A WILHELM SCREAM

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The Fine Art Of Career Suicide

Ihre vierte Europatournee führte die US-amerikanische Post-Hardcore- und Melodic-Hardcore-Band aus New Bedford, Massachusetts dieses Mal auch in bislang "unerreichte Gefilde": Tschechien, Slowenien, Spanien, Italien, 28 Konzerte in 30 Tagen, ein Mammutprogramm, das die Band allerdings relativ locker wegzustecken scheint. Hier zahlt sich das jahrelange Touren aus, Profis sind am Werk. Direkt im Anschluss an Europa ging es nach Australien, dann stand eine Runde in den USA an. Dazu die hervorragende letzte Scheibe "Career Suicide" im Gepäck. Alles in allem eine günstige Gelegenheit, die Band auf ihrem Konzert in Hannover im Béi Chéz Heinz zu besuchen. Ich sprach mit Sänger Nuno Pereira.


Als ich eure Alben "Ruiner" und jetzt "Career Suicide" zum Besprechen bekam, hieß es, es wären eure Platten zwei und drei. Tatsächlich sind es aber "lediglich" eure Alben zwei und drei auf Nitro Records. Was ist mit den alten Sachen, haben die noch Relevanz?

Es gab vor langer Zeit schon mal Tapes von uns. Dann erschien das erste Album unter dem Bandnamen SMACKIN' ISAIAH, das dann folgende "Benefits Of Thinking Outloud" ebenfalls, es wurde später noch einmal unter A WILHELM SCREAM auf Jumpstart Records wiederveröffentlicht. Wir sehen eine kontinuierliche Entwicklung in unseren Alben und wir hören alle sehr viel Musik. Also entwickelt man sich automatisch. Und wir haben immer versucht, den nächsten Schritt zu gehen. Es ist witzig, viele Leute finden unsere neuen Alben zuerst meist nicht so gut wie das davor, müssen sich erst an den nächsten Schritt gewöhnen. Und ein paar Monate später ist es dann genau umgekehrt ... So ging es mir übrigens auch meistens mit den Bands, die ich gehört habe. Also wenn die Leute sagen, die neue Scheibe ist nicht so cool wie die davor, dann haben wir, glaube ich, alles richtig gemacht. Wir wollen ja gleichzeitig auch nicht immer wieder dieselbe Platte machen - das wäre langweilig.

Hatten eure Produzenten Bill Stevenson und Jason Livermore in irgendeiner Weise Einfluss auf euren Sound, eventuell sogar auf eure Songs?

In gewisser Weise, ja. Wir haben nicht sehr viel Geld, um unsere Platten aufzunehmen. Und in ein Aufnahmestudio zu gehen, ist nach wie vor sehr teuer. Somit bereiten wir uns sehr intensiv darauf vor, machen mehr oder weniger eine "Vorproduktion" und nehmen Demos der Songs auf. Der Vater unseres Gitarristen Trevor hat ein kleines Studio, das nutzen wir dafür. Wenn wir ins "echte" Studio gehen, dann wissen wir genau, was wir zu tun haben. Wenn Jason und Bill dann dazukommen, sagen sie uns meist, dass wir schlecht spielen, sie nörgeln herum, wir müssen einige Sachen mehrere Male spielen und so weiter. Aber sie wissen nach den bisherigen Produktionen auch, wie ich zum Beispiel am besten klinge, geben mir Tips beim Gesang und erwarten auch eine ganze Menge. Es ist für alle Beteiligten inzwischen sehr viel einfacher. Und ihre Kritik ist definitiv unbezahlbar. Sie haben uns immer weiter nach vorne gebracht. Ein Produzent, der alles schnell abnickt und sofort gut findet, der macht keinen Sinn. Bill und Jason sind absolut professionell, sie wollen das Beste aus uns herausholen. Es gibt natürlich auch noch wichtige andere Leute, die an der Produktion beteiligt sind. Und mit Bill zu arbeiten, ist ziemlich verrückt, er stoppt zum Beispiel ab und zu mal mitten im Take und sagt sowas wie: "Aaaaaaaahh, lasst uns hier doch erst mal eine Pause einlegen und ein bisschen was trinken" - crazy!

Ist Mike Supina inzwischen eigentlich ein festes neues Mitglied bei euch an der zweiten Gitarre? Ich habe gelesen, dass er erst mal diese Tour mitspielt, das klang so, als wäre das noch nicht ganz klar.

Ja, definitiv. Er ist super und wir schreiben auch schon neue Songs zusammen, wollen Ende des Jahres ins Studio gehen. Und wenn du zwei Monate mit jemand auf engem Raum im Bus verbringst, dann ist er sozusagen ein Teil der Familie. Ich freue mich sehr darauf, mit ihm im Studio zu arbeiten, er ist ein unglaublich guter Gitarrist. Das letzte Album war ja auch das erste, auf dem Brian Bass gespielt hat. Da war dann auch eine ganz neue Energie dabei, ein anderes Level. Und ich bin sicher, bei Mike wird das ähnlich sein. Das hier ist auch ganz sicher das bisher beste Line-up von A WILHELM SCREAM. Jedes Mal, wenn wir ein Mitglied verloren haben, kam jemand, der einfach noch besser war. Da hatten wir sehr viel Glück.

Habt ihr eine klassische Ausbildung an den Instrumenten? Es ist sehr tight und musikalisch sehr anspruchsvoll, was ihr so spielt ...

Nein, die Jungs haben sich mehr oder weniger alles selbst beigebracht. Brian hatte wohl Unterricht an der Highschool, aber das ist auch schon länger her. Die vier Instrumentalisten sind halt echte "Nerds", die klimpern ständig herum und lieben das, was sie da tun. Und eine gute Ausbildung heißt ja auch noch lange nicht, dass du gute Songs schreiben kannst. Es gibt unglaublich gute Musiker, die schreiben Songs wie Scheiße, es ist zum Heulen ...

Und kommt ihr alle aus New Bedford, Massachusetts?

Nick, Trevor und ich sind in New Bedford aufgewachsen. Brian kommt aus der Nähe von Toronto in Kanada und Mike ist aus Detroit, Michigan.

Gibt es eine "echte" Szene in New Bedford?

Absolut. Es gibt eine aktive Hardcore-Szene, Skateboarder, Grafitti-Künstler. New Bedford ist eine sehr kulturelle Stadt, obwohl sie so klein ist. Es gibt eine Menge Künstler und Musiker, HipHop und Mode sind ebenfalls angesagt, es herrscht eine große Kreativität in der Stadt. Es gibt dort auch ein Punk/Hardcore-Festival, auf dem extrem viele Hardcore-Bands wie zum Beispiel LIFETIME oder GAMEFACE gespielt haben. Hier haben die Kids von veganem Lifestyle oder Straight Edge gehört, kleine Fanzines machten die Runde. New Bedford ist ein cooler Ort, wie ich finde.

Eure Texte sind sehr komplex und passen sich perfekt der unkonventionellen Musik an, die etwas abseits der üblichen Struktur von Strophe-Chorus-Strophe-Chorus agiert. Entwickelt ihr die Songs alle komplett gemeinsam?

Trevor schreibt einen Großteil der Texte und er ist einer der besten Songwriter, den ich kenne. Er ist auch sehr gut darin, Ideen für Songs zu entwickeln. Und wir alle in der Band haben keine Lust auf einfache Songstrukturen. Wir finden das eher langweilig und probieren gerne verschiedene Dinge aus. Wir haben eine besondere Herangehensweise und einen besonderen Anspruch an die Texte, allerdings nicht auf Kosten von Melodien - obwohl über allem der Wunsch steht, harte und wütende Musik zu machen. Diese ganzen Statements gelten allerdings nur für unsere eigenen Sachen. Wir hören sonst auch viel geradliniges Zeug. DILLINGER ESCAPE PLAN zum Beispiel sind eine fantastische Band, aber dort fehlt mir ein wenig die Struktur und vor allem die Melodie in den Songs. Wir suchen so etwas wie die Grenze zwischen Chaos und den BEACH BOYS, hahaha!

Lebt ihr von der Musik oder arbeitet ihr alle?

Wir arbeiten alle. Nick als Webdesigner, wenn er zu Hause ist. Ich arbeite im Restaurant eines Freundes, das mache ich jetzt seit vier Jahren. Trevor erstellt Siebdrucke, seine Mutter hat einen entsprechenden Laden. Außerdem produziert er ab und zu Bands im Studio seines Vaters. Brian bekommt Geld vom kanadischen Staat, da er keinen Job hat. Mike arbeitet in einem Pizzaladen. Es war nie unser Ziel, von der Musik zu leben. Es wäre natürlich klasse, aber solange wir das hier realisieren können, solange es uns möglich ist, die Touren ohne Minus abzuschließen, ist alles in Ordnung. Früher haben wir immer draufgezahlt, aber inzwischen hat sich das verbessert und wir können unsere Konzerte finanzieren, ohne aus eigener Tasche zu bezahlen. Wir sind halt viel unterwegs und dadurch hat sich unser Status als Band verbessert. Ich weiß nicht einmal, wie viele Platten wir so verkaufen ...

Was kannst du mir zum Artwork der neuen Scheibe sagen?

Wir kennen ziemlich viele Künstler. Und wir hatten dieses Mal die Idee, viele Leute mit der Aufgabe zu betrauen, sich etwas einfallen zu lassen - falls sie Lust dazu hätten. So haben uns ein paar von ihnen Entwürfe geschickt und unser hauptverantwortlicher Designer, ein Freund von uns, hat es umgesetzt. Wir lassen lieber Freunde von uns agieren, die uns kennen und wo es nicht nur um die Kohle geht. Bei dem Titel "Career Suicide" hatte ich verschiedene Ideen, zum Beispiel gingen mir Hahnenkämpfe durch den Kopf, wo es ja auch nur um "fight or die" geht. Oder wir als Band begehen "Career Suicide" - schneiden uns selbst die Kehlen durch. Wobei ich lieber durch meine eigene Hand sterbe, als mich den Standards der Musikindustrie zu unterwerfen. Das betrifft auch unsere Songstrukturen. Also lieber einen "Career Suicide" begehen, als eine Pop-Screamo-Band oder so etwas zu werden.

Ihr macht gerade eine sehr ausgedehnte Tour, seid bereits in Griechenland und Russland gewesen. Wie lief das so?

Es war eine unglaubliche Möglichkeit für uns, wir waren noch nie in diesen Ländern, es war verrückt und sehr spaßig. Weißt du, wir sind jetzt das vierte Mal in Deutschland und Europa, von daher wussten wir, was in bestimmten Regionen ungefähr auf uns zukommen würde. Aber Russland, das war etwas total Neues und es war toll. Wir können es kaum erwarten, wieder dorthin zurückzukehren. Griechenland war auch sehr nett.

Waren die Clubs dort groß?

Nein, es war eher kleiner, so wie hier heute Abend, so 250 bis 300 Leute. Aber die Gigs waren super, die Leute waren aufgeregt und erwartungsfroh, uns dort zu haben, das machte es für uns als Band natürlich leichter. Und es war natürlich schön, nicht vor zwei oder drei Leuten zu spielen. Es war voll und das Publikum war enthusiastisch. Wir hatten viel Spaß dort.

Wie groß ist der Unterschied zu euren vorherigen Touren?

Na ja, es ist unsere erste Headliner-Tour, davor waren wir oft als Support unterwegs. Als Headliner ist das natürlich ein Unterschied. Aber diese Tour jetzt ist uns als Band viel näher, da wir tatsächlich in kleineren Läden spielen, ohne Barrieren und Ordner, das ist nicht so unser Ding. Mehr Punkrock halt.