ROBERT THE KNIFE

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ZANN, Adagio830, Bis Auf's Messer und viel Eigeninitiative

Der Osten lebt und bringt immer wieder Großes hervor! ZANN haben sich mit extremen Klangkonstruktionen, unzähligen, beeindruckenden Auftritten und konsequenter D.I.Y.-Attitüde einen Platz an der Spitze des europäischen Krach-Untergrundes erspielt, via Adagio830 werden Qualitätsplatten aus der ganzen Welt veröffentlicht und im Berliner Laden Bis Auf's Messer existiert ein Versuch der Symbiose von Plattenladen, Szenetreff und Kaffeehaus. Teil all dieser ambitionierten Projekte ist Robert Schulze, der sich gutgelaunt einigen Fragen stellte.

Robert, du bist ja bereits seit mehr als zehn Jahren in dem, was man allgemein Punk/Hardcore-Szene nennt, aktiv. Wie stellt sich dir die gegenwärtige Szenerie dar? Lodert noch Feuer oder ist da nur ein lahmer Haufen, der ein schönes Erbe verwaltet und verjubelt?


Es ist wirklich verrückt, wie schnell die Zeit vergeht, vor allem in den letzten drei Jahren. Wenn ich so zurückblicke, hat sich schon so einiges verändert und man hat viele Leute kommen und gehen sehen. Ich denke, das Feuer lodert immer noch. Persönlich gab es immer Zeiten, wo mich alles angekotzt hat und ich das Handtuch werfen wollte, weil alles einfach ermüdend war. Aber irgendwie kann ich nicht loslassen, haha. Irgendwie fühle ich mich in diesem ganzen Punk-Ding immer noch sehr wohl. In den letzten Jahren gab es immer wieder neue Bands und Leute, die das Feuer neu entfacht und coole Sachen auf die Beine gestellt haben. Wenn man nur einmal sieht, wie viele Bands gerade auf Tour sind und wie viele Leute Platten auf den Markt werfen. Man kann halt auf vielen Strukturen aufbauen, die in den letzten Jahren entstanden sind und das macht alles natürlich einfacher. Auf der anderen Seite hat sich natürlich auch manches zum Nachteil entwickelt. Ich habe zumindest das Gefühl, dass der politische immer mehr von diesem semi-professionellen Aspekt untergraben wird. Es gibt immer weniger Bands, die zwischen den Songs etwas Sinnvolles erzählen, immer weniger Bands, die ihre Texte abdrucken und auch sonst irgendwie politisch aktiv werden. Überhaupt scheint das politische Bewusstsein immer mehr in den Hintergrund zu rücken. Klar sind alle "gegen Nazis/Polizei" etc., aber andere Sachen rücken immer weiter in den Hintergrund. Schade.


Ja, leider wird von den meisten Bands eher Musikgeschmacksbefriedigung betrieben als kritische Auseinandersetzung mit der Welt. Für mich bedeutete Punk/HC immer kritisch gegenüber allem und jedem zu sein, besonders auch sich selbst gegenüber. Dieses "In Frage stellen der Dinge" scheint sich allerdings immer mehr einfach in einem lauten Musikgenre zu verlieren. Würdest du mir zustimmen, wenn ich behauptete, Punk/HC sei, hinsichtlich seiner Ausdruckskraft und seinem Potenzial gesamtgesellschaftlich verändernd zu wirken, irrelevant?

Ich denke schon, dass die Punk/HC-Szene nicht mehr soviel verändert wie vielleicht vor zehn Jahren, was aber vielleicht auch daran liegt, dass sie im Großen und Ganzen viel mehr akzeptiert wird. Allerdings kann man sagen, dass dies auch sein Gutes hat. Es wurden viele Freiräume und Nischen in den letzten Jahren geschaffen, die die Gesellschaft auch prägen und immer noch beeinflussen. Problematisch ist, dass nicht mehr viel nachkommt. Es gibt immer weniger Leute, die bereit sind Häuser zu besetzen, Dinge zu riskieren und einfach etwas selbst in die Hand zu nehmen. Das sieht man schon bei so lapidaren Dingen wie Touren selber zu buchen etc. Alle scheinen sich nur ins gemachte Nest setzen zu wollen. Es gibt immer weniger Eigeninitiative, mal abgesehen von einem MySpace-Profil. Um auf den Anfang zurück zu kommen: Ich denke, dass Punk vielleicht augenscheinlich nicht mehr viel verändern kann, aber es wird auf jeden Fall immer ein Gegenpol in der Gesellschaft sein und das ist wichtig. So lange es immer noch Leute gibt, die etwas bewegen wollen und riskieren, geht es weiter.


Dem Berliner Squat Köpi droht derzeit nach seinem Verkauf das gleiche Schicksal wie zu Jahresbeginn dem Ungdomshuset in Kopenhagen, nämlich das Ende. Das Zorro in Leipzig konnte solche Fatalität letztendlich glücklicherweise vermeiden, aber ähnliche Einrichtungen, wie zum Beispiel die Rote Flora in Hamburg oder das EKH in Wien, sehen sich immer wieder mit Existenz bedrohenden Situationen konfrontiert. Wie schätzt du die Rolle solcher Orte für die Subkultur ein? Wird der D.I.Y.-Szene und "freien" Kunstszene durch deren Eliminierung der Nährboden entzogen?

Es ist wirklich beängstigend, wie in kürzester Zeit mehrere Alternative Zentren ausgelöscht werden, und das mit ungemeiner Brutalität. Wenn all diese Häuser zugrunde gehen, ist das natürlich ein bedrohlicher Einschnitt in die geschaffenen Freiräume und Alternativen für jegliche Subkultur. Es ist ja auch der Plan der Obrigkeiten, diese Freiräume auszulöschen, da diese eben nicht so gut kontrollierbar sind und auch schon immer ein Dorn im Auge waren. Da war das Ungdomshuset ein guter Startschuss, auch woanders "aufzuräumen" und andere Zentren unter fadenscheinigen Gründen dicht zu machen. Wir brauchen solche Orte, um die Subkultur am Leben zu erhalten! Man kann sich andere Länder ansehen, wo eben diese Freiräume nicht existieren und wie schwer es die Leute da haben, zum Beispiel Veranstaltungen auszurichten. In der Hinsicht hatte und hat Deutschland immer noch ein sehr gutes Netzwerk an Orten, wo man alternative Veranstaltungen durchführen kann. In Japan oder in den USA gibt es null solcher Einrichtungen, da gibt es maximal irgendwelche Jugendzentren, Bars und eben Haus-Shows.


Wer ZANN kennt, weiß, dass ihr euch nicht auf ausgetretenen Pfaden bewegt, sondern einen eigenen Weg durch den Dschungel der musikalischen Belanglosigkeit schlagen wollt. Was ist euer Anspruch an euch selbst, was euer Ziel?

Ich weiß nicht, ob wir wirklich so innovativ sind und wirklich neue Wege beschreiten. Wir haben alle sehr unterschiedliche Einflüsse, versuchen einen gemeinsamen Nenner finden und kämpfen uns somit durch den Dschungel der "musikalischen Belanglosigkeit". Dabei besteht eigentlich immer nur der Anspruch, dass wir alle mit dem Song zufrieden sind und nicht einen Song nach dem anderen ausscheißen. Wir wollen Songs schreiben, die wir nach dem Aufnehmen immer noch mögen und die Spaß machen, wenn man sie live spielt. Schließlich sind wir so langsam mit dem Songschreiben, dass wir sie eine ganze Weile mögen müssen, haha. Hauptsächlich wollen wir auf Tour gehen und viel spielen!


Ihr versucht also nicht bewusst irgendwie anders zu sein, Grenzen auszuloten? Ich finde aber schon, dass ihr, wenn vielleicht nicht innovativ, doch zumindest sehr eigen klingt.

Ich glaube nicht. Wir kommen zur Probe und jeder bringt seine Idee mit, dann wird sich kurz gestritten und wir werfen alles zusammen und irgendwann ist dann ein Song fertig. Grenzen loten wir höchsten mit neuen Effekten aus, die John jedes Mal anschleppt, haha! Ich denke, dass wir mit ZANN immer aus dem Bauch entscheiden und nicht wirklich über die Songs nachdenken.


Ihr wart, neben diversen Touren und Einzelshows in Europa, bereits dreimal in den USA sowie zweimal in Japan auf Tour und habt diverse Tonträger veröffentlicht. Ihr habt euch dabei immer selbst um den ganzen Kram gekümmert, nicht auf "semiprofessionellen Schnickschnack" gesetzt. Ist dieses "Alles selber machen" intendiert oder hat sich einfach nie etwas anderes ergeben?

Wir haben eigentlich von Anfang an immer alles selber gemacht, weil du anfangs auch kaum eine andere Möglichkeit hast beziehungsweise wir uns nie von jemandem abhängig machen wollten und wir so auch die meisten Möglichkeiten hatten und haben. Wir haben keinen Bock auf Booking-Agenturen und so weiter. Wenn alle Leute in dieser Szene sich gegenseitig fair behandeln, dann bedarf es auch keiner beschissenen Verträge. D.I.Y. soll ja nicht heißen, sich abrippen zu lassen, denn auch unser Van fährt nicht umsonst, aber es kommt halt immer auf die ganze Art und Weise an. Auf jeden Fall werden wir immer dabei bleiben, unsere Sachen selber zu machen. Man kann alleine auch am meisten erreichen, wenn man sich nur bemüht.


Obwohl es ZANN schon seit etwa 1999 gibt, kam erst letztes Jahr, nach diversen Kleinformaten und Splits, euer erstes Album "Three Years In The Desert" heraus. Warum hat es bis zum ersten Album so lange gedauert? Wie kam es zur Veröffentlichung auf Vendetta Records? Kannst du den Titel des Albums erläutern?

Wie du schon oben gesagt hast, waren wir viel auf Tour und irgendwie hat es sich dann zeitlich nie ergeben, Songs zu schreiben. Für uns lag irgendwie immer das Hauptaugenmerk beim Touren und manchmal waren wir ja über drei Monate im Jahr auf Tour, wenn auch nicht am Stück. Daher auch der Name - weil wir drei Jahre keine wirkliche Veröffentlichung hatten. Vendetta: Das ist halt schon eine jahrelange Freundschaft und Stefan hat uns gefragt, ob wir Lust darauf hätten. Er kümmert sich super um den Vertrieb der Platten und ist eben ein Freund. Da gab es nicht viel zu überlegen!


Du betreibst seit einigen Jahren das Label Adagio830. Schaut man sich die Releases an, fällt auf, dass so gut wie keine deutschen Bands vorhanden sind. Empfindest du die hiesige Musiklandschaft als nicht spannend genug? Nach welchen Kriterien entscheidest du, welche Platten du veröffentlichst?

Da habe ich noch nie wirklich drüber nachgedacht. Ich habe die Bands eigentlich nie nach ihrer Herkunft ausgesucht. Meist haben sich die Veröffentlichungen irgendwie ergeben, weil Bands mir ein Demo zugeschickt haben, die Band Freunde waren oder ich eine Band live gesehen habe und ich sie einfach fragen musste. Dabei war dann auch der Musikstil eigentlich egal. Ich wollte das Label nie einschränken, was die Art der Musik betrifft, die ich veröffentliche. Das Hauptkriterium ist eigentlich nur, dass die Musik mag und ich denke, so sollte es sein.


Adagio830-Platten sind, bis auf das Vinylpressen, gänzlich D.I.Y.-Erzeugnisse: du siebdruckst zum Beispiel die Cover selbst und der Vertrieb läuft ausschließlich über die typischen Szenekanäle. Was bedeutet dir diese ganze D.I.Y.-Ästhetik?

Der D.I.Y.-Aspekt ist für mich sehr wichtig, da man so am besten Platten veröffentlichen kann, ohne sich abhängig zu machen. D.I.Y. bietet mir einfach Möglichkeiten, die man sonst vielleicht nicht hätte. So kommen die Platten durch die ganze Welt und das ohne irgendwelche komischen Vertriebsdeals. Die Platten werden nicht unnötig teuer und man hat immer noch den Kontakt zu den Leuten. Für mich ist der persönliche Kontakt sehr wichtig, da einfach mehr an allem hängt, als noch eine Platte auf den Markt zu werfen. D.I.Y. bedeutet auch Kommunikation und man kann immer wieder beweisen, dass alles auch ohne Verträge und so weiter funktioniert.


Ist das Label noch ausschließlich Hobby für dich?

Das Label nimmt inzwischen einen großen Teil meinen Alltags ein, und seit wir uns mit dem Plattenladen selbstständig gemacht haben, kann ich es wohl nicht mehr als reines Hobby bezeichnen, haha. Aber mein Herz steckt immer noch in jeder Veröffentlichung.


Wie gerade erwähnt, hast du ja Anfang 2007 mit Stefan von Vendetta Records in Berlin den Plattenladen "Bis auf's Messer" eröffnet, hast also quasi die Seiten gewechselt: vom Hobby aus Leidenschaft zum Broterwerb, sozusagen. Siehst du diese Professionalisierung als Bruch mit deinen vorherigen, nicht-kommerziellen Aktivitäten oder einfach als den nächsten logischen Schritt?

Ich würde es eher als logischen Schritt bezeichnen. Es ist halt immer mehr Arbeit geworden und neben dem Label gab es ja auch schon immer den Distro. Immer mehr Zeit floss in den Distro und es hat sich nie wirklich wie Arbeit angefühlt. Na ja und Arbeit sollte ja immer Spaß machen und so kam irgendwann eines zum anderen. Ich denke, dass wir immer noch an unseren Idealen festhalten und diese auch nicht fallen lassen werden. Es ist ja nicht so, dass D.I.Y. und damit Geld verdienen nicht mit einander vereinbar sind. Bestes, wenn auch ausgelutschtes Beispiel ist ja Dischord, oder in Deutschland auch X-Mist. Im Endeffekt möchte ja jedeR gerne Geld mit seiner Leidenschaft verdienen und ich denke, dass es die beste Möglichkeit ist, sich von einem System mehr oder weniger unabhängig zu machen. Es ist doch immer besser, für sich selbst zu arbeiten, als für eine beschissene Company.


Du hast ja im Prinzip jeden Tag mit "der Szene" zu tun. Wird man der ganzen Sache nicht irgendwann überdrüssig? Was treibt dich jeden Tag aufs Neue an?

Es gibt schon Tage, an dem du einfach deine Ruhe willst und keine Gespräche mehr über Platten hören willst, vor allem nicht über limitiertes, farbiges Vinyl. Wir haben auch viele Momente im Laden, wo wir einfach keine Musik hören und die Ruhe völlig genießen. Mit der Zeit ist halt alles gemäßigter und professioneller, was den Umgang mit Musik und Platten angeht. Ich muss aber sagen, dass ich es immer noch aufregend finde, neue Platten auszupacken und zu stöbern, wo man noch etwas besorgen kann, was andere längst vergessen haben. Ich gehe jeden Tag immer wieder mit Freude in den Laden und freue mich darauf, Pakete auszupacken, neue Platten anzuhören und so weiter. Es gibt immer wieder Bands, Platten und Fanzines, wo ich einfach sehe, dass ich das Richtige mache und mich in einer Subkultur bewege, in der ich mich doch am wohlsten fühle.