Vienna Calling

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Labelmachen in Wien: Fünf Labels, fünf Fragen, 25 Antworten

Wien ist eine Musikstadt. Zugereiste wie Mozart und Alteingesessene wie Falco wussten das, nutzten diese Stadt als kreativen Schaffensplatz, als Inspirationsquelle. Während diese nun tot in ihren Gräbern liegen, präsentiert sich die Wiener Musikszene, die Wiener Indie-Szene dieser Tage lebendig und bunt wie selten zuvor: melancholisch folkige Töne von A LIFE A SONG A CIGARETTE, intelligenter Krach Marke KREISKY, Songwriterinnen wie Marelies Jagsch, Paper Bird, Mika Vember. Schlageraffiner Elektropop à la KOMMANDO ELEFANT, popaffiner Rock’n’Roll à la ONE TWO THREE CHEERS AND A TIGER. Ein durchgedrehter Solokünstler namens Sir Tralala, ein abgefahrenes Musikkollektiv namens GO DIE BIG CITY!. Jungspünde wie FRANCIS INTERNATIONAL AIRBORD, alte Hasen wie SEVEN SIOUX. Doch auch wenn man rausgeht aus den Proberäumen, den Studios, den Clubs, einen Blick hinter die Kulissen wirft, wird man bemerken, dass sich da einiges tut, dass die Logos der Labels auf den Tonträgern in vielen Fällen jene von heimischen, von Wiener Klein- und Kleinstlabels sind. Grund genug um Büro- beziehungsweise Wohnzimmertüren aufzustoßen, um der Wiener Labelszene auf den Zahn zu fühlen, um die Menschen hinter den – meiner Meinung nach – fünf interessantesten Labels der österreichischen Bundeshauptstadt ein wenig kennen zu lernen.

Stellt euch und euer Label doch kurz vor. Wann, wie und warum seid ihr zum Labelmachen gekommen?

Bernhard (Siluh): Wien. Eine langweilige Nacht, in einem langweiligen Jahr, das noch langweiliger zu werden drohte. In dieser Nacht beschlossen zwei junge Herren aus musikalisch gutem Hause, Bernhard Kern und Robert Stadtlober, ihre Tristesse zu beenden, indem sie eine Platte veröffentlichten. Und das, Platten veröffentlichen, machen sie noch heute. Mit der gleichen Idee wie in jener Nacht: Krieg der Langeweile! Friede dem Tonträger! Viva Siluh.

Andi (Fettkakao): Mein Name ist Andi Dvora?k, ich betreibe Fettkakao seit September 2005. Die Idee dahinter ist, Kunst und Musik von FreundInnen zu veröffentlichen.

Clara (Asinella Records): Mein Label, Asinella Records, habe ich 2006 ursprünglich für meine eigenen Veröffentlichungen als Clara Luzia gegründet. Kurz nach dem ersten Release gefiel mir die Idee, auch andere KünstlerInnen rauszubringen, immer mehr und seitdem wächst der Laden, wobei sich der Roster aus meinem unmittelbaren Umfeld zusammensetzt. Bands, die mir CDs zuschicken, sind eher nicht so mein Ding.

Peter (Wohnzimmer Records): Wohnzimmer Records existiert seit 2001, die Idee ein Label zu gründen war schon seit geraumer Zeit präsent. Wir hatten schon länger Erfahrung mit dem Musikbusiness: Kerstin Breyer durch ihre Tätigkeit beim Major BMG, ich, Peter Winkler, als freier Promoter, und Lelo Brossmann als Musiker. So hatten wir auch Ideen und Vorstellungen, wie man es eventuell besser machen könnte. Letzter Impuls für die Gründung war das Demo der Band ZUKA, das aus unserer Sicht einfach nach Veröffentlichung geschrien hat.

Ilias (Seayou Entertainment): Mein Name ist Ilias Dahimène, ich betreibe Seayou Entertainment, ein Label mit angeschlossener Full Service-Agentur für den Musikbereich. Zudem veranstalten wir Events in Wien – Seayou After Business Clubbings, Maximum Overchill ... – und arbeiten gerade an unserem ersten Filmprojekt, einem Action-Film, der im Österreich des 18. Jahrhunderts spielt. Ein Buchverlag befindet sich ebenso in Planung, um auch wirklich alle Unterhaltungsbereiche abzudecken, und somit unserem universalistischen Anspruch gerecht zu werden. Das Label gibt es seit 2006, richtig ernsthaft betreibe ich es seit Januar 2009, einfach deshalb, weil ich nichts anderes gelernt habe.

Konzentriert ihr euch auf einen bestimmten Stil oder ist Schubladendenken so gar nicht euer Ding?

Bernhard: Es geht um eine gewisse Zugangsweise zur Kunst, die der Künstler, die Band mit uns teilen sollte.

Andi: Prinzipiell gibt es keine musikalischen oder künstlerischen Kategorien, an denen ich festhalte, zudem ich selber nicht wirklich an so etwas glaube.

Clara: Die Schublade, die ich versuche zu füllen, dreht sich nicht unbedingt um Genres, sondern viel mehr darum, womit ich persönlich etwas anfangen kann.

Peter: So etwas wie einen festgelegten Musikstil gibt es bei uns nicht, auch rein kommerziell orientiertes Denken ist uns fremd, einziges Kriterium ist, ob uns die Musik begeistern kann. Dadurch, dass jeder von uns seine musikalischen Vorlieben hat, die sich glücklicherweise auch weitgehend decken, ergibt sich natürlich durchaus eine gewisse stilmäßige Selektion. Dass wir ein Reggae-Album veröffentlichen würden, ist beispielsweise eher unwahrscheinlich.

Ilias: Seayou ist der Versuch eines von diversen Subkulturen geprägten Menschen, diese Subkulturen endgültig zu vereinen und der Menschheit Freiheit zu schenken.

Seid ihr auf Wiener beziehungsweise österreichische Bands spezialisiert, oder habt ihr auch internationale Acts im Programm?

Bernhard: Nein, auch internationale Sachen.

Andi: Insofern ich das Label von Wien aus betreibe und die Musik von FreundInnen veröffentliche, sind natürlich hauptsächlich Wiener KünstlerInnen auf Fettkakao. Es sind aber durchaus auch FreundInnen, die weiter weg leben, vertreten.

Clara: Dadurch, dass ich nur mit Bands/KünstlerInnen arbeite, die ich persönlich kenne, sind sie meistens irgendwie in meiner Nähe. Das ist aber weniger ein Credo, denn ein Umstand.

Peter: Um ideal zusammenarbeiten zu können, ist es schon von Vorteil, wenn die Band in der Nähe lebt, weil das natürlich Dinge wie Interviews, Touren und so weiter erleichtert. Mit Darren Hayman und Robert Rotifer haben wir allerdings auch zwei Künstler mit Lebensmittelpunkt England im Repertoire, da muss man sich dann dementsprechend arrangieren.

Ilias: Seayou sieht sich nicht so sehr als österreichisches Label, was sich auch in unserem Roster widerspiegelt, zirka die Hälfte der Künstler sind keine Ösis, was wiederum den Nachteil hat, dass manchmal gewisse Förderprogramme ausfallen, aber es gibt Schlimmeres. Natürlich hat man eine lokale Szene besser im Auge und kann die sich dadurch ergebenden Vorteile besser ausnützen.

Wie lebt es sich als LabelmacherIn in Wien? Wie ist die Szene? Engagiert ihr euch auch anderweitig in eben dieser?

Bernhard: Ich denke, mittlerweile ist es auch in Deutschland angekommen, dass Wien als Musikstadt wieder en vogue ist. Siluh veranstalten neben dem Label auch noch Konzerte in Wien. Derzeit läuft monatlich der Quiet-Riot-Club in der Transporter-Bar.

Andi: Wien ist eine lebendige Stadt, es passiert ständig etwas, und trotz ihrer Größe gleicht Wien oft einem Dorf. Menschen kennen sich, arbeiten miteinander, es herrscht reger Austausch. Natürlich veranstalte ich Konzerte, mache ab und an den DJ und helfe bei gewissen Projekten aus.

Clara: Leider bleibt mir recht wenig Zeit dafür, mich noch anderswo zu engagieren. Es gibt aber untereinander ganz guten Austausch, wie ich finde.

Peter: Die Szene ist schon seit längerer Zeit sehr lebendig und bringt beachtenswerte Künstler hervor, glücklicherweise wird dies seit kurzem auch medial stärker wahrgenommen. Wir sind auch selbst abseits der Labelarbeit aktiv, Kerstin und ich als DJs und Lelo als Musiker, derzeit als Aushilfsbassist bei KREISKY.

Ilias: Wien ist ideal: Es gibt viele motivierte Leute, genug Fördermöglichkeiten, eine gute Medienlandschaft, den Wiener Prater, gutes Essen, gute Clubs. Der Winter ist leider ziemlich scheiße, aber aufgrund meiner ausgedehnten Reiseerfahrung kann ich trotzdem sagen, dass Wien definitiv eine der besten Städte der Welt ist.

Welche Bands habt ihr bisher so veröffentlicht, was kommt demnächst und wer sind die großen Wunschkandidaten?

Bernhard: Bisher? Siehe unsere Website. Was kommt? Die LANDSCAPE IZUMA-Remix-12“ mit Beiträgen von Alec Empire, B.Fleischmann, TNT JACKSON und Eric D. Clark, die Split-7“ von KILLED BY 9V BATTERIES und PICTURE EYES, eine SONGS OF CLAIRE MADISON-10“ und ein Country-Projekt um Andreas Spechtel von JA, PANIK.

Andi: Auf Fettkakao befinden sich Veröffentlichungen von VORTEX REX, Lonely Drifter Karen, 8 HOURS MANATEE, SEVEN SIOUX, SPOENK, A THOUSAND FUEGOS, BROOKE’S BEDROOM, SEX JAMS und ILSEBILL. Im Herbst kommt die Abschieds-7“ von BRAMBILLA .Große Wunschkandidaten habe ich keine. Auf Fettkakao sind ja nicht nur kleine Menschen ...

Clara: Bisher im Roster von Asinella sind Clara Luzia, Mika Vember, LUISE POP, Marilies Jagsch, KOMMANDO ELEFANT und Bettina Köster. WunschkandidatInnen in dem Sinn gibt es keine. Ich hätte auf meinem Label eben gerne alles, was mir gefällt, allerdings mangelt es oft an Zeit und Geld.

Peter: Die letzten Releases waren KREISKY „Meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld“, ONE TWO THREE CHEERS AND A TIGER „ Less Than The Half Price“, Darren Hayman „Pram Town“ und Fuzzman „Fuzzman 2“. Wir haben derzeit eigentlich ein gut gefülltes Roster, sind daher auch nicht konkret auf der Suche nach neuen Bands, aber natürlich trotzdem immer an Demos interessiert.

Ilias: Die aktuellen Releases sind von THIEVES LIKE US, Sir Tralala, KID, THE TERRORDACTYLS, LOVE & FIST, Paper Bird und VORTEX REX. Puh! Also viel zu tun! Als WunschkandidatInnen wären natürlich meine Helden cool: GUNS N’ROSES oder Beyoncé etwa. Definitiv würde ich gerne etwas in Richtung Urban/Black/R&B releasen, oder eine coole Classic-Rock-Sache à la AEROSMITH oder ROLLING STONES, Bruce Springsteen wäre auch geil. Also her mit euren Demos!

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