EXITS TO FREEWAYS (S.L.T.V.O.T.B.O.M.H.)

Foto

Wer war noch mal Carl von Ossietzky?

Zwischen Post-Gefrickel und Rock’n’Roll haben sich drei junge Hamburger ein Nest gebaut: EXITS TO FREEWAYS (SPREAD LIKE THE VEINS ON THE BACK OF MY HAND) vereinigen künstlerisch-verquere Anmut und rationale Angepasstheit, philosophische Kritik an der Postmoderne und Powerchords, Verschiebung von Bedeutungsebenen und Viervierteltakt. Aus Anlass des just auf Nois-O-Lution erschienenem Debütalbums „Spilling Drinks – Spelling Names“ kam folgendes Interview zustande, das auf erfrischend eindringliche Weise eben genannte popmusiktheoretische Pole als aufgesetztes Geschwafel entlarven dürfte.

Bei den Erkundungen zu EXITS TO FREEWAYS fällt auf, dass es noch gar nicht so viel zu erkunden gibt. Unbeschriebene Blätter klingen aber meist anders. Über welche Wege und Umwege kam es zu ETF?


General Woundsworth: Also in Hamburg, einer Stadt in der so ziemlich jeder Gitarre spielt, begab es sich, dass wir drei ziemlich unspektakulär aufeinander geklatscht sind. Mitbewohnerinnen, No-Name-Funk-Projekte und stinklangweilige musikwissenschaftliche Vorlesungen spielen da eine Rolle, aber letzten Endes ist es wie du sagst: keine Vorgeschichte im Sinne von Namedropping. Na ja, also mittlerweile spielen wir ja schon vier Jahre zusammen, wir haben also sozusagen unsere eigene kleine unaufgeregte Geschichte, die interessiert die albumfixierte PR-Maschine zwar nicht, aber dir können wir sie gern mal erzählen. Dazu brauchen wir aber mehr Zeit, um das alles zu rekapitulieren!

Dr. Oktymus Pryme: Ach, nenn’ doch einfach den Klassiker: in meinem Fall trommelnd zu Lieblingsbands wie POLICE über BAD RELIGION bis NAPALM DEATH zu pubertieren, dann gescheiterte Versuche, eine bürgerliche oder akademische Karriere zu beginnen, und schließlich zu realisieren, dass die sinnstiftendste Art, um die Zeit auf Erden zu verbringen, momentan doch darin besteht, hinterm Drumset einer Rockband zu sitzen und immer tauber zu werden – so kam es wohl zu ETF.

Ihr habt wahrscheinlich den längsten Bandnamen der Welt, dennoch klingt ihr erstaunlich unprätentiös und geradlinig – vielleicht funktionieren Schubladen gerade deswegen so schlecht bei euch. Sitzt es sich bequem zwischen den Stühlen? Und welche Stühle überhaupt?

OP: Tja, eine weiche, eingesessene Ikea-Couch wäre vielleicht bequemer, aber da kann man ja auch schnell drauf einpennen ...

GW: Wir selbst sehen dieses Zwischen-den-Stühlen-Ding gar nicht so. Wir schreiben zunächst einmal musikalische Parts, die wir miteinander verbinden, und keine Unangepasstheits-Manuals irgendwelcher Art. Es gibt da keine Agenda in Sachen Verquastheit, das passiert einfach, wenn du uns drei in einen Proberaum stellst. Wir bekommen zu hören, wir würden komplizierte, verquere Musik machen, das stimmt so nicht, liebe Kids, das ist zuweilen schierer Pop! Und Stühle, tja, welche Stühle, das wissen wir folgerichtig auch nicht so genau oder es tangiert uns eigentlich auch nicht sonderlich. Aber wenn man so will, kann man das grob vereinfachend auf zwei Pole herunterbrechen: Den Rock’n’Roll-Stumpfbacken ist es zu kompliziert, den Indie-Frickel-Totalitaristen zu gerade. Und die Röhrenjeans-NuRave-AmericanApparel-Kinder fallen, Ed Banger sei’s geklagt, sowieso raus, obwohl bei der Single ja tatsächlich so was wie ein Discobeat mitschreddert. Letzten Endes ist das zwischen die Stühle gesetzt werden aber gar nicht unangenehm, weil Rockmusik, gerade in seinen als „ungewöhnlich“ gepriesenen Arten heute so DIN-genormt ist, dass einem oft das Kotzen kommt – kann ja dann nicht schlecht sein, wenn einem attestiert wird, dass man schwer einzuordnen ist. Für uns ist Unvoreingenommenheit ein wichtiges Wort. Oder, wie Nois-O-Lution-Arne es so schön für uns formuliert hat: „Es geht um Musik!“ Das behaupten ja nun allerdings wirklich viele Bands ... Aber ich denke, dafür wird es langsam wirklich wieder Zeit, Geschichte wiederholt sich ja bekanntlich.

Nach eurer selbstproduzierten EP kam via Nois-O-Lution eine erweiterte Version als komplettes Album heraus, jetzt also mit Label und Vertrieb im Rücken. Spürt ihr, dass durch die Strukturen was vorangeht? Mehr Anfragen, Shows, Interviews? Hat Steve Albini schon angeklopft?

GW: Na ja, zunächst sind wir überrascht, glücklich und stolz auf die mehr als positiven Reviews und das Wohlwollen, das uns vor allem Fanzines entgegenbringen, was nicht selbstverständlich ist, für die sind wir ja auch ein unbeschriebenes Blatt. Aber niemand rechnet hier mit explosivem Durch-die-Decke-Knallen. Noch hat sich nichts Grundlegendes verändert, wie auch – das Album ist ja gerade erst raus, und die Slowburner-Variante ist ohnehin die bessere. Letzten Endes ist es ja genau das, was das Genre „Rock“ wie so viele andere verlernt hat: stetes Arbeiten an der Musik und an sich selbst, Nachhaltigkeit eben. Um deine Frage zu beantworten: Genannte Reviews und dieses Interview gäbe es ohne die regulär veröffentlichte CD, sprich den Noiso-Deal, wohl nicht. Shows könnten wir von uns aus noch mehr spielen, also immer her damit! Und Albini, tja, der hat wohl noch nichts von uns gehört, wir haben seine Telefonnummer leider auch nicht, aber ihr könnt uns ja mal empfehlen. Ich habe gehört, bei dem kann man auch einfach für Geld aufnehmen. Aber vielleicht kriegen Gregor Hennig oder Tim Panic aus Hamburg doch einen cooleren Snare-Sound hin.

Euer Manager trägt bereits eine goldene Rolex. Was kauft ihr euch von euren baldigen Stargehältern?

GW: Das ist natürlich ein gefaketer Manager, den haben wir engagiert, um global agierende Plattenfirmen-Mogule wie Arne von Nois-O-Lution zu beeindrucken, was ja auch geklappt hat, haha! Und kaufen tun wir uns ein Auto! In einem Universum, in dem alles möglich ist: vielleicht sogar einen Tourbus! Das ist wirklich der mieseste „Pain in the ass“-Faktor für eine Band, keinen fahrbaren Untersatz zu haben. Äh, was hast du gesagt? Stargehalt? Du beschäftigst dich nicht wirklich mit den heutigen Gegebenheiten im hiesigen kommerziellen Untere-Liga-Rockmusik-Biotop, oder?

Inwiefern kann der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky eine Rockband beeinflussen? Pazifismus, Überzeugungskraft oder in erster Linie galanter Schreibstilismus?

GW: Alles drei, dazu Geduld und Unnachgiebigkeit. Du spielst auf eine Einstellung in dem Video an, in der man ein Tittenposter sieht und darüber ist ein Infozettel mit dem Satz „Wer war Carl von Ossietzky?“ gepinnt. Genau darum geht es zuweilen auch in den Texten, Antagonismen aufeinander klatschen lassen, ohne was von Postmoderne zu faseln, im oder zwischen dem Müll etwas Wahrhaftiges finden oder hineinstellen. Das könnte man auch als extreme Antwort auf die Dogmen von diversen verschnöselten Indie-Dandys verstehen, die ein ihrer Meinung nach vulgäres Dropped-D-Rockbrett und einen wachen Geist für unvereinbar halten.

OP: Dieser Zettel hängt genau neben meinen Drums, aber den hab ich mir noch nie so richtig durchgelesen.

Neben der Rockmusik versucht ihr, eine emanzipierte Gesellschaftsform zu etablieren. Subversion ist tot, aber Anpassung wiederum ein Arschloch. Welche Möglichkeiten bleiben uns hoffnungsvollen Avantgardisten noch? Oder gibt es nur noch Post-Something?

OP: Hm, was ist mit subversiver Anpassung? Sind Post-Arschlöcher Avantgarde?

GW: Also, Ironie ist ja das eigentliche Arschloch, aber wir hoffen doch, dass ihr besagten Spruch aus dem Video richtig verstanden habt ... Also, nicht, dass wir das mit der emanzipierten Gesellschaftsform nicht sofort umsetzen würden, nur Rockmusik kann da nicht mehr viel tun, fürchte ich ... Die Wahrscheinlichkeit, dass es im Rock nur noch „Post-Something“ gibt, ist nach 60 Jahren der Rezeptur „Übersteuerte Gitarren plus zwölf Töne westlicher Musiksysteme“ ja nun wirklich ziemlich hoch. Trotzdem ist das Versteckspiel hinter irgendwelchen angeblich ausweglosen Kulturzuständen faule Scheiße, vor allem weil diese Zustände von irgendwelchen professionellen Denkern verkündet wurden, die dasselbe machen wie Rockmusiker: schon da gewesene Brühen neu aufkochen. Insofern sind ja auch alle mit „Post“-irgendwas präfixierten Musikschubladen total daneben – was zur Hölle soll bitte Postrock oder -core oder so sein? Als ob es dadurch irgendwie neuer würde. Ich habe das in einem anderen Interview mal so gesagt und es gefällt mir bis heute: „Rockmusik ist keine Rettung, macht aber ’ne Menge Freude“. Schnappt euch also alte QUEEN- und MOTORPSYCHO-Platten und die neue MIDLAKE und alles von MELT-BANANA und freut euch des Lebens! Und Avantgarde ... Avantgarde ist dieser Tage wohl Hoffnung per se. Und, immer noch Ligeti hören, auch wenn der leider schon tot ist.

Zum Abschluss: Darf eine Hamburger Band überhaupt auf Englisch singen?

GW: Aber hallo, allerdings! Wieso „dürfen“, wer bestimmt das? Das hat zunächst mit Gesinnungen irgendwelcher Art weniger zu tun, als du denkst. Ich habe mich auf Deutsch singend einfach nie wohl gefühlt. Erst recht, als mir die gleichen Leute, die vor der nun etwas zurückliegenden deutschen Vokal-Reinvention sagten: „Versuche das doch mal auf Englisch!“, nun blöken: „Versuche das doch mal auf Deutsch!“ Dieses progressive Moment des Muttersprachenbenutzens der Bands, die du ansprichst, ist meiner Meinung nach schon lange verflogen. Geglaubt habe ich das ohnehin nur wenigen Leuten wie Jochen Distelmeyer und der wusste, wann man aufhören muss. Heute singen Rockbands nicht selten aus Berechnung auf Deutsch. Und dieser inflationäre Konsens geht, meine ich, letzten Endes eben nicht auf BLUMFELD, KOLOSSALE JUGEND oder meinetwegen TOCOTRONIC zurück, sondern auf die Silberjulis dieser Welt, die dieses Wir-sind-wieder-wer-on-Vocals viel später und einfach nur durch krasse Einnahmen auf breiter Ebene losgetreten haben, was natürlich auch auf das, was man so „Indie“ oder „Underground“ nennt, zurückwirkt. Mir rennen da einfach zu viele kalkulierte MIAs durch die Gegend, als dass ich mich da einreihen will. Und es klingt einfach scheiße.