SENORE MATZE ROSSI

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Schlauer halber Kopf

TAGTRAUM sind Geschichte, Sänger Matze Nürnberger hat aber noch nicht genug. Unter dem Decknamen Senore Matze Rossi bringt er nun zum zweiten Mal seine eigenen Songs unter das informierte Volk. Zu Hause hat er aufgenommen, ganz in Ruhe und ganz alleine, nur er, die Gitarre und das Vierspurgerät. Herausgekommen sind zehn Songs voller Herzschmerz, Sehnsucht und Tiefgründigkeit. Anlässlich seines Auftritts im Vorprogramm der WEAKERTHANS und PALE im Berliner Kato ergab sich folgendes Gespräch. Inzwischen hat Matze Rossi hat allerdings seine eigene "Superband" GASTON am Start, mit der er momentan fleißig auf Tour ist.



Wieso habt ihr euch nach 13 Jahren Bandgeschichte entschieden, TAGTRAUM aufzulösen?


Das ist ein langer Prozess gewesen. Es hat Monate gedauert, bis wir uns dann endgültig dazu entschieden haben. Der Hauptgrund ist eigentlich der, dass wir nach 13 Jahren Punkrock - oder was wir darunter verstanden haben - an einen Punkt gekommen waren, wo wir uns ständig wiederholt hätten. Die nächste Platte hätte vielleicht wie "Komm lass es echt sein" geklungen, nur in einem besseren Sound und ein bisschen besser arrangiert meinetwegen. Wir wollten uns selber den Gefallen tun. Lieber aufhören und was Neues machen, anstatt jetzt irgendwie, so wie viele andere Bands, die gleiche Platte immer wieder neu aufzunehmen, nur dass sie besser klingt. Wie zum Beispiel BILLY TALENT, oder wie es die TOTEN HOSEN seit Jahren machen, wie ich finde.



Du bist im Gegensatz zu den anderen beiden von TAGTRAUM solo und ohne Band unterwegs. Wie kamst du dazu, so ganz alleine weiter oder überhaupt Musik zu machen?

Diese Solo-Sachen habe ich ja schon gemacht, bevor TAGTRAUM sich aufgelöst haben. Die erste Platte ist ja 2004 rausgekommen und die ganzen Songs vorher mit TAGTRAUM habe ich ja auch auf der Akustikgitarre geschrieben. Die Stücke sind dann erst im Proberaum ein Bandsong geworden. Und ich wollte halt mal gucken, wie ich es alleine so hinkriege, die Sachen so zu machen. Wie das abgeht und wie es angenommen wird, wenn ich alles selber mache, und nicht, wenn ich mit anderen Leuten Musik mache. Ich mache ja mit Tobi gerade neue Songs und eine neue Band und der Jörg wird, wenn er Zeit hat neben TELE, auch wieder mit einsteigen.



Aha, gleiche Band, anderer Name, auch mal 'ne Idee.

Praktisch TAGTRAUM, nur irgendwie anders, haha. Ja, und mit Tobi mache ich ja auch noch so Elektrosachen. Und mit David, unserem ehemaligen Bassisten, habe ich auch ein neues Projekt angefangen. Er spielt Schlagzeug und ich Gitarre. Also ich mache schon viele andere Sachen, aber am ausgereiften sind wirklich diese Sologeschichten.



Auf deiner ersten Soloplatte waren also quasi die nie bei TAGTRAUM erschienen Songs in Rohform?

Die Rohform von TAGTRAUM-Songs, genau. Sonst war es ja immer eine sehr demokratische Band, wo jeder seinen Teil zu den Songs beisteuern konnte, die ich da angebracht habe. Die haben sich dann auch total verändert. Das störte mich auch teilweise, dass die Songs dann so verfremdet wurden, wie ich es eigentlich nicht gedacht hatte. Das war auch der Grund, weswegen ich mich dann auch 2004 mehr auf die eigenen Songs konzentriert habe.



Was bedeutet dir das Musikmachen? Was ist Musik für dich?

Alles? Haha. Ja, nee. Das ist schon so mein Leben, irgendwie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich irgendetwas anderes so intensiv betreibe, also einen anderen Beruf.



Deine Texte wirken sehr persönlich. Beruhen die auf eigenen Erfahrungen und Erlebnissen oder sind sie frei erfunden?

Ja, schon auf eigenen Erfahrungen. Jeder Song hat schon so eine Geschichte, die halt nicht unbedingt mir widerfahren ist, sondern auch aus meinem Freundeskreis stammt oder was ich halt so mitbekommen habe. Also auf jeden Fall ist nichts so direkt erfunden oder ausgedacht. Es ist alles irgendwie so eine echte Geschichte. Wenn ich über irgendetwas Erfundenes singen würde, könnte ich da auch so nicht mit umgehen oder dazu stehen.



Aber du bietest dadurch ja auch eine gewisse Angriffsfläche, wovor viele Songschreiber Angst haben.

Aber die biete ich gerne, also da können mir gerne alle was ankreiden, das macht mir nichts. Da habe ich ein dickes Fell, haha.



Die neue Platte klingt durch die Akustikgitarre immer noch sehr melancholisch, aber die Texte handeln nicht mehr überwiegend von negativen Gefühlen - sie sind vielmehr voller Hoffnung und in die Zukunft blickend. Wie kam der Wandel?

Das habe ich bei der ersten Platte aber auch gehört, also für mich waren die Songs alle irgendwie Hoffnungsträger. Ich habe sie ja auch aus diesem Grund geschrieben, um mir halt damit irgendwie was von der Seele zu schreiben.



Welche Musik, welcher Musiker beeinflusst dich, in deiner Art und Weise Songs zu schreiben?

Da kann ich jetzt ja nur Namedropping machen, haha. Also Rocky Votolato würde ich sagen, den habe ich sehr viel gehört. Der Song über die Liebeslieder ist ja so eine Anlehnung an das Stück "Suicide medicine" von Rocky Votolato. Dann natürlich Johnny Cash, der ist Wahnsinn, die WEAKERTHANS sind großartig. Die ganzen Sachen, die ich höre, beeinflussen mich natürlich, insofern kann man nicht direkt von Kopieren sprechen, sondern ich versuche, etwas auf meine Art anzunehmen und umzuarbeiten, also zu interpretieren, wenn ich es gut finde.



Deine Debüt-CD "Solo(w) Boy, So- Low" ist noch sehr trashig, "Und wann kommst du aus deinem Versteck?" klingt mehr nach Studio. Hattest du da jetzt einfach Bock drauf, dass es nach mehr klingt?

Es war so, dass ich die erste Platte eigentlich nie irgendwie rausbringen wollte. Die habe ich aufgenommen, weil die Songs bei TAGTRAUM, also bei Tobi und Jörg, eben nicht so angekommen sind. Die wollten die eben nicht so spielen und ich wollte die aber nicht mehr verändern, so wie bei den anderen TAGTRAUM-Songs. Und dann dachte ich, ich muss die aufnehmen, um sie nicht zu vergessen, weil die mir halt schon gefallen haben. Und dann habe ich die einfach bei mir im Wohnzimmer total trashig aufgenommen, mit so einem billigen alten Mikrofon, das ich da hatte, und einem Vierspurgerät. Dann habe ich die Songs meinen Freunden und Leuten vorgespielt und die fanden das großartig und meinten, ich müsse das rausbringen, egal ob es trashig ist oder nicht. Ich habe mich dann halt dazu überreden lassen und schwuppdiwupp waren 500 CDs verkauft. Und von der Kohle habe ich mir dann Equipment gekauft, Mikrofone, Verstärker und solche Sachen und dann konnte ich halt die neue Platte viel besser aufnehmen. Natürlich alles auch mit der Absicht, dass ich sie rausbringe, deswegen habe ich mir auch mehr Mühe gegeben. Daher klingt die Platte einfach besser und eben nicht so



Hast du erwartet, dass dein Solo-Ding und vor allem dein neues und erstes richtiges Album so gut ankommen würde?

Nein. Ich finde es auch immer besser, nichts zu erwarten. Es ist immer besser, wenn man auf dem Boden bleibt und sich sagt: Na, wenn sich das Ganze nicht verkauft und keiner kommt, dann ist's auch egal. Es geht mir nicht darum, dass ich viele Platten verkaufe. Ich verschenke auch immer die meisten, habe ich gemerkt. Gestern habe ich auch schon wieder zehn CDs verschenkt. Ist ja auch schön, die Leute freuen sich.