MARDI GRAS.BB

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Mit Blech und Bums für besseren Geschmack

Hadron. Drehkörper, unruhiges Kind. So klein und doch teilbar. Zehn hoch minus dreizehn Zentimeter. Zuletzt die Eitelkeit des Sichtbaren begründet die Suche nach Essenz im Unsichtbaren. Was Form ist, will geformt sein! Quarks und Quanten, Keppler und Bohr – rätselhaft ist der Nukleus, Rätsel bleibt das Wollen! Und was, wenn das ungesehene Land des Allvaters, tiefblau, die forschwütige Netzhaut am Okular da einst erröten ließe? Was, wenn endlich sichtbar gemachtes Flirren schwanenweißer Nukleonen, filigraner, propellergetriebener Drehkörper, Maschinen einer anderen Ordnung, sphärisch und wandelbar, vergnügt ergeben in antiparallelem Spin, die gleiche ephemere Anmut besäße, wie das tolle Umeinander der Planeten und Systeme, tobte wie der Paarungstanz liebestoller Pfauenaugen über Latifundien von Blütenhonig oder das Nebenher der Vehikel dem Strome nach? Was, wenn das Ur selbst Konzept, systematisch schon und doch sterblich ist – Ektoplasma des gelebten Augenblicks?! Wo würden wir dann suchen?

Hadron. So heißt außerdem das neue Album der Mannheimer Brass-Band MARDI GRAS.BB. Ihr inzwischen achtes Werk in neun Jahren. Und Album für Album nahmen sie den Hörer immer wieder aufs Neue mit auf die Reise durch ihre Welt zwischen den Sümpfen von New Orleans und den Kohlegruben des Saarlands, zwischen Jazz und Blues, Soul und Funk, Rock und Gospel. Immer wieder auf der Suche und sich stets neu erfindend. Umtriebig sind die Herren nicht nur im Studio, sondern auch auf den Bühnen Europas. Zahlreiche Tourneen liegen hinter ihnen, hoffentlich noch viele vor ihnen. Das Herzstück der Band sind Sänger und Gitarrist Doc Wenz sowie Bassist und Susaphonist Uli Krug, die Gründer, Lenker und Denker von MARDI GRAS.BB. Anlässlich ihres Konzertes im Hamburger Bunker-Club Übel & Gefährlich trafen wir uns mit den beiden zum Interview.

Wie entstand die Idee zu MARDI GRAS.BB? Woher die Vorliebe für den Marching-Sound aus New Orleans? Das fällt einem Mannheimer ja nicht in den Schoß.


Uli Krug: Ich bin ein alter Hase, der noch die ganze wilde Studentenzeit mitgemacht hat. Daher muss Musik für mich immer was Rebellisches haben. Bevor ich mit MARDI GRAS.BB angefangen hatte, war mir das ein wenig verloren gegangen. Als wir dann anfingen, konnte ich so der Musik wieder über den Weg der Straße eine Wichtigkeit geben. Und dann habe ich den Doc kennen gelernt, der sich sehr gut mit diesem Genre auskannte, mit Louisiana und den Südstaaten, und damit auch die Ideen, die mich beschäftigten, verstand. Die dritte Komponente war dann der Gordon von unserer Plattenfirma Hazelwood Vinyl Plastics als Produzent, der auch jemand ist, der mit seinem philosophischen Ansatz sehr ähnlich tickt. Bei Hazelwood geht es im Großen und Ganzen um Vernetzung im Underground, also um eine Gegenkultur, die Rock’n’Roll in einer rebellischen Art und Weise praktiziert. Da haben wir dann eben auch einiges von abbekommen. Alleine, was die Netzwerke innerhalb des Hauses Hazelwood mit all den anderen Bands angeht. So kommt es dann zu einem europäischen Austausch und man bekommt plötzlich mit, dass es neben uns auch noch Keimzellen in Nürnberg, Österreich, England, Dänemark und Frankreich gibt. Ich finde das ganz toll, dass sich die Idee des Labels so weit entwickelt hat. Das führt so weit, dass gerade jüngere Musiker, die da mal bei uns mitmachen, das Ganze wie eine Schulzeit oder eine Lehre betrachten. Und so ist es auch unser Anspruch, sie in irgendeiner Form auszubilden und sie mit einem gewissen Verständnis von Gegenkultur vertraut zu machen.

In der Band gibt es ja innerhalb der Besetzung, mit Ausnahme von euch beiden, eine hohe Fluktuation. Wie funktioniert das?

Uli Krug: Wir haben so etwas wie eine Ersatzbank, so dass eigentlich jede Position, mit Ausnahme von mir, dem Doc, unserem Schlagzeuger und dem DJ, doppelt besetzt ist. Dennoch gibt es auch hier einen festen Zusammenhalt und Austausch. Wenn das Boot dann auf Fahrt geht, wird die Besetzung ganz genau ausgearbeitet. Dazu gehört natürlich ein hoher Grad an Disziplin.

Doc Wenz: Disziplin ist eigentlich die Voraussetzung für das Gelingen. Daran ist es auch schon lange nicht mehr gescheitert. Es dürfte auch jedem klar sein, der bei MARDI GRAS.BB mitspielt, dass derjenige sich einer gewissen Arbeitsroutine unterzuordnen hat. Am Anfang, in unserer wild bewegten Phase, gab es da mal zwei, drei Kollegen, bei denen es zu Missverständnissen in diesem Bereich kam, die dann allerdings auch schnell merkten, dass wir nicht ganz der richtige Hafen für sie waren. Im Allgemeinen ist das aber allen klar. Eine Band in der Größenordnung von MARDI GRAS.BB mit unserer hohen Livepräsenz und dem internationalen Ansatz, den wir haben, funktioniert nur, wenn man gewisse infrastrukturelle Spielregeln einhält.

Du sprichst die Internationalität der Band an. Wie wichtig ist dieser Punkt bei MARDI GRAS.BB?

Doc Wenz: Das wechselt immer ein bisschen, weil man leider sagen muss, dass die Situation für Bands im benachbarten Ausland zum Teil – man mag es kaum glauben – noch desolater ist als bei uns in Deutschland, was den gesamten Zustand des Musikbusiness angeht. Wir sind aber sehr stolz darauf, nicht zuletzt aus historischen Gründen, als deutsche Band in Frankreich bald größer zu sein als in Deutschland. Vielleicht nicht unbedingt, was Plattenverkäufe und die Häufigkeit von Konzerten angeht, aber unser Bekanntheitsgrad ist dort sicher zwei- bis dreimal so hoch. Das macht gerade uns beiden sehr viel Spaß und wir sehen darin letztendlich auch die Belohnung dafür, dass wir englisch singen, was im eigenen Land sicher ein Standortnachteil ist. Aber so werden wir nun als internationaler Act akzeptiert, der überall spielen kann. In Frankreich sagte mal jemand zu uns: „In Deutschland mögt ihr respektiert werden, die Franzosen aber lieben euch.“ Das hört man natürlich gerne.

Stand es denn mal zur Debatte, deutsche Texte zu schreiben?

Doc Wenz: Ehrlich gesagt, bis vor kurzem nie. Nun kommen aber schon mal die Gedanken. Nach sechzehn Jahren sich stets neu erfinden, wäre das natürlich einer der radikalsten Schritte, plötzlich die Sprache zu wechseln. Ich selber habe da noch keine endgültige Entscheidung getroffen, will es nicht ganz ausschließen, finde es aber extrem schwierig. Es gibt kaum Gruppen, die das in ihrer Geschichte vollzogen haben und denen das dann auch gut zu Gesicht stand. Außer ELEMENT OF CRIME fällt mir da kaum eine ein. Ganz zu Beginn meiner musikalischen Sozialisierungsphase habe ich, in meinen damaligen ersten drei Punkbands, noch deutsch geschrien. Da hatte es auch besser gepasst. Heute, wo ich eher singe als schreie, mache ich das doch lieber auf Englisch. Je leichter die Parolen sind, desto einfacher ist es, das auf Deutsch zu bringen. Solange es keine Ebenen der Brechung gibt, wie bei „verdammtes Nazischwein“, funktioniert das gut. Schwierig wird es dann, wenn man etwas intellektueller oder gar literarisch wird. Dann hast du das Problem, dass es ganz leicht zu intellektuell-schwurbelig wird. Und damit entfernst du dich dann sowohl vom Pop als auch vom Rock. Vielleicht war das der Hauptgrund für mich, keine deutschen Texte zu schreiben. Auch wenn das jetzt vielleicht ein wenig bildungsbürgermäßig rüberkommt, sage ich mal, ein deutscher Text ist erst dann gut, wenn man über ihn in der dreizehnten Klasse Deutsch-Leistungskurs eine Abiturklausur schreiben kann.

Kommen wir von den Texten zur Musik: Wie funktioniert das Songwriting in einer so großen Band? Schreibt da ein einzelner den kompletten Song oder wird da gemeinsam dran herumgebastelt?

Doc Wenz: Ich schreibe und arrangiere die Songs im Alleingang. Wir haben es nie probiert, wie es wäre, sich zum „Jammen“ zu treffen, um dann zu schauen, was dabei rauskommt. Bei uns gab es aber auch von Anfang an ganz andere Strukturen. Reverend Krug hatte mir direkt den Auftrag erteilt, bei dem Musikalisch-Konzeptionellen federführend zu sein, also was Kompositionen und Arrangements angeht. Davon haben wir uns bis heute nicht entfernt. Schließlich ist das unsere Arbeitsgrundlage. Ich wusste, dass ich das kann, und ich wusste, dass ich das will, also haben wir das so gemacht. Und ich muss sagen, es hat sich bislang als gutes Konzept erwiesen.

Im Zusammenhang mit MARDI GRAS.BB taucht in eurer Biografie immer mal wieder der Name der Krautrockband GURU GURU auf. Da hast du mitgespielt, Uli, oder?

Uli Krug: Das gehört eigentlich nicht wirklich in ein MARDI GRAS.BB-Interview. Für mich persönlich war das damals aber sehr wichtig. Aufgrund meines hohen Alters bin ich in einer Zeit der späten Studentenbewegung sozialisiert worden, wie ich zu anfangs schon sagte. Damals habe ich in Heidelberg studiert und da noch die ganzen AStA-Geschichten und Straßenschlachten mitbekommen. Dadurch bekam ich sicher ein ganz anderes Verhältnis zur Musik, wie es heute bei jungen Menschen so wahrscheinlich gar nicht mehr vorstellbar ist. Daher war das für mich eine sehr wichtige Zeit, wenn auch immer taktisch geprägt. GURU GURU war sehr weit von dem weg, was mich eigentlich musikalisch interessiert hat. Ich fand GURU GURU in ihrer Anfangsbesetzung immer am besten. Mir ging es aber eher darum, mal auf Tour gehen und Zeit mit Freunden verbringen zu können.

Und du, Doc Wenz, hast, wie du eben sagtest, in Punkbands angefangen, Musik zu machen?

Doc Wenz: Ja, richtig. Ich komme ursprünglich aus Kaiserslautern, was ja in der zweiten Welle der Punk-Bewegung musikalisch sogar mal eine recht große Rolle spielte. Das war eine sehr lebendige Szene damals zwischen 1980 und 1986, aus der dann Bands hervorkamen wie die WALTER ELF oder die SPERMBIRDS. Aus diesem Sud komme ich auch. Meine allererste Band hatte ich damals mit Beppo Götte, der später in beiden oben genannten Bands aktiv war. Der hatte damals schon Trompete gespielt, da waren also bereits Bläser mit dabei. Schon nach einem halben Jahr verfügten wir über einen dreiköpfigen Bläsersatz, daraus entstand dann die Band ACOPATZ. Da haben wir sogar noch an einem der letzten Abende im Ratinger Hof in Düsseldorf gespielt. Später lief das dann alles etwas auseinander, bis die Band SOUL BASAR entstand. Da war ich fünf Jahre lang dabei, bis es kurz darauf mit MARDI GRAS.BB losging.