PUNK'D ROYAL

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Das Finanzamt nervt

Kant bezeichnet ein Phänomen als die Abstraktion des unkennbaren, unwissbaren Dinges an sich, eines in Begriffen Gedachten, dem Noumenon. Dies manifestiert sich nicht unmittelbar im Bewusstsein des Beobachters, sondern wird nur indirekt, als Phänomenon, bewusst. Allerdings ist es auch phänomenal, wenn ein größtenteils minderjähriges Trio aus Düsseldorf ein von Größen wie THE CLASH, RADIO 4, GANG OF FOUR, ARCTIC MONKEY und BLOC PARTY inspiriertes Album aufnimmt und den Ideengebern letztlich beinahe das Wasser reichen kann. Die beiden Brüder Aljoscha (Voc, Git) und Niklas (Bass, Syn) sowie Drummer Matthias gaben Auskunft über ihr Album "Bellyfeel", das eigene Label und die verpatzte Leinwandkarriere.

Ihr hattet ja beinahe einen Auftritt in dem Film "Wecken und geweckt werden. 30 Jahre Punk in Düsseldorf". Wie kam es denn dazu und welche Rolle habt ihr dramaturgisch eingenommen?


Matthes: Wir haben im Juni im Zakk in Düsseldorf bei einem kleinen Festival mitgespielt. Es war brüllend heiß und selbst im kühlen Club lief einem den ganzen Tag der Schweiß runter. Wir haben nicht viel gemacht und plötzlich wurden wir angesprochen und standen auch schon vor der Linse. Das war schon ein berauschendes Gefühl, besonders als wir gehört haben, wer schon alles vor dieser Linse gesessen hat für diesen Film. Leider sind wir aufgrund schlechter Tonqualität nicht in den endgültigen Film gekommen, aber es hat verdammt Spaß gemacht.

Euer Albumtitel "Bellyfeel" stammt aus "1984" von George Orwell, welche Botschaft hat der Titel denn genau für euch?

Matthes:
Die Bedeutung ist, sich einer Idee voll und ganz zu verschreiben und dadurch vielleicht auch ein Stück weit nicht mehr "normal" und man selbst zu sein. Wir hatten genau diese Phase, bevor wir ins Studio gegangen sind. Wir wollten die Songs nach einem Prinzip schreiben und aufnehmen. Als das nicht funktionierte, wie wir uns das vorher gedacht hatten, war es erst mal nicht leicht, die gesamte Situation zu retten. Im Endeffekt haben wir einen Tag Anlaufschwierigkeiten gehabt, aber besonders ich war von diesen Problemen sehr gefrustet. Doch nun ist die Platte draußen und es ist eine geworden, mit der wir alle zufrieden sind. Als wir dann nach einem geeigneten Titel für das Album gesucht haben, stieß Niklas auf genau diesen Begriff in "1984".

Niklas: Bellyfeel ist ja ein zweideutiges Wort. Es heißt, sich einer Idee zu unterwerfen oder sich einer Sache blind hinzugeben. Das kann ja eine schlechte sowie eine gute Eigenschaft sein. In meiner Generation ist es oft so, dass Leute nicht über den Sinn dessen nachdenken, was sie im Moment tun, egal, ob es ihnen Spaß macht oder nicht. Sie tun es einfach, weil sie es tun müssen, obwohl es ihnen keiner vorgeschrieben hat. Das ist für mich Bellyfeel.

Wie seid ihr mit der Resonanz auf das neue Album denn zufrieden?

Niklas:
Sehr! Einige Magazine haben uns über den Klee gelobt und Vergleiche und Parallelen gezogen, die wir uns nicht getraut haben zu erwähnen.

Matthes: Wir sind überrascht, wie viel positive Resonanz wir bekommen und aus wie vielen verschiedenen Kreisen. Es ist wirklich toll und neu zu sehen, wie viele Leute auf das abfahren, was wir mit viel Spaß machen.

Ihr seid mit ziemlich viel Eifer dabei, schließlich betreibt ihr das Label Pretty Pink Records selbst. Welche Erfahrungen habt ihr bisher damit gesammelt?

Aljoscha:
Na ja, ganz verschiedene. Ich habe das Label gegründet, weil ich wissen wollte, wohin uns das Ganze bringt. Mir gefällt meine Rolle als Jungunternehmer ganz gut, wobei es oft nervt, sich um das Finanzamt zu kümmern oder mit Vertrieben zu telefonieren - obwohl die sehr nett sind -, anstatt Musik zu machen. Die Jungs helfen mir viel, aber es ist oft nicht einfach, alles unter einen Hut zu bekommen, es gibt ja noch die Schule, das macht es nicht leichter. Geld verdiene ich mit dem Label kaum, eher mit den Studiojobs, die ich für andere Bands mache. Das Wichtigste ist aber, dass wir im Moment extrem viele Erfahrungen sammeln, wir lernen viele Menschen kennen. Leider manchmal Idioten, aber wir schärfen unseren Blick und haben schon einen Haufen netter Leute getroffen.

Einige große Labels beginnen damit, auf digitale Bemusterung der Presse via Streams und Downloads umzusteigen. Wo siehst du die Vor- und Nachteile?

Aljoscha:
Man spart sicherlich Kosten. Es ist einfach billiger, wenn wir dir statt eines Promopaketes mit Bandinfo, Poster, Aufkleber und natürlich der CD, eine Mail mit einem Link zu einer Pressepage schicken. Ich kann aber jeden verstehen, der lieber was in der Hand hat und sich über eine CD oder Vinyl freut. Ich glaube, es gibt auch genug Leute, die richtig sauer werden, wenn nur eine Mail kommt und der Presse praktisch ein kostenlos reproduzierbares Erzeugnis vor die Nase gesetzt wird. Ich selbst habe eigentlich kein Problem damit, aber ich sehe oft, wie tausend Mails verschickt werden und wie unpersönlich das ist. Da fühlt man sich im Promoverteiler mit echten Platten irgendwie geehrt.

Man muss vielleicht noch hinzufügen, dass ziemlich viele redaktionelle Beiträge in unserem Sektor durch freie Mitarbeit erstellt werden, nun wird der materielle Gegenwert durch einen virtuellen abgelöst. Führt das zum Gesundschrumpfen, oder denkst du, es wird weiterhin viel geschrieben werden?

Aljoscha:
Ja, klar. Wenn du über eine CD schreibst, die du dir im Endeffekt kaufen müsstest, wenn du das ganze Bild sehen willst, sinkt die Motivation, es ist ja fast schon dreist. Ich denke, dass ein physischer Tonträger eine Attitüde transportiert und der Schreiber sich im besten Fall damit identifizieren kann. Das Problem ist ja eigentlich eher, dass die Blogs und Empfehlungen von fiktiven Freunden bei MySpace oder sonstwo die klassische Rolle der Fanzines und Magazine einnehmen. Das Schrumpfen ist Fakt, dass das gut ist, glaube ich nicht. Ich denke, es wird dadurch schwieriger, sich als Redakteur Gehör zu verschaffen. Andererseits sehnt man sich ja momentan auch nach geordneten, kondensierten Informationen.

Euer Cover ziert ein herrliches Playmobil-Modell von einem Konzert. War es euch wichtig, dass sich "Künstler" um das Artwork kümmern, oder war es eher ein Freundschaftsdienst?

Matthes:
Das Cover hat Aljoschas Freundin Steffi mit viel Liebe und Herzblut gemacht. Niklas hat ein bisschen dabei geholfen, doch Steffi hat eindeutig die Fäden in der Hand gehabt. Uns war es in erster Linie wichtig, dass unser Cover in dieser stark medial geprägten Gesellschaft Aufmerksamkeit erregt. Es gibt besonders im Indie-Bereich sehr viele durchgestylte Artworks, aber auch die krassen Gegensätze wie einfach nur ein schwarzes oder weißes Cover mit dezenter Schrift. Wir haben versucht, aus der Masse herauszustechen mit einem Cover, das unsere Liebe zur Musik und unsere Verspieltheit in den Songs auch im Artwork widerspiegelt.

Niklas: Ich fand die Idee perfekt, zumal der Bellyfeel-Gedanke auch aufgegriffen ist, wenn man einmal betrachtet, dass das Publikum in Einheitskleidung gestaltet ist. Mir war es eigentlich wichtig, dass jemand das Cover macht, der viel mit der Band zu tun hat und auch die Arbeit zu würdigen weiß, die in dem Album steckt.

Apropos Freundschaft: wie ist es denn, mit seinem Bruder in einer Band zu spielen, findet da weniger Kommunikation statt, da man sich blind versteht, oder fallen da auch schon mal ruppige Worte, weil man sich das erlauben kann?

Niklas:
Ich glaube, man kann sich eher weniger erlauben, weil man untereinander sehr viel eher Stress bekommt als mit einem Freund. Allerdings weiß auch jeder, was er zu tun hat. Wir haben sehr oft die gleichen Ideen oder Vorstellungen, obwohl wir uns selten absprechen.

Matthes: Aber es hat auch positive Seiten, denn die beiden kennen sich von Haus aus verdammt gut und wissen um die Schwächen des anderen. Konflikte werden durch diese Gabe größtenteils vermieden. Größtenteils, denn es gibt immer Streitereien, auch unter Freunden oder Brüdern.

Ihr seid noch ziemlich jung, euer Sound klingt aber sehr nostalgisch. Hört ihr euch bewusst viele ältere Alben an, oder ist das eher ein Zufall?

Niklas:
Ich finde, dass es nicht immer ältere Musik sein muss, um von älteren Stilmitteln beeinflusst zu werden. Ich glaube, bei uns kommt das mehr von Bands wie ARCADE FIRE oder den ARCTIC MONKEYS, die ja Einflüsse aus vergangenen Musikepochen in ihrem Stil haben. Einflüsse werden also "vererbt".

Matthes: Dass wir nostalgisch klingen, haben wir noch nicht oft gehört. Wir haben auch nicht bewusst nach einem nostalgischen Sound à la LED ZEPPELIN gesucht. Der Trend geht aber meiner Meinung nach allgemein zu älteren, "erwachseneren" Sounds.

Aljoscha: Beim Mischen wollte ich unbedingt einen rauhen Sound haben, etwas roh und meinetwegen auch kaputt. Wir haben alles live eingespielt und wenig Overdubs gemacht. Das ist im Prinzip das Beste.

Düsseldorf hat ja den Ruf der "Modestadt". Wie wirkt sich die Stadt für euch als Band aus, würdet ihr anders klingen, wenn ihr aus Osnabrück kämt?

Aljoscha:
Möglicherweise. Düsseldorf hat zwar den Ruf so zu sein, aber das ist uns irgendwie egal und bewegt mich persönlich eher wenig. Man kann allerdings über die Arroganz oder die heile Welt singen, die einem dort begegnet, das macht schon was aus.

Matthes: Einfluss als Stadt hat auf jeden Fall unser Berlin-Trip auf unsere Musik, aber auch viele Städte, in denen wir schon gespielt haben. Sicherlich ist Düsseldorf aufregender als Osnabrück, einfach weil Düsseldorf die längste Theke der Welt hat. Aber Einfluss auf unsere Musik hat Düsseldorf als Stadt der Mode und High-Society eher nicht.

Niklas: Ich glaube, es ist uns allen wichtig, musikalisch was Frisches und Neues zu machen. Düsseldorf als Stadt ist sehr kurzweilig und rastlos. Das hat sich wahrscheinlich auch auf uns ausgewirkt.