STRIKE

Mit dem ´97er Debüt "A Conscience Left to Struggle with Pockets Full of Rust", erschienen auf Johann´s Face Records, wurde ich seinerzeit auf THE STRIKE aufmerksam, doch obwohl die Band aus Chicago mich mit ihrem schwer an alten englischen Punkbands angelehnten Punk-goes-Mod-Sound ziemlich beeindruckt hatte, blieb es doch sehr ruhig um die erklärtermassen linke, politische Band. Um so erstaunter war ich dann, als ich vor einigen Monaten via Victory Records das zweite Album von Chad (vocals & guitar), Chris (drums), Kristin (bass & vocals) in die Finger bekam, "Shots Heard Round The World" betitelt: auch diesmal erwiesen sich THE STRIKE als Volltreffer, obwohl ihr Name in diesem Fall eben nicht "Treffer" oder "Schlag" bedeutet, sondern "Streik". Ich emailte ein paar Fragen, Chris antwortete.

Wie kam es zu eurem Vertrag mit Victory-Records?

Nach einer unserer Shows hat uns ein Mensch von Victory angesprochen. Wir waren erstmal sehr erstaunt darüber und lachten, nach dem Motto "Was will Victory mit einer Band wie uns?" Trotzdem sind wir zu Tony gegangen, der uns in einem guten Gespräch einen korrekten Deal vorgeschlagen hat. Wir haben ihn angenommen.

Nach ELECTRIC FRANKENSTEIN seid ihr die zweite "richtige" Punkrockband auf diesem Label, das bisher eher für Hardcore bekannt war. Spiegelt das euer Ansicht nach einen Geschmackswandel bei den Machern, insbesondere Tony, wider?

Tony, so sagt er es zumindest, mag unsere Musik wirklich sehr, und er mochte diese Art von Sound schon immer, genauso wie Hardcore. Ganz abgesehen davon läßt sich diese Hardcoreschiene nicht ewig aufrecht erhalten, genauso wie die Ska-Welle langsam gestorben ist und ganz furchtbar wurde.

Was eure Texte angeht überrascht doch wirklich, dass diese zwar sehr politisch, trotzdem aber undogmatisch sind, was ja wohl einen erheblichen Kontrast darstellt zu vielen Punkrockbands heutzutage, die Politik entweder nur vage ansprechen oder reine Funtexte haben. Habt ihr eine Erklärung für diesen Ansatz?

Wir wünschten, wir wüssten die Antwort darauf selber. Womöglich hat das etwas mit den wirklich armseligen Lehrinhalten unseres höheren Schulwesens zu tun, wo Politik und Geschichte der Arbeiterschaft völlig unterrepräsentiert sind. Da müssen unsere Lyrics versuchen einen Ausgleich zu erreichen. Darüber hinaus machen wir uns natürlich unsere Gedanken über die Welt, also über Politiker, Majors, Radiosender, die den großen Plattenfirmen gehören, Leute, die zufrieden sind mit den Megakonzernen, welche sie tagtäglich umgeben, ohne zu merken, dass ihre Welt jeden Moment zusammenbrechen kann und sie somit alles verloren haben. Die meisten Leute vergessen, dass Punkrock immer schon eine politische Basis besessen hat. Viele Kids machen sich halt keine Gedanken über Probleme, die ihren täglichen Erfahrungshorizont überschreiten, z.B. dass das Hemd an meinem Leib von einem Zehnjährigen in Zentralamerika unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen hergestellt wurde.

Erstaunlicherweise sprecht ihr als Amerikaner ja auch Gewerkschaftsthemen an.

Ja, schließlich stammen wir alle aus Arbeiterfamilien. Chad ist seit zehn Jahren in der Gewerkschaft und hat seit jeher großes Interesse an der Geschichte der Arbeiterschaft und des Klassenkampfes. Wir sind alle irgendwie von dieser Problematik betroffen, durch unsere Jobs und unsere nähere Umgebung. Zum Beispiel Kristin: Sie ist Physiotherapeutin, ein Berufsstand, der sich erst jetzt zu organisieren versucht, denn gerade im Gesundheitsbereich sind die Abhängigkeiten gewaltig. So verlieren Therapeuten aller Sparten ihre Jobs, weil die Ausgaben im Gesundheitssystem von den Krankenkassen gekürzt werden. Also niemand kann sagen, dass ihn Politik nicht betreffen würde, und genau deshalb singen wir darüber und versuchen so, ein Bewußtsein für Themen dieser Art zu schaffen, also Arbeiterschaft, Klassenkampf, Arbeiterrechte usw. Tatsächlich sind dies keine zentralen Gesichtspunkte, wenn man an Amerika denkt, von Streiks in den Vereinigten Staaten hört man schließlich nur selten. Und gerade Punkbands nehmen sich nicht gerade dieser Problematik an. Aber: Es gibt viel mehr Auseinandersetzungen dieser Art, als die meisten Menschen glauben. Es wird halt nur nicht von den großen Medien aufgegriffen, doch je mehr Amerika eine Klassengesellschaft mit riesigen sozialen Klüften wird, bin ich sicher, dass die Menschen politisiert werden und aufwachen. Unglücklicherweise ist der politiische Punkrock in Amerika mehr mit der anarchistischen Bewegung verbunden, die sich weniger mit gewerkschaftlichen als mit grundsätzlichen, persönlichen, identitätsbezogenen Problemen beschäftigt.

Hat eure Sensibilität für linke Politik etwas mit euren kanadischen Wurzeln zu tun, ein Land also, in dem Arbeitsrechte noch mehr zählen als in den Staaten?

Auf jeden Fall, meine erste Erfahrung mit linker Politik habe ich gemacht, als ich mit sechzehn Jahren in Kanada war, ich denke, Kanadier haben einfach einen größeren Sinn für Klasseninteressen. Was Arbeiterrechte angeht, ist es in Kanada viel einfacher, eine Gewerkschaft zu gründen, und Privilegien der Arbeiter sind besser geschützt, aber mit der "Globalisierung der Märkte" werden auch hier diese Rechte mehr und mehr abgebaut.

Wenn es um Gewerkschaften in den Staaten geht, denke ich immer automatisch an die Mafia. Wie sehr bin ich denn hier einem Klischee aufgesessen?

Das ist tatsächlich ein großes Klischee, obwohl einige Gewerkschaften tatsächlich enge Verbindungen zur Mafia haben. Viel beunruhigender ist die Abkehr der Gewerkschaften von linker Politik und ihre Anbiederung an die Demokratische Partei.

Würdest du dich also als "Linken" einschätzen?

Ja, ganz bestimmt.

In Deutschland werden viele Punks sicherlich deiner Meinung zustimmen, in den Staaten aber scheint oftmals "liberal" schon eine Art Schimpfwort zu sein, geschweige denn sich als "Linker" zu bezeichnen.

Mit der Zeit und dem sich vergrössernden Abstand zwischen Arm und Reich denken wir, dass der Sozialismus auch in den Staaten wieder eine gewichtige Bewegung sein wird.

Seid ihr denn schonmal von eurem Publikum als "commies" angemacht worden?

Bisher noch nicht, aber wir glauben auch nicht, dass wir mit unserer Überzeugung eine Bedrohung für die Leute darstellen. Die fassen uns eher als Anachronisten auf, eine Art Satire.

Also scheint es auch 1999 noch nicht "populär" zu sein, als Kommunist in den Vereinigten Staaten herumzulaufen, im Gegensatz zu Europa, wo zahlreiche (post-)kommunistische und sozialistische Parteien in den Parlamenten sitzen. Die politische Landschaft in Amerika scheint immer noch eine Wüstenlandschaft zu sein.

Ja, die politische Landschaft in den Staaten ist eine komplette Wüste, und die beiden einzigen Parteien, die man wählen kann, stehen sich inhaltlich so nahe, dass man sie nur schwer auseinanderhalten kann: Beide haben bestmögliche Verbindungen zum Kapital und und nur marginale Verbindungen zur Arbeiterschaft.

Was hat es denn mit eurer bewegten Umzugsgeschichte von Winnipeg nach Minneapolis, um schließlich in Chicago zu landen, auf sich?

Chad ist 1991 von Winnipeg nach Minneapolis gezogen, um Arbeit zu finden. Er ist Micah begegnet, der auch aus Winipeg kommt, und darauf beschlossen sie, eine Band zu gründen. Chad kannte wiederum Kristin aus Minneapolis, die ebenfalls eine Band machen wollte, und Chad hat dann mich, seinen jüngeren Bruder, davon überzeugt, ebenfalls Winnipeg zu verlassen, um bei uns die Drums zu spielen. Die Band fand sich dann endgültig im Januar 1993. Vier Jahre später musste Chad dann aus beruflichen Gründen nach Chicago, ein halbes Jahr später sind dann auch Kristin und ich nach Chicago gezogen, um mit der Band vernünftig weiterarbeiten zu können. Micah hingegen ist mittlerweile nach Winnipeg zurückgekehrt, um dort seine Karriere als Maschinenbauingenieur zu verfolgen. Wir drei sind hingegen nun bald zwei Jahre in Chicago. Wir haben übrigens auch einen Teilzeit-Trompetenspieler aus Minneapolis, der Seng heißt.

Was habt ihr denn für Jobs?

Chad ist Telekommunikationstechniker und ein Mitglied der "International Brotherhood of Electrical Workers", ich werde demnächst einen Gewerkschaftsjob als Braumeister in einer Brauerei antreten, und Kristin arbeitet als Physiotherapeutin und wird hoffentlich auch bald in einer Gewerkschaft arbeiten können.

Kommt ihr bald mal nach Europa für ein paar Shows?

Hoffentlich, aber bisher haben wir aber keine konkreten Pläne.

Eure eMail-Adresse lautet "VespaSS1803". Seid ihr Mods, oder fahrt ihr einfach nur diese Dinger?

Kristin und ich fahren beide Roller, Kris sammelt und restauriert sie sogar. Da liegt es nahe, sich auch etwas "mod-like" zu kleiden. Die eMail-Adresse gehört übrigens zu ihr.

Was eure musikalischen Wurzeln angeht, scheint ihr euch doch sehr an die von euch genannten Vorbilder zu halten: NEWTOWN NEUROTICS, REDSKINS, THE CLASH, THE JAM, THE CHORDS, STIFF LITTLE FINGERS - wirklich nicht schlecht. Sowieso scheint es in den Staaten momentan eine Art Revival guten alten britischen Punks zugeben. Was meint ihr denn dazu, und warum gibt es vor allem solche Band wie euch nicht in England, Irland selbst!?

Klar, die meisten der "Punk Revival"-Bands in den Staaten sind schon o.k., deshalb ist diese Sache schon sehr korrekt. Weshalb die Engländer nicht selber so ein Revival einläuten, können wir auch nicht erklären. Aber schließlich kommen LEATHERFACE daher, das gleicht dieses Manko doch mehr als nur aus.