GAVIN FRIDAY

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Heiliges Herz von Gavin

Der gebürtige Dubliner Fionán Martin Hanvey, besser bekannt als Gavin Friday, war Mitte der 70er Jahre Gründungsmitglied und Sänger der musikalisch fast undefinierbaren (weil zu unkonventionell für ein einengendes Genre), aber nichtsdestotrotz oder gerade deswegen einflussreichen THE VIRGIN PRUNES , benannt nach einem irischen Slang-Ausdruck für Außenseiter. Gavin Friday selbst war vor dieser Zeit in Dublin in einer Clique namens „Lypton Village“ mit Bono Vox unterwegs, und Gitarrist bei den VIRGIN PRUNES war Dik Evans, der Bruder von The Edge von U2. Die VIRGIN PRUNES waren eine Art Gesamtkunstwerk aus Punk, Performance-Show, Kabarett, Industrial und Gothic, obgleich die Band von jeher der Kategorisierung „Gothic“ sehr kritisch und distanziert gegenüberstand.

Nicht selten war das Publikum, ähnlich wie bei THROBBING GRISTLE, von den Performance-Auftritten der Band komplett überfordert. Als sie im Oktober 1978 für THE CLASH eröffneten, wurden sie sehr deutlich und unter einem Hagel aus Bierflaschen vom Publikum dazu aufgefordert, die Bühne zu verlassen. Neben der offen ausgelebten (Um-)Verteilung der Geschlechterrollen und einer eigenwilligen Form der Ästhetik, welche sich später bei (Batcave-)Bands wie ALIEN SEX FIEND, THE SOUTHERN DEATH CULT und den SEX GANG CHILDREN wiederfand, war es der Stolz der Band, ein Kollektiv von Individualisten zu sein, und Gründungsmitglied Guggi wurde nach der Auflösung der Band ein erfolgreicher Maler.

Nach dem Split der Band Mitte der achtziger Jahre war es Gavin Friday, zunehmend vom Chansonnier Jacques Brel beeinflusst, der kommerziellen Erfolg als Solomusiker hatte und mit Maurice „Man“ Seezer einige Alben veröffentlichte, die das Spannungsfeld zwischen Nick Cave, Leonard Cohen, Scott Walker und der dunkleren Seite der Existenz gekonnt belebten. 1989 veröffentlichten Friday und Seezer ein von der Kritik begeistert aufgenommenes Debütalbum namens „Each Man Kills The Thing He Loves“ (benannt nach einem Text von Oscar Wilde), welches unter dem deutlichen Einfluss der Arbeiten von Kurt Weill stand und auf dem Musiker wie Marc Ribot, Michael Blair und Bill Frisell zu hören sind. In den neunziger Jahren arbeitete Friday vor allem mit Hal Willner (der auch als Produzent für Tom Waits und Marianne Faithfull tätig war) an zahlreichen Soundtracks für bekannte Filme wie „In The Name Of The Father“ (mit Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis), die Geschichte der zu Unrecht als IRA-Terroristen verurteilten „Guildford Four“ (an diesem Soundtrack wirkten auch Bono und Tim Simenon von BOMB THE BASS mit), „The Boxer“, „Short Cuts“ und „In America“. Als Bühnenshow inszenierten Willner und Friday unter anderem die Kurt-Weill-Extravaganza „Ich liebe dich“. Gavin Friday ist ein Multitalent in vielerlei Hinsicht. Er beantwortet einige Fragen aus seiner irischen Heimat Dublin.

Vor kurzem hast du mit Dave Ball, ex-SOFT CELL, den Klassiker „Ghostrider“ von SUICIDE gecovert, und zwar anlässlich eines Tributes zum 70. Geburtstag von Alan Vega. Wie ist deine Beziehung zu SUICIDE und zur späteren New Yorker No Wave-Bewegung? Wie wichtig war dieser Sound für die VIRGIN PRUNES?

Persönlich kenne ich weder Martin Rev noch Alan Vega, aber seit den späten siebziger Jahren bin ich Fan von SUICIDE. Ihre Veröffentlichungen klingen heute noch weit ihrer Zeit voraus: sehr prägend und innovativ. Natürlich hat mich diese ganze New Yorker Punk- und No Wave-Geschichte sehr stark beeinflusst, besonders Musiker wie Patti Smith, TELEVISION, Lydia Lunch und Richard Hell. Das war eine unglaublich aufregende Zeit mit dieser Musik, wenngleich ich erwähnen sollte, dass sie für die VIRGIN PRUNES von untergeordneter Bedeutung gewesen ist. Die VIRGIN PRUNES waren eher so eine Art „bastard son“ aus Johnny Rotten, David Bowie, Dada-Punk und Artfuck.

GRINDERMAN haben auch eine SUICIDE-Coverversion eingespielt. Wie ist deine Beziehung zur Musik von Nick Cave?

Mit der Musik von Nick Cave habe ich bereits seit den frühen Zeiten der BIRTHDAY PARTY immer wieder intensive Berührungspunkte, die mich sehr prägten. Gemeinsam mit Hal Willner haben wir mit Nick Cave ab und an Projekte gemacht, insbesondere bei diversen Tribute-Geschichten. Es war Hal, der 2007 das „Forest of no return“-Festival organisierte, bei dem ich die Möglichkeit hatte, unter anderem gemeinsam mit Nick Cave, Jarvis Cocker, Shane McGowan und Pete Doherty auf der Bühne zu stehen. Das Festival war als Tribute für Leonard Cohen konzipiert.

In deiner gesamten Schaffensphase gibt es viele Berührungspunkte mit der deutschen Kultur, beispielsweise deine starke Affinität zu Kurt Weill, dem Weimarer Kabarett sowie deine Performance-Show „Tomorrow belongs to me“, bei der du auch einige Tracks von KRAFTWERK und CAN „interpretiert“ hast. Woher kommt dieses Interesse?

Ich bin enorm interessiert an der deutschen Kultur, speziell an der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Die Literatur, die Filme sowie insbesondere die Malerei und Musik dieser Epoche faszinieren mich sehr, speziell die Arbeiten von Kurt Weill. Ich muss dazu sagen, dass mich das alles bereits als sehr junger Mensch interessiert hat und daraus eine Art lebenslange intensive „Liebesbeziehung“ zu dieser Kultur geworden ist, und das, wo ich noch nicht einmal ein Wort Deutsch spreche.

Du musst mir erzählen, was es damit auf sich hat, dass du vor einigen Jahren für Beck’s Bier das schicke Label „Heiliges Herz von Gavin“ auf deren Flasche für eine Sonderedition entworfen hast.

Das ist eine kurze Geschichte: ich war zu dieser Zeit dabei, meine etwas extravagante Bühnenshow „Tomorrow belongs to me“ in der Liberty Hall in Dublin zu entwickeln und zwar als eine Art persönliche Hommage an die deutsche Theaterkultur, und Beck’s zeigte sich bereit, als Sponsor in dieser Sache zu fungieren. Als eine Form von Dank habe ich für sie gemeinsam mit Redman AKA dieses Label auf der Flasche entwickelt. Es war quasi als eine Art Flyer für die Veranstaltung gedacht. Und das, wo ich eigentlich so gut wie gar kein Bier trinke. Auch Künstler wie Damien Hirst, Gilbert & George und Jeff Koons haben übrigens solche Labels gestaltet.

Bleiben wir beim Thema Bierflaschen. Ihr habt 1978 für THE CLASH eröffnet und das Publikum hat euch mit Flaschen von der Bühne gejagt. Gab es in Dublin, ähnlich wie in Manchester, auch diese Distanz zur Punk-Szene in London? Die VIRGIN PRUNES sind ja in London zu dieser Zeit nicht einmal in den angesagten Blitz Club gekommen, der von VISAGE-Mastermind Steve Strange betrieben wurde.

In den frühen Jahren der VIRGIN PRUNES gab es sehr viel Gewalt und Ausschreitungen bei unseren Konzerten, aber das war die übliche Gewalt bei diesen Events, eben besonders dann, wenn so exotische Bands wie wir auftraten. Das mit dem Blitz Club stimmt. Wir waren wohl etwas zu heftig und speziell für Steve Strange, um in seinen Club gelassen zu werden.

Die VIRGIN PRUNES waren sicherlich eine der einflussreichsten „Gothic“ Rock-Bands der frühen achtziger Jahren, auch wenn ihr immer wieder betont habt, diese Schublade nicht zu mögen, und euch distanziert habt. Bist du heute noch an diesem Genre interessiert oder langweilt es dich?

Ich würde sagen, dass es mich weder langweilt noch besonders interessiert. Der Punkt ist einfach der, dass wir uns selbst niemals als „Gothics“ gesehen haben, obgleich das doch sehr viel dessen beschreibt, was wir in dieser Zeit kreativ umgesetzt haben. Um es kurz zu machen: die VIRGIN PRUNES haben diesen Sound schon sehr lange gespielt, bevor die Medien mit diesem Begriff überhaupt auf der Bildfläche erschienen sind. Mir bedeuten diese Kategorisierungen allerdings überhaupt nichts.

Über die VIRGIN PRUNES ist kürzlich in der irischen Musikpresse ein Artikel mit der Headline „When anarchy and art collide“ erschienen. Beschreibt das auch das Spannungsfeld, das deinen kreativen Prozess bestimmt? Ich meine, von Nick Cave sagt man, dass er wie ein Angestellter in Brighton im Büro sitzt und von „nine to five“ sehr diszipliniert Songs schreibt.

Zu den Zeiten der VIRGIN PRUNES gab es überhaupt keinen klar bestimmten Prozess, wie Songs entstanden. Es war alles mehr oder minder das Resultat aus verschiedenen Ängsten, den Versuchen, sich irgendwie auszudrücken, und einer enormen inneren Wut. Heute arbeite ich sicherlich sehr viel disziplinierter und strukturierter, wenngleich auch nicht in der von dir beschriebenen Art und Weise eines Nick Cave. Aber was es letztlich ist, das mich antreibt und nach vorne bringt, kann ich nicht klar definieren und ich würde es mitunter gerne selbst besser verstehen. Ich denke, es hat viel damit zu tun, wie ich mich selbst in dieser Welt sehe und wie sie mich wahrnimmt.

Dein Herz schlägt in und für Dublin. Glaubst du, die Stadt wird jemals zur Ruhe kommen?

Die grundsätzlichen politischen Probleme und die Gesamtsituation in Irland haben sich in den letzten Jahren schon verbessert, aber alles andere wird die Zeit zeigen.

Du arbeitest gerade an deinem vierten Soloalbum. Was können wir erwarten?

In der Tat, die Aufnahmen sind so gut wie fertig und ich verpasse ihnen nur noch die letzten Feinheiten. Nachdem ich beinahe mehr als zwölf Jahre nur an Filmmusik, Theatermusik und Ähnlichem gearbeitet habe, weiß ich selbst fast nicht, was ich erwarten kann. Hör es dir einfach an und entscheide dann selbst, was es dir gibt.

Zum Schluss Wunsch und Frage: Werden wir dich in naher Zukunft in Deutschland sehen?

Ich hoffe, nächstes Jahr in Deutschland aufzutreten, denn irgendwie bin ich nur dann richtig am Leben, wenn ich auf der Bühne stehe. Ich plane die Tour für kurz nachdem ich das Album veröffentlicht habe.