CHROME HOOF

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Verfrühter Freudentaumel

In der Ox-Rezension der aktuellen CHROME HOOF-Veröffentlichung "Pre-Emptive False Rapture" wurde der passende Vergleich zu Mike Patton und einem seiner schrägen Projekte gezogen, doch mit dem Verrückten aus Kalifornien hat das zweite Album der Londoner Band um die Gebrüder Smee reichlich wenig zu tun. Bassist Leo, der auch die vier Saiten bei den Doomern CATHEDRAL zupft, und sein Bruder Milo an den Drums, gründeten die Band schon Mitte der Neunziger nur für den Spaßfaktor und nur als Duo. Doch wie so oft wurde aus Spaß schnell Ernst und - wie so unoft - aus einem Duo ein Zehner, wenn man die diversen Gastmusiker nicht mitzählt.

Seit 2000 spielt man nun in dieser Big-Band-Besetzung, angetrieben vom leidenschaftlichem Soulgesang Lola Olafisoyes und der verqueren Instrumentalisierung, die von mehreren Bläsern, Keyboards, Geigen, Cellos, Synthesizern wirklich alles darbietet, was man braucht, um Musik jenseits von Funk, Soul, Doom, Death Metal (mit Leo an den Vocals), Stoner, Avantgarde und Disco zu produzieren. Einfacher ist der Stil der Band, wie man merkt, nicht zu beschreiben.

Für Milo, den Sarkastischen der beiden Bruder, den ich in Anwesenheit fünf seiner Mitmusiker auf dem South Of Mainstream-Festival interviewen durfte, ist CHROME HOOF einfach "Freestyle" beziehungsweise sei da gar kein "Style" in der Musik, womit er auf den ersten Höreindruck nicht ganz Unrecht hat. Der etwas nachdenklich und introvertiert wirkende Leo hingegen ist der Meinung, dass es überall "viele gute Musik" gäbe und es schwer sei, sich nur auf eine bestimmte Musikrichtung zu spezialisieren. Seine Philosophie ist einfach, dass "gute Musik einfach nun mal gute Musik ist" und was schlussendlich dabei herauskommt sei eigentlich egal, was ich durchaus so unterstreichen würde.

Da verwundert es auch nicht, dass die Suche nach Mitmusikern, die alle auch in anderen Bands, "von Punkrock bis Electro", aktiv sind, sich über "schmerzvolle" sieben Jahre hingezogen hat. Egal, wie für Leo die Musik, ist dieses Album, das auf dem britischen Label Southern Records erschienen ist, aber garantiert nicht. Es ist vielmehr eines für Musikliebhaber, für Menschen, die gelangweilt sind von Schubladen und immer auf der Suche sind nach neuen Möglichkeiten des musikalischen Ausdruckes. Der konventionellste Song auf dem Album ist dann wohl "Astral suicide", ein fast klassischer 70er Stoner-Rocker, für den man den wohl prominentesten Gast, Lee Dorrian von Leos Hauptband, gewinnen konnte. Leo sieht es aber ganz locker und betont, dass die Gäste auf dem Album "alles Freunde" seien und man "eigentlich noch viel mehr Leute einladen" wollte "aber seltsamerweise alle keine Zeit" hatten.

Leo kann mit CHROME HOOF jetzt auch richtig Gas geben, da im Moment die Zeit reichlich vorhanden ist. Denn "leider machen CATHEDRAL im Moment nicht allzu viel, wahrscheinlich erst wieder nächstes Jahr ein neues Album", momentan habe man eine Bandpause. Die Gründe hat er leider nicht weiter erläutern wollen. Doch er betont, dass CHROME HOOF zwar als Projekt anfing, nun aber zu einer "richtigen Band geworden ist". Man darf den Zehner, der überraschenderweise fair in fünf Frauen und fünf Männer geteilt ist, zwar nun als Band ansehen, wann man sie aber leibhaftig erleben kann, steht vorerst noch in den Sternen geschrieben. Das Problem bei so einer unkommerziellen Musik sei, ob man sich eine "Tour überhaupt leisten" könne, wie Leo betont, bevor er diese Aussage aber auch wieder scherzhaft auflockert, indem er ergänzt, er wüsste halt nicht, wann sie "wieder eingeladen werden, wenn wir überhaupt mal wieder eingeladen werden sollten".

Aussagen wie diese macht den Haufen zu echt umgänglichen Menschen, was ich mir am Abend vor dem Interview nicht hätte träumen lassen, als ich ihren Auftritt miterleben durfte. Hier kann man tatsächlich von einem Erlebnis sprechen, da die Musiker in bester PARLIAMENT-meets-FUNCADELIC-Tradition, die zwei ihrer vielen verschiedenen Einflüsse sind, allesamt nicht auf die bloße Musik setzen, sondern auch reichlich Verkleidung und Showeffekte integrieren. Gehüllt in glitzernde Sciencefiction-Gewänder, teilweise mit grotesken Masken entstellt, überbietet sich jeder von ihnen in Sachen Extrovertiertheit. Und aus allem sticht die schwarze Sängerin mit ihrer souligen Stimme am meisten heraus, sie hat das gesamte Publikum ziemlich schnell in ihren Bann gezogen.

Wenn ich mir die sechs Leute, die mir gegenüber sitzen so anschaue, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass es dieselben wie am Abend zuvor sein sollen. Ebenso verwirrend wie diese Tatsache ist der neue Albumtitel für mich. Frei übersetzt heißt er "verfrühter falscher Freudentaumel", wobei letzteres Wort auf "religiöser Basis zu verstehen" sei, wie Milo mir erklärt. "Also, wenn du denkst, du würdest ein spirituelles Erwachen haben, und dann passiert es einfach nicht." Und alle lachen, außer mir! Leo bemerkt es und ergänzt: "Wir mögen es, Leute zu verwirren." Das glaube ich nur zu gerne.