PUNK IN MÜNCHEN

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"Mia san dageng!" - Kruzefix!

Wer hätte gedacht, dass vom 1996 in Münchener gestarteten Fanzine Kruzefix eine Welle durch die Punk-Szene der bayerischen Landeshauptstadt ausgehen würde, die alte wie neue Bands in ihren Bann gezogen hat ... Katz Segers und Olli Nauerz, mittels Fanzine, ihrem Label Aggressive Noise und als Veranstalter das Motivationspaket in Sachen Punk in München, haben in den vergangenen fünf Jahren in den Archiven gewühlt, um von der frühgeschichtlichen Widerstandsentwicklung bis zur heutigen Punkbewegung Material zu sammeln, das dann in ihrem No-Budget-D.I.Y.-Film "Mia san dageng!" verwendet wurde.


Seit Monaten ist der Film bundesweit in den Kinos zu sehen und dieser Tage wird an der Verkaufs-DVD mit massig Bonusmaterial gearbeitet. Unabhängig davon gibt es bereits die CD-Sampler-Reihe "M-Punks United" mit altem und neuem Material vieler Münchener Punkbands. Ein Buch mit unzähligen Interviews und Fotos weit über die bislang im Kruzefix erschienenen Geschichten hinaus wird folgen. Zeitgleich mit der Veröffentlichung der Verkaufs-DVD von "Mia san dageng!" findet das dritte gleichnamige Festival am 24. Mai in der Muffathalle in München statt. Mit dabei THE PACK mit Jörg Evers, die erste Punkband Münchens, die anlässlich einer ultralimitierten Wiederveröffentlichung ihrer allerersten Single "Com' On" (manche behaupten gar, die allererste Punk-7" Deutschlands!) ein allerletztes Mal in Urformation Bayerns Metropole rocken werden. Da sage noch einer, alleine könne man nichts bewegen. Katz und Olli haben mächtig angeschoben, um Münchens Punk-Szene aus der Diaspora zu holen, und haben bereits Ideen für ein weiteres Filmprojekt, aber eins nach dem anderen.

Punk in der Schickeriastadt München, im konservativen Bayern, das klingt erstmal wie ein Gegensatz. Dabei waren die Voraussetzungen für Punk in Bayern gar nicht mal so schlecht, wie Olli zu berichten weiß: "Freiheitsliebend, antiautoritär - gegen die Obrigkeit gab es Volkshelden wie die Wilderer Klostermair, Kneißl, Jennerwein oder den legendären Schmied von Kochel, der den Bauernaufstand 1705 anführte. Später dann die Gründung der anarchistisch geprägten Münchner Räterepublik 1918/19 oder die Schwabinger Krawalle 1962." Wenn man so will, waren die ersten bayerischen Punks solche Querschädel wie Oskar Maria Graf, Karl Valentin, Herbert Achternbuch oder Kathi Kobus. "Für uns hat Punk in München seine Wurzeln auch in der bayerischen Gegengeschichte." Heute findet Olli Gerhard Polt, Hans Söllner, Ringsgwandl oder Bands wie SPARIFANKAL, SIGURD KÄMPFT und WUIDE WACHL bemerkenswert. "Die machen auch guten bayerischen Mundart-Punk-Rock. Die bayerische Sprache eignet sich hervorragend für Musiktexte." Bereits auf der Single-Beilage vom Baierischen Kruzefix konnte man sich davon bestens überzeugen. Der Titelsong "Mia san dageng" und das Stück "Kruzefix" von WUIDE WACHL, das ebenfalls im Film gespielt wird, sind beste Beispiele in Sachen Bazipunk.

Mal abgesehen von der Sprache, von der Mundart, was aber steht ganz typisch für Punk in München? Katz spricht von den härteren Bedingungen in München und in Bayern, vergleicht man andere deutsche Metropolen. "Punks wurden und werden von der Polizei und der von Peter Gauweiler gegründeten Sondereinsatztruppe USK, von den Schwarzen Sheriffs, Lehrern, ‚anständigen Bürgern‘, Rockern und den Medien extrem schikaniert. Hier gab es ebenfalls Hausbesetzungen, nur wurde nicht verhandelt, sondern sofort mit aller Brutalität und Härte geräumt. Hier sollten Punks schon 1982 für Sprühaktionen und Scheibeneinwerfen nach dem Terrorismus-Paragraphen 129a verurteilt werden. Und heute? Erst kürzlich wurden drei jugendliche Punks wegen Steinwerfens auf Beamte zu fünf Jahren Haft verurteilt. Freiräume wie autonome Zentren gab es für die Punk-Szene hier nie - nicht, weil die Szene dafür zu klein oder zu schwach gewesen wäre, sondern weil hier die Null-Toleranz-Linie umgesetzt wurde."

Zwar ist die Akzeptanz in der Gesellschaft gegenüber Punks gewachsen, "aber die Staatsmacht und ihre Vertreter gehen unverändert hart gegen Punks vor. Das führt manchmal sogar dazu, dass sich heute ‚anständige Bürger‘ für Punks einsetzen, wenn die Polizei über die Stränge schlägt. Auch die Presse ist heute offener für die Anliegen der Punk-Szene, so wird zum Beispiel nicht mehr kritiklos jeder Polizeibericht übernommen." Soviel zur Retrospektive und gegenwärtigen Situation für Punks in München. Manches davon wird auch genauer, mal amüsant, mal realistisch im Film dargestellt.

Zum Printmedium Kruzefix und zum Label Aggressive Noise kam später dann noch das Medium Film hinzu. Für Katz und Olli komplettes Neuland, zudem es noch nicht einmal Fernsehen bei ihnen zu Hause gibt. Für beide galt die Punk-Maxime: "Geh los und trau dich - mach was! Das konsequent umzusetzen war eine sehr wichtige Erfahrung und hat auch unseren Punk-Horizont erweitert", wie Olli zu berichten weiß. Katz fügt hinzu, dass vor allem das Zwischenmenschliche eine Belastungsprobe für die Beziehung war. "Wenn man so einen Film gleichberechtigt zu zweit macht und nicht eine/r Boss ist, gibt es logischerweise ‚künstlerische Auseinandersetzungen‘. Und die gleiten schnell ins Persönliche ab, wenn man nicht nur eine ‚Geschäftsbeziehung‘ pflegt."

Unterm Strich aber hat es sich gelohnt und trotz mancher Schwierigkeiten Spaß gemacht, auch wenn so manches Aha-Erlebnis weniger lustig war. So hat man nach zwei Jahren Zusammenarbeit mit einem professionellen Filmemacher alles noch einmal über Bord geworfen, auch wenn dieser mal Punk-Dokus produziert hat. Aber eine Dokumentation über Punk sollte "Mia san dageng!" nun wirklich nicht werden. "Da gab es unzählige Regeln und Grenzen, die uns und vor allem die Leute, die wir interviewten, einschränkten und bremsten. Wir wollten uns nicht an Regeln wie den heiligen Grundsatz, nicht in die Kamera schauen zu dürfen, halten, die vielleicht auf der Filmhochschule vermittelt werden", wie Katz frustriert nach monatelanger Arbeit feststellen musste.

"Unser Anspruch war auch nie, eine vollständige dokumentarische Chronik über Punk in München zu machen", so Olli, der so auch gleich meinen Einwurf, warum eigentlich nicht auch jüngere Punkbands oder Artverwandtes wie Hardcore im Film auftauchen entgegen nimmt. "Es ging zunächst einmal darum, das noch vorhandene Film- und Tonmaterial aus der Ursprungszeit verantwortungsvoll zu verarbeiten, da schon viel davon unwiederbringlich verloren gegangen ist. Das hat uns eindringlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, das noch vorhandene Material für die Nachwelt zu erhalten." Wie etwa Phänomene in Form des Flexhead-Ordens, den Schwarzen Sheriffs oder Freizeit 81, sprich: Ausprägungen und Entwicklungen des Punk, die es nur in München gab, und darauf legen Katz und Olli besonderen Wert.

Nach diesen ersten enttäuschenden Erfahrungen suchte man sich Leute mit Knowhow aus dem eigenen Umfeld, "die uns bei der Umsetzung unserer Ideen unvoreingenommen unterstützten. Die Vorstellungen des Filmemachers von Punk ging immer in Richtung gängiger Klischees à la APPD und genau dieses gängig dumme ‚So sind die asozialen Punker‘-Klischee wollte niemand bedienen. Schließlich wird dieses Bild ausreichend von den entsprechenden Medien beleuchtet. Punk ist doch so viel mehr!" Aber ab diesem Zeitpunkt nahm der Film Formen an, und es folgten motivierende Ereignisse, wie etwa die uneingeschränkte Hilfsbereitschaft aller Beteiligten, ohne die dieses Filmprojekt nicht hätte realisiert werden können. "Besonders beeindruckend", so Olli, "war die Power und ungebrochene Kreativität der Münchner Altpunks. Für die ist Punk nicht etwas Vergangenes, was mit ihrem heutigen Leben nichts mehr zu tun hat." Zumal dieser Film für viele Bands bedeutet, das erste Mal über die Grenzen Münchens hinaus Beachtung zu bekommen. "Selbst so großartige Bands wie PACK, die neben den BIG BALLS AND THE GREAT WHITE IDIOT die erste Punkband Deutschlands waren, wurden und werden in Düsseldorf & Co. immer gezielt ignoriert. Diese Geschichtsverfälschung und Wahrnehmungsstörung war uns auch Antrieb und Ansporn. PACK wird weltweit als eine der besten frühen Punkbands angesehen, ihre Songs sind von vielen Bands gecovert worden - aber schon nördlich der Donau will bereits keiner von dieser Band gehört haben."

Und die Aufklärungsarbeit der beiden Punk-Historiker aus München ist längst noch nicht zu Ende, auch wenn es sich weder um Retrospektive noch um Vergangenheitsbewältigung dreht, wie sich Katz selbstsicher gibt: "Wir selber haben nie aufgehört, in der aktuellen Punk-Szene unterwegs zu sein. Wir veranstalten Konzerte und veröffentlichen Tonträger. Aber das offensichtlich Besondere an der Münchner Szene ist, dass alles sehr lebendig ist. Viele Altpunks sind heute noch aktiv. Alte und Junge stellen miteinander etwas auf die Beine. Im Gegensatz zu anderen Städten gibt es bei den Altpunks und den legendären Bands keinen Starkult. Sie sind ganz normale Menschen geblieben, zum Anfassen, mit denen man bei einem Bier auch ganz normal reden kann. Keine Überheblichkeit, keine Berührungsängste. Geschichte und Gegenwart fließen oftmals ineinander über, und unser Tun und Schaffen hat immer einen starken Gegenwartsbezug." Nie hätten Katz und Olli damit gerechnet, dass sich so viele frühere Bands von ihrem Elan hätten anstecken lassen. Aus Exklusivauftritten für diverse Festivals wurden wieder lebendige Institutionen: CONDOM, A+P, UNITED BALLS oder MARIONETZ, um nur einige wenige zu nennen. Und so werden die beiden weiterhin ihr besonderes Augenmerk auf München richten, auch wenn sie bereits mit dem Kruzefix-Fanzine in Schwerpunktthemen bewiesen haben, dass es durchaus mal international oder themen- und regional übergreifend sein darf. Global denken, lokal handeln. "Dieser Leitspruch passt", meint Olli. "Jeder kann in seinem persönlichen Umfeld etwas bewegen und verändern. Wenn viele so denken und handeln, bewegt sich vielleicht sogar global etwas. Es schadet nicht, sich mit seinem direkten Umfeld und seinen Wurzeln zu befassen."

Jetzt bleibt mir nur noch, Katz und Olli zu wünschen, dass sie irgendwann soviel mit ihren ideellen Projekten erwirtschaften, dass sie nicht ständig alles aus privaten Mitteln vorfinanzieren müssen. "Die Gewinne von Festivals und CD- und T-Shirt-Verkäufen finanzieren den Film. Die Gewinne der Kinoeinspielungen finanzieren die DVD. Die DVD-Verkäufe finanzieren die Verwirklichung des Buches. Auf diese Weise können wir wirklich unabhängig bleiben, obwohl wir natürlich sehr froh wären, wenn uns mal ein Verlag oder ein Vertrieb richtig unterstützen würde."