ARAB ON RADAR

In einem E-Mail-Interview mit Justin Pearson von THE LOCUST, das ich für die aktuelle Ausgabe meines Sunnyside-Fanzines machte, empfohl er mir ARAB ON RADAR als die absolut umwerfendste Liveband. Nach weiterer Recherche stellte ich fest, dass just jene eine Europatour für Herbst 2000 planen, und so hatte ich natürlich nichts eiligeres zu tun, als mich als interessierter Promoter zu präsentieren. Das Konzert am 2.10. im Bischofswerdaer Eastclub war dann eines von nur vier in Deutschland und das einzige im Osten. Leider blieb mir keine Zeit, ein Liveinterview zu führen, so dass wir uns tagsdrauf auf die E-Mail-Variante einigten.
Obwohl es die Band schon gut sechs Jahre gibt, war das doch ihre erste Tour auf dieser Seite des großen Teiches. Sie veröffentlichten ihre letzte Platte auf Skin Graft in Chicago, einem Label, was wohl nicht gerade für eingängige Musik bekannt ist. Vielleicht auch deshalb dieser exklusive Tourrahmen, durch welchen wohl den Meisten dieses unbeschreibliche Liveerlebnis entgangen sein wird. Darum also im Folgenden das Interview mit Jeff, einem der zwei Gitarristen, dessen Bandname ja eigentlich Mr. CD lautet, und der meines Erachtens die Belange der Band am besten zu vertreten weiss.

Wie würdest du eure Musik beschreiben?


"Das kann ich nicht... Ok, das war jetzt eine Klischee-Antwort, weshalb ich versuchen möchte, es in Worte zu fassen, mit denen der Leser auch was anfangen kann. Es ist ein Reiz von einem Sound, der völlig frei von jeglicher politischer oder überhaupt direkter Aussage ist, aber im selben Moment Räume eröffnet, vergleichbar mit einer Lichtung im Wald, in denen ein jeder die Emotionen ausleben und fühlen kann, die er für passend erachtet. Das ist unser Ziel. Viele Leute werden böse, einige fröhlich, einige sind eifersüchtig, einige traurig, einigen ist zum Heulen, und einige werden auch verdammt geil und sexy, was ich persönlich am meisten mag. Meine Kollegen mögen da anders denken, da unsere Meinungen sicher auseinandergehen, aber in meinen Augen ist diese Musik ehrlich und direkt gegenüber all den kleinen Leuten, oder, sagen wir, der Szene. Wir beanspruchen für uns nicht das Etikett "cool" wie viele andere Bands da draußen. Wir wollen nur unseren Spaß und uns lebendig und menschlich fühlen. Ganz schön heftig, oder!?"

Wer ist mit von der Partie und hat sich euer Line-up über die Jahre schonmal geändert?

"Ich bin Mr. CD und spiele Gitarre. Außerdem sind da noch Mr. OCD, Drums, Mr. Tpe A., ebenfalls Gitarre und Mr. Pottymouth schreibt die Texte und singt sie auch. Auch Andrea a.k.a. Anita Spooner auf der Platte war mal dabei. Sie spielte Bass, stieg aber vor gut zwei Jahren aus."

Was macht ihr, wenn ihr gerade keine Musik macht?

"Ich arbeite in einer Bücherei am Rhode Island Collage und studiere da nebenbei noch Psychologie und Philosophie. Ich rauche Gras. Ich gehe in Bars, um Leute zu treffen, und ich hasse es Emotionen zu zeigen. Na und zu meinem Glück probe ich ja noch dreimal die Woche mit ARAB ON RADAR. Darum sind wir so motiviert, denn ansonsten ist Providence eine Art Ghetto für echte Menschen, das dich auffrisst, wenn du es zulässt."

Inwiefern hat diese Gegend einen Einfluss auf eure Musik?

"Wir kommen aus Providence in Rhode Island, dem kleinsten Staat in Amerika übrigens. Es gab da eine ausgesprochen starke Musikszene, DROPDEAD und SIX FINGER SATELLITE waren ganz groß und einflußreich für die Stadt. Es ist hier auch irgendwie wie in Deutschland, besonders wie im Raum München, alles so öde und düster. Es ist eine Fischereistadt und sie wird oft ziemlich respektlos behandelt. Um also hier mal rauszukommen, nach Boston oder New York beispielsweise, muss man stark sein, und deshalb spielen die Leute hier auch so kraftstrotzende Musik. In Providence musst du einfach real sein, oder die Leute lachen sich kaputt über dich, oder schmeissen dich gleich von der Bühne."

Was brachte euch auf die Idee, diese Band zu gründen und wart ihr vorher schon mal in anderen Bands?

"Wir gründeteten die Band, weil wir einsam waren. Ich hatte schon Gitarre gespielt seit ich 13 Jahre alt war, und ich mochte die STOOGES, und war froh vier andere Typen zu finden, denen es auch so ging. Alles entwickelte sich aus dieser Einsamkeit, denke ich, darum sind unsere Shows auch immer 100%. Wir haben sehr persönliche Gründe gut zu spielen und live unser Letztes zu geben. In anderen Bands sind wir nie gewesen."

Wo, denkst du, sind eure Haupteinflüsse zu suchen?

"Also die musikalischen Einflüsse für mich, und nur mich in der Band, sind sicher Chuck Berry, Greg Ginn, Eddie Van Halen - ehrlich! - und Rowland Howard von BIRTHDAY PARTY. Der Haupteinfluß ist aber Mr. Tpe A.. Wir leben voneinander und fordern uns gegenseitig eine Menge ab. Wir versuchen unentwegt herauszufinden, wer zuerst den ultimativen Groove, der am härtesten rockt und unwiderstehlich ist, hervorzaubert. Er ist ist mein Gitarren-Gott, da bin ich mir sicher, genauso sicher wie ich seiner bin. Die Bands, die wir im Moment mögen, haben keinen wesentlichen Einfluss mehr auf unsere Musik. Im Bus hören wir GETO BOYS, Bob Dylan, Woodie Guthrie, LEADBELLY, STOOGES, SLAYER - normalerweise fahren wir ziemlich gelangweilt durch die Gegend, und für gewöhnlich auch stoned, hehe. Es muss Jahre her sein, da wir noch spielten um wie irgendwer anderes als ARAB ON RADAR zu klingen."

Versucht ihr über eure Musik und eure Texte irgendwelche Inhalte zu vermitteln oder betrachtet ihr sie einfach nur als Kunst?

"Nun, das kann man nicht so schwarz/weiß sehen. Was ich definitiv sagen kann, ist, dass die Texte eindeutig Mr. Pottymouth zuzuschreiben sind, und er legt großen Wert darauf, dass sie für ihn, und nur für ihn, einen Sinn ergeben. Alle anderen, sowohl unsere Fans als auch wir anderen drei Bandmitglieder, wissen nie so richtig, was sie bedeuten sollen. Ich denke es sind revolutionäre Dichtungen, die schon eine Wirkung auf mich haben, die ich aber als zu vieldeutig ansehe, als dass sie eine Bedeutung in meinem Lebens haben könnten. Ich kann mich nicht mal genau an sie erinnern und ich bin der Meinung, dass sie nur ein Baustein sind, den wir in unsere Musik einbauen, so wie z.B. ein Drumbeat oder eine Gitarrenlinie. So funktioniert unsere Musik nunmal: eine Struktur ist uns wesentlich wichtiger als irgendeine Aussage. Wer sind wir eigentlich, dass wir uns erlauben sollten, über irgendjemanden irgendwas ernsthaftes zu sagen?!"

Wie kamt ihr mit Skin Graft Records zusammen?

"Skin Graft ist das beste Label, das es gibt. Wir brauchten einen Vertrieb, ein Zuhause, sie halfen uns, einen Booking-Agenten zu finden, und vor allem ist Mark Fisher, der Inhaber, verdammt talentiert und ein cooler Typ mit einem großartigen Geschmack. Ich kaufe Skin Graft-Platten, seit ich angefangen habe zu sammeln, und ich habe immer schon ihren gesamten Backkatalog geliebt. Nun sind wir eine dieser Bands und sehr glücklich darüber, zur Familie zu gehören, und es ist eine nette Familie."

Was ist so besonders an Skin Graft?

"Mark ist ein Künstler und nicht so ein hundertprozentiger Label-Typ, und wenn eine Band kreativ ist, arbeitet er mit ihr, um deren Kunst nicht zu irgend einem Scheiß verkommen zu lassen. Er betrachtet die Platten als Kunstwerke, denke ich, und er versucht bestmöglich die Bedürfnisse und Verlangen der Künstler und des Labels in Übereinstimmung zu bringen."

Was macht euren Sound so furchteinflösend und krass?

"Ambient Drums, hochtönerbepackte Boxen - tweeter cabinets, sehr wichtig! - und schriller Gesang, und die absolute Krönung ist, wenn die Leute, aus welchen Gründen auch immer, mit unserer Musik was anfangen können. Es ist wohl eine Musik des gesunden Menschenverstandes. Ich meine, ist denn Techno oder THE MAKE-UP zeitgemäße Musik!? Ich denke nicht. Die Leute mögen die Realität, und sie mögen die Fantasie, sich die Realität erlauben zu können. Ob das jetzt irgendeinen Sinn macht? Ich weiss, diese Philosophen..."

Welche Rolle spielen Drogen für euch?

"Also wir sind denen gegenüber nicht abgeneigt. Um das alles so durchzuziehen, sind wir auch irgendwie dazu gezwungen, welche zu nehmen. Ich weiss, dass das verboten ist, aber unser Drogenkonsum ist etwas eher Persönliches, und ausserdem rauchen wir nur Pot. Wir mögen es nicht, so viel zu trinken, und wir versauen uns unser Pot auch nicht mit Tabak, sorry, liebe Kiffer in Europa. Wir rauchen halt gerne Gras und relaxen, und das ist doch harmlos, vergleicht man das mal mit diesen Cokehead-Bands und diesen besoffenen Idioten, die in den Staaten und in Europa so beliebt sind. Wir sind da eher ruhig und abgeklärt, ausser halt wenn es an der Zeit ist, es nicht zu sein, verstehst du, was ich meine?"

Seht ihr euch selbst eher in der Rolle des ultimativen Liveerlebnisses oder eher als normale Band?

"Ich sehe in uns schon ein Liveerlebnis, aber unsere nächste Platte, und das verspreche ich, wird echt anders werden, hoffentlich genauso ein Schock für den Hörer, wie der Schock, den wir dem Konzertbesucher versetzen, etwas, was du dir genauso gerne in den CD-Player werfen wirst, wie du es unbedingt live in einem Club sehen willst. Ich würde niemals sagen, dass wir in irgendeiner Beziehung "normal" wären!"

Was waren denn eure verrücktesten Liveshows?


"Letzten Freitag, am 13. Oktober, spielten wir eine große Show in der Knitting Factory zusammen mit MELT BANANA, es war ausverkauft und es hat sich echt gelohnt, diese Show zu spielen. Naja, wir haben so viele verrückte Geschichten erlebt, so war z.B. den Support für MARILYN MANSON zu geben, nicht gerade lustig. Wir haben das mal im Babyhead, einem Club in Providence, gemacht. Die Kids hassten uns total, so dass es zu Ausschreitungen kam. Einige Zähne gingen dabei verloren, das war ganz schön beschissen. Dann spielten wir in Toledo, Ohio für einen 14-jährigen Typen, der keine Werbung für die Show gemacht hatte. Er versprach uns einen Split-7"-Deal mit BRAINIAC, wenn wir bei ihm spielen würden. Er hatte natürlich gelogen. Wir kamen da an und es war total leer, er saß auf einem Stuhl in der Mitte des riesigen Clubs und beobachtete uns. Und wir spielten verdammt nochmal alleine, und ich muss zugeben, wir haben seinen Arsch gerockt. Danach haben wir ihm aber selbigen aufgerissen, als er uns keinen Pennplatz für die Nacht geben wollte! Wir haben so viele Geschichten erlebt und ich freue mich auch, wenn mir Leute ´ne eMail schreiben, wir kommunizieren eh gerne. Ich meine, wir sind zum Beispiel durch die Südstaaten getourt, und wenn du mich fragst, ist das dort alles verrückt."

War das eben eure erste Europatour?

"Ja, drei von uns waren sogar überhaupt zum erstenmal in Europa."

Und wie hat es euch hier gefallen?

"Wir haben es sehr genossen, es war besser als in Amerika. Nicht nur weil es hier allgemein schöner ist, die Leute sind größtenteils gute Freunde, überall. Nächstes Jahr wollen wir wiederkommen, und außerdem möchten wir vielleicht im Frühjahr noch für eine Woche nach Japan gehen, aber das ist bisher nur so´ne Idee."

Euer Bühnen-Setup beinhaltet ja auch eine eigene Art der Beleuchtung, welche aus drei Handlampen aus´m Baumarkt besteht, die ihr jeweils vor den Gitarren-Amps und unterm Schlagzeug platziert und die während der kompletten Show die einzige Lichtquelle darstellen. Was hat es mit dieser seltsamen Lichttechnik auf sich?

"Unser Drummer besuchte die Emerson-Filmschule, und er weiss, dass das richtige Licht wichtig ist, und dass das Licht, das wir benutzen, besonders günstig zum Filmen und für Fotos ist, es entstehen meistens gute Schnappschüsse. Außerdem lässt es unsere Uniformen gut aussehen, und es lässt uns allgemein gut aussehen."

Was sind in deinen Augen die interessantesten Livebands, abgesehen von euch selbst?

"Ich denke die beste im Moment ist OLNEYVILLE SOUND SYSTEM aus Providence, leider kennt sie noch keiner, außerdem sind noch LIGHTNING BOLT, auch aus Providence großartig. Sicher mag ich THE LOCUST ungemein, und ich habe leider BRIDE OF NO NO verpasst, was mich tierisch ärgert, und ausserdem will ich unbedingt wiedermal AZITA von Scissor Girls sehen. Und dann muss ich sagen, dass U.S.MAPLE immer noch interessante Liveshows spielen. Naja, aber mein Geschmack sind in erster Linie Bands aus Providence, die die meisten Leute zwar nicht kennen, aber die Szene hier ist ziemlich einzigartig und verdient mehr Aufmerksamkeit als, sagen wir mal, die in San Diego. Das hier ist eine echte Szene mit vielen, sehr unterschiedlichen und sehr extremen Bands."

Was bleibt nun noch an Vorhaben für die Zukunft über?

"Also erstmal nach Japan, dann zurück nach Europa. Dann werden wir unsere brandneue, im Moment noch nicht mal ganz fertig geschriebene und bei weitem noch nicht aufgenommene Platte "Yaweh or the Highway" nennen, ein religiöses Comeback, oder sowas in der Art. Die will ich auf alle Fälle fertigstellen. Wir haben schon einige Stücke in Europa gespielt, und meiner Meinung nach wird diese Platte die Musik beinhalten, von der ich immer geträumt habe, sie zu hören, schade, dass wir sie erst selbst schreiben mussten. Mann, ehrlich, nur am Leben zu bleiben, mich selbst etwas mehr lieben und auf direktem Wege die Platte zu machen, das ist mein Ziel. Musiker sind einsam und unnütz für die Gesellschaft, weshalb auf diesem Ziel zu beharren eine Menge Willenskraft benötigt. Also versuche ich, versuchen wir, nur am Leben zu bleiben und weiter zu machen, bevor wir nicht mehr können."

Ich wünsche euch, dass ihr noch lange könnt!
Danke für das Interview!