JAYA THE CAT

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Globale Katzen auf Streifzug durch die Nacht

Um die Jahrtausendwende litt die Welt schon eine Weile unter dem unnachgiebigen Ansturm einer Armee Möchtegern-Tim Armstrongs und -Bradley Nowells, die dem guten Geschmack und allzu berechtigter schlechter Laune den Kampf angesagt hatte. Es waren schlimme Zeiten für Menschen, die trotz allem nicht davon ablassen wollten, Reggae und Punk gleichermaßen die Treue zu halten. Dann entdeckte ich JAYA THE CAT. „Don’t want to make this life seem glamorous cause it’s not, working shit jobs just to play rock“, verkündete eine schnoddrige Stimme, die in jeden Ton und jede Silbe mehr Wahrheit und Würde legte, als sich in den kompletten Diskografien aller College-Ska-Punk-Bands finden lässt. Als ich kürzlich die aktuelle JAYA THE CAT-Platte „More Late Night Transmissions“ zu hören bekam, war ich erneut entzückt. Propagiert wird hier eine Weltsicht, die einer dahinvegetierenden Gesellschaft und ihrem Alltag, die Nacht und das Nachtleben als menschenfreundlichere Kehrseite gegenüberstellt. Der Versuch, die Band auf einem Konzert zu erwischen, schlug fehl und so erkundigte ich mich bei Frontmann Geoff nach einem Telefontermin. „Gerne, aber ...“ – „Ja?“ – „Ruf doch bitte nicht zu früh am Tag an.“ Am darauf folgenden Sonntagabend kam es zu folgendem Gespräch.

Habe ich dich geweckt?


Nein, nein, ich sitze vor dem Fernseher und versuche meinen Kopf wieder freizubekommen, nachdem die letzten beiden Wochen Touren mit der Band angesagt war.

Vielleicht könntest du für den Anfang etwas zum Werdegang von JAYA THE CAT erzählen.

Wir haben Mitte der Neunziger angefangen, zuerst als reines Spaßprojekt, das auf Partys aufgetreten ist. Irgendwann haben wir begonnen, das Ganze ernster zu betreiben, und die letzten fünf Jahre war die Band dann unsere Hauptbeschäftigung. Wir haben uns ja in Massachusetts gegründet, dann war ich einige Zeit in San Francisco und jetzt ist Amsterdam der Ausgangspunkt der Bandaktivitäten.

Hat sich bei eurer Musik denn auch so viel geändert?

Also am Anfang war es ein wenig mehr Punk. Mit der Zeit kam dann immer mehr Reggae dazu. Ich glaube auch, in unserer Anfangszeit hätte man uns als Ska-Punk-Band bezeichnen müssen, heute ist es eher Reggae-Punk.

Wenn ihr Mitte der 90er in Boston Ska-Punk gemacht habt, standet ihr dann nicht automatisch im Windschatten von Bands wie den MIGHTY MIGHTY BOSSTONES?

Nein, das haben wir total verpasst. Als wir angefangen haben, war ich noch sehr jung, das muss 1994 gewesen sein. Die Zeit Ende der 90er, zu der die Bosstones richtig groß waren, fiel mit der Phase zusammen, in der ich in San Francisco lebte und die Band auf Eis lag. In der Hinsicht ist es also ganz schön doof gelaufen, dass wir ausgerechnet dann nicht dabei waren, als es in Boston mit ähnlicher Musik ziemlich gut lief, aber es sollte halt nicht sein.

Wie kam es dann dazu, dass ihr heute in Amsterdam lebt?

Wir hatten ein Demo, das die Aufmerksamkeit einiger Plattenfirmen erregte. Eine davon machte uns ein gutes Angebot für einen Vertrag und das war für mich der Anlass, zurück nach Boston zu ziehen. Diese Plattenfirma hatte auch eine Zweigstelle in Amsterdam und wir fingen an, verstärkt in Europa zu touren. Ausschlaggebend für den endgültigen Ortswechsel war aber, dass ein Teil der Band ausgestiegen ist. Die sind den Anonymen Alkoholikern beigetreten und da gehört es zum Konzept, sich von unguten Einflüssen zu trennen, also standen sie für die Band nicht mehr zur Verfügung. Mittlerweile kannten wir aber Leute in den Niederlanden, die anboten, erst einmal einzuspringen. Ursprünglich war das für ein paar Monate gedacht, aber es hat so gut funktioniert, dass es dabei blieb.

War das eine große Umstellung? Wie würdest du Boston, Amsterdam und die Unterschiede zwischen den beiden Städten charakterisieren?

Amsterdam ist vergleichsweise winzig, ich würde nicht einmal sagen, dass es eine richtige Stadt ist – eher ein großes Dorf. Boston hat zwar den Ruf, eine sehr liberale Stadt zu sein, aber gleichzeitig sind die USA als Ganzes wiederum nicht der liberalste Flecken im Universum. Insofern fühle mich recht wohl in Amsterdam.

Was gibt es zu eurer aktuellen Platte „More Late Night Transmissions“ zu sagen?

Sie ist ein bisschen vielfältiger und durchdachter als die vorangegangenen. Früher sind wir einfach mit viel Bier in ein Studio gegangen und mit einer Platte wieder herausgekommen, diesmal wollten wir es etwas organisierter angehen.

Auf mich wirkt sie tatsächlich sehr konsistent. Habt ihr es darauf angelegt, eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen, oder spiegelt der Charakter der Platte einfach nur eure Lebensrealität wider?

Ich glaube, es ist eine seltsame Mischung. Wenn du dir beispielsweise die Reihenfolge der Songs anschaust, dann findest du einen kompletten Tagesablauf. Es geht morgens los mit „Blur“ und endet mit „Closing time“. Allerdings kam uns erst, als es darum ging, die endgültige Abfolge festzusetzen, die Erkenntnis, dass die Songs alle einer bestimmten Zeit zuzuordnen sind und in ihrer Gesamtheit einen ziemlich guten Einblick in unsere Tagesgestaltung geben. Die Songs wurden alle in einem abgesteckten Zeitraum geschrieben, deswegen fließen sie wohl so gut ineinander.

Ich hatte den Eindruck, die Nacht kommt bei euch im Vergleich zum Tag deutlich besser weg.

Also da kann ich wirklich nicht widersprechen.

Wenn man von den Klischees ausgeht, sollte der entspannte Reggae mit dem aggressiven Punk doch gar nicht gut zusammenpassen. Kannst du herleiten, warum es in der Praxis nachweislich eben doch so gut klappt?

Wenn du frühen Reggae nimmst, dann kannst du gar nicht überhören, wie sehr es da um soziale Fragen und Rebellion geht. Punk und Reggae sind gleichermaßen musikalischer Ausdruck der Wut benachteiligter Schichten und das ist der Grund, warum sie so gut harmonieren.

Ein schöner politischer Song auf der Platte ist „Pass the ammunition“, der die enge Verbindung von Religion und Gewalt thematisiert. Wie ist dieser Song entstanden? Die Niederlande sind doch relativ säkular, oder?

Ich mag es nicht gerne, mit meinen Songs belehrend rüberzukommen. Aber es ist einfach so, wenn man sich in der Welt umsieht, dass die meiste Scheiße irgendwie mit Religion zu tun hat, und ich hatte das dringende Bedürfnis, etwas dazu zu schreiben. Was die Niederlande betrifft, muss ich sagen, dass es hier in Teilen schon verdammt religiös zugeht. Die aktuelle Regierung ist in den Händen der christlichen Partei und das verändert das Klima hier ganz gewaltig. Es wird immer intoleranter, jetzt planen sie sogar, Gras wieder zu illegalisieren, und alles nur wegen deren durchgeknallter Weltsicht. So viele Unterschiede zu den USA gibt es da gar nicht, im Groben ist es überall das Gleiche. Das ist doch genau das Problem mit diesen Arschlöchern. Von mir aus soll jeder glauben, was er will, nur sind es diese Leute, die mit ihrem Missionseifer ja unbedingt auch andere Menschen belästigen müssen. Falls du vorhast, jemanden von deinen Ansichten zu überzeugen, dann hast du in der Politik natürlich die perfekte Plattform dafür, und meine Theorie ist, dass das der Grund ist, warum überall in der Welt religiöse Spinner in politische Ämter drängen.

Von solchen unangenehmen Aspekten mal abgesehen: Für einen Künstler muss es doch ganz inspirierend sein, den Ort, an dem man lebt, mit einem anderen Blick als die Leute um einen herum wahrnehmen zu können?

Absolut, es ist großartig, ein Fremder zu sein! Diese Distanz zwischen einem selbst und der Umwelt ist sicher etwas, das gutes Songwriting befördert. Ohne interessante Erfahrungen gibt es auch keine interessanten Songs. So ähnlich findest du das aber bei jeder Band. Es geht immer los mit einem ersten Album, dann geht die Band auf Tour und das zweite Album handelt dann meist hauptsächlich davon, wie es eben so ist, auf Tour zu sein, neue Leute zu treffen und andere Städte zu sehen.

Meinst du, es wird dich auch noch einmal woanders hinziehen?

Ja, doch. Ich fühle mich wohl hier, aber wir kommen in so viele schöne Städte und ab und zu denkt man sich, dass es nett wäre, in dieser oder jener Stadt zu leben. Barcelona zum Beispiel gefällt mir sehr. Hamburg hat es mir auch angetan – es ist düster, das finde ich super. Amsterdam ist prima, aber geradezu lächerlich sicher. Manchmal ist es mir da ein wenig zu friedlich.

Dir fehlt das eine oder andere Gewaltverbrechen aus Heimweh nach Boston?

Also, so würde ich es nun nicht ausdrücken. Es geht da wieder um den Aspekt der Inspiration. In Hamburg hast du die Party auf der Straße, in Barcelona am Strand, nur Amsterdam ist überall ruhig und sauber.

„Ruhig und sauber“ sind nicht die Umschreibungen, die mir als Erstes zu Amsterdam einfallen würden.

Na ja, es gibt natürlich eine Menge Drogen und Prostitution, aber das ist alles legal, folglich hast du auch keine Kriminalität. Das klingt albern, aber es ist tatsächlich so. Wenn du diese Märkte staatlich kontrollierst, kommen auch keine Gangster auf diesem Wege an Geld und Macht. Also versteh mich nicht falsch, das System hier funktioniert und ist prima, es ist nur eben alles so furchtbar sicher.

Wie steht es denn um euren musikalischen Pläne?

Wir haben im Sommer angefangen, neue Songs zu schreiben, fünf oder sechs bisher. Im Sommer nächsten Jahres werden wir wohl wieder aufnehmen. Zwischen den letzten beiden Alben gab es eine drei- oder vierjährige Pause, diesmal soll es aber schneller gehen.

Wann kann ich denn mein verpasstes Konzert nachholen?

Im Winter oder spätestens im Frühjahr werden wir wieder in Deutschland unterwegs sein, aber erst einmal geht es jetzt nach England.