BURIAL

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D.I.Y. und Nihilismus

Vor ein paar Jahren bestellte ich bei Florian vom Heart First-Label eine Kleinigkeit und bekam als absolute Empfehlung das 12“-Vinyl „Never Give Up, Never Give In“ von BURIAL. Was Empfehlungen angeht, bin ich mittlerweile vorsichtig geworden, aber diese Platte hat mich sofort gepackt. Immer mal wieder versuchte ich, über die Band mehr zu erfahren, was mir nur bedingt gelang, denn die beiden 7“s, die ich in der Zwischenzeit noch erwarb, verrieten nichts außer dem Label. Also schrieb ich eines Tages Florian erneut, der mir daraufhin die E-Mail-Adresse von Schlagzeuger Fabian durchgab. Im Sommer sind die Jungs mit LOVE POTION auf Tour. Bis dahin soll auch das zweite 12“ mit dem Titel „Speed At Night“ erhältlich sein, das auf dem kanadischen Label Deranged Records veröffentlicht wird, denn Heart First veröffentlicht bekanntlich ja „nur“ 7“-EPs. Neben Fabian beantwortete mir auch Sänger Wiho meine Fragen.

Zuallererst bitte ein kurzer Abriss eurer Bandgeschichte.

Fabian: Wir kommen aus Hagen in Westfalen und aus Düsseldorf. Wir haben uns im Winter 2002 gegründet und haben bisher zwei 7“-Singles, eine 12“ und eine einseitig bespielte Dreier-Split-12“ aufgenommen. Die Stücke der beiden 7“s, ein Sampler-Beitrag und Unveröffentlichtes sind auch auf einer CD erschienen. Und bald erscheint mit „Speed At Night“ unsere zweite 12“.

Mit euch in Kontakt zu kommen ist gar nicht so einfach. Keine Homepage, keinerlei Angaben auf euren Veröffentlichungen ...

Wiho: Es handelt sich hierbei um eine bewusste Entscheidung. Ich hasse MySpace und alle anderen Formen von Internet-Selbstdarstellung. Das Argument, dass man durch MySpace seine Musik schnell und einfach verbreiten kann, kann ich zwar nachvollziehen, aber wieso müssen Menschen alles im Convenience-Food-Style konsumieren? Ich sehe uns da eher in der Tradition von Bands wie DEATHSPELL OMEGA, die auch keine Form von offizieller Internetpräsenz haben und trotzdem so gut wie jedem ein Begriff sein dürften. Nebenbei bemerkt, ist es durchaus möglich, sich alle unsere Platten von diversen Blogs runterzusaugen, was auch völlig okay ist.

Fabian: Warum sollten wir eine Adresse auf unsere Platten drucken? Je mehr Adressen da stehen, desto beschissener sieht das aus. Eine reicht, die vom Label. Da kann man sich melden und nach dem Kontakt zur Band fragen. Insofern ist die Kontaktaufnahme überhaupt nicht schwierig.

Angesichts der positiven Plattenbesprechungen kann ich nicht glauben, dass ich der Erste sein soll, der mit euch ein Interview führt.

Wiho: Only paper is real! Ich hasse Online-Fanzines. Interviewanfragen aus diesem Segment werden deshalb kategorisch abgelehnt. Du bist auch nicht der Erste. 2006 hatten wir ein Interview im Maximum Rock’n’Roll, USA, und im Doll aus Japan, außerdem noch ein paar in kleineren Print-Fanzines.

Wie organisiert ihr heutzutage eure Konzerte ohne Internetpräsenz?

Wiho: Es gibt noch eine reale Welt, in der Menschen miteinander in Kontakt treten und zum Beispiel Konzerte organisieren.

Fabian: Wir fragen ganz einfach Leute, ob sie ein Konzert mit uns organisieren möchten. Oder wir werden gefragt. Wie früher. Mir geht MySpace auf den Sack. Nicht weil das Forum irgendeinem Konzern gehört, sondern weil dort ein selbstherrliches Zur-Schau-Gestelle praktiziert wird. Jeder ist cool, jeder ist hip und hat viele „Freunde“, jeder hat „seinen Platz“. Bei Punk geht es nicht darum, viele Freunde oder einen Platz zu haben. Als Punk hat man kaum Freunde, man steht am Rand, selbst unter denen, die glauben, außerhalb zu stehen. Für BURIAL ist das kein Platz, man kann nur „Freunde“ hinzufügen, keine Feinde. Wir wollen keine Freunde.

Ihr werdet in Plattenbesprechungen mit Japan-Dis-Hardcore-Bands verglichen, besser als die Originale. Wo seht ihr euch musikalisch?

Fabian: Wir sehen uns nicht als Kopie. Natürlich werden wir von dem beeinflusst, was wir hören, lesen und sehen. Vielleicht kann man das einfach Punk nennen, es gibt sowieso zu viele Schubladen.

Wiho: Es gibt keinen Japan-Dis-Hardcore. Es gibt japanischen Hardcore-Punk à la DEATH SIDE, GAUZE, NIGHTMARE oder JUDGEMENT. Und es gibt japanische Dis-Bands wie DISCLOSE, die ausschließlich D-Beat spielen. Dann gibt es noch japanischen Crust wie FRAMTID. Was ich mit dem Namedropping und der Erbsenzählerei sagen will: diese Bands haben unseren Sound wahrscheinlich beeinflusst, ich selber sehe mich zwischen DISCHARGE und NAKED CITY, und musikhistorisch zwischen 13TH FLOOR ELEVATORS und DARKTHRONE.

In diesem Japan-Ding bin ich kaum bewandert. Erklärt doch mal, was für eine Philosophie dahinter steckt, und inwieweit ihr euch wirklich daran bedient?

Wiho: Punk versteht sich für mich immer als Antwort auf die jeweilige Umwelt oder Gesellschaft. Die japanische Gesellschaft gibt dir ganz klare Werte und Normen vor, viel stärker als hier in Westeuropa. Somit ist es kein Wunder, dass die japanische Punk-Philosophie etwas anders aussieht, als veganen Kuchen zu backen und pseudopolitische Solikonzerte zu organisieren. Hardcore-Punk in Japan ist in erster Linie eine Flucht in eine andere Welt, in der es wichtig ist „durchzudrehen“. Alle Bands, die ich dort gesehen habe, gehen auf die Bühne, als sei es ihr letztes Konzert, und geben 120 Prozent Gas.

Auf dem Heart First-7“-Sampler „Deutschland In Decline“ seid ihr auch vertreten. Gibt es für euch einen politischen Anspruch in Bezug auf eure Musik?

Wiho: Ich finde es vermessen, Musik einen politischen Anspruch zu geben, da sie diesen eigentlich nie erfüllen kann. Ich bin im Grunde asozial und erhebe auch keine Art politischen Anspruch auf mein eigenes Handeln und unsere Musik.

Fabian: Wir bleiben uns selbst treu und machen das, was wir wollen. Wir folgen keinen Trends.

Wie denkt ihr über die derzeitige Punk- und Hardcore-Szene?

Wiho: Ich fühle mich keiner Gruppe zugehörig, bin in erster Linie Egoist und mache hauptsächlich das, was mir den größten Vorteil einbringt. Die hiesige Punk-und Hardcore-Szene, wie du sie nennst, existiert im Grunde ja gar nicht. Es existiert eine Vielzahl von Subszenen mit unterschiedlichen Ritualen und Codes. Ich kann nur für die so genannte D.I.Y.-Szene sprechen, in der wir uns als Band bewegen und in der ich oft ein gewisses Maß an Chaos vermisse. Das Publikum klatscht brav nach dem Lied und alle versuchen, sich möglichst korrekt zu verhalten und niemandem ans Bein zu pissen.

Fabian: Merkwürdig, dass es früher anscheinend „der Szene“ größtenteils um den Schockeffekt ging und darum, in keine Normen zu passen, während es heute genau das Gegenteil ist: Fällt man nicht unter die Normen „der Szene“, befolgt man nicht ihre seltsamen und anmaßenden Regeln, wird man wie ein Aussätziger behandelt.

Was gab es für Gemeinsamkeiten, um mit Heart First zusammenzuarbeiten? Wie kam der Kontakt zustande?

Fabian: Florian mag gewisse Dinge, die wir nicht mögen, ebenfalls nicht. Außerdem sind wir Roger Miret-Fans.

Wiho: Ich habe früher oft Platten im Heart First-Mailorder bestellt und Florian in Berlin auf einem Konzert getroffen. Wir haben gemeinsam einige Biere getrunken und über schwedische Bands gelästert. Ein paar Jahre, Biere und Konzerte später hat sich das dann irgendwie ergeben.

Von Heart First gibt es auch das Motto: „Guter Geschmack macht einsam!“ Wie steht ihr dazu?

Fabian: Guter Geschmack macht vielleicht nicht unbedingt einsam. Das klingt so, als wenn man lieber nicht alleine wäre. Man steht aber generell eher alleine auf weiter Flur da, was allerdings nicht negativ zu sehen ist.