EDITORS

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Das verflixte dritte Album

Der Kerl ist ja so reflektiert: Irgendwie bin ich immer noch nicht versöhnt mit dem neuen, dritten Album der EDITORS, das durchaus erkennen lässt, dass hier die gleiche Band zugange ist wie bei „The Back Room“ (2005) und „An End Has A Start“ (2007), die beide für mich zu ewigen Lieblingsalben wurden. Und dann rede ich mit Frontmann Tom Smith über „In This Light And On This Evening“ und bin hinterher erstaunt, wie logisch und nachvollziehbar mir der die Entwicklung der EDITORS beschreibt, die sich auf dem neuen Longplayer wie kleine Kinder im Süßigkeiten ... äh, Synthesizerladen aufführen. Gefällt mir das Album dadurch besser? Nur ein bisschen. Aber ich bin froh, dass Tom und ich über mein Problem geredet haben. Und jetzt gilt es abzuwarten, was mein Bauch in einem halben Jahr zu „In This Light ...“ sagt.

Tom, hattest du mal eine Lieblingsband, bei deren neuem Album du nicht wusstest, was du davon halten sollst?

Ja, das war „Kid A“ von RADIOHEAD. Als das Album erschien, war ich etwas verwirrt. „OK Computer“ ist eine meiner absoluten Lieblingsplatten, und dann kam „Kid A“ und ich wusste eine ganze Weile nicht, was ich davon halten soll.

Den Grund meiner Frage kannst du dir wohl denken: Euer neues Album ruft ähnliche Verwirrung hervor.

Ja, es ist auf manchen Ebenen ein drastisch anderes Album als die beiden davor. Andererseits hat es auch ein paar Sachen mit Momenten auf dem ersten Album gemeinsam, Stücke wie „Camera“ oder „Distance“ waren schon Hinweise auf mögliche künftige Entwicklungen, die dann aber auf dem zweiten Album noch nicht zu hören waren. Jetzt ist manches anders, wir haben Sachen verändert, haben Neues ausprobiert, Lieder auf anderen Instrumenten geschrieben, anders aufgenommen. Unser kreativer Ansatz an das Album war wirklich nur, die Dinge anders anzugehen, und du kannst jetzt hören, was dabei herausgekommen ist. Und ja, mir ist bewusst, dass es ein anders klingendes EDITORS-Album ist – und das ist gut so. Ich bin auch froh, dass RADIOHEAD „Kid A“ gemacht haben, es war ein mutiger Schritt, und ich mag es, wenn meine Lieblingsbands sich selbst vorantreiben und Neues ausprobieren. Deshalb ich bin ich auch BLUR- und nicht OASIS-Fan, denn OASIS haben letztlich immer nur die gleiche Platte wieder und wieder aufgenommen, während BLUR experimentieren, neue Wege gehen.

So was birgt aber auch die Gefahr, dass es Zeit braucht, bis die Fans einer Band auf so einer Mission folgen.

Klar besteht diese Gefahr, aber es ist ja auch gefährlich, die Straße zu überqueren, oder? Ich denke, viele EDITORS-Fans werden dieses Album lieben. Hätten wir einfach nur weitergemacht, Lieder im Stile von „Munich“ oder „Smokers ...“ geschrieben, wäre das viel gefährlicher gewesen, das hätte Selbstmord sein können. Mein Motto lautet: Sei mutig und mach dir nicht zu viele Gedanken.

Wie schafft man es aber, bewusst etwas anders zu machen beim Songwriting, beim Aufnehmen, wie verhindert man, dass hinterher doch wieder alles so klingt wie vorher?

Die fundamentalen Sachen haben sich ja nicht verändert, die Art etwa, wie wir Melodien einsetzen und unsere Melodien an sich – die werden immer gleich sein, egal auf welchem Instrument wir sie schreiben. Und das war unser erster anderer Ansatz: Als wir die ersten Demos aufnahmen, war die Maxime, die Lieder auf anderen Instrumenten zu schreiben, mit dem Ziel, ein Ergebnis zu bekommen, das wir nicht erwartet hätten. Als wir dann im Proberaum die ersten Stücke aufnahmen, zeigten sich erste Erfolge dieser Strategie und es gefiel uns gut. „Papillon“ in einer anderen, aber recht ähnlichen Version als die auf dem Album entstand ganz zu Beginn, ebenso der Titelsong „In this light and on this evening“, das sind eigentlich genau die Songs, die wir zu Beginn geschrieben haben. Die kamen ganz natürlich und leicht, dazu mussten wir uns nicht zwingen. Obwohl wir uns bewusst waren, dass wir etwas Neues machten, war das nie beängstigend oder einschüchternd, wir hatten nie das Gefühl, uns möglicherweise zum Deppen zu machen. Nein, es fühlte sich ganz natürlich an, und diese frühen Demo-Songs schickten wir dann an unseren Produzenten Flood, der antwortete, das gefiele ihm sehr gut, das sei genau seine Welt, sein Vibe, wir sollten das Album zusammen machen. Und ab da waren wir auf unserem Weg und schauten nicht zurück.

Du erwähntest eben Mark „Flood“ Ellis, euren Produzenten, der einst bei der Produktion des ersten NEW ORDER-Albums half und danach erst mit Bands wie SOFT CELL, CABARET VOLTAIRE oder PSYCHIC TV arbeitete, später mit Nick Cave, DEPECHE MODE und U2 und in jüngerer Vergangenheit mit den KILLERS. Wieso habt ihr euch für ihn entschieden?

Wenn ich mir seine Karriere mal anschaue, ob nun die Underground-Bands der Achtziger oder die ganz Großen, gefällt mir, dass er mit Bands immer dann arbeitet, wenn sie am interessantesten sind, etwa im Falle von U2. Mir gefiel also schon vorher seine Arbeit, seine Karriere, und ich wollte den Kerl einfach mal treffen. Allerdings war er nicht für alle in der Band die erste Wahl, aber Russell und ich wollten mit ihm arbeiten, Chris war nicht so ganz überzeugt, bevor wir ihn trafen. Wir hörten uns dann mit ihm zusammen die Demos an, redeten darüber, wie wir uns die Arbeit am Album vorstellen könnten, und dann waren wir uns schnell einig. Er wurde dann schnell Teil des Arbeitsprozesses, und unsere Maxime war diesmal, das Album schnell zu machen, live aufzunehmen, nicht Stunden damit zu verbringen, bis der „richtige“ Drum-Sound gefunden ist. Viele moderne Aufnahmen sind so perfekt, so klinisch, dass die Alben kaum noch Seele haben. Wir hatten den Eindruck, dass bei unseren letzten Aufnahmen das Gefühl, das Feuer, die Energie unserer Live-Konzerte etwas verloren gegangen sind. Flood konnte unsere Bedenken nachvollziehen, und so bauten wir im Studio unsere PA auf und spielten live im Studio. Und auch wenn da neue Instrumente wie Sequencer und Keyboards aufgebaut waren, machte das richtig Spaß. Die guten Alben macht ja aus, dass sie einen bestimmten Moment, die Seele der Musik perfekt einfangen, und ich denke, das ist uns gelungen – das technisch perfekte Album zu machen war nicht unser Ziel.

Hättet ihr das auch ohne einen Produzenten hinbekommen?

Zum Teil. „In this light and on this evening“ etwa haben wir quasi allein in einem Studio in London aufgenommen, bei anderen Songs brauchten wir Hilfe, um ihre wirkliche Persönlichkeit zu erkennen und herauszuarbeiten. Etwas Führung hat uns geholfen, gerade auch im Umgang mit den neuen Instrumenten, wo wir teilweise etwas unsicher waren, wie man die am besten einsetzt. Flood hat uns da sehr geholfen, auch dabei, unsere eigenen Sounds zu samplen, und er hat auch einen guten Instinkt für die Bedürfnisse einer Band.

Bei „An End Has A Start“ hattet ihr mit Jacknife Lee gearbeitet, und auch da zeigtest du dich sehr zufrieden.

Die Sache mit dem Produzenten ist schwierig. Wir sind stolz auf die Platte, da sind gute Sachen drauf, aber wir wollten diesmal schneller arbeiten, eine weniger perfekte Platte machen. Für unsere Karriere ... nein, das ist das falsche Wort ... für unsere Musik, für unsere musikalische Reise, mussten wir ein neues Kapitel aufschlagen. Wir hatten als Gitarrenband ein Limit erreicht, wo wir mit dem, was wir machen, nicht mehr weiterkommen, und so entschieden wir uns, einen anderen Weg zu gehen. Ich betrachte das Album selbst aber nicht als einen so dramatischen Wechsel. Wir haben auf den Festivals im Sommer vier der neuen Songs gespielt, und unsere Hardcore-Fans, deren Feedback wir direkt über unser Messageboard auf der Webseite bekommen, liebten sie von Anfang an. Natürlich haben wir das Album in erster Linie für uns selbst aufgenommen, aber es ist schön zu sehen, dass Leute, die uns von Anfang an begleiten, auch schätzen, was wir jetzt machen. Viele EDITORS-Fans werden also wohl auch das neue Album lieben, vielleicht wird es für ein paar auch das liebste unserer Alben werden, aber ich denke auch, dass wir damit ein paar Fans verwirren. Aber dieses Risiko müssen wir eben eingehen. Ein paar Journalisten, mit denen ich in den letzten Tagen gesprochen haben, waren auch regelrecht geschockt, andere kapieren das Album nicht, wieder andere finden es erstaunlich. Tja, jetzt müssen wir einfach abwarten und sehen, was passiert. Hauptsache ist, dass wir stolz darauf sind.

Der deutlichste Unterschied ist der Einsatz von Synthie-Sounds der frühen Achtziger. Was fasziniert euch an diesen Geräten, diesen Sounds?

In den Händen mancher Leute entstehen auf diesen Geräten, die teilweise schon aus den späten Siebzigern stammen, schrecklich kitschige Sounds. Aber in den Händen anderer erreichen diese Klänge auch eine Schönheit und Einzigartigkeit, die höchst erstaunlich ist. Wir selbst besitzen diverse alte Geräte, die wir über die Jahre gesammelt haben, doch auf diesem Album haben wir uns der Maschinen in Floods Studio bedient, und der hat wirklich so ziemlich alles, was in der Richtung jemals hergestellt wurde. Wir fühlten uns da wie Kinder im Süßigkeitenladen, und Flood passte dabei auf uns auf. Wir versuchten Sounds zu finden, die irgendwie unheimlich, kalt, geisterhaft und furchterregend klingen. Diese Klänge halfen dabei, Bilder zu zeichnen, die zu unseren Liedern passen, das war ein echter Kick, eine erstaunliche Erfahrung.

Kinder im Süßigkeitenladen, das ist ein sehr schöner Vergleich. Woher kommt diese Faszination für die elektronischen Elemente? Ihr seid ja eigentlich eine Gitarrenband.

Wir waren von Anfang an eine Gitarrenband und haben auch zwei klassische Gitarrenalben gemacht. Davon waren wir einfach irgendwann gelangweilt, wir haben das Gefühl, in der Hinsicht alles erreicht zu haben, und so richteten wir unsere Blicke in andere Richtungen, um uns weiterhin künstlerisch ausdrücken zu können. Ich denke, es ist ganz natürlich, dass man Neues ausprobieren will, sich selbst an neuen Herausforderungen versucht. Viele unserer Zeitgenossen aber machen oder machten immer wieder die gleiche Platte, nur mit von Mal zu Mal schlechteren Songs. Für mich war das aber keine Option.

Vor vielen Monaten schon gab es ein Statement deinerseits, in dem du von einem „neuen, rauheren und roheren Sound“ des neuen Albums sprachst. Ich vermutete dahinter ein härteres Gitarrenalbum ...

Haha, es kam dann aber ganz anders, oder? Wir wurden ja schon vor einem Jahr nach dem neuen Album gefragt, da hatten wir noch nichts daran gemacht, aber ich versuchte zum Ausdruck zu bringen, dass wir es bislang nicht geschafft hatten, die Energie und Rauheit unserer Live-Auftritte auf Platte zu bringen. Irgendwie waren wir im Studio immer zu perfekt, bügelten zu viel aus. Und dann kamen zwei Dinge zusammen: Zum einen der Wunsch, live im Studio aufzunehmen, und die neuen Instrumente. Roh ist das Album also nicht im Sinne eines klassischen Gitarrenalbums, sondern in dem Sinne, dass es nicht perfekt ist.

Gab es denn Feedback seitens Flood zu eurer Arbeit mit den Synthies? Der hat doch in den letzten 25, 30 Jahren viele Bands im Studio beobachtet.

Nein, nicht direkt. Aber ich weiß, dass er Spaß daran hatte, mit uns zu arbeiten. Außerdem ist er sowieso sehr wählerisch geworden, der produziert nicht mehr viele Bands. Deine Frage an sich kann ich nicht beantworten, darüber haben wir nicht gesprochen, es war aber eine sehr angenehme Atmosphäre, wir haben viel gelacht, es war keine verkrampfte Studiosituation und wir experimentierten mit viel Spaß, nicht weil wir auf Teufel komm raus irgendwas machen mussten. Und was seine ganzen alten Produktionen anbelangt: Ich glaube, an viele davon kann er sich gar nicht mehr so genau erinnern, aus welchen Gründen auch immer ...

Als Vegetarier interessiert mich natürlich, was hinter dem Song „Eat raw meat = blood drool“ steckt.

Dieser Song und auch „Like treasure“ drehen sich um die Leute, die unsere Welt kontrollieren, und darum, wie wenig Vertrauen ich in sie habe. In Großbritannien sind derzeit viele Menschen desillusioniert von der Politik, sie können keine Unterschiede erkennen zwischen den beiden großen Parteien, sie können keinen Grund erkennen, für eine der beiden zu stimmen, denn keine kann irgendeine Lösung für die bestehenden Probleme aufzeigen. Die beiden Stücke sind ein zynischer Blick auf die Leute an der Macht. Das Bild, das ich vor meinem inneren Auge sah, war das von Männern in Anzügen, die sich auf rohes Fleisch stürzen, und darüber musste ich lachen und so kam es zu dem Songtitel. Es ist sicher kein Vegetarier-Song, ich bin ja auch selbst Fleischfresser.

Mit dem neuen Album geht auch der Tourzirkus wieder los – mit lauter neuen Instrumenten auf der Bühne?

Ja, wir haben jede Menge Spielzeug auf der Bühne und darauf freue ich mich. Am Ende der letzten Tour wurde hier und da kritisiert, dass bei uns auf der Bühne nicht viel passiert, und das wird jetzt anders sein mit all den Pianos, Keyboards, Synthesizern und so weiter, zwischen denen wir hin und her wechseln. Ich denke, das wird für uns wie die Zuschauer eine neue Erfahrung werden, ich bin gespannt darauf. Aber ein paar Leuten wird das sicher nicht gefallen – egal, mir gefällt es.