KALTFRONT

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Ist das Bier alle?

Nachdem zuerst die verschwendete Jugend der frühen Punk-Jahre in Deutschland-West wieder in Erinnerung gerufen wurde, folgte fast schon automatisch die Aufarbeitung der Szene auf der anderen Seite der Mauer unter dem Titel "Too Much Future", inklusive Film, Ausstellung und drumherum gelagerter neuer Lebenszeichen alter Protagonisten. Fairerweise muss man aber KALTFRONT, die auch Bestandteil dieser Thematik sind, zu Gute halten, dass die Beweggründe für ihre Wiederbelebung nach gut fünfzehn Jahren Funkstille mit der nun wieder gegebenen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wenig gemein hatte. Die vier Dresdner trieb ganz profan die Lust am Musikmachen wieder auf die Bühne und mit Ostalgie möchten sie so gar nicht in Verbindung gebracht werden, wenngleich man natürlich aber dennoch kurz einen Abstecher in die Bandgeschichte wagen muss, um auch all jenen, die mit dem Namen eher wenig anfangen können, das nötige Basiswissen zu vermitteln.


KALTFRONT gingen 1986 aus den Dresdner Punkbands PARANOIA und SUIZID hervor und erspielten sich schnell einen Namen in einschlägigen Kreisen. Dies lag vor allem auch an ihren tiefsinnigen Texten, die vielen Leuten aus der Seele sprachen. Mit der Wende brach die Band auseinander, die Musiker zogen ihrer Wege, und ihr offizielles Abschiedskonzert war eine Support-Show für die TOTEN HOSEN 1990 in der Dresdner Scheune. Sonic Jörg sagt dazu: "1990 hatten wir erst mal genug voneinander und von KALTFRONT, was sicher zum Teil auch an den Veränderungen lag. In dieser Zeit haben sich viele Bands im Osten aufgelöst oder zumindest gewandelt. Jeder Einzelne von uns hat sich mit diversen anderen Projekten beschäftigt, ohne dass wir uns ganz aus den Augen verloren haben. Das Interesse der Fans an der Band riss nie ab, die alten Tapes wurden kopiert und weitergegeben. Auch die jüngere Punker-Generation wurde dadurch auf KALTFRONT aufmerksam. Nicht selten wurden wir dazu motiviert, wieder aufzutreten. Dagegen haben wir uns lange gesträubt. Mir erschien es früher auch völlig absurd, noch mal mit KALTFRONT zu spielen. Aber irgendwann war die Zeit reif, und erstaunlicherweise lief dann alles ganz unproblematisch. Im Oktober 2005 sind wir sozusagen als Test ‚unangekündigt‘ in der Groovestation Dresden aufgetreten. Avisiert waren MR. BROWN und die BOTTLES, eine Band, die eine CD mit KALTFRONT-Coverversionen veröffentlicht hatte. Allerdings verbreitete sich sehr schnell das Gerücht, dass wir auch spielen würden, und der Laden war brechend voll. Zwei Monate später fand dann das offizielle Reunion-Konzert im Kurländer Palais statt und da war total die Hölle los."

Dort standen dann neben den einzigen beiden verbliebenen Gründungsmitgliedern, Sonic Jörg, schon immer Bassist und Sprachrohr von KALTFRONT, und Blitz an der Gitarre, auch Tom, der schon mal zwischen 1987 und 1988 bei ihnen sang, und Drummer Micha auf der Bühne. Letzterer war erst 2005 hinzugekommen, da der Kontakt zu ihrem alten Schlagzeuger dann doch abgerissen war.

Dass man auf einer Nostalgiewelle, getragen von Wiederveröffentlichungen alter Platten, nicht lange schwimmen kann, war Jörg schon lange klar, und so machte man sich umgehend ans Schreiben neuer Stücke. Er meint dazu: "Ich glaube, wenn man in einer Band spielt, will man immer was Neues machen. Ewig das Gleiche zu spielen, nervt doch. Mir macht das Herumfrickeln und -probieren an neuen Sachen großen Spaß. Auch live spiele ich lieber neue Songs. Wobei es leider immer etwas dauert, bis die auch vom Publikum akzeptiert werden. Bei den ersten Reunion-Gigs kamen viele Veteranen, die uns von früher kannten. Die wollten uns noch einmal mit den alten Songs hören, möglichst im gleichen Sound wie 1987, und dann sterben. Musikalische Veränderungen, textliche Abweichungen und neue Ideen wurden da noch argwöhnisch zur Kenntnis genommen. Inzwischen kommen aber mehr Jüngere und wir haben erfreut festgestellt, dass bei denen die neuen Stücke besser ankommen und auch mitgesungen werden."

Dabei ist mittlerweile ja einiges geschehen: Ihr Drummer Micha hat Jahre lang eher in Rock'n'roll-orientierten Punk-Formationen gespielt, Gitarrist Blitz widmete sich neben seiner Tätigkeit als Soundmann in einem der besten Clubs der Stadt, vermehrt der Jazzgitarre und spielt nebenher noch in einer Swing-Formation namens KATHIE MONROE BAND, und auch Jörg wandelte zwischenzeitlich mit Kontrabass auf Rockabilly-Pfaden oder spielte mit CRAZY HORST eigenwillige, punkige Neil Young-Coverversionen. Inwiefern sich diese Ausflüge auf die neuen Songs auswirken, wollte ich wissen. "Die vielfältigen musikalischen Aktivitäten wirken sich sicher auf die handwerklichen Fähigkeiten aus, aber nicht unbedingt auf den Sound. Natürlich probieren wir hier und da mal was aus, aber das meiste passiert eher unbewusst. Wir versuchen nicht krampfhaft modern zu klingen. KALTFRONT wird sich immer wie KALTFRONT anhören. Manchen gefällt's mehr, manchen weniger, aber das ist normal."

Dennoch möchten sie sich bewusst lösen vom ewigen Klischee der Ostpunkband, was Jörg ein tiefes Anliegen ist, gerade im Hinblick auf die "Too Much Future"-Ausstellung, in deren Kontext die Band eigentlich gar nicht mehr passte: "Die Ostpunk-Ausstellung hatte nichts mit KALTFRONT zu tun. Dort ging es hauptsächlich um die Zeit am Anfang der 80er Jahre, als Punk noch richtig Underground war und die Bands keine Chance hatten, legal aufzutreten. Ab Mitte der 80er gab es ja in der DDR ein paar Veränderungen und Erleichterungen. KALTFRONT entstand 1986 und da nannte man so was ‚Die anderen Bands‘ und hat es halbwegs geduldet. Wir wurden weitestgehend in Ruhe gelassen. Wobei ich es nicht ganz verharmlosen will: auch bei Blitz und bei mir ist damals die Stasi angetanzt. Gelegentlich haben uns Veranstalter gesteckt, dass bei anstehenden KF-Konzerten ‚Alarmstufe Rot‘ bei den Staatsorganen geherrscht haben soll. Als Lutz Schramm vom damaligen Jugendradio DT64 eine Aufnahmesession mit uns machen wollte - was ja mit anderen Bands wie den SKEPTIKERn problemlos geklappt hat -, wurde von oben aufs Entschiedenste interveniert. Die Ostpunk-Ausstellung war nur insofern für uns relevant, dass wir zur Abschlussparty gespielt haben. Die stand unter dem Motto ‚Erbe des Ostpunk‘. Da KALTFRONT von Mitgliedern der Dresdner Underground-Bands SUIZID und PARANOIA gegründet wurde, passten wir ganz gut. Ansonsten bin ich, wie schon mehrfach geäußert, mit dem Thema ‚Ostpunk‘ durch. Wir können die DDR-Vergangenheit nicht leugnen, aber das ist jetzt zwanzig Jahre her. Lasst uns in Ruhe damit!"

Dennoch ereilen uns noch zwei Wiederveröffentlichungen alter, bisher nur auf Vinyl und Tape erschienener Werke auf CD - wie geht das zusammen, wenn man sich doch davon lösen möchte? "Es spricht nichts dagegen, unsere Altlasten ordnungsgemäß aufzuarbeiten. Es ergibt sich auch fast zwangsläufig, die beiden LPs als CDs wieder zu veröffentlichen. Ich habe einfach die Nase voll, beim Merch-Verkauf nach unseren Konzerten, den doofen Scherz zu hören: ‚Kann ich die Schallplatte in meinem CD-Player abspielen, hahaha ...‘ Ungelogen, der Satz kam oft. Wenn man Vinyl rausbringt, erntet man viel Schulterklopfen von den Nostalgikern und Sammlern. Aber wenn die sich eingedeckt haben, stellt man schnell fest: Die meisten Leute haben heute keine Plattenspieler mehr. Da wollten wir schnell CDs machen, solange es noch CD-Player gibt! Ich schätze, auch das hat sich bald erledigt. Also das CD-Reissue von der Best-Of-LP ‚Zieh dich warm an‘ erscheint am 10.10. mit sechs Bonustracks gegenüber der LP bei Teenage Rebel. Bei der Live-LP gibt es noch einen anderen Grund. Die erschien 2000 bei Rundling Records und Eastcore in einer Auflage von 555 Stück, und die waren schon kurze Zeit später ausverkauft. Da wurde schon oft nach einer Neuauflage gefragt. Die ist fest eingeplant, aber es gibt noch keinen konkreten Termin."

Und wie sieht es dann mit den neuen Ergüssen aus? "Ein paar Stücke kann man sich auf unserer Homepage anhören. Als wir die Demoaufnahme von ‚Geisterstadt‘ auf MySpace gestellt hatten, wurde es von erstaunlich vielen ‚Freunden‘ schnell als Profilsong geaddet. Wir werden von Zeit zu Zeit ins Studio gehen, bis genug neues Material für eine Platte da ist. Wir gehen das alles ganz gelassen an, ohne Zeitdruck. Wir sind nicht so die Möchtegern-Vollprofi-Poser, die sich und ihre Gurkentruppe oberwichtig nehmen. Wir versuchen es, eher locker zu sehen und mit einem gewissen Abstand ..."

Abseits der Punkrock-Pfade ist mir aber auch von einem Theaterstück zu Ohren gekommen, bei dem KALTFRONT wohl ihre Finger in irgendeiner Form im Spiel haben sollen. Jörg sagt dazu: "Die Regisseurin und Schauspielerin Manja von Wildenhain hat mehrere Konzerte von uns gesehen. Bei ihrer Arbeit mit dem Texten von Heiner Müllers ‚Medea‘ ist ihr aufgefallen, dass Textpassagen unserer Songs, übrigens unabhängig voneinander entstanden, fast wortgleich mit Passagen aus dem Stück übereinstimmen. Das brachte sie auf die Idee, die beiden Elemente der Kunst, also Theater und Musik, zusammenzubringen. Nach ein paar gemeinsamen Proben mit den Schauspielern haben wir uns dann entschieden, für die musikalische Bereicherung des Theaterstückes zu sorgen."

Fragt sich nur, wie eine Punkband wie KALTFRONT dazu passt: "KALTFRONT sollte eigentlich von Anfang an keine 08/15-Punkband sein. Wir wollten uns von musikalischen Zwängen befreien und andere Einflüsse verarbeiten, und so sehe ich das auch mit solchen Projekten. Das ist für mich mehr Punk, als bis zum Tod die selben drei Akkorde zum Uffta-Beat zu schrammeln. Trotzdem denke ich, dass durch unsere Sozialisation immer ein gewisser Punk-Faktor da ist - auch wenn wir Swing spielen!"

Bliebe für mich die Frage am Ende, inwiefern sich ein Urgestein wie Jörg mittlerweile mit der Frage auseinandersetzt, ob der Punk von heute als solcher nicht eher eine Totgeburt ist? Er winkt ab und sagt: "Mich beschäftigt im Alltag eher die Frage: Ist das Bier alle? Ob Punk tot ist, wird schon seit 1978 diskutiert. Bis heute fand man keine endgültige Antwort. Schön, dass es auf der Welt Rätsel und Geheimnisse gibt, die nie entschlüsselt werden."

Frank Nice