Matthias Seling

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stand up or die!

Comedy ist nicht gerade meine bevorzugte Form der Unterhaltung, ich gebe es offen zu. Und was ich bei gelegentlichem Hängenbleiben auf „NightWash“ zu hören bekam, als das noch nicht bei Comedy Central lief, begeisterte mich selten. Nun, mit meinem Humor kommen auch nicht viele Leute klar, und wenn ich lachen will, schaue ich zum x-ten Mal „Fawlty Towers“ oder „Kottan ermittelt“. Doch dann ließ ich mich über alte Punk-Connections von Matthias Seling überzeugen, dass es eine Menge Comedians jenseits von Mario Barth-Trash gibt, schaute mir seinen Auftritt im Wuppertaler Rex-Theater an – und beschloss, dem Mann ein paar Fragen zu seinem Beruf zu stellen.

Matthias, du klingst gehetzt. Kommst du gerade vom Heimtrainer?

Nee, ich hab die Dichtung an meiner Spüle repariert.

Ich gehe also davon aus, dass du noch nicht so reich bist wie manch anderer Comedian, der für so was Leute beschäftigen kann.

Selbst wenn ich das Geld hätte, würde ich das selbst machen. Es gibt aber sicher lästige Dinge im Leben, die jemand wie Mario Barth oder Michael Mittermeier nicht mehr machen müssen, etwa Bügeln, Putzen, Bürokram – das finde ich anstrengend. Obwohl es auch sein Gutes hat, sich um die Buchhaltung zu kümmern, denn dann weiß man, wo das Geld ist.

Du bügelst deine Hemden also selbst.

Na ja, ich bevorzuge ein Mischgewebe, das muss man nicht bügeln, wenn man das Hemd richtig aufhängt.

Und, hast du noch so viel Lampenfieber, dass dein Hemd nach dem Auftritt durchgeschwitzt ist?

Also ich habe immer ein Shirt zum Wechseln dabei, die sind nach dem Auftritt schon recht durchgeschwitzt. Vor allem habe ich aber immer ein Paar Jeans als Ersatz dabei, allein aus dem Grund, weil ich mich mal in einer Garderobe vor dem Auftritt an einem niedrigen Waschbecken mit hohem Wasserdruck richtig nass gemacht habe – ich sah aus wie ein Kollege dieser japanischen Manga-Pippi-Mädchen. Da merkte ich, dass ein zweites Paar Hosen hilfreich ist.

Und wie war das beim ersten Auftritt? Wann war der, bei welcher Gelegenheit?

Der erste Auftritt war, als ich mich Anfang 2001 mit meinem Kollegen Michael Koslar bei „NightWash“ eingeschlichen habe. Moderator Knacki Deuser war über diesen inoffiziellen Auftritt allerdings nicht wirklich erfreut. Da war ich schon etwas nervös, hab das aber mit der Attitüde überspielt, die ich von meinen Bandauftritten drauf hatte, so mit Zigarette und Bierflasche auf die Bühne, „Passt schon!“ Ich merkte aber schnell, dass das bei Comedy nicht funktioniert, denn da geht es nicht ums Drumherum, sondern die Leute konzentrieren sich auf dich, da ist kein Platz für Ablenkung. Sonst wirken die ganzen Bilder auch nicht, denn Comedy ist Kopfkino.

Und wie ist das heute?

Heute ist das noch so, wenn es ein großer Auftritt ist, ich was zum ersten Mal mache oder ich mir vollkommen fehl am Platze vorkomme. Du schaust durch den Vorhang und siehst sechzig grauhaarige Kabarett-Senioren da sitzen, da muss ich dann schon noch mal aufs Klo ... Dieses Kabarett-Publikum kommt ja, weil es ganz bestimmte Dinge von dir erwartet: Weltwirtschaftskrise, Merkel, Steinmeier, der Papst – obwohl, da wird es schon kritisch –, und wenn du die Erwartungen nicht genau erfüllst, dann ist das so, wie wenn die ROLLING STONES nicht „Satisfaction“ spielen oder Morrissey nicht „Irish blood, English heart“. Da gilt: Das hab ich bezahlt, das will ich haben! Nun ist das im Rock’n’Roll ja durchaus gerechtfertigt, denn Lieder werden umso besser, je öfter man sie hört, aber ein Witz wird nicht besser, wenn man ihn das dritte Mal hört. Es gibt ja auch Leute, die Comedians durch die halbe Republik nachreisen, die das Programm mitsprechen können, aber ich frage mich, warum.

Und wie ist das für dich? Du erzählst den gleichen Witz ja unendlich oft.

Du versuchst, es für dich möglichst interessant zu machen, den Kopf noch mal leer zu machen, damit es beim 150. Auftritt noch so ist wie beim ersten Mal, nur mit besserem Timing und der Erfahrung, dass man jetzt weiß, wo man besser abbiegt.

Wie reflektiert bist du denn auf der Bühne? Immer voll dabei, oder tritt man da auch mal einen Schritt hinter sich zurück und beobachtet sich selbst, das Publikum, die Reaktionen?

Ab dem Punkt, an dem ich merke, dass ich mir im Kopf während des Auftritts einen Einkaufszettel mache, weiß ich, dass ich ein neues Programm schreiben muss – so hat mir das Dieter Nuhr mal gesagt. Es ist eine ganz klassische Sache, dass man irgendwann dieses „Kill your darlings“ machen, das sichere Territorium verlassen muss. Dazu gibt es einen guten Film, „Jerry Seinfeld: Comedian“, der setzt an, nachdem Seinfeld seinen großen Erfolg hatte und wieder zurück auf die Bühne will, um Stand-up-Comedy zu machen. Die Bedingung für ihn ist: keinen alten Witz verwenden! Und so fängt er an, am Anfang ist der Jubel groß, doch er verhaut Pointen, er muss sich durchkämpfen, und das zeigt sehr gut, wie man als Comedian an sich arbeiten muss. Deshalb ist „Kill your darlings!“ auch ein Imperativ, auch wenn man bei den ersten 200, 300 Shows merkt, welche Sachen immer funktionieren – das ist ein wunderbares Gefühl. Sobald es aber ein Ritual wird, ist es Zeit, sich von einer Nummer zu verabschieden.

Du kommst aus Österreich beziehungsweise aus München, und optisch kann man dich unschwer der Fraktion der Rock’n’Roller zuordnen. Was sollte man sonst noch über dich wissen?

Ich komme frühkindlich aus Österreich, und über Wien und die Welt kam ich dann nach München. Da habe ich auch studiert, Amerikanistik, Kulturgeschichte, Literaturgeschichte, Philosophie, hatte dann einen Redakteursjob beim Uni-Fernsehen, und merkte mit 31, dass das nicht das war, was ich machen will, also Schluss mit dem Quatsch. Ich hatte auch eine Band, JEEP BEAT ORCHESTRA, und das höchste Lob war mal, wir seien die deutschen WEEN, aber wie das immer so ist bei Bands, wenn einer ein bürgerliches Leben führen will, dann bricht das schnell auseinander. Ich hatte dann die Chuzpe, mir zu sagen, dass ich lieber noch mal neu anfange, bevor ich zu so einem subkulturellen Grantler vergreise. Und so bin ich nach Köln gegangen, um Stand-up-Comedy zu machen, weil das einfach meine Passion ist. Stand-up-Comedy ist meiner Meinung nach, und wenn man sie richtig macht, Rock’n’Roll. Das sieht man beispielsweise bei Leuten wie Henry Rollins, das ist ein 1a-Stand-up-Programm, was der da macht, von der ganzen Technik her, wie er Witze aufbaut und so weiter. Nur nennt man das bei ihm halt Spoken Word, vielleicht weil die Punkrock-Szene meint, Comedy sei kommerzieller Scheiß wie Starbucks.

Tja, Spoken Word, das sind halt Leute wie Jello Biafra ...

Ja, oder Billy Bragg, der als Barde auf die Bühne geht, aber zwischen den Songs auch immens gute Jokes macht.

Aber wo genau ist denn nun der Unterschied zwischen Comedian und Kabarettist?

Das ist in Deutschland so eine unsichtbare Demarkationslinie. Ich erklär das mal so: Wenn ich sage: „Die Deutsche Bahn kommt zu spät und das nervt und alle brüllen in ihr Handy“, dann ist das Comedy, und wenn ich sage: „Die Deutsche Bahn kommt zu spät und Herr Mehdorn ist ein Arschloch und die Stasi, und die Merkel hat es gewusst und keiner sägt ihn ab“, dann ist es Kabarett. Und wenn ich sage: „Meine Freundin hat einen dicken Hintern und weiß nicht, was sie anziehen soll“, dann ist das Comedy. Wenn jemand sagt: „Die Merkel hat ein dickes Dekolletee und der Sarkozy fällt da beinahe hinein“, dann ist das Kabarett. Und was den Begriff „Comedian“ betrifft, so finde ich die Bezeichnung „Entertainer“ eigentlich ganz gut, auch wenn der altbacken wirkt. Ich selbst bezeichne mich aber immer als Stand-up-Comedian, also die ganz schlichte Art, nur mit Mikrofonständer und dem Shure SM58-Mikro, das muss reichen, und dazu einen schlichten Bühnenhintergrund und eine relativ große Nähe zum Publikum. In den USA gibt es diese Trennung zwischen dem „richtig politischen“ Witz und dem genitalen Humor gar nicht! Das sieht man beispielsweise bei Jon Stewart und „The Daily Show“ oder Bill Maher und „Politically Incorrect“: Das ist extrem smart, aber trotzdem leicht verdaulich.

Und von der Technik her, gibt es da Unterschiede?

Der größte Unterschied ist wohl, dass der Kabarettist immer sagt: „Wir wissen, die da oben ...“, und der Comedian fängt an mit: „Als mir neulich das und das passiert ist, da hab ich für mich gemerkt, dass das so und so ist.“ Das ist also das subjektive Ich statt des vorausgesetzten Wir. Das ist für mich der formale, stilistische Unterschied, wobei die Grenze zwischen den beiden Genres durchaus aufweicht: Gestern sah ich noch „Neues aus der Anstalt“, und das ist ja auch nicht mehr dieses rollkragenpulloverige Deklamationskabarett.

Das hat also auch was von der typisch deutschen Unterscheidung zwischen E-Musik und U-Musik, also zwischen Klassik und Pop.

In einem musikhistorischen Seminar, das ich mal besuchte, sagte eine Frau, an dieser Stelle werde es ihr „zu sehr Jazz“ ... Das ist wie das Gespräch, das ich neulich in einer Rockabilly-Kneipe führte, wo viele es ganz wichtig haben mit dieser Authentizitäts-Huberei. Es ist mir wurscht, ob irgendwas „zu wenig Cajun, aber zu viel Zydeco“ ist, Hauptsache es geht in den Arsch und du kannst drauf tanzen!

Lass uns über deine Themen sprechen. Du hast einen recht scharfen Humor, wie ich finde, es darf auch mal ein Hitler-Witz sein, es geht auch mal gegen die Kirche, doch live hast du an den Punkten, an denen ich dachte, jetzt wird es wirklich hart, nicht weitergemacht. Allerdings gab es an den Stellen dann auch schon die verschämten „Hohoho ...“-Lacher verstörter grauhaariger Studienräte.

Zwei gehen immer raus, das ist meine Erfahrung. Neulich trat ich in einem Punk-Laden auf, da machte ich einen Witz über Veganer, sagte was von Hitler, dass der auch Vegetarier war und dass man es mit dem Tierschutz nicht übertreiben darf – und da hat es sofort bei meinem Management Beschwerden gehagelt, obwohl ich ja gar nicht behauptet hatte, dass Veganer wie Nazis sind. Es gibt in jeder „Lebensauffassung“, von der Sub- bis zur Hochkultur, immer Bereiche, wo Leute sich in ihrer Integrität, ihrer Überzeugung angegriffen fühlen. Ich kenne diese Empfindlichkeiten, aber versuche, die Leute nicht persönlich anzugreifen – außer sie provozieren es. Ein Zwischenrufer bekommt bei mir eben zweimal davon, beim dritten Mal solidarisiere ich das Publikum gegen ihn – bis derjenige dann freiwillig rausgeht. So was geht recht einfach, wenn sich das Publikum durch so jemanden auch gestört fühlt. Da kommt dann ein Spruch wie: „Hey, wenn du mal im Mittelpunkt willst, dann häng dir eine amerikanische Flagge um und lauf durch Bagdad – wir schauen uns das dann bei YouTube an.“ Danach ist meistens Ruhe. Für mich ist so ein Zwischenrufer an sich nicht weiter schlimm, es gibt mir im Zweifelsfall Material für weitere 15 Minuten.

Zurück zu den Themen: Das Spiel mit regionalen Empfindlichkeiten und Befindlichkeiten geht ja immer, und auch du spielst gerne mit den Klischees über deine Wahlheimat Köln.

Ja, das geht immer, und letztlich ist das die Unterlage, auf der ich auch härtere Sachen machen kann. Wenn mich Leute kennen, wegen mir kommen, Fans sind, weil ich auch mal härtere Sachen mache, dann mache ich das. Ansonsten ist es schlicht wirtschaftliches Kalkül: Solange Leute nicht nur wegen mir zu einer Vorstellung kommen, sondern weil es Entertainment gibt, weil ich mit anderen Leuten auftrete, etwa wenn ich im Quatsch Comedy Club als Moderator fungiere, dann geht es nicht darum, mich selbst zu produzieren, sondern den „Teppich“ für die nachfolgenden Kollegen zu machen. Da habe ich dann Material, das zwar meine Färbung hat, wo ich aber sicher sein kann, dass die Leute das auch goutieren. Allerdings wird mir das mit den Jahren immer mehr Wurscht, da bringe ich dann halt die Nummer mit den Kindersoldaten aus Sierra Leone, die auf HipHopper schießen, auch wenn es da die üblichen Hohoho-Lacher gibt. Sowieso stelle ich bei mir eine zunehmende Radikalität fest, merke, dass ich manch anderes Thema nicht mehr interessiert, aber die braucht man halt. Nimm etwa Volker Pispers, der ist extrem radikal, der stellt sich vor die ganzen Studienräte und sagt „Putin ist ein Massenmörder!“, das kann man bei YouTube sehen, und er löst das dann immer sehr gut auf, so dass man bei aller Empörung am Schluss immer erleichtert ist. „Comic relief“ heißt die Technik – man kann hart sein, muss das aber richtig auflösen.

Redet man über so was unter Kollegen, tauscht man sich da aus wie Gitarristen oder Schlagzeuger untereinander, oder wie läuft das?

Das ist wie bei Musikern, man schaut einfach den anderen auf die Finger. Aber man gibt sich auch untereinander Ratschläge, das ist hilfreich, schiebt sich auch mal einen Gag zu. Es ist ein sehr kollegiales Umfeld.

Gibt es für dich denn Tabus, Themen, von denen du die Finger lässt?

Ich würde gerne mal was über diese Ehrenmord-Arschlöcher machen, aber ... na ja, das ist eigentlich der Job von einem türkischen Komiker, von jemandem, der aus der Welt kommt, wo das am Rande der Gesellschaft auch stattfindet. Ansonsten ist das schnell so, dass sich da einer von der NPD andockt. Generell geht nicht, was zu machen, wo es um Verbrechen gegen Kinder geht. Ich hab zwar mal so einen österreichischen Keller-Gag gemacht, aber da ging es mir nicht um die Kinder, sondern um die Unvorstellbarkeit des Verbrechens, dass so was möglich war. Wenn man so was macht, etwa mit Kinderschändern, dann muss ganz klar sein, in welche Richtung der Gag geht, so dass da keine „Hohoho“-Lacher kommen. Je komplizierter das Thema, desto größer muss die Auflösung sein.

Bekommt man denn auch mal etwas konkreteres Feedback von Leuten, denen grundsätzlich nicht gefällt, was du sagst?

Nach meinem Auftritt bei Stefan Raab hatte ich Drohungen von Nazis, und ich weiß von Kollegen, die auch schon Drohungen bekommen haben, die die Polizei durchaus ernst genommen hat.

Und was denken deine Eltern über das, was der Bub heute macht?

Meine Mutter hat sich sehr gefreut, dass ich diesen Schritt gemacht habe, und mein Vater sagt, dass er es gut findet, aber da der auch sonst ein nicht all zu offensives Interesse an meinem Leben hat, nimmt er das halt so aus der Ferne hin. Der hat vielleicht eher ein Problem damit, seinen gut situierten Kunsthistorikerkollegen zu erklären, was sein Sohn so macht, der in irgendwelchen Kaschemmen mit Kleinkunst sein Geld verdient. Das ist aber eine Mutmaßung, denn er sagt immer, er finde das toll.

Apropos, wo kann man dich eigentlich sehen?

Auf der Website von Comedy Central zum Beispiel. Da findet „NightWash“ ja mittlerweile statt, und ich identifiziere mich sehr mit dieser Show, die Comedy auch in Teile dieses Landes bringt, wo das sonst nicht so oft stattfindet. Und vor allem ist das ein wichtiges Sprungbrett, eine „Professionalisierungsmaschine“ für Komiker wie mich, die in der oberen dritten und unteren zweiten Liga herumkrebsen.