THEATRE OF HATE

Ich weiß, ich weiß... Ihr seid schon wieder genervt, daß ich euch mit THEATRE OF HATE eine Band serviere, von der wahrscheinlich 95% der werten Ox-Leserschaft noch nie was gehört haben, und die restlichen, denen der Name ein Begriff ist, werden sich mit Grausen abwenden: "Iäh, voll die New Wave-Scheiße". Yep, stimmt, THEATRE OF HATE waren Anfang der Achtziger neben Bands wie ULTRAVOX, DEPECHE MODE oder SIMPLE MINDS (die damals übrigens alle weit von langweiliger Popscheiße entfernt waren) mehr oder weniger typische Vertreter des New Wave - eine Band eben, die zwar Punk-Wurzeln hatte, aber sich musikalisch längst über die engen Genregrenzen hinweggesetzt hatte. Später wurde aus THEATRE OF HATE bzw. deren charismatischem Frontmann Kirk Brandon SPEAR OF DESTINY, eine stilistisch hochinteressante, aber trotzdem auch chartsmäßig erfolgreichen Pop-Band der besseren Sorte. Die lösten sich irgendwann, Kirk Brandon geriet in Vergessenheit und tauchte erst 1995 mit einem brillanten Solo-Album bzw. dem Projekt 10:51 wieder auf. Das verkaufte sich zwar überhaupt nicht, gehört aber in eine ähnliche Kategorie wie Pete Shelleys "XL1"-Album. Nach fleißigem Telefonieren kam ich Kirk Brandon dann auf die Spur, rief ihn in Kopenhagen an und führte dieses Interview. Anzumerken ist noch, daß zu diesem Zeitpunkt die Widerbelebung von THEATRE OF HATE (das heißt, Kirk Brandon sucht sich Musiker und nutzt den Klang des alten Namens) schon beschlossene Sache war und ich so im Mai in den Genuß eines THEATRE OF HATE-Konzertes kam. Also, Vorurteile mal kurz wegpacken, das Interview hier lesen und dann losstürmen, das wiederveöffentlichte "Westworld"-Album kaufen.

Könntest du mal einen kurzen Überblick über deinen musikalischen Werdegang liefern?

Meine erste Band war in den Siebzigern THE PACK, eine richtige "Hardcore"-Punkband mit dem entsprechenden Publikum. Wir veröffentlichten insgesamt vier Singles, aber im Nachhinein waren das waren nur erste Gehversuche. Ende 1979 gründete ich dann THEATRE OF HATE, mit Stanley am Bass, meinem alten Freund Steve an der Gitarre, Luke am Schlagzeug und John als Saxophonist. Ja, wir hatten ein Saxophon, und darin unterschieden wir uns von den anderen Bands. Steve stieg später aus, und für ihn kam Bill Duffy, der dann später zu THE CULT wechselte. Auch Luke stieg dann aus, für ihn kam Nigel, der übrigens bis zur "She sells sanctuary"-Single ebenfalls bei THE CULT trommelte. Er hat sich leider mit Heroin umgebracht, die beschissene alte Leier. Luke endete zur gleichen Zeit im Knast, wobei ich über die Gründe den gnädigen Mantel des Schweigens breiten möchte. 1982 erschien dann nach diversen Singles unser Album "Westworld", das uns einen, äh, kometenhaften Aufstieg in die Charts bescherte. Wir spielten damals sogar mit U2 im Wembley-Stadion, und Bono meinte später, wir hätten statt ihnen der Headliner sein sollen. Ende 1982 waren THEATRE OF HATE dann aber schon wieder aufgelöst, und ich gründete SPEAR OF DESTINY. Die existierten in drei verschiedenen Line-Ups, und wir hatten ebenfalls ein paar Hits. Das war eine ziemlich wilde und krasse Zeit.

Der größte THEATRE OF HATE-Hit war sicher "Do you believe in the westworld?".

Ja. Mick Jones von CLASH hatte diesen Song sowie die anderen auf dem Album produziert, und als er später BIG AUDIO DYNAMITE gründete, verwendete er eine ganze Menge Ideen, gerade die Dub-Elemente, die er in der Zusammenarbeit mit uns entwickelt hatte. Wir haben damals schon mit so einer Art Sampling-Technik gearbeitet und zum Beispiel Filmausschnitte in die Songs eingearbeitet.

Wie ging es nach SPEAR OF DESTINY weiter?

Ich wollte eine neue Band gründen, aber irgendwie ergab sich nichts. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich 10:51 ins Leben rief und wir das Album "Stones in the rain" aufnahmen. Einen Teil der Songs haben wir übrigens unter dem neuen, alten Namen THEATRE OF HATE zusammen mit neuem Material veröffentlichen. Mit dem Name 10:51 war ich nie so recht glücklich, schon allein deshalb, weil den keiner kennt. Seltsamerweise gibt es hier in Dänemark eine Band namens 10:48, Ich konnte das gar nicht so recht glauben, als ich das zufällig in einer Tageszeitung las.

Was hat´s mit dem Namen auf sich?

Das ist ein amerikanischer Polizei-Funkcode, zum Beispiel für eine bewaffnete Gang oder so. Für was das konkret steht, weiß ich aber nicht mehr. THEATRE OF HATE ist ein viel schönerer Name, den die Leute erstens schon kennen, und der zweitens schnell hängenbleibt. Außerdem sind meine neuen Songs wieder düsterer und härter geworden, die haben wesentlich mehr mit den alten THEATRE OF HATE-Sachen gemeinsam als mit SPEAR OF DESTINY.

Wie kommt´s? Verzweiflung, eine Lebenskrise?

Haha, ich weiß auch nicht. Klar, ich hätte schon seit fünf Jahren eine Psychotherapie nötig, aber was soll´s. Ich verweigere mich dieser Notwendigkeit, fühle mich eigentlich ganz wohl. Aber um auf den Namen zurückzukommen: in den USA haben mir viele Leute geraten, auf THEATRE OF HATE zurückzugreifen, weil der Name den Leute was sagt, Kirk Brandon oder 10:51 dagegen nicht.

Es gibt natürlich ein paar Negativbeispiele, wo Bands unter dem alten Namen wieder ins Leben gerufen werden, obwohl kein Gründungsmitglied mehr dabei ist.

Klar, aber bei mir ist es anders. Ich war und bin der Sänger und Gitarrist, habe alle Songs geschrieben. Und bei der Musik sehe ich auf jeden Fall eine Verbindung von damals zu heute. THEATRE OF HATE, das ist für mich düstere, starke Musik mit klaren Punk- bzw. Postpunkwurzeln. Das soll freilich nicht heißen, daß ich heute die gleiche Art von Liedern schreibe wie vor 14 Jahren und unsere Zuhörer damit in eine Zeitmaschine setze. Nein, ich lebe 1996 und schreibe Lieder, die meinem Gefühl entsprechen.

Deine Texte - Songtitel wie "Rebel without a brain", "Do you believe in the westworld?" oder "Propaganda" zeugen davon - waren immer sehr überlegt. Was für eine Einstellung, was für ein Mensch steckt dahinter?

Ha, gute Frage. Die habe ich mir in all den Jahren selbst immer wieder gestellt. Es gibt Leute, die versuchen den Charakter eines Menschen darzustellen, indem sie ihn mit einem Haus vergleichen: du öffnest die eine Tür, findest dies, öffnest eine andere, findest das. Und dann stößt du auf Türen, von denen du gar nicht wußtest, und ich finde, diese Beschreibung paßt ganz gut auf mich. Menschen haben eine sehr komplexe Persönlichkeit, sind alles andere als eindimensional. Und so möchte ich mich auch sehen, das heißt, so möchte ich gesehen werden. Man muß zwischen den Zeilen lesen, soll nachdenken, warum jemand etwas so und so geschrieben hat. Das wird umso wichtiger in Zeiten, wo Menschen immer seltener auch das meinen, was sie sagen. Dazu gehört auch das Phänomen der "political correctness", wo jeder vorsichtig geworden ist und man vom Gesagten oft nur noch schwer auf die tatsächliche Meinung rückschließen kann. "Political correctness" ist für mich der "McCarthyism" der Neunziger, aber niemand regt sich darüber auf. Diese Scheiße breitet sich über die ganze Welt aus, aber ich lasse mir von niemandem verbieten, was ich denken und sagen soll. Da ist auch die Gedankenpolizei nicht mehr weit. Sag dies nicht, sag das nicht, und wenn du nicht unserer Meinung bist, werden wir dich vernichten.

"Do you believe in the westworld" oder "Propaganda", das du für "Stones in the rain" neu aufgenommen hast, sind eindeutig politische Songs.

Ja, gerade "Propaganda" enthält ganz deutliche Aussagen zu Medien, Politik, dem "Pavlov´s dog"-Reflex und dem Umgang mit den Medien. Man hat beim Fernsehen ja oft den Eindruck, dort eine exakte Abbildung der Realität vorgesetzt zu bekommen, doch tatsächlich ist alles im Fernsehen und auch im Radio geplant und wurde oft schon im voraus aufgezeichnet. Alles wird zu 100% kontrolliert, und das tun die Mächtigen in einer Weise, daß die Reaktion absolut ihren Zielen und Vorstellungen entspricht. Und genau das meine ich mit dem "Pavlov´s dog"-Reflex. Heute trifft das sogar noch in einem weitaus stärkeren Maße zu als damals, und gerade weil auch bei unseren Konzerten immer wieder nach diesem Song verlangten, habe wir ihn neu eingespielt.

Mit SPEAR OF DESTINY warst du ja beinahe ein Pop-Star, doch mittlerweile kennt dich kaum noch jemand. Wie geht man mit sowas um?

Der Erfolg von SPEAR OF DESTINY traf mich und die Plattenfirma damals völlig unerwartet. "You´ll never take me alive" war unser erster "Hit", und es ging im Text um das Umbringen von Menschen, und naja, das war nicht der Stoff, aus dem Popstars gemacht werden. Ich habe mich in dieser Rolle nie wohlgefühlt, denn das weißt du genauso gut wie ich, Popstars sind eigentlich immer Arschlöcher. Von daher bin ich nicht unglücklich, daß das vorbei ist.

Gegen Boy George, einen nicht gerade unbekannten Popstar, gehst du seit einer Weile wegen diverser Fotos auf einer Plattenhülle sogar gerichtlich vor.

Um eine lange Geschichte kurz zu machen: vor einer ganzen Weile habe ich mal für ihn eine Band zusammengestellt, das heißt, ich habe ein paar Bekannte angerufen und die waren dann mit ihm im Studio. Daraus hat sich dann eine ziemlich unschöne Geschichte entwickelt, er erwähnt mich und meine Frau in einem Songtext und hat in der Öffentlichkeit verschiedene unschöne Sachen über uns gesagt, was wir uns natürlich nicht gefallen lassen. Die Sache ist aber ehrlich gesagt noch viel übler, denn George ist ein Großmaul. Aber mehr darf ich darüber nichts sagen, weil die Sache noch nicht entschieden ist. Doch keine Sorge, wir werden gewinnen.

Wie kommt es, daß du nach Kopenhagen gezogen bist?

Meine Frau ist Dänin, und so sind wir letzten Sommer nach Dänemark gezogen. Davor haben wir zwei Jahre in Philadelphia gelebt. Während es hier in Europa etwas ruhiger um mich war, bin ich in den USA regelmäßig auf Tour gewesen. Ich hatte vor ein paar Jahren einfach die Schnauze voll von England: die politische Situation war beschissener als je zuvor, alles langweilte mich, und so stieg ich in ein Flugzeug und flog nach Amerika. In Philadelphia lebten wir am Rande der, he, "Combat Zone". Das war ein hartes Erlebnis, denn Philly ist zwar nicht ganz so übel wie Detroit oder Chicago, aber beinahe. Abgesehen davon haben wir dort und in New York jede Menge cooler Leute kennengelernt, und das war für mich eine richtige Regeneration. Ich konnte mich von meinem Image aus England befreien, denn in den USA kannte mich kaum jemand, und das empfand ich als sehr angenehm und inspirierend. Ich hatte den Glauben an gute Musik schon beinahe aufgegeben, doch über die College-Radiostationen und tourende Bands fand ich heraus, daß es tasächlich noch gute Musik gibt. In England hast du davon überhaupt nichts mitbekommen, weil die Radiosender staatlich kontrolliert und todlangweilig sind, aber in diesen Collegesendern werden wirklich die krassesten Sachen gespielt.

In Dänemark, das allgemein als sehr liberales Land gilt, sind seit einer ganze Weile ziemlich üble Nazis ansässig, die diese Liberalität mißbrauchen.

Das üble Spiel, das diese Leute treiben, ist überall das gleiche. Vorurteile gegen Immigranten werden aufgegriffen und die Bevölkerung damit aufgehetzt. Die Politiker greifen diese "Meinungen" auf, und das Ergebnis ist, um es vorsichtig auszudrücken, "unglücklich". Die Geschichte wiederholt sich eben, leider. Ich komme aus einem extrem konservativen Land, aus Großbritannien, das immer wieder Phasen durchmacht, die ich ganz offen als faschistisch bezeichnen würde. Unter Margaret Thatchers Regime beispielsweise wurden Tausende von Leuten von der Polizei brutal zusammengeschlagen. Was Dänemark betrifft, so halten die sich immer für sehr liberal, aber im Prinzip steckt ein sehr konervativer Liberalismus dahinter: so liberal sie in dem einen Punkt sind, so konservativ sind sie auch in anderen.

Und, fühlst du dich in Kopenhagen, das ja nicht gerade der Nabel der Musikwelt ist, abgeschnitten?

Nein, nicht solange ich mein MTV habe, haha. Und natürlich die "X-Files" sowie Jay Lenno. Über CNN kann ich jederzeit den aktuellen Bodycount abrufen, hehe. Propaganda eben.

Zurück zu deiner Musik bzw. deinem Gesang. Du singst mit jeder Menge Pathos, was deine Zuhörerschaft deutlich spaltet: entweder man mag deine Stimme oder sie nervt.

Ja, ich kann das nachvollziehen. Aber ich denke ehrlich gesagt nicht weiter darüber nach. Ich singe einfach drauflos, so gut ich es kann, und muß mich dann auf die Eindrücke verlassen, die mir berichtet werden.

Auf jeden Fall ist deine Stimme sehr prägnant, man kann sich ihr nicht entziehen.

Das stimmt. Man kann darüber nicht diskutieren, sie polarisiert. So waren die Reaktionen auf meine Bands schon immer. Entweder man liebt sie oder man kann sie nicht ab. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen DJ von Radio One in England, einen fetten Idioten, der von einer Platte ungefähr 30 Sekunden gespielt hat und dann aus dem Song rausging mit den Worten, er könne meine Stimme nicht ertragen. Anschließend hat er die Platte zerbrochen. Ich war natürlich sehr begeistert.

Wie kamt ihr eigentlich dazu, "Heroes" von David Bowie zu covern?

Jemand kam im Proberaum auf die Idee, wir versuchten es, und es funktionierte. Das war alles. Auf dem neuen Album wird übrigens ein Song namens "At her majesty´s request" über die "Guilford Four" enthalten sein, du weißt schon, diese Leute, die wegen eines angeblichen IRA-Anschlags unschuldig fünfzehn Jahre in einem englischen Gefängnis saßen. Nachdem die entlassen worden waren, kamen die sogar mal zu einem unserer Konzerte. Ich habe dann später noch ein Buch darüber gelesen und war so wütend. Das ist einfach eine unglaubliche Schande, und mich wundert, daß diese Leute den Knast überhaupt überlebt haben.

O.k., das war´s, danke!