben um die Infiltration des Systems. Es geht darum, dass unsere Fans und unsere Freunde selbst Stellung beziehen sollen im Kampf gegen ein übermächtiges System und zusammen stark sind.


Euer 2005er Album "Legacy" erschien auf dem legendären amerikanischen Ferret Label. Trotzdem wurde das Album in Europa von Roadrunner Records vertrieben, eurem alten Label Mitte der 90er Jahre. "Infiltrate The System" erscheint nun auf dem belgischen Label I Scream Records. Warum der schnelle Wechsel und was denkst du über den Vertrieb von Roadrunner? Gerüchteweise wart ihr am Schluss ja nicht mehr so zufrieden mit ihnen.

Ja, das stimmt schon. Ich denke, dass sie mit dem Vertrieb für "Legacy" einfach keine sehr gute Arbeit geleistet haben. Wir waren lange bei ihnen und veröffentlichten damals auch mit "Set It Off", "Demonstrating My Style" und "Look My Way" erfolgreiche Alben. Aber dann haben sie immer mehr Metal-Bands unter Vertrag genommen und so ein wenig den Sinn dafür verloren, was wir mit unserer Musik zu erreichen versuchten. Wie auch immer, solche Dinge passieren eben. Inzwischen haben wir ja bei Ferret sowie jetzt bei I Scream jeweils ein neues Zuhause gefunden. Gerade Ferret war ein Glücksfall für uns, das beste Label, bei dem wir in Amerika unter Vertrag sein konnten. Und weil Ferret mit Roadrunner zusammenarbeitet, kam es zu dem europäischen Vertriebsdeal und so entstand noch einmal die Verbindung zu Roadrunner. Sie haben bei "Legacy" akzeptable Arbeit geleistet. MADBALL ist aber eine Band mit einer langen Geschichte und für mich sah es so aus, als ob sie ihre Arbeit ohne den nötigen Enthusiasmus gemacht haben. Es gab viel Presse im Vorfeld von "Legacy" und es kann sein, dass sie mit der Promotion anderer Bands beschäftigt waren. Deswegen haben wir uns nun letztendlich für I Scream entschieden, denn wir denken, dass sie mehr Leidenschaft für MADBALL aufbringen.


Als "Legacy" erschien, hast du dazu gesagt: "This record is our proudest moment. Because I think we have incorporated all the different sides of MADBALL in it. It's our most complete record. It even takes ?Hold It Down' down." Die Texte auf "Legacy" waren ja sehr persönlicher Natur, wenn ich etwa an "Heavenhell" oder "Behind these walls" denke. Das neue Album hingegen ist seit "Set It Off" das politischste, das ihr geschrieben habt. Siehst du das genauso?

Stimmt, ich habe damals gesagt, dass "Legacy" besser ist als "Hold It Down" und dazu stehe ich auch heute noch. Das ist genau die von mir eben schon angesprochene Weiterentwicklung von MADBALL, die sich im Verlauf dieser Alben vollzogen hat, und deshalb bin ich auch so stolz darauf. "Legacy" hatte einen sehr persönlichen Charakter und genau deswegen habe ich für "Infiltrate The System" einen anderen Zugang gewählt, der mindestens so politisch ist wie damals bei "Set It Off". Natürlich hätte ich weiterhin persönliche Geschichten erzählen können, aber dieses Mal wollte ich mit meinen Texten die Massen erreichen. Der Spruch "infiltrate the system" geisterte schon lange in meinem Kopf herum und ich habe den auch oft in Gesprächen benutzt. Die Grundidee dahinter ist die: Wenn unsere Fans und unsere Freunde mit ihren freien, unabhängigen Ideen sozusagen den Saatboden vorbereiten, würde sich die Welt im Ganzen zum Besseren verändern. Zum Beispiel wenn sie die großen Plattenfirmen infiltrieren würden, dann hätten wir ein besseres Label. Wenn die Leute die Clubs übernehmen würden, dann hätten wir bessere Clubs ... Und so zieht sich die Idee immer weiter. Somit vervollständigen sich die Dinge gegenseitig. Die Szene, die Texte und unsere Aggressivität - alles wird auf dem neuen Album vereint.


Ihr habt MADBALL 1988 gegründet. Dementsprechend feiert ihr, wenn man mal von kurzen Unterbrechungen in eurer Bandkarriere absieht, kommendes Jahr euer zwanzigjähriges Bühnenjubiläum. Habt ihr für diesen Geburtstag etwas geplant? Was noch wichtiger ist: was hättest du ohne MADBALL gemacht in den letzten zwanzig Jahren? Etwa einen normalen Nine-to-five-Job? Das kann ich mir bei dir nämlich gar nicht vorstellen ...

Was ich gemacht hätte? Keine Ahnung, es hätte alles Mögliche passieren können. Ich wäre vielleicht im Gefängnis, haha, oder auch in einem stinknormalem Bürojob, wer weiß das schon. Ich habe ja auch schon in normalen Jobs gearbeitet, wie zum Beispiel auf dem Bau. Oft bin ich auch in Situationen geraten, die mir vielleicht besser erspart geblieben wären. Niemand kann wissen, was ich mit meinem Leben angefangen hätte ohne die Musik, die mir oft einen Ausweg geboten hat. Mit MADBALL habe ich Karriere gemacht und dafür bin ich sehr dankbar und natürlich auch stolz. Wie du schon gesagt hast, haben wir die erste EP 1988 veröffentlicht, da war ich noch ein Kind. Und ohne großartig über alles nachgedacht zu haben, brachten wir sie einfach heraus. Es ging uns eigentlich mehr um den Spaß, dass die Musik mein Leben ist, habe ich erst später erkannt. Von da an hatte die Band für mich immer oberste Priorität, gleichgültig, in welchem Job ich nebenbei noch gearbeitet habe. Heute bin ich froh, das alles erlebt zu haben und nun ein besseres Leben zu führen. Viel geplant ist für das Bandjubiläum eigentlich nicht. Um ehrlich zu sein, habe ich die Jahre nie wirklich gezählt, wir alle fühlen uns immer noch jung und über etwas Spezielles für nächstes Jahr habe ich mir gar keine Gedanken gemacht.


Du zählst also die Jahre nicht, aber wenn du zurückblickst, gibt es Dinge, die du aus der heutigen Sicht so besser nie gemacht hättest?

Es gibt immer Dinge, die man bereut, aber jeder macht Fehler in seinem Leben. Ich habe aus meinen gelernt und bin dadurch zu dem Menschen geworden, der ich heute bin. Ich sehe meine Fehler also im Rückblick nicht mit Bedauern, sondern eher als Chance. Natürlich sind Streitigkeiten innerhalb der Familie immer tragisch, aber nichts passiert ohne Grund.


Im Frühjahr erschien der SICK OF IT ALL-Tribute-Sampler "Our Impact Will Be Felt". Ihr seid natürlich auch darauf vertreten und habt "Give respect" gecovert. Stimmt es, dass es der erste Song ist, den MADBALL jemals gecovert haben?

Nein, das stimmt so nicht ganz. Als wir anfingen, legten AGNOSTIC FRONT so etwas wie eine kleine Ruhepause ein und bauten MADBALL auf. Deshalb haben wir zuerst Songs von ihnen gecovert, außerdem "Ready to fight" von NEGATIVE APPROACH und auch KILLING TIME-Songs. Wir wollten so den Bands Respekt zollen, die uns damals so sehr beeindruckt und geprägt haben. Zu dem Tribute-Album: wir wurden gefragt, ob wir einen Song beisteuern wollen, und natürlich haben wir sofort zugesagt. SICK OF IT ALL ist wirklich eine Band, die den Respekt und die Anerkennung anderer Bands verdient hat. Ich meine, sie sind zweifellos eine der Schlüsselfiguren der NYHC-Szene. Außerdem sind sie gute Freunde von uns. Speziell Craig Ahead, ihr Bassist, und ich sind seit unserer Kindheit befreundet. Wir haben uns für "Give respect" entschieden, weil wir einen echten Oldschool-Klassiker covern wollten.


Das neue Album klingt für mich metallischer als "Legacy" oder die noch frühere Alben. Haben euch in der Zwischenzeit andere Bands beeinflusst? Vielleicht sogar Metalcore-Bands?

Nein, ich sehe keinen Einfluss von anderen Bands auf den MADBALL-Sound. Es ist vielmehr eine Art Evolution, wir haben uns mit jedem Album weiterentwickelt und neue Wege beschritten. Wichtig ist dabei aber, dass unsere Fans MADBALL immer sofort wieder erkennen, "Infiltrate The System" ist also nach "Legacy" der nächste logische Schritt. Es ist einfach etwas zeitgemäßer.


Ist es auch "zeitgemäß", ausgerechnet zusammen mit MURPHY'S LAW, einem echten Hardcore-Urgestein, aufzutreten? Was hältst du generell von den vielen Reunions alter Bands, die nach zwanzig Jahren plötzlich aus der Versenkung auftauchen und wieder Konzerte spielen?

Zunächst einmal spielen MURPHY'S LAW ja keine richtige Reunion-Tour. Fakt ist, dass sie sich nie wirklich aufgelöst haben. Aber ich weiß, worauf du hinaus willst. Die anderen Band-Reunions, haha, da sind so viele, die plötzlich wieder auftreten. Einige kommen mit wirklich ehrlichen Absichten wieder. Sie haben die Musik vermisst, die Konzerte, und möchten halt heute die Dinge erreichen, die ihnen damals verwehrt geblieben sind. Das finde ich wirklich cool! Das sind die Bands, die auch heute noch etwas zu sagen haben. Leider kommen aber auch viele aus der Versenkung zurück mit der Einstellung, dass ihnen heute viel Geld zustehen würde. Viel mehr, als sie damals haben bekommen können. Das ist für mich der Punkt, an dem es wirklich niederträchtig wird. Wenn Bands zurückkommen, um Spaß zu haben, ist das in Ordnung, aber einfach nur zu spielen, um nun das Doppelte zu verdienen als zum Beispiel AGNOSTIC FRONT oder MADBALL, das kann es nicht sein. Wir haben zu diesem Thema auch einen Song auf dem neuen Album, er heißt "Novelty". Mir ist bewusst, dass ich mit dieser Aussage auch Kritik ernten werde, denn auch MADBALL hatten kleine Auszeiten, trotzdem waren wir über all die Jahre immer präsent, genau wie AF und SICK OF IT ALL.


Wo du gerade AGNOSTIC FRONT erwähnst, was hältst du von ROGER MIRET AND THE DISASTERS und wie oft siehst du deinen Bruder eigentlich?

Oh, die mag ich sehr gerne. Weißt du, bevor Roger zum Hardcore kam, war er Punkrocker. Wir haben beide verschiedene Seiten. Er ist eher der Punkrocker, ich mache nebenbei HipHop. Wie oft ich ihn sehe? Eigentlich relativ häufig. Erst jetzt, bevor diese Tour losging, war ich mit ihm zusammen im Studio und ich kann dir sagen, das neue AF-Album wird wirklich fantastisch werden.


Roger, hat mal gesagt: "Never trust a hardcore kid that has not listened to punk." Das ist eine sehr klare Ansage, aber wie viel Punk steckt denn in dir?

Haha, das ist eine gute Frage. Aber du musst immer bedenken, dass er zehn Jahre älter ist als ich. Als er mit Punk anfing, war ich ein kleines Kind, das einfach alles mithörte, was an Musik bei uns zu Hause gespielt wurde. Als ich dann älter wurde, übersprang ich einfach den Punkrock und kam durch AGNOSTIC FRONT direkt zum Hardcore, weil ich immer mit ihnen zusammen war.


Und heute magst du neben Hardcore eben mehr HipHop. Das hast du zum einen vorhin schon angedeutet und wenn ich an das Intro zum Album "Hold It Down" denke, wird mir da auch einiges klar ...

Yeah, I'm a "HipHop Head" you know? Ich war immer schon ein Fan dieses Genres. Das ist eigentlich eine lustige Geschichte, denn damit kann Roger gar nichts anfangen. Wir lieben beide zum Teil die gleiche Musik, das würde er dir sofort bestätigen, aber es gibt eben auch gewisse Unterschiede. Und wenn es MADBALL nicht geben würde, wer weiß, dann hätte ich schon vor Jahren eine HipHop-Band gegründet. Um aber auch diese Seite ausleben zu können, habe ich jetzt dieses Nebenprojekt ins Leben gerufen.


Es wird also bald ein HipHop-Album von Freddy Madball geben?

Ja, es erscheint 2008. Es sollte ursprünglich schon in diesem Jahr rauskommen, aber ich werde es bis Ende des Jahres wohl nicht schaffen, die Aufnahmen zu beenden.


Wie heißt das Projekt?

Schlicht und einfach Freddy Madball. Weißt du, ich habe diesen Spitznamen nie gemocht, aber er hat sich in den Köpfen der Leute so festgesetzt. Wenn ich jetzt versuchen würde, ein verrücktes Alter Ego zu erfinden, um im HipHop erfolgreich zu sein, würde das nicht funktionieren.


Deine Texte handeln häufiger von Gott und Gläubigkeit. Somit drängt sich die Frage auf ob du auch praktizierender Christ bist. Gehst du in die Kirche?

Haha, ob ich praktizierender Christ bin? No, I'm far from Christ!


Aber du bist religiös?

Ja, irgendwie schon. Das ist eine schwere Frage, die ich nicht mit einem klaren Ja beantworten kann und möchte. Es gibt heutzutage so viele organisierte Religionen, die Spiritualität einen negativen Ruf verleihen. Sie alle geben bestimmte Regeln vor und setzen dich somit unter Druck. Nach dem Motto: Wenn du etwas nicht so und so machst, kommst du in die Hölle. Wer ist schon in der Position zu sagen, dass eine von diesen Religionen alles richtig macht? Was ist überhaupt richtig und falsch in diesem Zusammenhang? Ich bin als Katholik geboren und teilweise auch so erzogen worden, bin zur Kommunion gegangen, all das. Ich habe auch eine Menge Tattoos mit religiösen Motiven, aber da geht es mehr um das Aussehen. Ich finde einfach viele religiöse Darstellungen wunderschön. Geh doch mal in eine dieser alten Kirchen, die sind auch wunderschön. Ehrlich gesagt, mag ich auch ein paar Ideen des Katholizismus, aber ich bin an einem Punkt in meinem Leben angelangt, an dem ich meine eigenen Entscheidungen treffe, frei von irgendwelchen Glaubensgrundsätzen irgendeiner Religion. Nur weil jemand regelmäßig in die Kirche geht, muss er kein besserer Mensch sein.


Was hältst du von religiösen Hardcore-Bands, die offen zu ihrem Glauben stehen und in ihren Texten leider auch viel predigen?

Ich möchte darüber kein Urteil fällen. Letztlich zählt für mich, dass ich das, was ich sagen möchte, mit meiner Musik sagen kann. MADBALL ist keine hochpolitisch motivierte Band. Wir sind, was wir sind, und genau deshalb kann ich meinem Gegenüber auch nicht vorschreiben, dass er nicht über Religion und seinen Glauben sprechen soll, denn vielleicht ist es in diesem Moment genau das, worüber er reden möchte. Alles andere wäre in meinen Augen Ignoranz. Wer weiß schon, aus welchen Gründen du zum Beispiel MADBALL magst. Und genauso ist es mit den christlichen Hardcore-Bands, wer kann schon wissen, aus welchen Gründen sich jemand solche Bands anhört? Ich wünsche mir einfach, dass die Menschen offener werden und nicht gleich abblocken, wenn eine Band zum Beispiel religiöse Inhalte propagiert.

Danke für das Interview.