HOSTAGES OF AYATOLLAH

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Von Velbert nach Bottrop

Ich glaube, nur wenigen Fans der TERRORGRUPPE war Zeit deren Bestehens bewusst, dass die Berliner Formation mit Archi und Jacho zwei altgediente Szene-Veteranen an Bord hatte, deren Ex-Bands essentiell zur Entwicklung von Punk und Hardcore in Deutschland beigetragen haben. Im Falle von Archi war das INFERNO – eine ultimative Best Of-Platte erschien 2008 – und im Falle Jacho H.O.A./HOSTAGES OF AYATOLLAH. Die existierten von 1982 bis 1989, kamen aus Velbert (im Niemandsland zwischen Essen, Wuppertal und Düsseldorf) und haben sich mit dem 1984 veröffentlichten „Hallo Nachbar“ einen Platz weit oben auf der Liste der besten deutschen Punksongs aller Zeiten gesichert. Mehr vom frühen US-Hardcore- und Punkrock als vom klassischen Deutschpunk beinflusst, aber mit meist deutschen Texten, wurden die Jungs aus dem Niederbergischen erst regional bekannt in einer Szene, in der sich Bands wie BLUTTAT, WUT oder S.O.S. tummelten, und schafften es dann auch bundesweit zu einiger Präsenz. 1986 erschien die Split-LP „Kaaba Kaaba Hey“ mit MANSON YOUTH, 1988 das Album „Simply Too Much Nothing“, doch danach war die Luft raus, die jugendliche Begeisterung verpufft – und die Band 1989 am Ende. Angesichts der jetzt erschienen „AntHOAlogy“-LP/CD stellte ich Jacho, der mit den BOTTROPS heute immer noch musikalische aktiv ist, ein paar Fragen.

Velbert ... das war wohl eure private Hölle. Nicht weit von den Großstädten entfernt, aber keine Bahnlinie nach Düsseldorf, Wuppertal oder Essen. Beinahe so schlimm wie das tiefste Bayern, oder?


Velbert in den 80ern war wirklich eine absolute Sackgasse und ein großes Schwarzes Loch, jedenfalls für diejenigen, die weder Führerschein noch eigenes Auto besaßen, um aus der Stadt rauszukommen. Irgendeine Art von Jugendzentrum, ein guter Laden oder eine Bar für so was Ähnliches wie „Subkultur“ oder „Neue Musik“ war nicht existent, das JUZ wurde die meiste Zeit vom Jugendamt geschlossen. Die Bars spielten TOTO, FOREIGNER und BOSTON. Es war eine absolute kulturelle Wüste. Eigentlich alles kein Problem, denn es gab ja „Leben, Leben um uns herum“ in Düsseldorf, Wuppertal und dem Ruhrpott, da wurde zumindest an jedem Wochenende der Grauschleier über der Stadt weggefegt, gerade mal 20 Minuten mit dem Auto entfernt. Nur, wir waren ja gerade erst 13 oder 14 Jahre alt geworden, als wir von diesem Virus der Neuen Musik erwischt wurden, egal ob Punk, Wave-Powerpop, Ska oder „Neue Welle“ – bevor dieses NDW-Wort von den Majors ausverkauft wurde. Ein Jahr später haben wir dann damit angefangen, zu den Konzerten in die umliegenden Großstädte zu fahren, mit Bussen und S-Bahnen: anderthalb Stunden bis zur Börse Wuppertal, zweieinhalb Stunden bis zum Okie Dokie in Neuss. Unterwegs schnell verstecken oder fliehen vor besoffenen Hirnis, Karateprolls, Nachwuchs-Rockern und Fussballfans, die nichts anderes zu tun hatten, als kleine Punker zu jagen. Und die Idioten waren freitags immer mit 15 oder 20 Leuten unterwegs, an Busbahnhöfen, in der S-Bahn, an Umsteigehaltestellen. Nach zwei Jahren und einigen gebrochenen Nasen hatten wir es immerhin geschafft, Bands wie ZK, DER MODERNE MANN, die FEHLFARBEN oder HASS zu sehen. Bald darauf lernten wir dann zum Glück genug „Szene-Veteranen“ mit eigenen Autos kennen, manche von denen schon im hohen Alter von 26 Jahren. Von da an ging es jedes Wochenende per „Matatu“ raus aus dem Kleinstadtgefängnis: drei vorne, fünf auf den Rücksitzen und zwei im Kofferraum.

Und wie, wann, mit wem ging das dann los mit der Band?

So eine entsetzliche Kleinstadt mit absolutem Null-Angebot an Fun und Kultur hat natürlich auch Vorteile: Die Ödnis hat uns dazu gezwungen, selber den Arsch hochzukriegen und etwas auf die Beine zu stellen. Nachdem das JUZ mal wieder von der Stadtverwaltung geschlossen worden war, die beiden einzigen Versuche von Hausbesetzungen kläglich gescheitert waren und auch sonst keine Form von Action oder Freiraum zur Selbstverwirklichung am Horizont auftauchte, wurde die Band im Herbst 1981 der Lebensmittelpunkt, da noch unter dem Namen SUIZID KOMMANDO. Und weil es außer uns Gründungsmembers Jah-Jah und Jacho noch mindestens 15 andere Gleichgesinnte gab, die alles dafür getan hätten, nur um der Langeweile für ein paar Stunden zu entfliehen, hat es auch nie an willigen Mitmusikern gefehlt, ganz egal, wie dilettantisch unsere ersten Proben auch ausfielen ... nur gute Schlagzeuger waren rar. Die Band existierte in beinahe wöchentlich wechselnder Besetzung für ungefähr ein Jahr. Ende 1982 hatte sich dann die endgültige Besetzung gefunden. Und diese war dann plötzlich wirklich richtig gut und ambitioniert, Drummer Torso ein Naturtalent, der alle Drum-Patterns der neuesten Hardcore-Scheiben auf Anhieb mitspielen konnte, ohne irgendwelchen Schlagzeugunterricht; Bassist Micha, der Älteste von uns, mit einem riesigen Musikhorizont von SEEDS und SONICS 1964/65 bis hin zum abgedrehtesten Avant-Krach aus irgendwelchen New Yorker Hinterhöfen; und natürlich Sänger Jah-Jah, Ende ’82 gerade mal 16 Jahre alt, mit super Melodien und Bühnenperformance, weit jenseits vom üblichen Früh-80er-„Deutschpunk“.

Wer waren eure musikalischen Vorbilder und Helden?

Anfangs bei den ersten Probeversuchen war unser großes Vorbild die Velberter Ur-Punk-Formation LA VACHE QUI RIT, die uns nicht nur freiwillig ihren Proberaum und ihre Verstärker auslieh, sondern sich sogar dazu überreden ließ, mit uns Grünschnäbeln gemeinsam Musik zu machen, als Aushilfs-Drummer und -Bassisten. Wir hörten zu der Zeit natürlich viel Punk aus England, aber unter dem Einfluss der genialen Platten von HANS-A-PLAST, KFC, ABWÄRTS oder den No Fun- und Schallmauer-Samplern war von Anfang an klar, dass wir nicht in englischer Sprache singen würden: deutsche Songtexte mussten her. Der Rest war dann nur noch eine logische Entwicklung: Nach der ersten DEAD KENNEDYS-LP drang ab 1981 immer mehr vom neuen Sound aus Amerika auch bis in unser Hinterwäldler-Kaff. In der Kulturwüste Velbert lebten immerhin zwei oder drei Wissende, die Platten von GERMS, BLACK FLAG, FLIPPER, CIRCLE JERKS oder DOA besaßen, oder zumindest schon mal davon gehört hatten. Später dann waren auch die „Flex Your Head“-, „This Is Boston Not L.A.“- und „Rodney On The Roq“-Sampler wichtig. Genau wie in vielen anderen Städten in Deutschland war es von da dann für eine bestimmte Gruppe von Punks völlig klar, dass dieser neue Sound aus Amerika und alles, was damit an D.I.Y.-Lifestyle und Aktivitäten verbunden wurde, eine großartige Alternative zu dem doch als sehr stumpf empfundenen und sich immer nur wiederholenden Sauf- und Fashion-Punk aus England war. Ab 1982 begann sich das kleine Grüppchen der Velberter auch immer öfter mit den Punks der umliegenden Großstädte zu treffen. Absolut wichtig und ein großer Einfluss waren sicher die Mülheimer BLUTTAT, deren Feten und Konzerte immer ein wichtiger Treffpunkt waren, um Seinesgleichen zu sehen. Die Band und ihr Umfeld waren fitte Leute, die einiges auf die Beine stellten, und der Höhepunkt waren 1984/85 die Szene und die Konzerte im Mülheimer Kino Kassenberg, das dann auch irgendwann besetzt wurde.

Drei-Worte-Namen waren mal schwer in Mode in der Hardcore-Szene. Wie kam es zu H.O.A.? Ich tippe mal, das hat was mit der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran 1979 zu tun, oder?

Unser erster Drummer Max hatte die Idee: HOSTAGES OF AYATOLLAH – Anlass war natürlich das so genannte „Geiseldrama“ von 1979 und die missglückte amerikanische Befreiung mit den Helikoptern der US-Navy im Jahr darauf. Der Bandname ist dann später besonders gut bei amerikanischen Punk-Fanzines ankommen.

Wie wurde von euch dieser Übergang, diese Trennung von Punk und Hardcore wahrgenommen? Was bedeutete das seinerzeit konkret?

Hat es eine solche Trennung überhaupt wirklich gegeben? Am Anfang, 1982 oder 1983, haben natürlich viele Leute auf die besoffenen Iropunks abgekotzt, die fast jedes Konzert zu einem Desaster werden ließen. Die Typen wurden wirklich verachtet, es gab zu viele sinnlose Hauereien und Idioten-Aktionen. Die Leute, die damals anfingen, Ami-Punk für sich zu entdecken, waren vermutlich die smarteren, die mehr auf die Beine stellten als die Jungs mit ihrer „England 81-Hitparade“ auf der Lederjacke. Aber das gilt auch für die so genannten „Polit- und Hippie-Punks“ unter CRASS-Einfluss. Auch die haben einiges mehr auf die Kette gekriegt als die Sauf- und Rauf-Fraktion. Anfangs unterschieden sich diese Fraktionen gar nicht sehr vom Style und Outfit, eigentlich trugen alle damals schwarzes Leder. Und später, als die Lederjacken im Schrank blieben und stattdessen Karohemden und Bandanas hervorgeholt wurden, da gab es diesen ganzen Ärger auf den Konzerten schon gar nicht mehr. Es kommt mir fast so vor, als wären die Nerv-Idioten nach 1983 alle aus der Szene verschwunden – oder schlauer geworden. Ein Teil der nervigsten Kandidaten ist damals vermutlich in die Psychobilly-Szene abgewandert. Und das Jahr 1985 – sicher nicht nur für H.O.A. der Höhepunkt, sondern auch für die anderen Ruhrpott-Hardcore-Pioniere wie BLUTTAT, S.O.S. oder TU-DO HOSPITAL – verlief extrem friedlich: Ob im Kino Kassenberg, im Eschhaus Duisburg oder auf Partys in Gladbeck und Marl, es gab kaum Ärger. Alle kamen gut miteinander aus, egal, ob Nietenkaiser-Fraktion oder Skater oder Bandana-Orlando. 1982/82 hatten wir noch viele Konzerte im Ruhrpott gesehen, die standen mehr so in der Rubrik „Blutbad“ oder „Abriss-Sanierung“. Wenn es überhaupt jemals so etwas wie eine Trennung von Punk und Hardcore gegeben hat, dann vielleicht in ein paar Städten in Süddeutschland, oder einfach nur eine altersbedingte Trennung: Ende der 80er tauchten viele neue Kids in der Szene auf, die quasi direkt mit „Suffer“ von BAD RELIGION, mit CRO-MAGS oder YOUTH OF TODAY eingestiegen sind, ohne das ganze Punk-Ding vorher jemals mitgemacht zu haben. Aber deswegen von „Trennung“ zu sprechen ist Bullshit, das war einfach nur ein Generationswechsel. Wir selber haben Hardcore nie als „außerhalb von Punk stehend“ angesehen, es war nur ein Kurzwort für „Hardcore-PUNK“, der wahre und etwas härtere Kern, im Gegensatz zu „Wave-Punk“, „Post-Punk“, „Fun-Punk“, „Psyche-Punk“ oder was auch immer. Das gilt natürlich auch für den Sound: Ob die H.O.A.-Songs jetzt mehr „HC“ oder „Punk“ sind, ist Geschmacksache, die Lieder sind zwar für die damalige Zeit ziemlich schnell und hart, aber immer mit Melodien irgendwo zwischen HÜSKER DÜ und Süd-California-Punk und mit Texten, die ja manchmal mehr wie „RAMONES auf Deutsch“ oder wie die Anfänge von Punk und Neue Welle in Hamburg oder Düsseldorf klingen.

Ihr wart ja eine ganze Weile vor den ganzen süddeutschen Hardcore-Leuten wie Dolf, Moses, Armin X-Mist und so weiter. am Start. Wann, wie, wo gab es da Kontakte?

Briefkontakte hat es sicher schon ab Ende 1983 gegeben, aber davon weiß ich so gut wie nichts mehr, denn unser Drummer Torso war der fleißigere Mann für die Demo- und Konzertpost, er hat die Tapes in alle Richtungen verschickt. Armin haben wir zum ersten Mal 1985 beim Konzert in Nagold getroffen, er hat so einiges auf die Reihe gekriegt und mit organisiert, er ist ja auch ein paar Jährchen älter als wir. Moses und Dolf trafen wir erst ein Jahr später, soweit ich mich erinnere. Dieses erste alkoholisierte Zusammentreffen stand aber unter keinem glücklichen Stern. Jahre später haben wir uns dann besser verstanden. In the end we all look back and laugh.

Berlin spielte auch für euch die Rolle des „Fluchtpunkts“ – für uns aus der schwäbischen Provinz war das genauso. Was machte den Reiz der Stadt aus?

West-Berlin war bis zur Wiedervereinigung 1990 nicht Deutschland, zumindest kein Teil der Bundesrepublik Deutschland. Das hat man gemerkt, wenn man all die vielen ex-westdeutschen Punks und Hausbesetzer getroffen hat, die mit 18 vor der Bundeswehr abgehauen waren, denn in West-Berlin war man vor den Feldjägern sicher. Das hat man aber auch gemerkt, wenn man am Kottbusser Tor aus der U-Bahn gestiegen ist oder an der Hermannstraße. Irgendwie war hier Istanbul näher als Bonn oder Köln. Auch nach den brutalen Häuserräumungen von 1981/82 gab es in der Stadt immer noch jede Menge Freiräume, legalisierte Häuser, billige Mieten und unendlich viele Möglichkeiten, jedenfalls verglichen mit unserem Kleinstadtsarg. Manchmal gab es wohl auch zu viele Möglichkeiten, das konnte man immer am Musikerkarussel der West-Berliner HC-Szene sehen, denn eine Bandbesetzung hielt oft nur sechs Monate, dann rotierten wieder die Mitglieder. Hattest du die neue Platte einer WBxHC-Band in den Händen, dann war in der Zwischenzeit sicher schon wieder die Hälfte der Mitglieder von den Fotos auf dem Backcover ausgestiegen und ersetzt worden. Ich schätze mal, die erste Band, die mehr als zwei Jahre in der gleichen Besetzung gehalten hat, waren JINGO DE LUNCH.

Wie kam es dann zu eurer ersten Single, wie schwer war das seinerzeit, so was zu bewerkstelligen?

1984 war das nicht mehr so schwer, es gab einige Leute, die schon Erfahrungen mit dem Aufnehmen oder Pressen einer Platte hatten und die wir dazu ausfragen konnten. BLUTTAT, Ralf vom „Pesthauch-Sämpler“, EA80, Fabsi vom Weserlabel, Micha vom Hannoveraner Label Frostschutz, alles Leute, die man sowieso immer wieder an verschiedenen Konzertorten antraf und deren Telefonnummern wir nach und nach gesammelt hatten. Musiclab-Engineer Harris Johns hatte zu diesem Zeitpunkt auch schon einige Bands aufgenommen, deren Sound in unsere Richtung ging, zum Beispiel INFERNO und BETON COMBO. Wir mussten beim Erklären unserer Soundvorstellungen deshalb nicht mehr komplett bei Null anfangen, wie die erste Generation von Punkbands mit Plattenambitionen 1979/80.

„Hallo Nachbar“ – euer ewiger Überhit. Erzähl bitte was über das Lied von der gleichnamigen Single.

Die Single erschien Ende 1984 und schlug ziemlich heftig in die deutsche Punk-Szene ein, nach einem halbem Jahr kannte wirklich jeder die Songs. Wolfgang Wendland, der uns damals mit seinem VW-Bully ins Studio fuhr, hat mal gesagt: „Es gab eigentlich niemanden, der die Single zum ersten Mal angehört hat und sie dann nicht sofort selber haben wollte“. Das lag aber sicher nicht nur am Hit „Hallo Nachbar“, sondern an allen sechs Stücken, vom Intro bis zum ultraschnellen „Geh doch nach drüben“ zum Schluss. Hit auf Hit. Über die Jahre blieb natürlich „Hallo Nachbar“ am meisten hängen und landete auf hundert oder tausend Greatest-Hits-Tapes. Das Lied beschreibt einen banalen Velberter Sonntagnachmittag nach der großen Fete, der Text stammt von LA VACHE QUI RIT-Bassist und -Sänger Kucky Meineid, der ja auch für ein paar Monate bei H.O.A. aushalf. Es gab damals schon eine zweite Strophe, die hat aber erst zehn Jahre später die TERRORGRUPPE vertont.

Welche anderen Bands aus der Gegend waren damals wichtig?

Neben den Local Heroes und Veteranen LA VACHE QUI RIT war das für uns sicher BLUTTAT. Es sind die Leute aus der Clique und dem Umfeld von BLUTTAT gewesen, die die ersten Punk-Filmnächte und Hardcore-Shows im Kino Kassenberg organisierten und die dann später das ganze Gebäude besetzt haben, als der Vertrag für das Kino gekündigt worden war. Genau genommen waren es Leute von der Band LOKALMATADORE, die es damals ja tatsächlich auch schon gab – einer von denen hatte auch als Filmvorführer im Kino Kassenberg gearbeitet –, aber dazu müsst ihr die mal selber interviewen. Später haben wir dann S.O.S. kennen gelernt, als Opener für die damals recht bekannten Münsteraner RAFGIER, ein Konzert irgendwo im nördlichen Ruhrpott, vielleicht war das sogar in Marl. S.O.S. klangen genau wie wir, schwer Ami-HC-beeinflusst, mit fanatischer Anhängerschaft aus der Hometown, die zu jedem Konzert mitreiste, mit Bandanas und Karohemden. S.O.S. hatten auf Auswärtsfahrten auch immer einen Haufen Skateboards dabei, das hatten wir fast nie. Es gab auch noch andere Bands, die heute kein Mensch mehr kennt. LIEBIS und SOOR aus Essen, die komisch-kaputten COPP UPS, oder die zwei Seitenprojekte unseres Drummers Torso: F.D.J. aus Essen, mit Finne, später MANSON YOUTH, und Kollek, der dann ein paar Jahre später mit dem „Tribal Area“-Video-Fanzine angefangen hat, und die großartigen SEX BOMB SCHARMÜTZEL, die viel zu selten aufgetreten sind. Die spielten Ami-Hardcore vom Feinsten. Die waren eigentlich immer viel besser als H.O.A. gewesen, aber haben irgendwie 1985 den Faden verloren und sich verzettelt.

Und wie, wann, wo kam das erste Rollbrett ins Spiel?

Das Rollbrett kam natürlich viel eher als der Punkrock nach Velbert, 1976 hatte jedes Kind so ein Ding, irgendwelche billigen Plastikteile aus dem Kaufhaus. Schon bald tauchten ein paar echte Gerätschaften Marke Fibreflex oder die Banzai-Alu-Boards auf. Velbert ist eine Stadt mit lauter Hügeln, Anhöhen und kurzen steilen Abfahrten in irgendwelche längst asphaltierten ehemaligen Bachtäler; ein perfekter Downhill-Parcours, sobald am späten Nachmittag der Berufsverkehr von den Gießereien und Montagebändern des Gewerbegebiets nachgelassen hatte. Deswegen blieben die Bretter hier auch nach dem ersten Plastikboard-Spielzeug-Boom für uns Kinder weiterhin interessant. Es gab in der Nachbarstadt Heiligenhaus sogar mal eine Fabrik für Wheels und Achsen namens „A.S.“, das stand vermutlich für August Schulte Druckguss oder so ähnlich. Manche sind nach der Schule dahin gepilgert und haben die Arbeiter nach Teilen „zum Fabrikpreis“ gefragt. Die Schichtholzbretter wurden selber gebaut. Väter, Onkel und Bekannte aus der Tischlerwerkstatt mussten helfen. Das war alles, bevor die neuen breiten Halfpipe-Bretter aus Kalifornien bekannt wurden. Schon sehr früh, ab 1979 oder ’80, gab es dann in der Nachbarstadt eine echte Skater-Szene mit selbstgebauten kleinen Rampen und Kontakten nach Düsseldorf und Münster, wo die richtigen Halfpipes standen. Diese Jungs waren auch zum Teil ein bisschen „wavig-angepunkt“, standen halt mehr auf DEVO und so. Die brachten die Kunde von neuen breiten Boards und das Thrasher Magazine mit. 1981 fuhren eine Menge Kids in Velbert auf den Boards von Alva, Sims oder Powell durch die Fußgängerzone und vorm Jugendzentrum, auch „Normalos“ und Patschuli-Hippies. Durch das Thrasher Magazine haben wir zum ersten Mal Plattenkritiken und Storys über BLACK FLAG, BIG BOYS oder MINOR THREAT zu lesen bekommen, lange bevor es das Maximum Rock’n’Roll gab – und Flipside war in unserem Dorf zu dieser Zeit noch völlig unbekannt. Bei all dem muss man bedenken, dass wir Anfang 1982 wirklich erst 15 oder 16 Jahre alt waren.

Irgendwann war dann Schluss mit der Band. Was war geschehen, was verloren gegangen?

Schon Ende 1985, kurz vor Erscheinen der „Kaaba Kaaba Hey“-Platte, ist die Band zum ersten Mal auseinander gedriftet. Wir hatten ungefähr ein Jahr lang eine absolute Hochphase und viele gute Konzerte gehabt – und waren dann plötzlich mit diesem seltsamen Ding namens „Realität“ konfrontiert worden: Ab 1985 waren wir keine nichtsnutzigen faulen kleinen Schüler mehr, die an nichts anderes denken mussten, als so schnell wie möglich nach der Schule in den Proberaum zu kommen. Jetzt gaben solche elenden Sachzwänge wie Zivildienst, Ausbildung und Lehre den Takt vor, leider vier unterschiedliche Takte. Proben wurden immer seltener, dadurch wurden unsere Konzerte schlechter, wir hatten zu wenig gemeinsame Zeit. Die LP „Kaaba Kaaba Hey“ wurde in nur anderthalb Stunden abgemischt. Das klang scheußlich und hat auch nicht zum Fortbestehen der Band beigetragen. Erst jetzt, 2008, haben wir nach trickreicher aufwändiger Restauration den Sound so hinbekommen, dass es so klingt, wie es damals hätte klingen sollen. Diese Remixe der „Kaaba Kaaba Hey“-LP sind wirklich das Kernstück des Rereleases. Es gab aber auch jede Menge äußere Gründe für das Auseinanderfallen, aber das wird alles im Booklet der Platte genau beschrieben.

Die CD-Neuauflage sieht nach einer Menge Arbeit aus. Wer hat sich da verausgabt, welche Schwierigkeiten gab es, und warum soll das heute noch irgendwen interessieren? Oder war das einfach fällig, nachdem dein Ex-TERRORGRUPPE-Kollege Archi mit dem INFERNO-Rerelease seine Jugend aufbereiten durfte?

Das INFERNO-Rerelease war nicht nur Ansporn, sondern auch abschreckendes Beispiel: Es hat mich total geärgert, dass in den beiden großen Booklets der INFERNO-Veröffentlichung kein einziger Songtext abgedruckt war. Das wurde im H.O.A.-Booklet anders gelöst. Um mal ganz von vorne anzufangen: Tim, der in den 80ern der Chef des emsigen „H.O.A.-Fanclubs“ war, hatte die Idee zur „Anthology“ schon 2003, und zusammen mit drei oder vier anderen Aktivisten haben wir nach und nach alte Fanzines, Fotos und Tapes gesammelt. Drei oder vier Jahre davor hatte ich mal nachmittags kurz vor einer TERRORGRUPPE-Show im Zentrum Altenberg Oberhausen zusammen mit Spiller das Hausarchiv abgesucht und tatsächlich eine Erwähnung unseres ersten Auftritts von 1982 in der Altenberg-Fabrikzeitung gefunden. Das war fast schon Historikerarbeit. 2004 gelang es dem früheren Velberter Tontechniker Roman, das alte durchnässte 8-Spur-Band der „Kaaba Kaaba Hey“-Platte im Küchenherd zu trocknen und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit einer alte Fernsehsender-Bandmaschine zu digitalisieren. Dann starb Micha. Von da an war erst mal lange Zeit die Luft raus, nur ab und zu wurden ein paar Fotos und Fanzine-Auschnitte gesammelt. Die Tapes und digitalen Files lagen fast drei Jahre beim TG-Produzenten Andi Jung rum, der hatte ständig andere eilige Jobs zu bearbeiten. 2007 hatte Andi dann so ein paar Wochen „Zeitfenster“ und er hat mich gefragt, ob wir nicht jetzt endlich mal mit den Remixen und Remasters anfangen sollten. Nach 35 Monaten. Archi hat übrigens auch mitgeholfen.

Welche Platten und Aufnahmen sind auf der CD enthalten, was fehlt?

Es sind eigentlich fast alle H.O.A.-Aufnahmen dabei, wir wollten aber doppelte Songs vermeiden, die Platte soll durchhörbar sein, kein Museumsstück für abgedrehte Sammler. Deswegen fehlen die Songs des ersten „Aha-Tapes“, die später sowieso noch mal für die Single und die Split-LP neu aufgenommen wurden. Es fehlt auch ein Song von der „Kaaba Kaaba Hey“, die feuchten Tapes waren einfach zu übel beschädigt und wurden 1985 schon sehr dürftig aufgenommen, da war ein jämmerliches Phasing auf den Schlagzeug-Spuren. Von der zweiten LP „Simply ...“ haben wir nur die besten Stücke draufgepackt, diese Platte ist einfach nicht mehr so aus einem Guss, die Band hatte sich zu sehr verzettelt. Wer es trotzdem braucht: die zweite Scheibe ist auf Plattenbörsen immer noch relativ erschwinglich. Als Bonus gibt es noch zwei völlig unveröffentlichte Songs aus der Zeit der „Kaaba Kaaba Hey“-LP: das Instrumental „Discovery“ und ein Lied namens „Tanzen“. Die legendäre erste Single ist natürlich komplett enthalten.

Ist Velbert heute noch so schlimm wie Anfang der 80er? Immerhin gab es da in den 90ern mit dem Sonic dann sogar mal einen echt feinen Club.

Stimmt, Anfang der 90er Jahre gab es plötzlich einige Bands und mit dem Sonic sogar einen echten Club für Punk und Rock’n’Roll, der auch immer gut besucht war. Leider hat sich dann zum Ende der 90er alles wieder verlaufen und der Club hat unter neuem Namen seine Ausrichtung geändert. Ich glaube die Bus- und Bahnsituation ist immer noch ähnlich beschissen wie damals. Ein 15-jähriger, der mal schnell in die umliegenden Metropolen fahren will, der sollte zwei Stunden Zeit mitbringen. Dafür gibt es jetzt eine richtige Autobahn nach Wuppertal, zehn Kilometer lang. Ich vermute mal, die Stadt ist heute weniger „rough“ als Anfang der 80er, aber dafür gibt es an einigen Ecken ein echtes Neonazi-Problem, in den letzten Jahren am auffälligsten im Umfeld des örtlichen Fußballclubs.

Was machen die anderen H.O.A.s und sonstigen Punks aus Velbert heute? Bist du der Einzige, der noch einen Bezug zur Musik hat?

Micha starb im Herbst 2004 in Indien, Jah-Jah lebt als Fotograf für Musik und Mode abwechselnd in Hamburg und Paris, er hat nach H.O.A. nie wieder in einer Band gesungen, zu wenig Zeit. Torso wohnt weiterhin im Ruhrpott und hat leider das Schlagzeug aufgegeben, voll schade, er macht aber viel Musik am Computer. Von 1988 bis ’95 war er Drummer bei den Jazz-Surf-Garage-Instrumentalisten CARNIVAL OF SOULS, mit zwei Scheiben bei L’Age D’Or.

Und, gibt es noch mal ein Konzert?

Nein, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Die drei lebenden H.O.A.ler wohnen viel zu weit auseinander und mindestens einer von ihnen hat auch null Interesse an einer Reunion-Show. Aber es wird sicher irgendwann eine große Party geben, zu der dann hoffentlich auch viele Veteranen aus Mülheim, Essen, Duisburg oder Marl anreisen werden. Ein paar Ex-Velberter Punkmusiker werden dann bei diesem Anlass auch einige der alten Hits spielen.