BLUE SHELL

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Kölner Club-Urgestein

Als 1977 Punkrock aufkam, war dies auch eine Gegenkultur in Bezug auf Rockbands, die seit Jahrzehnten mit ihren Klischees die Bühnen der Welt bespielten. Mittlerweile gibt es auch Bands in der Sparte Punk, die ebenso lange aktiv sind, was die meisten Fans mit Anerkennung honorieren. Weit weniger selbstverständlich ist, dass Szenelokalitäten, die sich seit Jahr und Tag auf die Fahne geschrieben haben, den gleichen Geist hochzuhalten, ebenso lange überleben. In diesen Tagen feiert das Kölner Blue Shell, eine Szenekneipe der ersten Stunde, seinen 30. Geburtstag. Ein Laden, dessen Ruf weit über die Grenzen Kölns hinaus reicht, in dem weit mehr Punk- oder besser Rock’n’Roll Geschichte zu finden ist, als bei vielen Bands. Warum es so selten ist, dass Szeneläden lange überleben, habe ich versucht herauszufinden in einem Gespräch mit Rolf Kistenich, dem heutigen Besitzer des Blue Shell.

Rolf, erzähl doch mal kurz, wie du zum Blue Shell gekommen bist.

1980 war ich in dem Dorf, aus dem ich kam, noch der Mattenkönig, was dort als Provokation ausreichte. Zu der Zeit war ich hier das erste Mal, weil die richtige Musik lief und vor allem gab es einen DJ, der Platten auflegte. Diese Musik hörte man sonst nur bei John Peel und das war für mich eine Initialzündung. Ich war schon zwanzig, hatte vorher Jazz-Rock gehört, daher habe ich die Punk-Sache zunächst rückwirkend erlebt, erst Bands wie GANG OF FOUR und darüber erst Punk entdeckt, was schnell dazu geführt hat, dass ich den Hippies gesagt habe, sie können mich am Arsch lecken. 1983 bin ich nach Köln gezogen und habe Platten aufgelegt im Gaz Club, der nach einem halben Jahr wieder zugemacht hat. Mein DJ Kollege hat danach den Rose Club aufgemacht, wo ich auch aufgelegt habe. Da war zunächst die Idee, dem Shell Konkurrenz zu machen, die belebt ja bekanntlich das Geschäft. Wenn im Rose Club oder im Luxor Konzerte waren, gingen die Leute immer danach auch ins Blue Shell. Durch Zufall lernte ich Lazlo, den DJ des Shell kennen. Wir haben sofort gemerkt, dass wir auf einer Wellenlänge sind, weil er diesen Independent-Gedanken vollkommen verwirklicht hat, sich wie John Peel nicht aufgrund des Publikums oder einer bestimmten Erwartungshaltung nur auf einen Musikstil festzulegen, sondern alles zu spielen, was neu und interessant ist, das konnte – außer Chartmucke – alles sein. Das war hier eine heilige Stätte, was auch daran lag, dass die ganzen damaligen Spex-Leute ständig an der Theke saßen, einmal die Woche selbst auflegten und somit wurde alles strengstens kommentiert. An einem Donnerstag legte ein Probe-DJ zwischendrin AC/DC auf, das war zu der Zeit quasi verboten und nach Feierabend gab es da richtig Ärger. Der DJ wurde kurzerhand gefeuert und so bekam ich den Job. So schnell ging das.

Wie und wann bist du richtig eingestiegen?

Ich war von Beruf Elektriker und damals gab es die Möglichkeit, in meiner Firma gegen Abfindung zu kündigen. Zunächst gab es die Idee, dass ich meinen eigenen Laden aufmache, aber so was setzt man schnell in den Sand und dann ist alles weg. Dass sich das Shell so lange gehalten und all die Behördenschikanen überstanden hat, lag vor allem an Udo Baur, dem der Laden gehörte. Ich bin 1994 dann hier eingestiegen. Die Kombination stimmte, er als Geschäftsmann und ich war für die Musik zuständig. Der Laden war damals ganz unten, wegen der ganzen Auflagen vom Ordnungsamt, und so haben wir erst mal einen Schallschutz eingebaut, damit hier weiter Musik laufen konnte. Es sprach sich schnell rum, dass ich im Shell eingestiegen bin und durch den Schallschutz hatten wir ein paar gute Jahre. Bergab ging es, als der Rose Club dicht gemacht wurde (mittlerweile wieder geöffnet, Anm. des Verf.) und das Luxor zum Prime Club wurde und dort weniger und andere Konzerte stattfanden. Dadurch blieb die Laufkundschaft aus. Zwischen Udo und mir kam es zu einem Richtungsstreit, er wollte beispielsweise einen Karaokeabend einführen. Er lebte die meiste Zeit auf den Kanaren, wo das gerade im Kommen war. Ich hingegen empfand es als Vergewaltigung des Ladens, deswegen hat es richtig gekracht, und weil ich derjenige war, der vor Ort war, bin ich geblieben und er ist ausgestiegen. Wir haben uns aber später wieder vertragen. Udo hat mich weiterhin in allem unterstützt und vor allem habe ich von ihm gelernt, wie man so einen Laden gegen alle Widrigkeiten erhalten kann.

Diese Widrigkeiten und Auflagen, welche waren das?

Der Laden war ja sehr verrufen, weil hier früher viele Schlägereien waren. Es gab bereits eine riesige Akte. Jemand vom Ordnungsamt bemerkte, dass dies eine Gaststätte ohne besondere Betriebserlaubnis ist. Im Wortlaut der Bürokratie heißt das, du darfst maximal 35 Platten haben und nur einen Plattenspieler. Die haben also einen abbauen lassen, Mischpult war sowieso nicht erlaubt, auch weg. Das waren Schikanen, weil der Laden denen immer schon ein Dorn im Auge war, aber ihn zu schließen war doch nicht so einfach. Meistens kriegen sie einen über die Steuer, aber da war dank Udo alles wasserdicht. Das ist ein ewiger Kampf gegen Windmühlen, so habe ich zwei Jahre gebraucht, um die Konzession für die Außengastro zu erhalten. Der Chef vom Ordnungsamt persönlich hat mir gesagt, er sei damals Sachbearbeiter für das Blue Shell gewesen, was ihn Jahre seines Lebens gekostet hätte, daher bekäme ich von ihm nie eine Konzession. Mit so was muss man sich wegen der Altlasten rumärgern. Die Nachbarn hier haben schon das Amt gerufen, wenn vor der Tür einer mit grünen Haaren stand, da lief noch gar keine Musik. Später gab es eine Bürgerinitiative, die gegen die Zustände im Viertel vorgehen wollte. Die haben dann das Amt verklagt, dass zu wenig unternommen wird. Obwohl damit eigentlich die Zustände in der Kyffhäuserstraße, die um die Ecke liegt, gemeint waren, waren wir auch wieder mit auf der Abschussliste. Irgendwann haben wir die Konzessionserweiterungen aber doch bekommen, weil über Jahre keine großen Beschwerden mehr vorlagen, und natürlich über Beziehungen, denn mittlerweile sitzen ja auch Ex-Stammgäste im Amt. Der Vermieter hat auch nur noch an Studenten vermietet und die Schlimmste hier im Haus, eine die sich wirklich jeden Tag beschwert hat, ist auch ruhiger geworden, seit ihr Mann gestorben ist und ich ihr hin und wieder die Glühbirnen wechsele, haha.

Keine Beschwerden mehr, heißt auch, dass sich die Gäste ruhiger verhalten haben. Es gibt ja so was wie eine Mitverantwortung, die oft nicht wahrgenommen wird.

Ja, sicher. Das ist aber auch so eine Sache. Noch bevor ich hier Besitzer war, spielten gegenüber im Rose Club drei SST-Bands und anschließend gingen ein paar der Besucher noch ins Shell, holten sich aber vorher am Imbiss noch Bier. Clara Drechsler von der Spex hat die Typen dann total angemacht, was das für eine Einstellung sei, sich erst drei SST-Bands anzusehen und anschließend mit billigem Bier in die Szenekneipe zu kommen, um dort nichts ausgeben zu müssen. Dieses Problem hatte ich jetzt über Jahre hinweg. Hier im Nebengebäude war ja direkt ein Kiosk, und wenn der geblieben wäre, hätte ich keine Vertragsverlängerung mit dem Vermieter gemacht, so was bricht dir das Genick.

Verstehe ich gut, im Endeffekt lebt ein Laden wie das Blue Shell ja vom Getränkeumsatz. Wie macht man den Leuten diese Eigenverantwortung klar?

Das ist schwer. Im Sommer, bei Außengastronomie, spreche ich einige an, aber irgendwann reicht es auch, dann sagst du denen nur noch, sie sollen sich verpissen, und dann bin ich natürlich derjenige, der uncool ist. Aber wenn hier kleine Bands spielen, kann man das nur mit dem Umsatz finanzieren, bei vierzig Besuchern bleibt da nicht viel übrig. Wenn die Leute dann noch ihr Bier am Kiosk kaufen, hast du keine Chance. Durch so was ist man gezwungen, die Preise zu erhöhen, auch weil die Außengastronomie noch mal 400 Euro extra kostet, sonst wird das schnell zum Verlustgeschäft. Das Publikum sollte sich also im Klaren sein, dass sie Läden, die sie mögen und gerne besuchen, auch unterstützen sollten.

Stichwort: Konzerte. Früher gab es die ja eher selten, jetzt recht häufig. Was für eine Entwicklung stand dahinter?

So was geht schleichend. Wenn du einen Laden zum Live-Club machst, baust du zeitgleich die Kneipe immer mehr ab. Zunächst überlegst du dir was für die Sonntag- und Montagabende, traditionell die, wo eine Kneipe schlecht läuft. Also lässt du eine Band spielen. Dann stehen Leute vor der Tür, die wollen eigentlich Billard spielen und gehen dann woanders hin, weil sie natürlich keinen Eintritt zahlen wollen. Der Abbau ergibt sich also von selbst. Hier fing das, wie du sagst, sehr klein an, was auch wieder an den Nachbarn lag, da gab es auch ewig Probleme. Zu Beginn hatten wir noch keine richtige Live-Konzession, da reicht eine Beschwerde und deine Wartezeit verlängert sich unendlich.

Jetzt hast du gerade deinen Pachtvertrag verlängert, wie geht es weiter?

Im Mai haben wir eine Woche lang den dreißigsten Geburtstag des Ladens gefeiert und im Juli wird außer an den Wochenenden zu sein, wegen Umbau. Dazu gehören eine Klimaanlage, ein neuer Backstage-Bereich für die Bands und neue Toiletten. Die Wandlung von der Kneipe zur Live-Location bekommt dadurch natürlich einen Schub, aber genau da habe ich auch Lust drauf. Ein ganz wichtiger Schritt war dabei auch die Abschaffung des Billardtisches. Der war immer das Herz des Ladens, stand aber auch ständig im Weg. Irgendwann sagte jemand, ich solle das Ding doch einfach ganz rausschmeißen und einen Kicker hinstellen. Plötzlich reichte der Platz, der Kicker hat neue und jüngere Leute angezogen und wir konnten mehr Live-Acts holen. Das Gleiche mit Fußball: das hat lange gedauert, bis ich kapiert habe, dass ich die Übertragungen einfach sein lasse. Aber koordiniere das mal. Konzerte musst du manchmal Monate im Voraus buchen, da weißt du gar nicht, ob an dem Abend eventuell Schalke gegen Madrid spielt. Also Fußball ganz raus und keine Probleme mehr. Wenn man Konzerte veranstalten möchte, dann sind derartige Dinge ein ständiges Ärgernis. Nach dem Umbau ist geplant, jeden Tag von 22 Uhr bis fünf Uhr aufzuhaben, es wird regelmäßig Live-Bands geben und ich will wieder jeden Abend einen DJ haben, was natürlich den Clubcharakter verstärkt. Dennoch wird das Blue Shell immer der Rock’n’Roll-Schuppen bleiben, der er war. Es geht aber auch um neue Sachen, eben das, wofür das Shell auch früher schon stand.