SHARON STONED

Jetzt ist es also offiziell: SHARON STONED haben bei Virgin unterschrieben. Dennoch wird man sich auf diese Platte freuen können, und das nicht nur deshalb, weil sie schon vor dem Deal im Kasten war. Die einzelnen Songs zeigen schon nach den ersten paar Minuten, daß dieses Album nicht auf eine bestimmte Erwartungshaltung hin produziert wurde. Die Tage der Huldigung des US-Gitarrenrocks sind offensichtlich gezählt und man läßt sich auch mal zu recht experimentellen Ausflügen hinreißen. Die Zeiten scheinen günstig für eine gute Band wie SHARON STONED, jetzt, da deutscher Rock wieder im Kommen zu sein scheint. Hier bahnt sich tatsächlich eine ganz eigene Ästhetik deutschen Indierocks an, den ich vor einigen Jahren noch für unmöglich gehalten hätte. Bestimmte Einflüsse lassen sich natürlich immer noch heraushören, aber nicht mehr so dominant wie noch zu SPEED NIGGS-Zeiten. So wäre "Bring It All To Me" - von der traumhaften City Slang-7", die einen Vorgeschmack auf das Album gibt - ohne Neil Young kaum denkbar.

Die neuen SHARON STONED sind sehr "sophisticated", wie man so schön sagt, der Lärm bildet im Hintergrund einen warmen dichtgewebten Soundteppich, das Schlagzeug ist grundsätzlich dumpf abgemischt und man läßt seiner Melancholie freien Lauf, und versinkt trotz herzergreifender Melodien dabei nicht in einem Meer von Tränen. Zum Zeitpunkt des Interviews ist das alles aber noch gar nicht spruchreif, und von der neuen Platte kannte man auch noch kein einziges Stück. Das Ganze hatte mehr den Anschein eines konspirativen Treffens, wozu sehr gut unser etwas hilfloses Herumstolpern auf schlecht beleuchteten Schrottplatz-Hinterhöfen paßte, bis wir endlich das vor lauter Chaos kaum erkennbare Studio gefunden hatten. Bedingt durch unser LOCUST FUDGE-Interview interessierte natürlich auch, was Christopher Uhe aka Krite mit seinen anderen Bands so fabriziert. Und es verwunderte auch kaum, daß uns hier Schneider (LOCUST FUDGE, HIP YOUNG THINGS) über den Weg lief, denn die Detmolder Szene scheint inzwischen so schwer zu trennen zu sein wie siamesische Zwillinge.


Wie kommt ihr eigentlich in ein Studio nach Essen?

Christopher Uhe: Mit Dirk Oesterwind haben wir damals angefangen. Das müßte sein drittes Studio im Umkreis von 500 Metern sein. Hier haben wir auch '89 die erste SPEED NIGGS-Platte aufgenommen.

Mark Kowarsch: Neben dem Studio reizt mich eigentlich die Arbeitsweise mit Dirk, da er uns kennt und wir mit ihm auch ungewöhnliche Sachen ausprobieren können. Er macht halt allen Blödsinn mit und kommt auch unserem Arbeitsrhythmus entgegen, denn mehr als vier Stunden nehmen wir am Tag nicht auf. Wir versuchen, die Stücke immer halbwegs fertig aufzunehmen, was etwas länger dauert.

Wo kommt die Platte raus, die ihr gerade aufnehmt?

Mark: Das können wir noch nicht sagen, da wir explizit mit zwei Majors verhandeln.

Mit Majors, ist ja ekelhaft. Ich glaub, wir gehen wieder.

Mark: Das ist eigentlich schon okay, deshalb verhandeln wir auch länger mit denen. Denen passen zum Teil unsere Forderungen nicht und uns, wie sie uns rausbringen wollen. Das muß man irgendwie unter einen Hut bringen. Wir behalten unsere Auslandlizenzen und unsere Konzertagentur. Und eventuell können wir eine 500er Vinyl-Auflage rausbringen. Für uns ist das lebensnotwendig, da unser altes Label Snoop Records nicht viel Geld hat. Die wollten die Platte machen, aber wir hätten z.B. kein Video bekommen. Wir müßten uns um zu viele Sachen selber kümmern und deshalb hatte ich Angst, daß wir dadurch untergehen.

Und was ist mit dem vielbeschworenen Independent-Gedanken?

Mark: Da scheißt der Hund drauf. Die kleinen Labels arbeiten mittlerweile doch genauso extrem.

Christopher: Im Punk/HC-Bereich mag das vielleicht noch anders sein, aber im großen und ganzen setzen sich überall eher künstlerfeindliche Tendenzen durch, was sich bestimmt so weiterentwickeln wird. Wenn jemand auf unsere Forderungen eingeht, ist mir egal, ob das ein Major oder ein Indie-Label ist.

Was macht euch überhaupt für einen Major interessant? Es gibt genug Amibands, die hier trotz Major den Bach runtergehen und höchstens 2.000 Platten verkaufen.

Christopher: Das fragen wir uns auch.

Mark: Wenn ich mir das deutsche Programm der beiden Majors anschaue, weiß ich, warum die uns haben wollen. Damit die auch mal eine deutsche Band haben, die vernünftige Musik macht. Sag ich mal ganz selbstsicher. Die haben auch DIE STERNE gesignt und wollen nicht nur so kurzlebige Sachen machen, sondern auch mal eine Band aufbauen. Die kennen uns auch schon seit 1989. Natürlich sind wir keine Hitparaden-Band, das wissen wir und das wissen die. Wenn ein A&R-Typ kommt und sagt, "bleibt auf jeden Fall so noisy und lo-fi, bewahrt euren Sound", das ist dann für mich das wichtigste.

Ein Labelname schlägt sich aber auch immer auf das Image nieder, da das Publikum weiß, daß es sich auf bestimmte Labels qualitativ verlassen kann.

Mark: Das ist ein Nachteil an der Geschichte, aber dadurch, daß ich die Promotion in der Hand habe, kann ich sehen, daß auch im Fanzinebereich etwas passiert.

Warum habt ihr die Platte nicht über Brinkman gemacht, da machst du doch die Promotion in Deutschland?

Mark: Brinkman läuft im Moment überall besser als in Deutschland, was aber nicht unbedingt am Vertrieb liegt. Das ist das Label Nr. 38 von EFA und deshalb tun sie da nicht sonderlich viel. Können sie wahrscheinlich auch nicht, weil sie überlastet sind. Brinkman wollten eigentlich eine Platte vom COCOONING ORCHESTRA rausbringen, aber wir kommen mit NOTWIST nicht mit den Aufnahmen an den Start. Eine FAMILY AFFAIR-Platte war auch in Planung, aber das gibt wohl dieses Jahr nichts mehr.

Es fällt mal wieder auf, daß in euren Gefilden eine weit verbreitete Musiker-Inzucht besteht. Das mag bezüglich der Kreativität ja inspirierend sein, aber scheinbar hemmt es auch Produktionsprozesse.

Christopher: Nicht, daß ich die Probleme wegdiskutieren wollte, aber gemessen an anderen Szenen, die eng zusammenhängen, kriegen wir schon eine Menge zustande. Wir nehmen uns meistens mehr vor, als realisierbar ist. Letztes Jahr war es besonders extrem mit Veröffentlichungen, die aus diesem Kreis kommen. Die FAMILY AFFAIR-Sache ist das beste Beispiel, denn sowohl wir als auch NOTWIST machen daneben andere Sachen, die man sehr ernst nimmt und die deshalb viel Zeit erfordern. Dadurch, daß da ein ein regelmäßiger Austausch stattfindet, kommt man ideenmäßig schon weiter. Es hat bisher allen beteiligten Seiten ganz gut getan. Wir haben auch insgesamt eine Superszene.

Manchmal erscheint es mir so als verwässere die ständige gegenseitige Beeinflußung den persönlichen Stil. So fand ich die City Slang-7" zwar sehr gut, aber irgendwie ziemlich NOTWISTig.

Christopher: Sehr interessant, daß dir das so stark aufgefallen ist. Bei der Aufnahme von "Tape" waren die NOTWIST-Leute aber zum Beispiel gar nicht dabei, das Klavier ist erst später dazugekommen. Bei "Superbossanoah" hört man es deutlich, weil sie da direkt beteiligt waren, aber bei "Bring it all to me" fände ich es etwas weit hergeholt. Es kann natürlich sein, daß man den Einfluß über die längere Zusammenarbeit hört.

Mark: Ich finde schon, daß die Platten der Bands unterschiedlich klingen. Vielleicht ist es live nicht so und daran müssen wir arbeiten. Wir haben jetzt einen neuen Bassisten und werden als Trio spielen, damit nicht immer dieselben Leute auf der Bühne stehen. Von unserer Agentur Powerline haben wir schon gehört, daß das nicht so gut ist für die Band, die danach touren will und bei der eventuell ähnliche Leute mitspielen.

Mit der ersten SPEED NIGGS-Platte seid ihr ja damals noch als "Amirock" zwischen LEMONHEADS und Neil Young klassifiziert worden...

Mark: ... und Jimi Hendrix.

Christopher: Im Fanzine-Bereich ist das alles etwas detaillierter, aber die Leute, die ihre kurzen Statements darüber schreiben, brauchen aufgrund mangelnder Kompetenz solche Vergleiche, damit das jeder Idiot versteht. Meiner Meinung nach bringt es das relativ selten, solche Vergleiche ranzuholen. Bei uns war die Klassifizierung ja auch nicht so weit hergeholt und stimmte mit unserer Grundidee überein. Ich hab halt immer Neil Young, DINOSAUR JR., SONIC YOUTH und HÜSKER DÜ gehört, insofern ist klar, daß sich das in den eigenen Sachen ausdrückt. Es wäre auch lächerlich zu behaupten, daß diese Dinge, die man gehört hat, keinen Einfluß auf einen haben.

Mark: Das lag auch an der SPEX, obwohl die uns echt geholfen hat. Wir haben uns im Frühjahr '89 gegründet und dreimal geprobt. Von den Sessions haben wir ein Walkman-Demo losgeschickt und sofort Angebote von einigen guten Indielabels wie Big Store und Glitterhouse bekommen. Im selben Jahr waren wir direkt mit DAS DAMEN auf Europa-Tour. Sofort nachdem die Platte raus war, war sie Platte des Monats von Diedrichsen in der SPEX. Das war schon Wahnsinn.

Wie wurden die SPEED NIGGS dann zu SHARON STONED?

Christopher: Mark hatte einfach ein paar Demos, die ich '94 aufgenommen hatte, weggeschickt und SHARON STONED draufgeschrieben. SHARON STONED deshalb, weil wir mal eine Funband hatten, bei der Leute aus Marks Familie und auch ich mitgespielt haben. Live wurde das als FAMILIE KOWARSCH & SHARON STONED angekündigt. Wir sind dann mal bei Snoop Records vorbeigefahren, weil wir die Platte auch machen wollten, und da lagen schon fertige SHARON STONED-Infos mit alten SPEED NIGGS-Photos rum, die bereits auf der PopKomm verteilt worden waren. Da war die Entscheidung natürlich gefallen, vor allem weil da zehn Mille auf dem Tisch lagen. Wir dachten dann, wir machen die Platte und stecken uns das Geld ein.

Kann man mit so einem müden Kalauer wie SHARON STONED überhaupt Platten verkaufen?

Christopher: Das entwickelte sich auch ganz anders, als wir uns das gedacht hatten, denn die Platte lief richtig super. 10.000 Stück gingen davon weg. Jetzt kommt die Platte auch in Japan und in den Staaten heraus. Das war eine Verkettung glücklicher Umstände und ab einem bestimmten Punkt war der Name auch egal, weil er auch nicht blöder war als der Name, den wir vorher hatten.

Mark: Viele finden den Namen auch super, was ich nie ganz glauben kann. Ich hoffe, der etabliert sich bald. Wenn uns das nicht schaden würde, hätte ich keine Skrupel, uns sofort umzubenennen.

Sind SHARON STONED für euch eigentlich eine konsequente Weiterentwicklung der SPEED NIGGS?

Christopher: Eigentlich nicht. Das meine ich nicht arrogant, aber wenn du ein paar Jahre ein bestimmtes Ding machst, dann entwickelst du einen persönlichen Stil, der verschiedene Facetten haben kann. Als wir mit Jan Beigel, dem alten SPEED NIGGS-Bassisten, Sachen aufgenommen haben, haben wir erstmal stundenlang alte SPEED NIGGS-Stücke gespielt. Das war ziemlich interessant, weil wir die fünf Jahre nicht gespielt haben. Aber es geht nicht darum, alte Sachen fortzuführen. Jede Platte dokumentiert den gerade aktuellen Stand der Dinge. Wir wollen auch unsere Ideen möglichst spontan umsetzen, ohne daran einen bestimmten Plan zu knüpfen, wie bei der City Slang-Single. Da mußte der Christof Ellinghaus auch erstmal schlucken, weil eine sechsminütige A-Seite keine Radiostation spielt.

Als Nichtmusiker hat man so gewisse Scheirigkeiten sich vorzustellen, wie bestimmte Sachen entstehen, weil man nur das Ergebnis kennt.

Mark: Die neuen Sachen sind erst alle hier im Studio entstanden. Ich habe sie zum ersten Mal hier kennengelernt. Nur Krite kannte die vorher.

Christopher: Wenn ich ein bestimmtes Stück habe, weiß ich in den meisten Fällen auch, was ich dazu spielen will. Egal ob ich das Stück auf dem Klavier oder der Gitarre komponiere, weiß ich schon wie das später von der Band gespielt werden soll. Wir spielen höchstens mit den Aufnahmearten herum, aber wir stückeln nichts zusammen, der Song an sich bleibt immer gleich. Das unterscheidet uns von Bands wie SONIC YOUTH, die entwickeln erst im Studio ihre Songs.

Mark: Aber es ist nicht so, daß außer Krite hier niemand etwas zu sagen hätte. Man kann immer noch über bestimmte Sachen beraten.

Im Info zum Rerelease der ersten SPEED NIGGS-Platte wurdet ihr als eine Art "Detmolder Grunge in Pre-NIRVANA-Zeiten" bezeichnet. Was haltet ihr denn davon?

[b] Mark:
Nur soviel: Wir hätte fast mal mit NIRVANA gespielt, als wir mit NAKED LUNCH auf Tour waren. Wir sollten zusammen mit NIRVANA und URGE OVERKILL drei Shows in Österreich spielen, und das klang natürlich super. Aber dann wurden leider die Gigs in Österreich und Schweiz gecancelt und wir der Chance beraubt, unserer Biographie ein schönes Detail einzufügen.

Thomas Kerpen und Joachim Hiller