GOLDENEN ZITRONEN

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Mit Schorsch Kamerun über Kunst reden

2001 erschien das letzte (und erste) Ox-Interview mit den GOLDENEN ZITRONEN. Eine recht magere Bilanz angesichts der Tatsache, dass unser Heft seit über 20 Jahren ihr Wegbegleiter ist. Geschätzt habe ich die Platten und Konzerte allerdings schon immer, sowohl zur Funpunk-Frühzeit wie in der Diskurs-Phase der Neunziger, auch heute sind sie noch brillant, und Ted Gaier, Schorsch Kamerun und ihre jeweiligen Mitstreiter waren sowieso schon immer besser und interessanter als so manche Band, die sie in kommerzieller Hinsicht zwar überholte, die heute aber längst vergessen oder in der Belanglosigkeit angekommen ist. Die Geschichte der Zitronen lässt sich übrigens bestens nachvollziehen anhand der kürzlich erschienenen Doppel-DVD „Material“, und diese wiederum überzeugte mich davon, dass es mal wieder Zeit ist für ein Zitronen-Interview, das dann jedoch eher zu einem über und mit Schorsch Kamerun wurde.

Ich erreiche dich unter einer Münchner Telefonnummer – was machst du da?


Ich wohne seit zwei Jahren hier: Ich bin da am Theater, und meine Freundin arbeitet auch da, als Grafikerin. Und ich finde es gut hier.

Der Proto-Hamburger lebt jetzt also in München ...

Ja, meine Güte ... Die Städte-Diskussion ist doch echt langweilig. Was soll denn besser oder schlechter sein an Hamburg oder München? Es geht immer um die Leute, und ja, ich komme gut klar hier, ich finde es super. Sowieso fanden wir München schon immer gut, mehrere Platten der Zitronen erschienen auf dem Münchner Sub Up-Label.

Ich stehe ja auch nicht auf diese „Städte-Battles“, aber dennoch: dich, DIE GOLDENEN ZITRONEN, das verbindet man mit Hamburg, einer bestimmten Szene.

Ja, aber ich fand das noch nie spannend. Berlin, das war immer eine aufregende Stadt, aber das hat sich geändert. Diese alte Urbanität, die existiert nicht mehr, alles ist total ausgeleuchtet, und in den coolen Clubs hängen noch mehr Werber rum als in den nicht so coolen. Ach egal, ich wohne eben in München.

Ja, aber so einfach lasse ich da nicht locker: In dieser Themenwelt des „Kreativ-Prekariats“ der vermeintlich coolen Medienarbeiter, da bewegen sich die Zitronen immer wieder mal thematisch und textlich, und wohl auch nicht wenige Zitronen-Hörer.

Ich denke, das ist seit einiger Zeit ziemlich obsolet: das, was einst Subkultur war, ist zum Mainstream geworden. Das ist ja auch einer meiner Themenbereiche, wenn ich Theater mache. Und wir selbst waren ja in gewisser Weise auch Vorreiter dieser „Gentrification“. Der Golden Pudel-Club in Hamburg, zu dem ich ja auch gehöre, fing da am Hafen an. In diesem Stadtviertel war damals nix, wir fanden das exotisch und spannend, es war billig, man konnte sich einfach seinen Freiraum schaffen. Durch unser Tun allerdings haben wir andere angelockt, und das Ergebnis ist, dass solche Stadtviertel dann teurer werden. Zu so einer Entwicklung haben wir also selbst unseren Teil beigetragen. Und im Schanzenviertel, wo der alte Pudel-Club war, gab es vor uns ganz genauso nichts. Bald eröffnete dann da so ein kleiner Asia-Imbiss: Den Tag werde ich nie vergessen, plötzlich gab es da um die Ecke was zu futtern, und ich ging da mit Rocko immer hin. Heute hat sich dieser Asia-Imbiss in Hamburg zu einem Imperium entwickelt, Bok heißen die Läden, die sind recht schick. Und na ja, wir wissen ja, was aus dem Schanzenviertel geworden ist: Das ist der hippe, schicke Stadtteil, und ich traf eben noch einen alten Bekannten, der Musik-Fotograf ist, der mir erzählte, dass Smudo sich jetzt da eine Eigentumswohnung gekauft hat – in einer Gegend, die wir erst „begehbar“ gemacht haben. Allerdings haben wir das nicht kommerziell genutzt, und bis heute verdiene ich mit dem Pudel-Club eigentlich kein Geld.

Da muss ich die polemische Frage stellen, ob ihr das nicht kommerziell ausnutzen wolltet oder ob ihr zu doof dafür wart.

Nein, wir haben das nicht gewollt. Da Geld zu verdienen wäre ein Leichtes gewesen. Man kann bei so einem Club anfangen, Eintritt zu verlangen, man kann Türsteher hinstellen, man kann die Preise hochsetzen, einen Brauerei-Deal machen, das an Filmtypen vermieten – das haben wir alles nicht gemacht. Da sind wir also immer konsequent geblieben.

Was für eine Geisteshaltung steckt hinter so einem Verhalten in einer Welt, in der man das Gefühl hat, alle würden nur darauf warten, das dicke Geschäft zu machen?

Das hat was damit zu tun, wie man die Welt begreift und wie man sich wohl fühlt. Es ist nunmal so, dass ich diese ganze Kettenlädenmentalität als lästig empfinde. Ich kann das nicht ertragen, und ich mag auch Labels und Marken nicht! Ernsthaft, ich finde das bedrohlich. Wenn du in irgendeiner Stadt aus dem Zug steigst, sieht es da so aus wie überall. Alles ist beherrscht von den immer gleichen Konzernen – so sieht Globalisierung aus, und das tötet jegliche Kreativität, die Freiheit, die Flexibilität. Dagegen zu sein, das ist bei mir schon eine echte Überzeugung. Und obwohl ich mittlerweile auch ökonomisch sehr unabhängig bin, wirklich Geld verdiene, merke ich immer mehr, dass mich Waren nicht interessieren, dass ich immer weniger mit der Warenwelt anfangen kann. Alles, was damit zu tun hat, stößt mich ab. Das fing allerdings schon früh an, schon ganz am Anfang der Bandgeschichte haben wir die großen Plattenverträge abgelehnt – wirklich aus dem Grund, dass wir glaubten, damit nicht besser zu fahren. Um in diese Situation zu kommen, muss man andererseits aber natürlich auch erstmal was zu verkaufen haben, und von dieser Art von Konsequenz lebe ich heute auch, ohne mich zu verbiegen. Man nennt das „Haltung“, und für bestimmte Leute ist so was attraktiv, man lädt mich deswegen ein, an Theater und sonstwohin. Solange ich da keine Kompromisse machen muss, finde ich das auch in Ordnung. Bösartig ausgedrückt könnte man aber natürlich auch sagen, dass ich diese Haltung verkaufe. Aber letztlich sollen das andere entscheiden, wie mein Verhalten zu werten ist. Vom Gefühl her würde ich jedoch sagen, dass ich mit der Zeit immer konsequenter werde, nicht inkonsequenter. Ich hasse das alles, das ist so lebensfeindlich. Ich lebe in München, mir gefällt es hier, aber wenn man da so durch die Stadt läuft ...

... die teuerste Stadt in Deutschland, angeblich auch die mit der höchsten Lebensqualität ...

Ja, es gibt hier viele reiche Leute, aber die meisten Millionäre leben in Hamburg. Und in Berlin leben auch genug Leute, die Geld haben – wenn ich nur diese „Grill Royal“-Nummer in Mitte sehe ... Ich werde ja auch immer wieder in solche Läden eingeladen, aber ich will da nicht hingehen. Ja, ich bin Regisseur an den größten Theatern in Deutschland, da hat man schon Kontakte zu bestimmten Leuten, aber das stößt mich ab. Und diese „kritischen Konsumenten“ überall, die widern mich an. Das ist ein Ausdruck von Thomas Ebermann, den ich sehr schätze: Diese Leute, die genug Kohle haben, rumsitzen und über alles meckern. Diese nörgelige Art, wenn Leute nicht mal damit zufrieden sein können, was sie sich alles leisten können. Also das ist ein ganz großer Begriff, finde ich.

Ich hätte unter dem Begriff eher verstanden, dass man sich überlegt, wo man sein Geld hinträgt, Stichpunkt „Konsumentenverantwortung“: Tante-Emma-Bioladen oder Aldi.

Ja, das finde ich gut, ist aber auch kompliziert, Stichwort: Basic-Bio-Supermarkt mit Lidl als Investor. Oder: Was mache ich mit Geld, das ich übrig habe? Gebe ich das jemandem, der auf der Straße sitzt und bettelt? Gibt es „korrektes Geld“?

Gibt es ein „richtiges“ Leben im falschen System?

Das weiß ich auch nicht. Das Leben ist sehr komplex, und es gibt nicht nur eine gute und eine schlechte Seite, das ist meine Erfahrung, auch mit den Szenen, die sich mal radikal nannten. Auch da gibt es ja Hierarchien und Ungerechtigkeiten. Trotzdem fühle ich mich damit verbunden.

Apropos Punk-Szene: Das ist der Hintergrund deiner Rolle, die du als Sänger der GOLDENEN ZITRONEN spielst. Aber du hast ja noch einen ganz anderen, nun, „Job“: du bist Theater-Regissseur. Was machst du da?

Ich mache Theaterstücke, das heißt, bei uns heißt das „Projekte“. Ich interpretiere also nicht die geschriebenen Stücke anderer oder Klassiker, sondern mache die im Normalfall selbst, trage Texte zusammen, mache dafür Interviews und so weiter. Ich beginne immer bei null, da gibt es erst mal nichts und ich baue was zusammen.

Ein Beispiel?

„Biologie der Angst“ war letztes Jahr in Zürich ein Projekt am Schauspielhaus. Da ging es um die Ängste von heute, ich habe da mit so Angst- und Panikgeschichten auseinandergesetzt, wie sie heute meist junge Leute haben. Da ging es um Entfremdung, Subjektivierung, ja, das sind bei mir meist soziologische Themen, die bei der Band sicher auch auftauchen. Ich kann das ja sowieso gar nicht trennen, diese Inhalte, die es bei der Band gibt, gibt es auch im Theater. Und bei den Hörspielen tauchen die auch auf. Ich habe ja für den WDR mehrere Hörspiele gemacht, habe dafür auch Preise bekommen – sogar den größten, den es für Hörspiele überhaupt gibt. Das ist mir einfach so passiert, das hat jemand eingereicht und plötzlich hast du das Ding, haha. Interessant daran war, wie ich dann im Bundesrat den Preis entgegennehmen durfte, das war schon echt krank. Da stehst du dann so, es soll ein Foto gemacht werden, und ich stehe vor diesem Bundesadler. Zum Glück war da Gerhart Baum, den ich echt toll finde ...

... der FDP-Politiker und ehemalige Bundesinnenminister der Jahre 1978 bis 1982.

Das ist ein guter Typ, der sich sehr gegen Vorratsdatenspeicherung und so weiter einsetzt. Der hat bei dieser Preisverleihung die Laudatio auf mich gehalten, das war echt etwas strange. Jedenfalls stand ich also da unter diesem Adler, es sollte fotografiert werden, und Baum sagte dann zu mir: „Gehen Sie doch mal von diesem Adler weg, ich hab mich doch über Sie informiert, das passt doch gar nicht zu Ihnen.“ Das Hörspiel kann man sich übrigens auf meiner Website anhören, es heißt „Ein Menschenbild, das in seiner Summe null ergibt“.

Ist die Arbeit am Theater denn fundamental anders als mit der Band?

Es fühlt sich nicht sehr anders an, nein, denn die Theaterstücke sind auch immer mit viel Musik. Man bekommt einen Zeitraum, in dem kann man proben, und dann kommt das irgendwann zur Aufführung. Ich habe das Glück, das jetzt schon seit zehn Jahren an den verschiedensten Theatern unzensiert machen zu können, ich bin da froh drüber. Hier in München am Theater habe ich jetzt eine Reihe gemacht unter dem Titel „Ninfo/No Info“, und da ging es darum, mal zu überprüfen, wie viele Angebote, Möglichkeiten und Informationen wir eigentlich brauchen, was kann man mal weglassen, Stichwort: Reizüberflutung und so.

Du bist Autodidakt, hast nie eine formale Ausbildung in dem Bereich gemacht.

Ich habe mal eine Lehre als Kfz-Mechaniker gemacht und auch abgeschlossen. Aber das ist auch schon 20 Jahre her. An Bremsen und so, mechanische Dinge, da würde ich mich noch rantrauen. Etwa bei meiner Karre, das ist auch ein älteres Modell, ein großer, kastiger Volvo 850.

Ja, die sind in Intellektuellenkreisen recht angesagt: schön groß, viel Platz, wenn man Kinder hat – aber auch durstig ...

Ja, viel Sprit braucht der, so um die zehn Liter, aber dafür ist der billig in der Anschaffung.

Öko geht anders ...

Schön ist das nicht, aber ich fahre ja auch nicht so viel. Und: das Auto hat eine grüne Umweltplakette, also bitte ...Na ja, ich habe jedenfalls, nicht mal einen Hauptschulabschluss. Alles, was ich kann, habe ich bei meiner Band gelernt: Du hast eine Gruppe von Leuten, und mit denen muss ich Themen verarbeiten. Ich habe Einflüsse aus Musik, aus Performance, kenne mich mit Sprachhaltungen aus, habe eben gelernt, einen Text irgendwie zur Musik zu singen, und das ist am Theater sehr nützlich, denn da muss man ja auch Texte zum Klingen bringen. Und der Rest ist Taktik, da setze ich mich halt hin und sage, ich bin Musiker, ich bin Regisseur.

Angesichts deiner Laufbahn bist du also ein leuchtendes Beispiel der „Selbsterziehung“, D.I.Y. und damit Punkrock pur ...

Wenn du so willst, ja. Und man muss ein wenig Glück haben. Ich habe mir nie Ziele gesetzt, tue das auch heute nicht. Ich wurschtele halt so rum, glaube aber schon an Strukturen, an Szenen, an bestimmte Umgebungen, an Leute, an Bewegung. Und dann kommt vieles von alleine. Ich würde aber trotzdem jedem empfehlen, einfach mit seinem Nine-to-five-Job aufzuhören, wenn man denkt, man hält das nicht aus. Probier es aus, einfach autonom loszumachen, es lohnt sich.

Nun, mit der Autonomie ist es ja so einer Sache: Als Künstler lebt man ja meist von dem, was der Staat, die Gesellschaft bereit ist, dafür auszugeben – das gibt es so on top, als Speckkruste, wenn man es bezahlen kann, oder wird auch mal gekürzt, in Zeiten wie dieser.

Wir leben in Mitteleuropa, das ist mit die reichste Gegend dieser Erde, und ich glaube, dass man gut daran tut, kritische Kultur, also Kultur, die die Gesellschaft untersucht, zu subventionieren. Und ich denke, man sollte da noch viel mehr subventionieren, denn wir alle wissen ja, wofür sonst Gelder ausgegeben werden, etwa für die gigantische Kriegsmaschinerie. Außerdem erleben wir ja alle gerade, was passiert, wenn man alles privatisiert. Wenn man sich von der reinen Ökonomie abhängig macht, dann werden die Inhalte auch davon abhängig, und das ist ein Problem. Denn das Gute an subventionierter Kunst ist ja, dass sie wenigstens unabhängig ist – auf den Plakaten meiner Theaterstücke findet sich eben nicht das Marlboro-Logo. Das passiert aber heute sonst allen Leuten, die Popkultur machen – Bands, Clubs, Zeitungen, das ist alles abhängig von irgendwelchem Sponsoring-Scheiß. Bei mir nicht, das ist gut so, und deshalb nehme ich den so genannten „Bildungsauftrag“ durchaus ernst.

Auf der anderen Seite ärgert sich unsereins darüber, dass man als Fanzine-Macher nicht die Möglichkeit hat, sich seine „Kulturarbeit“ staatlich alimentieren zu lassen, so man das überhaupt wollte. Manches würde etwas Fördergeld aber sicher erleichtern, und die Summen wären angesichts der Gelder, die in der so genannten „Hochkultur“ verblasen werden, noch sehr überschaubar. Wie stehst du zu diesem Widerspruch?

Ich würde es nicht übel finden, wenn jemand wie du für das, was er da macht, auch Geld beantragen kann. Es gibt ja ohne Ende Möglichkeiten für Förderung, doch wer will sich da schon einarbeiten? Ich habe da aber auch kein Tips, habe selbst einfach nur Glück gehabt. Es kam einfach jemand und hat mich bei der Hand genommen: „Hey, ich finde deine Texte gut, versuch doch mal was für ein Theaterstück zu machen.“ Oder: „Ich finde eure Musik gut, mach doch mal Musik für dieses Stück.“ Ich habe aber selbst noch nie einen Antrag gestellt, das ist halt so passiert.

Du bist einfach ein Glückskind, bist immer an die richtige Stelle gestolpert.

Dazu müsste man sich jetzt lange über Psychologie unterhalten. Das ganze Kunstmachen hat ja auch seine andere Seite, denn in dieser Widersprüchlichkeit, in der ich mich aufhalte, hat das auch was mit Schmerz und Angst zu tun.

Angst vor dem Scheitern?

Das sowieso, aber das ist mir mittlerweile nicht mehr wichtig. Ich bin es gewohnt, auch mal zu scheitern. Wenn jemand Künstler ist, gehe ich davon aus, dass er auch mit einer ganz starken Verunsicherung zu kämpfen hat. Die Künstler, die ich kenne, die ich gut finde, die haben das jedenfalls.

Zum Beispiel?

Der Schauspieler Sepp Bierbichler zum Beispiel, mit dem kann ich mich über so was unterhalten. Oder Albert Oehlen, ein guter Freund, der auch weiß, worüber man da spricht.

Hat das was mit dieser Mentalität zu tun, die es auch braucht, um sich als Sänger einer Band im entscheidenden Moment ohne weiteres Nachdenken von der Bühne zu stürzen?

Natürlich, und so platt das klingt, so hat das doch auch was von einem „Schrei nach Liebe“, da geht es um Aufmerksamkeit, und „narzistische Störung“ ist da immer ein zentraler Begriff – damit hat das was zu tun, auch wenn das jetzt platt psychologisch klingt. Es gibt Normalität, und es gibt Künstlichkeit, zwischen beidem kannst du dich eigentlich nicht entscheiden. Wenn du nicht so ganz normal bist, hast du auf jeden Fall bessere Chancen, Künstler zu werden. So einfach ist das tatsächlich.

Die Bandbreite, innerhalb der sich so was abspielt, lässt sich wunderbar erläutern anhand des Vergleichs der GOLDENEN ZITRONEN mit den TOTEN HOSEN. Eure Wege kreuzten sich sehr früh, es gibt viele Ähnlichkeiten, doch während die sich als bodenständige Handwerker zum mittelständischen Millionenunternehmen entwickelt haben, nahmt ihr einen ganz anderen Kurs, nämlich den der vergleichsweise brotlosen Kunst. In vielerlei Hinsicht sind die beiden Bands also heute das genaue Gegenteil.

Also, der Background ist sehr ähnlich: Campi und ich haben beide einen bürgerlichen Hintergrund, wir sind halt diese typischen Vorstadt-Punks – er aus Mettmann, ich aus Timmendorfer Strand. Später war ich dann in Reinbek, wo mein Alter seine Firma hatte, und klar wollte man da raus, und Punk war in dem Moment einfach ideal. Das bedeutete die größtmögliche Freiheit, und man konnte vor allem auch sehen, dass du Punk warst. Wenn du dir alles an deinem Leib kaputtgemacht hast, dann hat das die Autoritäten wirklich genervt, das war destruktiv und auffällig. Heute allerdings ist nichts mehr auffällig, weil alles bereits kaputtgemacht worden ist. Für uns war das eine sehr günstige Bewegung, „No future!“ war der ideale Slogan, das hieß „Alles, was ihr mir hier gebt, halte ich für totalen Blödsinn, das hat keine Zukunft!“ Das war schon eine gute, starke Ausgangsidee. Punk als etwas Äußeres allerdings hat nur kurze Zeit funktioniert: Es war ein sehr grelles Signal, das für den Moment die Autoritäten schockiert hat, aber bald war das dann auch wieder vorbei, und heute findet diese Art von Signal bettelnd in der Fußgängerzone statt. Für mich hat der Punk-Look als solcher deshalb keine Signalwirkung mehr, und ich interessiere mich auch nicht für eine „Punkband“ wie GREEN DAY. Und eine Punkband sind auch die TOTEN HOSEN, doch die wiederum als Beispiel dafür zu nehmen, was mich mal an Punk fasziniert hat, das wäre Quatsch. Da taugen die Begriffe nicht mehr, genau wie bei Rock’n’Roll – ich finde dieses Lebensgefühl, so mit Groupies, Saufen und so weiter, bescheuert. Das hat vielleicht aber auch was mit Neurologie zu tun, ich langweile mich einfach mit einem Punk-Look, finde aber die Ursprünge von Punk, dieses „Das kannst auch du!“, diesen Minimalismus, dieses „Nimm die Gitarre in die Hand und gründe eine Band!“, ohne jedes Handwerk, das finde ich gut. Das kann man aber auf alles übertragen, so mache ich Theater, schreibe ich Hörspiele. Stilfragen finde ich aber langweilig, doch die meisten Leute meinen, Punk über den Stil definieren zu können. Deshalb will ich so über den Begriff nicht mehr reden – da sollen andere tun.

Und was verbindet Campino und dich heute?

Campi und ich, wir waren beide interessiert an diesen schrottigen Umgebungen in der Urbanität, er in Düsseldorf, ich in Hamburg, man hat sich da schon sehr getroffen. Wenn du jetzt den Begriff „bodenständig“ verwendest, dann muss ich sagen, ich bin davon auch nicht weit weg. Man wollte Scheiße bauen, aber irgendwann hat man dann geschaut, was das eigentlich ist. Bei den Hosen ging es dann in Richtung Rock’n’Roll – bei uns zu Beginn ja auch –, aber irgendwann wurde dann analytischer vorgegangen, und das Ergebnis ist, wo wir heute stehen. Ich bin mit Campi immer noch sehr gut befreundet, und das wird auch nicht weggehen, weil wir uns damals sehr nahe gekommen sind, wir fuhren zu zweit in den Urlaub. Solche Sachen verschwinden nicht, so was kriegst du nicht mehr aus dem Kopf.

Manche Lebensphasen prägen einen einfach sehr stark.

Ja, das merke ich jetzt auch hier in München: Ich finde es nicht mehr so einfach, sich sein soziales Leben neu aufzubauen, da greift man eben auf die alten Typen zurück. Und so ist es mir doch egal, was die Hosen da so treiben mit ihrer neuen Platte, und genauso ist es Campi egal, was ich da mache. Man reflektiert das zwar, aber das ist es dann auch – wir begegnen uns auf einer ganzen anderen Ebene. Ich stehe wirklich nicht auf das, was die Hosen heute machen, aber da ist auch eine Energie drin, die mich interessiert, und diese Energie habe ich auch, ich benutze sie nur anders. So einfach kann es sein.