CONSTANTINES

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Was nach Punk kommt

„Tournament Of Hearts“, das dritte Album der aus Guelph in Ontario, Kanada stammenden CONSTANTINES, erschien 2005 noch auf Sub Pop, ihrem Label außerhalb Kanadas. Doch Leben heißt Veränderung, und als ihre heimische Homebase Three Gut Records die Arbeit einstellte, musste Ersatz her. Gefunden wurde der mit Arts & Crafts, und da persönliche Nähe der Band wichtiger ist, war damit auch der Verbleib auf Sub Pop keine Frage mehr. Mit „Kensington Heights“ ist nun das neue Album erschienen, der bisherige Höhepunkt im Schaffen der von Bryan Webb und Doug MacGregor gegründeten Band, die Mitte der 90er zusammen in der Emocore-Band SHOULDER spielten. Die CONSTANTINES sind die perfekte Band für jeden, der an WEAKERTHANS, THE HOLD STEADY, THE GASLIGHT ANTHEM und THE LOVED ONES Freude hat, an Bands also, die von einem Punk- und Hardcore-Hintergrund kommend Gefallen gefunden haben an Bruce Springsteen, Neil Young und den REPLACEMENTS. Bassist Bryan Webb beantwortete meine Fragen.

Ich habe auf unserer Website eine Besprechung aus einem uralten Ox-Heft gefunden – und zwar von SHOULDER, deiner damaligen Band.


Oh Mann, das ist echt ewig her ... da war ich gerade mal 16 oder 17. Ich spielte da zusammen mit Doug, der jetzt auch bei den CONSTANTINES trommelt.

Ich habe euch damals als „Emorock zwischen SPLIT LIP und LIFETIME“ beschrieben.

Ja, diese beiden Bands mochten wir. Erst neulich hat mir ein Freund einen Video-Mitschnitt unseres letzten Konzertes geschickt, das muss so 1997 gewesen sein – es war seltsam, das zu sehen. Wir wuchsen im Südwesten von Ontario auf, es gab da eine ganz gute Punk- und Hardcore-Szene, mit recht vielen Konzerten, die in kleinen Festhallen, Partykellern und so stattfanden. In dieser Umgebung lernten wir auch Dallas und Steve kennen, gründeten dann zu viert die CONSTANTINES. Will stieß erst später zu uns, den lernten wir bei einer Show in einem Skateshop kennen.

Mit SHOULDER wart ihr aber seinerzeit noch Teil einer Emo-Szene, die im Vergleich zu dem, was heute unter dem Begriff zusammengefasst wurde, noch absolut in Ordnung war, gerade auch musikalisch.

Klar, heute ist der Begriff nur noch mit negativen Assoziationen besetzt. Wir waren einfach eine Hardcore-Punk-Band, andererseits wurden ja auch diverse Bands aus Washington D.C. als „Emo“ bezeichnet. Wir spielten halt diesen Midwestern-Hardcore/Punkrock-Sound, und irgendwie hörten wir dann allenthalben dieses Wort „Emo“. Das bedeutete damals nicht wirklich irgendwas, doch heute sagt das eine Menge, ist das Teil der Popkultur und hat gar nichts mehr mit der damaligen Bedeutung des Wortes zu tun.

Was verbindet SHOULDER damals und die CONSTANTINES heute?

Wir lernten als Teenager Musik zu spielen, waren in Bands, waren Teil eines Underground-Punkrock-Netzwerks – und so lernten wir uns auch kennen, wir spielten alle in kleinen Bands in Ontario. Und so beschlossen wir, gemeinsam eine Band zu gründen, spielten die ersten Jahre in irgendwelchen Kellern. Ein paar von uns lebten dann auch eine Weile zusammen in einem Haus in Guelph, einer kleinen Uni-Stadt in Ontario. Andere Bands aus anderen Städten kamen zu Besuch, spielten bei uns im Keller, alles war sehr D.I.Y., wir druckten unsere T-Shirts selbst, bastelten unsere CD-Trays selbst zusammen, und diesen Zusammenhalt, diese Einstellung, haben wir uns auch mit den CONSTANTINES bewahrt.

Und in musikalischer Hinsicht?

Als Erstes haben wir die eher predigenden, eine klare Ansage erteilenden Hardcore-Texte über Bord geworfen, stattdessen kamen Texte über Freunde und so, „real people songs“, wie ich das nenne. Wir sind immer noch eine melodiöse, laute Band, aber mit den CONSTANTINES wollen wir einfach nur eine gute Rock’n’Roll-Band sein. Als wir in der Schule waren, dachten wir noch, eine Punkrock- oder Hardcore-Band sei etwas ganz Spezielles, aber heute wissen wir: Es ist alles nur Rock’n’Roll. Es ist einfach laute Musik. Und ich höre heute noch gerne die Platten, die ich damals gehört habe, etwa RITES OF SPRING, NATION OF ULYSSES und die ganzen anderen D.C.-Bands, oder auch die DEAD KENNEDYS. Aber ich höre auch Neil Young und Paul Simon. Rock’n’Roll, das ist einfach gute Musik aus dem Bauch, und genau solche Musik wollen wir spielen.

Aber es braucht offenbar immer ein gewisses Alter, um das zu erkennen.

Das stimmt. Als Jugendlicher sucht man nach etwas, wo man dazugehören kann, und dann ist ein bestimmter Stil sehr wichtig. Heute bedeutet mir das Genre von Musik nicht mehr viel, davon hängt es nicht mehr ab, welche Musik ich mag und welche nicht. Ich mag einfach gute Songs.

Welche Größenordnung haben die CONSTANTINES denn mit dieser Herangehensweise in Kanada erreicht? In Deutschland seid ihr ja eher noch ein Geheimtip.

Also ich lebe mittlerweile seit vier Jahren von der Band, ich bin darüber sehr glücklich. Wir touren sehr viel, deshalb reicht es auch vom Geld her für uns. Zu unseren Konzerten kommen so 500 bis 1.000 Leute, wobei es in Kanada für uns besser läuft als in den USA. Obwohl es in den USA auch okay ist, da hat uns der Deal mit Sub Pop schon sehr geholfen.

Apropos: Sub Pop war bislang euer Label, doch jetzt seid ihr auf dem kanadischen Arts & Crafts-Label. Wie kommt’s?

Also zuerst waren wir auf dem kanadischen Label Three Gut, und die haben unsere ersten drei Alben in Kanada veröffentlicht. Später hat Sub Pop dann diese Alben außerhalb Kanadas veröffentlicht. Three Gut hatte seinen Sitz in dem Haus, in dem auch unser Gitarrist Steve wohnte, wir waren gut befreundet mit den Labelmachern, alles war ganz easy. Doch irgendwann haben unsere Freunde ihr Label dann eingestellt, es war recht klein und die hatten noch andere Pläne mit ihrem Leben. Das war 2005, nachdem „Tournament Of Hearts“ erschienen war, und unsere Vertrag mit Sub Pop war auch ausgelaufen. Mit Sub Pop lief auch alles gut, wir hatten ein gutes Verhältnis, aber die sitzen eben am anderen Ende des Kontinents in Seattle. Wir wollten aber ein Label hier in der Nähe, und Arts & Crafts bot sich da einfach an. Die haben sich in den letzten sieben Jahren konstant zu einem immer besseren Label entwickelt, und ihr Büro ist zehn Minuten zu Fuß von unserem Proberaum entfernt. Und so kam eines zum anderen: Sie sind ein gutes Label, sie sind in unserer Nähe, und sie waren an uns interessiert. Außerdem ist es auch von Vorteil, als kanadische Band auf einem kanadischen Label zu sein, denn die Regierung vergibt recht großzügig Fördermittel für einheimische Künstler und Bands. Die bekommt man aber nur, wenn man nicht auf einem Label in den USA ist, und das Geld war schon verlockend. Außerdem hatten Arts & Crafts auch auf alle Fragen, die wir ihnen stellten, überzeugende Antworten, etwa was die Zukunft von Musik unter veränderten technologischen Bedingungen betrifft. Und: Sie hatten einfach Lust auf uns.

Was für Fragen habt ihr ihnen gestellt, was waren ihre Antworten?

Wir wollten wissen, wozu ihrer Meinung nach ein Label gut ist in einer Welt, in der immer mehr Menschen ihre Musik aus dem Internet beziehen und jede Band ihre Musik selbst veröffentlichen kann. Ihre Antwort war, dass Promotion immer wichtiger wird, dass man es schaffen muss, die Aufmerksamkeit der Leute zu erringen. Und sie waren gegenüber unseren Ideen für interessante CD-Verpackungen aufgeschlossen: Dallas, unser Bassist, designt für uns die Hüllen, und so war uns wichtig zu wissen, ob sie uns auch bei ausgefallenen Ideen unterstützen. Sie fanden auch die Idee gut, die Vinylplatte mit mp3-Download-Code zu verkaufen, und so merkten wir eben, dass wir bei allen Ideen auf einer Wellenlänge liegen.

Wo du schon die Verpackung der CD ansprichst: Kannst du mir das mal erläutern?

Also das Flugzeug, das da abgebildet ist, ist eigentlich eine Skulptur von Dallas. Er macht viel solche Skulpturen, indem er normale Modellbausätze, etwa von Flugzeugen, so modifiziert, dass sie für die eigentliche Bestimmung nicht mehr zu gebrauchen sind, wie durch diesen extrem verlängerten Flügel. Er könnte das natürlich viel besser erklären, aber diese eine Skulptur gefiel uns allen besonders gut. Und wenn man das CD-Booklet richtig faltet, entsteht daraus ein Würfel, dessen Innenseiten mit Fotos von Boden, Decke und Wänden unserer Proberaums am Kensington Market bedruckt sind.

„Arts & Crafts“, das ist nicht nur der Name eures Labels, er bezeichnet etwas spezieller auch eine Kunstrichtung und allgemein das Selbermachen von Dingen, sowohl Handarbeit als auch Heimwerken und ähnliches. Das ist also ein klares Bekenntnis zu einer sich derzeit wieder größerer Beliebtheit erfreuenden Art von D.I.Y., zum handwerklichen Arbeiten.

Bei uns geht eigentlich alles seinen ganz natürlichen Gang. Wir brauchen immer einige Zeit, um ein neues Album zu schreiben, und auch bei irgendwelchen Entscheidungen sind wir eher langsam. Ich mag es, wenn etwas handgemacht aussieht, wenn man das Gefühl hat, dass hinter einer Sache echte Menschen stecken, und dazu muss etwas nicht perfekt aussehen, es darf Ecken und Kanten und Makel haben. So verhält es sich auch mit unserem Label Arts & Crafts, und deshalb passt bei denen auch der Name perfekt.

Bei den CONSTANTINES singen zwei, du und Steve – aber ich konnte nicht herausfinden, wer der mit der rauhen Stimme ist. Allerdings weiß ich das auch bei HOT WATER MUSIC nicht beziehungsweise ich vergesse es immer wieder.

Der mit der rauhen Stimme bin ich. Und bei HOT WATER MUSIC weiß ich das auch nicht, haha. Ich mag die sehr gerne, allerdings ist Dallas sicher der größte HOT WATER MUSIC-Fan in unserer Band. Ich mag es, wenn Bands so eine rohe Energie ausstrahlen.

Also fühlt ihr euch durchaus geschmeichelt, wenn ihr hier und da mit denen verglichen werdet.

Na klar!

Andererseits taucht in Texten über eure Band auch immer wieder der Name Neil Young auf.

Stimmt, und auch dagegen haben wir nichts. Neil Young ist immer noch so eine Art kanadische Ikone, auch wenn er seit Ewigkeiten in den USA lebt. Aber er wurde eben hier geboren, und so ist seine Musik hier immer noch sehr präsent. Ich mochte seine Musik schon in jungen Jahren, aber wirklich schätzen gelernt und richtig verstanden habe ich ihn erst später. Ich achte besonders seine künstlerische Integrität, dass er auf eine so lange Karriere verweisen kann, mit all ihren Windungen und interessanten Entscheidungen, so seltsam oder dumm sie auch manchmal erscheinen mögen. Alles in allem ist er aber eine sehr interessante Persönlichkeit, die ich wirklich bewundere – ganz allgemein sind es solche Künstler, denen unsere Bewunderung gilt. Deshalb haben wir das Album auch einem gewissen Gar Gillies gewidmet. Das war ein Typ aus Winnipeg, der die Garnet-Gitarren-Amps gebaut hat. Er starb zu der Zeit, als wir das Album aufnahmen, und da wir im Studio ein paar seiner Verstärker verwendeten, widmeten wir ihm die Platte. Er widmete sein ganzes Leben den Verstärkern, er baute sie von Hand, er hatte ganz klare Vorstellungen, wie sie aussehen und klingen sollten, kümmerte sich bis ins hohe Alter um die Firma. So eine Biografie finde ich höchst inspirierend. Und übrigens hat auch Neil Young auf solchen Verstärkern gespielt.

Wenn ich mir Bands wie THE HOLD STEADY, THE LOVED ONES oder auch die CONSTANTINES anhöre, kann ich da eine gewisse Ähnlichkeit feststellen – und die besteht auch darin, dass man sich solche Musik als 16-jähriger Punk nicht unbedingt angehört hätte.

Ja, es gibt wohl einen gewissen Trend bei Bands: je länger eine zusammen ist, desto mehr bezieht sie sich in musikalischer Hinsicht auf die Vergangenheit – nicht auf ihre eigene, sondern auf die Zeit lange davor. In Kanada gibt es eine ganze Menge Bands, die sich wieder eher an Classic Rock erinnernden Klängen angenähert haben. Manchmal merkt man eben erst nach Jahren, wie sehr man eine bestimmte Art von Musik mag, und das kann man dann auch hören. Außerdem wird man mit den Jahren in seinem Geschmack immer freier, traut sich eher dazu zu stehen. Ich finde das gut. Ich beispielsweise fand schon in der Highschool die REPLACEMENTS klasse, aber ich traute mich nicht, das zuzugeben. Meine Hardcore-Freunde hätten das nicht verstanden, die konnten solche Musik nicht leiden, das klang für sie zu sehr nach Springsteen.

Andererseits war man ja aus gutem Grund Punk- oder Hardcore-Fan, man wollte ja gegen den ganzen konservativen Scheiß rebellieren.

Da stimme ich dir zu, und deshalb finde ich es interessant, wenn Bands zu ihren Wurzeln stehen, aber aus diesen Einflüssen etwas Eigenes, Neues machen. Das versuchen wir mit den CONSTANTINES, und dann klingen wir eben auch mal total nach Classic Rock. Aber das ist ja eigentlich nur Spaß.