ZWERCHFELL VERLAG

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Szeneverbundenheit und Spaß

Vor allem in den Neunzigern gehörte der Zwerchfell Verlag zu einem der wichtigsten Eckpfeiler der unabhängigen Comic-Szene. 1988 von enthusiastischen Fanzine-Machern gegründet, wurde der Verlag bis zuletzt von dem Hamburger Christian Heesch geleitet, seit 2002 zusammen mit Stefan Dinter. Viele namhafte Zeichnerinnen und Zeichner haben hier veröffentlicht beziehungsweise wurden durch ihre bei Zwerchfell veröffentlichten Hefte bekannt, angefangen bei Isabel Kreitz („Schlechte Laune“) über Uli Oesterle („Schläfenlappenphantasien“) bis zu Flix („Held“). Während andere Verlage sich immer weiter professionalisierten und vergrößerten, legte man hier Wert auf Szeneverbundenheit und verlor nie den Spaßaspekt aus den Augen. Bis zuletzt standen Heftveröffentlichungen im Vordergrund.

Nun war es in den vergangenen Jahren auffallend ruhig um Zwerchfell geworden und nur vereinzelt erschien Neues. Seit einigen Monaten nimmt man aber wieder an Fahrt auf – den Fantasy-Späßen „Xoth! – Die unaussprechliche Stadt“ von Anna-Maria Jung und „Der Schicksalsgnom“ von Robert Mühlich und Sebastian Baier folgte „kleiner vogel rot“ von Christopher Bünte und Veronika Mischitz. Spätestens aufgrund der Messepräsenz auf dem Münchener Comicfestival im Juni und der ICOM-Auszeichnung für „Der Schicksalsgnom“ ist nicht zu übersehen, dass Zwerchfell sich zurückgemeldet hat. Die Redaktion haben inzwischen Stefan Dinter und Christopher „Piwi“ Tauber (bekannt auch durch seine Comics für das Ox) komplett übernommen, die mit neuem Schwung die Verlagsarbeit weiterführen.

Hier auf dem Comicfestival in München kann man sehen, dass viele Zeichnerinnen und Zeichner heute zuerst im Netz veröffentlichen und nicht mehr mit selbst kopierten Heften beginnen. Wie sah die Szene zu Beginn von Zwerchfell aus?

Stefan Dinter: Als Christian mit Zwerchfell anfing, machten wir noch alles kopiert und handgetackert mit Auflagen zwischen 25 und 200 Stück. Wir haben eine Menge Minicomics gemacht, so A6-Dinger. Davon gab es ungefähr vierzig Stück, und von meinem Eigenen gab es neun Ausgaben. Das war eigentlich der gleiche Quatsch, den wir mit den Dinter-Brüdern – „Die kleinen Mutterficker“ – immer noch machen. 1988 hatte Christian dann einen Offset-Drucker aufgetan, der billig herstellen konnte, wodurch wir dann Offset gedruckt haben. Da hat er den Verlag gegründet. Die Gesamtszene, muss man sagen, war sehr überschaubar und insgesamt gab es eine sehr klare Trennung, Carlsen und Ehapa auf der einen und die Kleinen auf der anderen Seite. In der Mitte gab es einfach nicht viel.

Piwi, du hast später angefangen und warst auch nicht direkt bei Zwerchfell.

Piwi: Nee, vorher habe ich auch Fanzines gemacht, zum Beispiel mit meiner damaligen Freundin sieben Ausgaben lang das „Paranoid“. So nennt man eben sein Heft, wenn man sich mit 16 einen Namen ausdenkt ... Das haben wir dann eingestellt und uns mit einem Musikcomic-Fanzine namens „Wacka, wacka“ aus Leipzig zu „Jackpot, Baby!“ zusammengeschlossen. Der Entschluss, bei Zwerchfell Comics mitzumachen, kam daher, dass ich durch die Zusammenarbeit mit Stefan am „Inter View – Popcomics“-Band von Ehapa Zwerchfell näher kam und den Fanzine-Geist dort sehr mochte. Da erschien dann „Disco Amore“. Und wie vorher schon Christian Heesch, der auch als Zeichner angefangen hat, ist mir in letzter Zeit klar geworden, dass Dinge zusammenzustellen und zu koordinieren, Spaß bringt und ich dahingehend mehr machen will.

Nun kümmert ihr euch in den letzten Monaten wieder aktiver um den Verlag, nachdem es eine ganze Weile ziemlich still um Zwerchfell gewesen war.

Stefan: Irgendwann kam der Verlag an einen kritischen Punkt. Wir haben sehr, sehr viele Sachen gemacht und einige davon sicher etwas halbherzig, Als Christian dann berufliche Probleme bekam und die Finanzierung einfach nicht mehr da war, war der Verlag kurz davor, über den Jordan zu gehen. Wir waren sicher zehn Minuten lang klinisch tot, sind aber nicht ins Licht gegangen, sondern haben uns noch einmal zusammengerissen. Als kleiner Verlag muss man alle vier bis fünf Jahre sehen, was man eigentlich will und was man dafür macht. Und ob das überhaupt zusammenpasst. Vielleicht macht man die ganze Zeit etwas falsch oder merkt nicht, dass man eigentlich ganz woanders hin will. Das haben wir uns alles gar nicht gefragt, das tritt dir irgendwann von hinten ins Knie. Klar, wir hätten auch einfach alle Nase lang unsere Hefte machen können, aber ich bin auch ganz schön dickköpfig und stur und wollte den Verlag weiter nach vorne bringen. Und dann ist es gut, wenn neue, jüngere Leute dazukommen. Da bekommt man wieder einen Push.

Piwi: Eine ganze Weile stand das Familiengefühl sehr stark im Vordergrund und in den letzten ein, zwei Jahren gibt es die neuen, jungen Zeichner, die die Comics wieder mehr ins Zentrum rücken. Das sind auch prima Leute und es fühlt sich wieder wie ein richtiger Verlag an und nicht nur wie eine Gruppe von Enthusiasten und Idealisten.

Stefan: Aber wir sind jetzt auch keine kalten Profis, wir wollen natürlich den Spaß am Medium selbst behalten und das Zwischenmenschliche spielt immer noch eine große Rolle. Das funktioniert gerade ziemlich gut. Ich habe auch gemerkt, dass ich aus dieser speziellen Szene einfach schon zehn Jahre raus bin. Auch, was das Internet angeht: Da musste ich erst einmal richtig reinkommen, denn eigentlich bin ich immer noch sehr analog.

Das sieht man auch hier auf dem Festival: Junge Leute mit Heften trifft man nur ganz wenige. Die veröffentlichen jetzt im Internet und schließen sich dann eher zu Anthologien zusammen.

Stefan: Ich mag Anthologien sehr gerne und bin ja selbst mit „Zack“ aufgewachsen. Das hat den Vorteil, dass man darin nicht im Vordergrund steht, und wenn einem als Leser eine Story nicht gefällt, sind noch andere dabei, die einem eher liegen. Wir waren neulich in London beim „UK Web & Mini Comix Thing“, da waren wiederum nur Leute, die im Netz veröffentlicht haben, das dann aber auch als Hefte dabei hatten. Da herrschte zum Teil eine deutliche, sympathische Unbeholfenheit mit der Print-Welt. Im Web können Zeichner ganz einfach alles abladen und direkt Reaktionen darauf bekommen.

Piwi: Heute wächst man einfach mit dem Internet auf und macht sich nicht darüber Gedanken, dass es das neue Ding ist. In Deutschland gibt es aber noch nicht viele Web-Comics, die ich verfolge.

Was das Netz angeht, seid ihr aber ziemlich aktiv und probiert viele neue Dinge aus, wie zum Beispiel Twitter oder die Veröffentlichung von Teasern auf mycomics.de.

Stefan: Gut, wir müssen erst mal unsere Website wieder auf Vordermann bringen, aber parallel dazu versuchen wir uns auch in viele neue Dinge einzuarbeiten. Das kam auch mit Sascha Thau, der zwar mit dem zweiten Teil vom „Kosmopoliten“ nicht zu Potte kam, aber die Idee zum wöchentlichen Verlags-Podcast hatte. Durch die Beschäftigung damit und durch ihn kam ich auf noch andere Dinge im Web 2.0: Ob es jetzt ein Blog ist, die Facebook-Gruppe oder seit Neuestem eben der Twitter-Feed, die wir jetzt alle betreiben. Ich weiß nicht, wo das hinführt, aber zum Herumspielen ist das erst einmal sehr gut. Man kommt dadurch eben sehr gut an die Leute ran. Da braucht es manchmal einfach die jungen Leute, die einem das zeigen und das anschieben. Das hält mich in meinem Alter auch auf Trab.

Jetzt nimmt Zwerchfell also wieder Fahrt auf. Wenn man sich die letzten Veröffentlichungen ansieht, fällt direkt auf, dass es alles Hardcover sind:. Nicht kopiert und auch keine gedruckten Hefte, sondern richtige Bücher.

Stefan: Das ist tatsächlich eine Frage des Marktes, Wir haben festgestellt, dass sich Hefte in höheren Auflagen nicht mehr so gut verkaufen. Und im Gegensatz zu früher gibt es heute eine ganze Reihe von kleineren und mittelgroßen Verlagen und da ist das eine Möglichkeit herauszustechen.

Piwi: Ich gehe da auch nach mir als Leser. Wenn es eine Heftserie gibt, die ich mag, und es gibt dann die Möglichkeit, das gebündelt in schöner Aufmachung zu bekommen, dann greife ich selbst lieber dort zu. Kopierte und getackerte Hefte lese ich selbst immer noch sehr gerne und möchte das auch gerne mal wieder machen. Da weiß ich aber, dass das auf einer Messe gut läuft, Comic-Läden bestellen das nicht einmal mehr. Und jetzt, da Comics mehr in den Buchhandel gehen, spricht umso mehr für richtige Bücher.

Da wollt ihr auch hin ...

Stefan: In den Buchhandel, klar. In den letzten fünf Jahren gab es mit Cross Cult, Reprodukt oder Splitter Verlage, deren Bücher in den Buchhandel passen und dort auch gehen. Unsere Sachen sahen im positiven Sinne noch so aus, dass man sie gut auf dem Klo oder in der Badewanne lesen konnte. Da machen wir jetzt schon Zugeständnisse und ich selbst finde es auch geil, so ein matt kaschiertes Hardcover zu haben.

Piwi: Die Zeichner freuen sich auch ein Loch in den Bauch, wenn sie ihre Bücher so aufgemacht in der Hand halten können. Derzeit können wir die Zeichner leider noch nicht bezahlen, aber auf diesem Weg zeigen, dass wir die Bücher nicht einfach so raushauen, sondern es toll und wichtig finden, was sie machen.

Die Zeichnerinnen und Zeichner sind aber auch ambitionierter geworden und gehen vermehrt dazu über, längere und ernsthafte Geschichten erzählen zu wollen.

Stefan: Früher gab es mehr viel Leute, die Achtseiter gemacht haben, wobei man dann aus vielleicht sechs Geschichten ein Heft gemacht hat. Heute kommen die Leute viel häufiger mit Themen an, für die man dann mindestens 70 Seiten braucht. Die sind mit Comics aufgewachsen, die „können“ Comics. Bei den jungen Zeichnern ist die Kompetenz sehr viel größer geworden.

Und was kann man in näherer Zukunft von Zwerchfell erwarten?

Stefan: Da kommt zunächst „Zuckerfisch 5“ – auch als Hardcover und im kleineren Format. Dann noch ein „Grimm“, der letzte oder vorletzte Band wird das sein. Ein richtiges Herzensprojekt von mir ist Haimo Kinzlers „Krigstein“, von dem auch noch ein Band auf seine Veröffentlichung wartet. Wir halten auch Ausschau nach internationalen Zeichnern, die noch nicht veröffentlicht wurden, in Nordamerika oder England. Und vielleicht kommt schon 2010 zum Internationalen Comic-Salon in Erlangen Alex Gellners „Schrottbot & Max“.