BETTIE FORD

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Pornococktail-Rock'n'Roll

Cologne - Rock City? Wer in dieser Stadt lebt, der weiß eigentlich, dass das eher einer Wunschvorstellung als der harten Realität entspricht. Abgesehen davon sind die Tage, in denen GLUECIFER und die HELLACOPTERS eine Kracherplatte nach der anderen produzierten und auch mal im Kölner Underground oder im Luxor vorbeischauten, schlichtweg vorbei. Dennoch halten in der Domstadt vier junge Männer diese Fahne hoch und touren sich den Arsch ab. Nach ihrem Debüt "League Of Fools" vor vier Jahren, das manchem Feingeist stellenweise zu platitüdenhaft war, legen Don Ford (Gesang/Gitarre), Silver Revolte (Gitarre), Rock Vegas (Bass) und Brat O' Hara (Drums) jetzt nach. Für "Singapore Sling" hat man sich Zeit gelassen, viel getourt und geprobt und man braucht nun überraschenderweise einige Durchläufe mehr, bis die Songs richtig kicken. Ich traf die Band im Kölner Underground, um mal nachzufragen: warum, wieso, weshalb das alles so ist, wie es ist.


Hallo miteinander. Vier Jahre sind ins Land gezogen. Wie hat sich die Band und was hat sich für jeden von euch persönlich in Bezug auf die Band verändert?

Silver: Also erstmal ist ja ganz offensichtlich, dass wir inzwischen nur noch zu viert sind und auch mit Brat einen neuen Drummer haben. Für mich persönlich würde ich behaupten, dass ich jetzt noch besser Gitarre spiele, vier Jahre älter geworden bin und die Band sich auf jeden Fall insgesamt musikalisch weiterentwickelt hat.

Don: Außerdem ist der Zusammenhalt größer als zuvor. Für mich sind BETTIE FORD inzwischen zu meiner zweiten Familie geworden. Das liegt vor allem daran, dass ich meine andere Band, die FYREDOGS, inzwischen zugunsten von BETTIE FORD aufgegeben habe. Dadurch konnte ich meine volle Energie in diese Band stecken, was dazu geführt hat, dass unser Songwriting anspruchsvoller und wir insgesamt einfach besser und erwachsener geworden sind.

Das liegt doch aber wohl auch daran, dass ihr euch in letzter Zeit im Gegensatz zu früher echt den Arsch abgetourt habt, oder?

Brat: Das stimmt. Obwohl wir meiner Meinung nach noch mehr machen könnten. Ich bin zwar auch beruflich gebunden, aber ich werde alles daran setzen, dass wir bis zum nächsten Album nicht mehr soviel Zeit verstreichen lassen. Unser Basser Rock Vegas ist halt beruflich sehr eingeschränkt, somit können wir nur am Wochenende spielen.

Silver: Trotzdem kommen wir auf 30 bis 40 Shows im Jahr, was echt nicht wenig ist, wenn ich mir andere Bands in unserer Situation anschaue.

Um mal auf die Besetzungswechsel zu kommen. Zuerst ist euer Drummer Töfti ausgestiegen, dann noch Gitarrist und Gründungsmitglied Gitz-O-War. Wie hat die Band das denn verkraftet? Gab es da Auflösungserscheinungen?

Don: Dadurch, dass Töfti seit 15 Jahren ein guter Freund von mir ist, war sein Ausstieg nicht leicht und ich habe echt gedacht, das war es mit der Band. Hinzu kam, dass er damals derjenige war, der sein Instrument am besten beherrscht hat und den anderen Jungs am Anfang viel geholfen hat. Er war einfach eine treibende Kraft, die nicht so leicht zu ersetzen war. Dass das jetzt mit Brat, den ich auch schon sehr lange kenne, auch so gut klappt und er sich so toll bei uns integriert, hätte ich nicht gedacht. Rock Vegas und er sind inzwischen die dicksten Trinkkumpanen. Der Ausstieg von Gitz-O-War hingegen war abzusehen. Er hat zum einen immer schon gesagt, dass er mit 40 aufhören wollte, zum anderen kam bei ihm auch noch Verletzungspech dazu. Am Ende hatte er dann auch keine Lust mehr auf den ganzen Tourstress.

"Singapore Sling" ist also komplett ohne ihn eingespielt worden?

Don: Ja, obwohl ihn unser Produzent Kurt Ebelhäuser noch angerufen und ihn gefragt hat. Aber ihm war das alles zu stressig.

Aber ihr habt ja nicht nur die Besetzung, sondern auch das Label mit dem neuen Album gewechselt - von Punk'n'Drunk/ZYX zu Crafty/PIAS.

Silver: Ja, der Labelwechsel war wirklich eine einzige Odyssee. Es stand ziemlich schnell fest, dass wir das zweite Album nicht mehr bei ZYX machen wollten, und so sind wir, nachdem die ersten Aufnahmen Anfang 2006 standen, mit den Demos von Label zu Label marschiert - ohne großen Erfolg. Drei von 30 Labels haben uns abgesagt, von den anderen haben wir gar nichts gehört. Dass das mit dem neuen Deal geklappt hat, war echt Glücksache.

Warum wolltet ihr weg von Punk'n'Drunk/ZYX?

Silver: Das lag vor allem daran, dass Punk'n'Drunk über einen Vertrieb wie ZYX nicht funktionieren. Wir sind ihnen wirklich dankbar für alles, was die für uns getan haben. Die haben ja die komplette erste CD, DVD und Tour mit allem Drum und Dran bezahlt - das war wirklich super. Aber ZYX sind in erster Linie ein Vertrieb, der Dance-Musik verkauft, was dazu führt, dass deren Verkaufsvertreter nicht wissen, wie sie die Platte an den Mann bringen sollen. Diese Leute haben keine Ahnung von Rock'n'Roll. Die haben es ja sogar geschafft, "Bastards" von MOTÖRHEAD in den Sand zu setzen - eine der besten MOTÖRHEAD-Platten ever. Dennoch haben wir 1.500 Stück verkauft und uns schon einen kleinen Fankreis erspielt.

Stichwort neues Album: Wie zufrieden seid ihr damit?

Silver: "Singapore Sling" klingt definitiv viel ausgereifter als unser Debüt. Die Songs sind besser, wir sind besser geworden und mir persönlich macht es viel mehr Spaß, die Platte zu hören. Besonders wenn ich "Burn" oder vor allem "Coming home" höre, bin ich wirklich begeistert. Wenn das damals GUNS N' ROSES geschrieben hätten, wäre das bestimmt ein Nummer-eins-Hit geworden. Bei dem Song stimmt einfach alles.

Don: Ich finde das Album okay, weiß aber auch als Songschreiber, wo immer noch Macken sind, wo es hätte besser sein können. Zehn Tage Zeit für die Aufnahmen ist halt schon knapp gewesen, besonders auch in der Zusammenarbeit mit unserem Produzenten Kurt Ebelhäuser. Der Mann ist echt ein Musikgenie, aber auch er braucht Zeit, sich zu entfalten bei einem Aufnahmeprozess. Punktum: hätten wir uns mehr Studiozeit leisten können, wäre die Platte bestimmt noch besser geworden. 14 bis 20 Tage wären echt perfekt. Vor allem haben wir aber enorm von Kurts Arbeit profitiert.

Mein erster Eindruck war, dass ihr musikalisch insgesamt viel besser, aber gleichzeitig auch melodischer geworden seid. Also weniger Punk, mehr Rock?

Don: Wir sind bei "Singapore Sling" einfach einen Schritt weiter gegangen als vier Akkorde und fertig. Die Songs sind komplizierter zu spielen, aber wir hatten auch genug Zeit zum Proben, was dem gesamten Sound der Band sehr gut getan hat. Ich finde, BETTIE FORD haben einfach mehr Charakter gekriegt. Außerdem haben wir mehr Experimente zugelassen - besonders wenn ich an die Ballade "Fragile life" denke.

Textlich geht ihr ja auch hier und da andere Wege. Bei "Ode to all the angels" geht es um das Thema Kindesmissbrauch. Das erwartet man ja nicht wirklich von Bands wie BETTIE FORD, oder?

Don: Das ist richtig. Aber das ist für mich persönlich eines der schlimmsten Themen überhaupt, sowohl Missbrauch als auch Vernachlässigung von Kindern. Was ich da in letzter Zeit gehört und gelesen habe, ist schon echt erschreckend. Das Thema regt mich einfach auf und deswegen wollte ich dazu einen Song schreiben, ob man das nun erwartet von uns, ist zweitrangig.

Ist die Platte eigentlich nach dem Cocktail "Singapore Sling" benannt?

Silver: Du hast Recht, dass wir sie nach dem Cocktail benannt haben. Der Drink ist übrigens auch der Lieblingscocktail von Charlie Chaplin. Und wir hatten halt Bock auf so ein asiatisches Layout - und da passt der Titel halt super.

Wie war denn eure Russlandtour?

Don: Das war einfach der Hammer, weil es zum einen kulturell einfach was völlig anderes war und zum anderen die Leute einfach total abgegangen sind. Außerdem waren die alle super freundlich zu uns und sind vom ersten bis zum letzten Akkord völlig ausgeflippt. Das einzige Problem, was wir hatten, waren halt Nazis.

Brat: Ja, das ist echt ein Problem dort und bestimmt wirklich den Alltag der Jugendlichen - besonders in kleinen Orten. Als wir in Kirow gespielt haben, was 1.200 Kilometer von Moskau ist, haben uns eine Menge Kids immer das Gleiche gefragt: Erstens: Was hört ihr für Musik? Und zweitens: Prügelt ihr euch in Deutschland mit Nazis? Die Leute, die wir da kennen gelernt haben, prügeln sich ständig mit Faschos und die stürmen da auch laufend linke Veranstaltungen.

Don: In Kirow mussten wir wegen einer Bombendrohung den kompletten Laden räumen. So was hab ich noch nie erlebt. Die Polizei kam mit einer Hundertschaft, Spürhunden und Maschinengewehren in den Club marschiert. Unsere Betreuer sagten uns dann, dass das Nazis waren. Deshalb haben die auch höllisch auf uns aufgepasst. Immer wenn einer mal nur aus ihrem Blickfeld war, sind die vor Sorge durchgedreht.

Kannten die Russen eigentlich eure Platte?

Silver: Die haben die Platte im Internet gehört. Die konnten wirklich jeden Song mitsingen. Uns ist echt die Kinnlade runtergefallen, als wir die ersten Akkorde gespielt haben und der ganze Saal mitgegrölt hat. Das Irre ist, dass die Leute echt ein riesiges Interesse an deutschen Bands haben. Die kennen wirklich jede Rotzdeutschpunk-Kapelle und tanzen Pogo wie die Hölle.

Brat: Uns sind sogar Leute drei Stunden mit dem Zug hinterher gereist.

Silver: Vor allem waren alle so extrem gastfreundlich und haben sich gefreut, dass wir da waren. Das war der Wahnsinn. Deswegen fahren wir auch bald wieder rüber.

Ihr würdet also jeder Band eine Russlandtour durchaus empfehlen?

Brat: Auf jeden Fall. Dazu muss man sagen, dass wir extrem Glück gehabt haben mit unseren Veranstaltern. Pavel und Igor, die zwei Jungs, die die Tour für uns organisiert hatten, waren einfach fantastisch. Die machen das gar nicht professionell, sondern hatten einfach Bock, eine deutsche Punkband nach Russland zu holen. Beide haben sich einfach um alles gekümmert und ohne sie wären wir wirklich aufgeschmissen gewesen.

Was steht jetzt in Deutschland so an?

Brat: Wir freuen uns erst mal, dass "Singapore Sling" im April endlich erschienen ist, und jetzt wollen wir so schnell wie möglich das dritte Album hinterher schießen. Dann steht eben eine zweite Russlandtour an, und was hoffentlich auch bald klappt, sind eine Japan- und eine Südamerikatour.

Jungs, danke für das Interview.