RISE AGAINST

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Change yourself or you won't change anything

"Change", also "Wandel", ist ein Wort, das sich nicht nur in der Punkrock- und Hardcoreszene zu einem oft gebrauchten Begriff entwickelt hat. Im Prinzip wenig verwunderlich, standen doch die progressiveren Definitionen von Punk und Hardcore schon immer für Weiterentwicklung und damit für Wandel. Eine gewisse Lethargie breitete sich aber in den Neunzigern auch in Teilbereichen der Szene aus, und es brauchte erst George W. Bush, den wohl katastrophalsten Präsidenten der USA, um die Lust auf "Change" wieder zu wecken. Während Bush Kriege vom Zaun brach, lief die (Re-)Politisierung der Szene auf breiter Basis an, und wenn man George W. Bush also für etwas dankbar sein kann, dann dafür, dass Punkrock auf breiter Basis wieder etwas von dem Biss gewonnen hat, den er während der Reagan-Jahre in den Achtzigern hatte. Beteiligt daran war auch Fat Mike von NOFX und Boss von Fat Wreck Chords, der im Vorfeld der letzten Präsidentschaftswahlen die "Rock against Bush"- und Punkvoter.com-Kampagnen mitinitiierte.


Stolz darauf, Teil dieser Kampagnen gewesen zu sein, ist auch Tim McIlrath, Sänger, Texter und allseits bekannter Frontmann von RISE AGAINST. Selbige haben sich zwar längst von Fat Wreck getrennt und sind schon zu Zeiten der letzten Kampagne gegen George W. zum Major Universal gewechselt, ihr Wechsel macht aber die Ambivalenz solcher Deals klar. Denn weder sind die Indies allein die Guten, noch sind die Majors allein die Bösen - sollte man zumindest meinen, wenn man RISE AGAINSTs Werdegang seit dem Release ihres ersten Universal-Albums "Siren Song Of The Counter Culture" betrachtet. Die politische Aussage der Band wurde seit dem Majordebüt und dem Nachfolger "The Sufferer And The Witness" immer klarer. Die vegetarisch lebende Band unterstützt seit langem konsequent Organisationen wie Amnesty International und die Tierrechtsorganisation PETA und erreichte durch die wachsende Beliebtheit auch immer mehr Leute mit ihrer Message. Experiment "Mehr Aufmerksamkeit für die gute Sache durch Majordeal" gelungen? Soweit wohl schon, und auch Tim blickt erfreut auf die Zeit seit "Siren Song And The Counter Culture" zurück. Es gibt aber noch andere Gründe, McIlrath dieser Tage zu sprechen: Das neue Album "Appeal To Reason", das auch ein klein wenig "Wandel" ist. Musikalisch verbindet es den bewährten melodischen Hardcore-Punk der Band mit neuen, rockigen Momenten. Inhaltlich beleuchtet es auf eindrucksvolle Weise das Leben vieler Menschen in diesen Tagen. Auffallend dabei ist vor allem der aus Sicht von amerikanischen Soldaten geschriebene Song "Hero of war", der beispielhaft das neue textliche Level der Band aufzeigt und Ansatzpunkt ist, McIlraths Verständnis von Armee und Heimatland zu beleuchten. Jenes Heimatland steht bekanntlich im November selbst vor einem (möglichen) Wandel, vor der Wahl eines neuen Präsidenten, zu denen der Fan von Huxley und Orwell eine Menge zu sagen hat.

Tim, du giltst als ausgesprochener Fan von Aldous Huxley und George Orwell, in deren düsteren Zukunftsvisionen "Brave new world" und "1984" weit reichende staatliche Kontrolle ein zentrales Thema ist. Was hat dich als Jugendlicher an diesen Autoren fasziniert?

Du wirst lachen, aber der Ursprung meiner Liebe zu den Autoren liegt darin, dass ich früher ein totaler Science Fiction-Nerd war. Alles, was mit Science Fiction zu tun hatte, habe ich als Kind förmlich aufgesaugt, ganz gleich, ob es Filme, Bücher oder Comics waren. Irgendwann bekam ich dann einige dieser Bücher über vermeintlich utopische Gesellschaften in die Hände und begann, mich für sie zu begeistern. Sie hatten ja einen ganz klaren Science Fiction-Einschlag, verbanden das aber mit realen gesellschaftlichen Bezügen, nicht ganz so fiktiven Dingen, anders als man das bei reinen Science Fiction-Geschichten kennt. Als ich mich dann mehr mit dieser Art von Literatur beschäftigte, stieß ich schließlich auf "Brave new world" beziehungsweise "1984". Und je mehr ich mich mit ihnen auseinander setzte, desto mehr merkte ich, dass sie zwar einen Science Fiction-Einschlag hatten, gleichzeitig aber für ihre Entstehungszeit eher subversive Werke waren. Subversiv deswegen, weil diese Bücher ja ganz klar nicht darauf abzielten, irgendeine fiktionale Welt zu porträtieren, sondern Kommentare zu gesellschaftlichen Entwicklungen waren und andeuteten, in welche Richtung sich die Welt entwickeln könnte. Als ich das realisierte, wurde Kritik an Staat und Gesellschaft zu üben zu einem wichtigen Teil meines Lebens, denn die zentrale Message der Bücher ist doch: "Wenn wir nicht wachsam sind, werden wir uns auf ein gleichgeschaltetes System zubewegen, das uns überwachen und keinerlei Abweichungen zulassen wird". Also versuchte ich, wachsam zu sein. Das ist der Grund, warum mich diese Bücher bis heute faszinieren und warum ich sogar sagen würde, dass sie mit Auslöser dafür waren, weshalb ich überhaupt begann, mich mit Punk als kritischer Bewegung zu beschäftigen.

"1984" wurde 1948 geschrieben - welche seiner Visionen haben sich deiner Meinung nach bewahrheitet?

Vor allem haben sich die mediale Gleichschaltung und die Überwachung der Bürger in einer Weise entwickelt, die in Orwells Buch allgegenwärtig ist. Zumindest in den USA sind viele Nachrichten gefiltert, da die Medienkonzerne das, was berichtet wird, vor dem Hintergrund ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen aussuchen. Zudem gibt es - genau wie in "1984" - überall Überwachungskameras. Ganz zu schweigen vom "Patriot Act", einem Gesetz, mit dessen Hilfe die Kommunikation der Bürger untereinander überwacht wird, und davon, dass nach wie vor kontrovers-subversive Bücher und Songs aus den Läden beziehungsweise aus dem Radio verbannt werden. Damit ist es zumindest ein Stück weit wahr, dass "Big brother" über dich "wacht". Eine freie Meinung zu haben, die sich tatsächlich auf der Wahrheit basiert, ist wegen der manipulativen Berichterstattung schwieriger denn je - seine Meinung frei zu äußern, aufgrund der allgegenwärtigen Überwachung ebenso. Wir sind also heute in einer durchaus ähnlichen Lage wie die Charaktere in "1984": es fällt uns schwer beziehungsweise es wird uns schwer gemacht, eine eigene und auf Tatsachen gestützte Meinung zu bilden und sie darüber hinaus auch öffentlich zu vertreten.

Inwiefern zeigen sich darin Konsequenzen des 11. September 2001?

Sie zeigen sich darin recht deutlich, vor allem der "Patriot Act" war ja Teil des Maßnahmenkatalogs, der Reaktion auf die Anschläge war. Gleichwohl muss man auch sagen, dass es direkt nach den Anschlägen noch sehr viel intensiver war als heute. Damals galt ja wirklich jede Kritik, auch die, die RISE AGAINST übte, gleich als Pro-Terrorismus-Argument. Es scheint vielleicht schwer vorstellbar, aber es setzte sich bis in die Punkszene fort. Als wir damals auf der Bühne Dinge sagten, die gegen die Bush-Regierung gerichtet und als konstruktive Kritik in einem vor Panik überkochenden Amerika gemeint waren, wurden wir mitunter von der Bühne gebuht. Diese Panikreaktionen sind aber mittlerweile fast vergangen und die Menschen sind ganz allgemein sehr viel reflektierter und kritischer geworden. Auf breiterer Basis wird ja heute zum Glück auch erkannt, dass die Rechtfertigungen für alle aus dem 11. September 2001 resultierten Kriege völliger Quatsch waren. Und auch, dass George W. Bush für dieses Land kein guter Präsident ist.

Könnte so etwas denn wieder passieren?

Ich habe große Angst davor. Sollte sich ein solcher Anschlag wiederholen - und ich hoffe wirklich sehr, dass das nicht passiert -, dann könnte sich eine solche Panikreaktion wie die nach dem 11. September 2001 wiederholen.

Wie hast du eigentlich damals auf die Nachricht des Flugzeug-Crashs in das World Trade Center reagiert?

Ebenfalls panisch. Damals wohnte ich mitten in Chicago, sehr nahe an großen Häusern. Und als ein Freund mich anrief und schilderte, was in New York geschehen war, sah ich auf die Gebäude in meiner Nachbarschaft und dachte: "Verdammt, was mache ich, wenn hier auch ein Flugzeug rein stürzt?". Auch mich packte die Angst in diesem Moment und ich denke nicht, dass das eine sonderlich außergewöhnliche Reaktion ist.

Angst - eines der mächtigsten Politikinstrumente.

Ganz klar, die Angst, in welche die Menschen hier versetzt wurden, hat George W. Bush nachhaltig genutzt. Sie verhinderte jede Reflektion über Zusammenhänge der Anschläge des 11. September. Etwa, dass dies eine Reaktion auf Jahrzehnte fehlgeleiteter Außenpolitik war. Damit will ich auf gar keinen Fall sagen, dass ich die Anschläge rechtfertige oder Gewalt in irgendeiner Form akzeptieren kann. Aber wäre es den Menschen klarer gewesen, dass dies kein zufälliger Akt der Gewalt war, sondern dass es Gründe dafür gab, dann wäre es zum Beispiel nicht möglich gewesen, einen Krieg wie den gegen den Irak als "Krieg gegen den Terror" zu deklarieren. Zwischen Saddam Husseins und Al Qaida bestand nun mal kein Zusammenhang. Die Angst ermöglichte es aber, einen solchen vorzugaukeln und dieses Desaster zu produzieren.

Ein Desaster, das auf eurem neuen Album "Appeal To Reason" in Gestalt des Songs "Hero of war" eine für euch untypische Darstellung erfährt. In dem Song versetzt du dich in einen Soldaten und schilderst den Krieg aus seiner Sicht. Was motivierte dich dazu, einen solchen Song zu schreiben?

Die Motivation erhielt ich direkt durch Geschichten, die mir Soldaten erzählten. Weißt du, viele Soldaten sind RISE AGAINST-Fans. Allein wenn wir in Deutschland spielen, zum Beispiel in Schweinfurt oder in einer Stadt nahe Ramstein, kommen viele dort stationierte US-Soldaten zu unseren Konzerten und sprechen mit uns. Ebenso habe ich in den USA mit vielen Kids gesprochen, die aus dem Irak oder aus Afghanistan zurückgekehrt sind. Und wenn ich "Kids" sagen, dann meine ich Kids. Man muss sich mal vorstellen, dass viele der Soldaten gerade mal zwischen 18 bis 20 Jahre alt sind. In den vielen Gesprächen zeichnete sich ab, dass die Soldaten alle in einem massiven moralischen Dilemma steckten. Der Konflikt, dass du deinem Land dienen willst und dafür in einem unmoralischen Krieg kämpfen musst, mit dem du nicht einverstanden bist, macht die Kids fertig. Glaub mir, sie werden Situationen ausgesetzt, die andere in ihrem Alter niemals aushalten müssen. Psychisch sind sie absolute Wracks, insbesondere dann, wenn sie wissen, dass sie Menschen getötet haben. Viele von ihnen wissen, dass sie einen Fehler gemacht haben, dass sie sich an etwas beteiligen, was sie eigentlich ablehnen - und diese Erkenntnis ist so intensiv, dass es sie völlig fertig macht. Diese Situation habe ich bei vielen Soldaten vorgefunden und sie motivierte mich, diesen Song zu schreiben. Er gliedert sich ja in drei Strophen: Die erste behandelt den Rekrutierungsprozess eines Soldaten, die zweite ist eine Interpretation der Geschehnisse im Gefängnis Abu Ghraib aus Sicht eines amerikanischen Soldaten, der dort "gefangen" war, und die dritte bezieht sich auf die Geschehnisse in der irakischen Stadt Haditha. Dort explodierte eine getarnte Bombe, die amerikanische Soldaten tötete. Daraufhin schossen amerikanische Soldaten wild um sich und töteten Einwohner des Ortes. Nun kommen die beteiligten Soldaten aus dem Krieg zurück und einige von ihnen haben in Interviews gesagt, dass es falsch war, Dinge wie die in Haditha zu tun. Dass sie jetzt Verantwortung dafür übernehmen müssen, was sie getan haben und dass gerade die Erkenntnis über das, was sie getan haben, sie unwahrscheinlich mitnimmt. Diese Geschichte musste erzählt werden, deswegen habe ich "Hero of war" geschrieben.

Sind Soldaten denn Helden?

Wenn uns die Ereignisse in Guantanamo Bay, Abu Ghraib und in Haditha eines gezeigt haben, dann sicherlich, dass dich das Tragen einer Uniform nicht allein zum Helden macht. Ob du ein Held bist oder nicht, hängt im wesentlichen davon ab, was in dir selbst vorgeht. Um noch einmal auf die Soldaten zurückzukommen, die uns E-Mails schreiben oder mit denen wir auf Konzerten reden: Das sind die Guten. Weil sie uns schreiben und erzählen, dass sie diesen Krieg nicht wollen, aber in ihm gefangen sind, weil sie nun einmal in der Armee sind. Gleichzeitig versuchen sie, aus dieser Situation das Beste zu machen. Sie helfen zum Beispiel Menschen in den besetzten Gebieten. Neben ihnen gibt es natürlich auch die Soldaten, die grausame Dinge tun und deren zentrale Motivation es ist, Schaden anzurichten, und das sind mitnichten Helden. Aber alle Soldaten, die Zivilisten helfen oder gar soweit gehen und versuchen, andere Soldaten an grausamen Dingen zu hindern, sind meiner Meinung nach Helden.

Viele amerikanische Punkbands verstehen sich trotz einer kritischen Haltung gegenüber der Bush-Administration und dem Irakkrieg als Patrioten. Wie ist das bei dir, würdest du dich als Patriot bezeichnen?

Klar, ich verstehe mich in vielerlei Hinsicht als Patriot. Die amerikanische Verfassung ist doch im Grundsatz sehr kritisch angelegt. Zudem denke ich, dass man auf die lange Geschichte der Menschenrechtsbewegung in den USA durchaus stolz sein kann. Deswegen ist es meiner Meinung nach Patriotismus in ursprünglichster Form, wenn du deiner Regierung kritisch gegenüber stehst. Denn wenn du dein Land liebst, dann willst du nicht, dass jemand damit Dinge anstellt, die diesem Land schaden. Entsprechend ist es auch vollkommen widersinnig, wenn eine Regierung die Meinung vertritt, dass Kritik unpatriotisch sei. Ganz im Gegenteil - Kritik ist patriotisch! Alle, die wollen, dass Amerika ein freies Land bleibt, sind wahre Patrioten. Bush und seine Administration sind damit alles andere als patriotisch.

Aber mal ehrlich - wie viele andere außerhalb der Szene sehen das genauso?

Gute Frage. Ich denke, mittlerweile nimmt die Zahl derer zu, die verstehen, dass Patriotismus nicht bedeutet, diesem Präsidenten zu folgen. Er hat das dunkelste Kapitel in der Geschichte des Landes maßgeblich mitgeschrieben und ich denke, wir haben die absolute Talsohle erreicht. Diese Einsicht setzt sich, glaube ich, bei immer mehr Menschen durch, die Bush, aber auch eine weitere republikanische Präsidentschaft ablehnen. Daher denke ich, dass es der einzig positive Effekt der Bush-Administration war, dass sich die Menschen der Politik bewusster geworden sind. Im November sehen wir hoffentlich die ersten Ergebnisse dieses Prozesses.

Im Vorfeld der anstehenden Wahlen bestand lange Zeit die Vermutung, Barack Obamas Wahlsieg sei reine Formsache. Nun holt der republikanische Kandidat John McCain aber auf. Wie schätzt du die Lage ein?

Ich denke, dass es sehr schwer zu sagen ist, wer vorne liegt und nahezu unmöglich, vorher zu sagen, wer die Wahl letztendlich gewinnen wird. Das liegt daran, dass Barack Obama mit seiner Kampagne Menschen für Politik begeistern konnte, die zuvor nichts mit Politik zu tun hatten. Weil diese Menschen aber nie zuvor etwas mit Politik zu tun hatten, werden sie in den Polls und Auswertungen nicht erfasst, die ja versuchen, die Position der beiden Kandidaten im Wahlkampf festzulegen. Das heißt aber, dass jeder Poll, den du gerade in den Medien liest, siehst oder hörst, die Realität nicht abbildet. Entsprechend ist es vollkommen unklar, wer wirklich vorne liegt oder wer von beiden die besseren Chancen hat, zu gewinnen. Dabei will ich gar nicht bestreiten, dass McCain auch seine Anhänger hat, Barack Obamas Kampagne scheint mir aber mehr Menschen mitzureißen.

Gerade deswegen ist es doch komisch, dass die "Wahlmotivierungsplattform" Punkvoter.com heute viel inaktiver ist als bei der Wahl 2004. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein demokratischer Kandidat gewinnt, scheint ja trotz allem recht hoch, so dass der Anreiz, die Szene zum Wählen zu mobilisieren, doch groß ist. Kannst du dir erklären, warum Fat Mike hier fast nichts mehr tut?

Ich denke, Fat Mike hat 2004 sehr viel Geld und sehr viel Energie in Punkvoter gesteckt. Es gab ja nicht nur die Website punkvoter.com, sondern auch die "Rock against Bush"-Sampler, sowie die gleichnamigen Touren. Dieselbe Zeit und dieselbe Energie wie damals kann er wohl einfach nicht mehr aufwenden. Dazu kommt, dass Fat Mike weiß, dass die Wirkung der damaligen Kampagne ja nicht verpufft ist. Durch Punkvoter wurden ja viele Kids auf Politik aufmerksam. Und auch, wenn es die Seite nicht mehr gibt, ist dieses Bewusstsein geblieben. Das heißt, dass du diesen Antrieb von Punkvoter heute gar nicht mehr unbedingt brauchst. Denn die Menschen wurden damals sensibilisiert und sind sich deswegen der Wichtigkeit ihrer heutigen Stimmabgabe bewusst, ohne dass du es ihnen mit Samplern, Touren und einer breit angelegten Kampagne klar machen musst. Aber, klar, trotzdem wäre es natürlich toll, wenn es die Kampagne wieder gäbe. Manche der Leute, die damals für Punkvoter.com gearbeitet haben, arbeiten heute übrigens für Barack Obama.

Selbiger hat sich mittlerweile erheblich von den Versprechen des Vorwahlkampfes weg bewegt. Viele seiner eher linksorientierten Ziele sind einem gehörigen Ruck gen Mitte gewichen. So spricht er heute von der Wichtigkeit des Krieges in Afghanistan, über die Eröffnung einer neuen Front in Pakistan sowie über eine nur moderat geringere Aufstockung der Armee als John McCain. Wo siehst du noch die zentralen Unterschiede zwischen beiden?

Es gibt nach wie vor fundamentale Differenzen zwischen John McCain und Barack Obama. Obama setzt einen wesentlich deutlicheren Akzent auf Gesundheits-, Bildungs- und Umweltpolitik - in ähnlicher Form wirst du das bei McCain nicht finden. Trotzdem verstehe ich deinen Standpunkt, denn es wird in der Tat interessant sein, ob Obama all das halten wird, was er im Vorwahlkampf versprochen hat und was er zum Teil heute noch verspricht. In der Vergangenheit haben unzählige Kandidaten die Wähler belogen und man muss sich klar machen, dass diese Möglichkeit auch bei einem Barack Obama besteht, so sympathisch er einem auf den ersten Blick sein mag. Ehrlich gesagt macht er auch mir mittlerweile manchmal Angst. Aus taktischen Gründen stellt er sich ja gegenwärtig als Kandidat dar, der auch gewillt ist, in den Krieg zu ziehen, sofern Amerika angegriffen werden sollte. Bei diesen Reden geht er mir manchmal zu weit, denn ich will einen Kandidaten, der in der Welt außerhalb der USA, und sei es unterschwellig, nicht diesen Haufen von Feinden sieht, sondern eine Gruppe von Partnern, mit denen man friedlich zusammen arbeitet. Wenn du aber eine solche Betonung auf potentielle Angriffe legst, zeigst du gerade, welches Verständnis du von der Welt um dich herum hast.

So etwas geht in der Begeisterung für Obama aber schnell unter, oder?

Klar, wobei es ja auch fraglich ist, ob das die Begeisterung für ihn nicht sogar noch steigert. Gerade dadurch steht er ja als jemand da, der sein Land verteidigen wird. Mit der Begeisterung, die die Menschen ihm im Moment entgegen bringen, verbinde ich aber noch ein ganz anderes Problem: Viele Menschen haben eine Art "Gott-Komplex", was Barack Obama betrifft. Sie denken und wollen, dass er alle Probleme löst, die existieren, wenn er Präsident ist. Problematisch hierbei ist vor allem, dass sozialer Wandel damit zu einer Dienstleistung des Weißen Hauses wird - die Fähigkeit, Dinge zu verändern, wird dadurch nur dem Präsidenten zugesprochen. Und das ist völliger Quatsch. Wirklicher Wandel kommt und muss vor allem von uns ausgehen. Kein Präsident kann unsere Probleme lösen - selbst wenn er wollte. Es liegt an uns selbst, etwas zu tun, aktiv zu werden, und die Dinge zum Positiven zu wenden. Sich in dieser Beziehung auf einen Präsidenten zu verlassen, ist eine Vernachlässigung deiner eigenen Verantwortung für diese Welt. Andererseits ist es aber auch ziemlich realitätsfern. Deswegen macht es mir Angst, wenn ich sehe, dass Menschen nur noch auf Obama setzen und ihn als einen "Gott des Wandels" ansehen. Er ist es nicht, wir sind es selbst. Deswegen ist die Welt auch dann nicht verloren, wenn - was ich nicht hoffe - John McCain die Wahl gewinnen sollte. Es gibt dann ja immer noch uns, denn wir sind weder hilf-, noch verantwortungslos. Genau das gestehst du aber ein, wenn du alles auf Obama setzt, dich selber aber nicht änderst.