ROGALL

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Laughing Man Meets Sideshow Bob

Der Berliner Rogall (NYLON/MICATONE) hat für sein Projekt ROGALL & THE ELECTRIC CIRCUS SIDESHOW unter anderem Earl Zinger (ex-GALLIANO), Farda P (MC beim Roots Dub Soundsystem ROCKERS HI-FI) sowie Hugo Race (THE WRECKERY, HUGO RACE & THE TRUE SPIRIT, SEPIATONE) und als „very special guest“ Henry Rollins eingeladen. Vor einigen Jahren traf Rogall auf einer Tour, dank seiner Schlaflosigkeit, in einem Nachtzug auf einen Leidensgenossen und man kam ins Gespräch. Die Themen spannten sich von einem der letzten Auftritte von Sun Ra über Jazz, Rockabilly, äthiopischen Funk und vieles mehr. Es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Mitreisenden um keinen geringeren als Rob Gallagher aka Earl Zinger handelte, der einst gemeinsam mit Mick Talbot (ex-STYLE COUNCIL) das Rückgrat der Acid-Jazz-Formation GALLIANO gewesen ist. Der Rest ist Geschichte.

Rollins hingegen war als Fan von Hugo Race an dem Projekt interessiert und ließ sich dazu bewegen, ein Gedicht für den großartigen Song „No deposit“ beizusteuern (dunkel und reduziert, mit einer Spoken-Word-Performance von Henry Rollins). Einen Mangel an stilistischen Einflüssen kann man Rogall nicht vorwerfen, im Gegenteil: das aktuelle Album kommt mit einer gekonnten Melange aus Swamp-Rock, Jazz, Desert-Rock, Dub-Beats und Roots-Electronic-Versatzstücken daher. Einiges erinnert an Tom Waits oder Screamin’ Jay Hawkins, bei anderen Songs stand eine Art (Bar-)Jazz Pate und immer dann, wenn die Londoner Multi-Instrumentalistin Bev Lee Harling (die bei ihren Berliner Auftritten stets im Musikerzimmer von Rogalls Studio Unterschlupf fand) lasziv ins Mikro haucht, öffnet sich vor dem geistigen Auge automatisch die Tür zu einer burlesquen Bar in London Soho. Ohne Zweifel ist Rogall ein großartiger Wurf gelungen.

Dein Album ist gespickt mit einer „Gästeliste“ von Musikern, die es zweifelsohne in sich hat: Hugo Race, Henry Rollins, Earl Zinger und Farda P. Ich stelle mir das sehr schwierig und zeitintensiv vor, die alle unter einen Hut zu bringen. Kannst du etwas zur Entwicklungsgeschichte des Albums sagen und wie die Kontakte zu den einzelnen Musikern zustande gekommen sind? Gab es andere Musiker, die du gerne dabei gehabt hättest?


Nun, mit jedem Einzelnen auf dem Album verbindet mich etwas Besonderes und meistens bestand schon ein langjähriger Kontakt zu jedem, bevor es zu diesen Aufnahmen kam. Das Ganze ist mit so vielen persönlichen Erlebnissen gespickt, dass ihr eine extra Ausgabe bräuchtet, um das alles zu drucken! Einzig und allein Henry Rollins’ Beitrag kam nur durch Hugo Race zustande und ist auch ein einmaliges Feature. Die alten Henry Rollins-Gedichte sind die Zutaten meiner Teenagerzeit gewesen. Als ich Hugo bei einer Session steckte, dass ich gerne etwas in die Richtung machen würde, meinte er nur, warum ich dann nicht Henry frage. Na ja, sage ich, so einfach wird es wohl nicht sein. Ich wusste ja nicht, dass die sich schon seit damals kennen und so hat Hugo Race ihn dann kurzerhand gefragt. Henry zeigte sich seit den Tagen, als er noch Bands wie EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN oder NICK CAVE & THE BAD SEEDS supported hatte, als Fan und Bewunderer von Hugo Race. Und Earl Zinger, tja, was soll ich dazu noch sagen. Ohne ihn wäre das Bild einfach nicht komplett. Und es war klar, dass ich ihn nach all den Jahren involvieren musste, vor allem weil er den Namen Earl Zinger ja vor Urzeiten mal von mir verpasst bekommen hat. Die Tracks mit ihm gehen von der Hand, als wenn wir nie was anderes gemacht hätten. Ein ziemliches Highlight auf dem Album ist aber auch die Mitwirkung von Steve Moss, sonst unter anderem auch bei der SST-Band UNIVERSAL CONGRESS OF. Steve hatte seine Karriere bereits an den Nagel gehängt. Ich konnte ihn allerdings davon überzeugen, wieder ins Horn zu blasen und sogar zu singen. Steve war in den 80er Jahren in Los Angeles aktiv und hat damals auch wiederum mit Henry Rollins einige Male live gespielt. Und jetzt sind sie hier alle zum ersten Mal zusammen auf einer Aufnahme.

Welche Musik, Genres und Musiker sind für deine ganz persönliche musikalische Sozialisation ausschlaggebend gewesen? Das Album brilliert ja mit einem großartigen Schatz verschiedenster Stilrichtungen. Mitunter kann man Sounds im Geiste von Screamin’ Jay Hawkins oder Tom Waits heraushören.

Genauso ist es. Ich selbst habe Screamin’ Jay Hawkins zweimal live gesehen und das werde ich nie vergessen. Steve hat mir bei einem Scotch einmal erzählt, dass er sogar bereits mit ihm aufgetreten ist. Aber da sind natürlich noch mehr Einflüsse, von äthiopischem Funk, Rhythm and Blues bis hin zu Minimal Dub.

Das Artwork – speziell das ausführlich und großartig gestaltete Booklet mit den Linernotes von Paul Waldner – ist sehr aufwändig gestaltet. Welche Rolle spielt es für dich und das Gesamtkonzept?

Die Jungs von 44.flavour wollte ich von Anfang an für das Cover und mit meinen Vorstellungen habe ich dort offene Türen eingerannt. Das war genau auf deren Linie. Die Linernotes von Paul sind genau genommen keine Linernotes, sondern eine Kurzgeschichte. Paul Waldner ist ein Anwalt aus Texas, der in seiner Freizeit besondere Erlebnisse aus dem Gerichtswesen als Kurzgeschichten festhält. Als ich jene über Hans Rogall – die menschliche Rakete – gelesen habe, war mir klar, dass es sich eventuell um einen entfernten Verwandten handeln könnte. Deswegen habe ich Paul gefragt, ob er mir eine gekürzte Fassung zum Druck überlässt. Es passte so ziemlich genau zu dem Rest der ELECTRIC CIRCUS SIDESHOW.

Wird es eine Live-Umsetzung des Albums geben? Ich stelle mir das idealtypisch – wenn auch sehr schwierig – vor wie bei DIE HAUT, als diese 1992 im Berliner Metropol mit Nick Cave, Lydia Lunch und Kid Congo Powers ihr Album „Sweat“ spielten.

Ja, die Proben sind schon arrangiert. Nächstes Jahr kann man mit uns rechnen, falls es interessante Angebote gibt und die Termine passen. Das ist natürlich alles andere als einfach bei dieser Besetzung. Aber es sind alle ziemlich heiß darauf, den Circus auf die Bühne zu bringen.

Was hast du für die Zukunft an Projekten geplant?

Die ELECTRIC CIRCUS SIDESHOW ist ein Drache, der gefüttert werden muss. Da ist viel zu tun. Zudem arbeite ich zur Zeit gemeinsam mit der Sängerin Bev Lee Harling an einigen Songs. Das wird ein völlig eigenständiges Ding und ganz anders als die Electric Sideshow. Wir arbeiten da mit obskuren, teils selbst gebastelten Instrumenten und Fieldrecordings. Das Ganze klingt dann aber eher lieblich, so wie die Stimme von Bev. Ich schaue mich gerade nach einem Management dafür um.