LONG DISTANCE CALLING

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Durch Türen gucken und gehen

Nichts, was diese Welt schöner macht, dauert nur drei Minuten. Unter dieser Prämisse praktizieren LONG DISTANCE CALLING den gekonnten Umgang mit Instrumentarium und Form und generieren daraus postrockige, atmosphärisch tiefe Instrumentalmusik. Mit Ambiencer Reimut unterhielt ich mich über Postrock, das Musikbusiness und das aktuelle Album der Band aus Münster.

Der musikalische Raum des Instrumentalrock wurde in den letzten Jahren recht inflationär bedient. Was könnt ihr noch liefern, was es bisher nicht gab?

Da es bei uns nie darum ging, etwas zu irgendeiner Sache hinzuzufügen, haben wir uns diese Frage nie gestellt. Unsere Motivation ist schlicht, Musik zu machen. Ich denke aber, dass es heute in jeglicher Hinsicht schwer ist, innovativ zu sein. Es würde kaum Musik geben, wenn es ausschließlich darum ginge, mit jedem Song oder Album einer gewissen Sache etwas hinzuzufügen. Viele große Bands fügen seit Jahren nichts Neues mehr hinzu und trotzdem kann deren Schaffen ein Genuss sein, wenn das Gesamtbild stimmig ist.

Bedeutet Künstler zu sein also lediglich, als Dienstleister bestimmte Geschmäcker zu bedienen?

Pauschalisieren würde ich das nicht. Sicherlich gibt es Künstler und Song-Urheber, die nur bedienen wollen und sich selbst keinen Raum in der Musik geben. Auf uns trifft das nicht zu. Würden wir Geschmäcker bedienen wollen, würden wir Popmusik machen.

Warum kann eine sich aus Psychedelic- und Krautrock-Versatzstücken speisende, nach dem übertriebenen Rock/Pop-Geblubber der Achtziger- und Neunziger-Jahre jetzt als Post-Rock „wieder erfundene“ instrumentale Musik gegenwärtig so populär sein?

Vielleicht, weil sich langsam eine Tendenz abzeichnet, die deutlich macht, dass viele Leute die Schnauze von diesen ganzen Drei-Minuten-Songs voll haben und Musik wollen, die Platz hat, sich zu entfalten, zu atmen. Aber ehrlich gesagt, ist diese Musik zwar verglichen mit den Verhältnissen vor zehn Jahren populär, aber sie ist immer noch klein. Populäre Musik im eigenen Sinne verbinde ich mit einem Rahmen, der weitaus größer ist, als der, in dem sich Post-Rock bewegt. Ich kenne keine Band aus dem Bereich, die auf einer Tour jeden Abend vor 1.000 Leuten spielt. Das wäre für mich populär. Da wird aus meiner Sicht einiges größer gemacht, als es tatsächlich ist. Der musikalische Underground wurde spätestens mit der Popularität von MySpace begraben. Außerdem wurde dadurch die durch das Internet sowieso schon vorhandene Ubiquität hinsichtlich neuer Musik und Bands zum Platzen gebracht. Das ist ja das Ding: Du kannst dir deine Musikwelt so zusammenbasteln, wie es früher nicht möglich war, und bekommst leicht den Eindruck, dass eine Band groß ist, weil sie auf Myspace ohne Label 5 Millionen Clicks hat. Wenn dann Konzerte vor 30 Leuten gespielt werden, sagt die Realität hallo! Das ist das, was ich meine: Post-Rock erscheint groß, aber so groß wie er geredet wird, ist er nicht. Ich denke jedenfalls nicht, dass es im Vergleich zu anderen Genres viele Bands gibt, die davon leben können. Populäre Musik geht meiner Meinung nach anders.

Kommen wir mal auf eure aktuelle Scheibe zu sprechen. Die heißt „Avoid The Light“. Was ist so schlimm am Licht?

Gar nichts. Der Titel sollte einen Gegensatz symbolisieren. Das Album ist im Frühjahr erschienen, wenn es allgemein heller wird und das Leben erwacht. Da stellt der Titel einen Gegensatz dar. Wäre das Album im Winter erschienen, hätte das Album auch „Avoid The Darkness“ heißen können.

Das Plattencover ziert ein etwas obskures Fantasy-Artwork. Was hat es damit auf sich?

Das ist eigentlich kein Fantasy-Artwork, sondern ein Stich von Gustav Doré, der mit einigen Hintergrundbildern angereichert wurde. Die Stimmung passt meiner Meinung nach sehr gut. Auch der Ikarus, der das Licht der aufgehenden Sonne mit der Hand abwehrt, passt zum Titel der Platte.

Nach zwei Releases auf dem „Kumpellabel“ Vivahate seid ihr nun beim Main-Indie Superball in Gesellschaft von Bands wie OCEANSIZE und ... TRAIL OF DEAD. Warum der Labelwechsel? Und was hat sich seither für euch verändert?

Wir haben nach den beiden Platten bei Vivahate einfach nach einem neuen Label geschaut, da wir nicht gebunden waren und checken wollten, ob es weitere, größere Möglichkeiten für uns gibt. Als wir damals mit Vivahate einig wurden, hatten wir ja gerade unser Demo draußen und eine Handvoll Shows gespielt; da hat es uns natürlich wahnsinnig gefreut, dass die was mit uns machen wollten. Ermutigt durch die Ereignisse seitdem, wollten wir dann aber einfach weitergucken. Superball sind uns da direkt in den Sinn gekommen, weshalb es uns auch total freut, dort mit im Boot zu sein.

Woher kommt dieses Bestreben nach „weiter“ und „größer“ bei Musikern? Hat das was mit Geltungsdrang zu tun?

Das „weiter“ und „größer“ hat sich einfach ergeben. Wenn du etwas machst und es einfach durch das wächst, was du machst, dann öffnen sich Türen. Warum sollte man nicht auch durch die Türen hindurch blicken und gehen?

Mit Gigs bei Rock am Ring oder als Support von DREDG oder ENVY sowie mit einem Plattendeal bei einem großen Indielabel steckt ihr ja mittendrin im Musikgeschäft. Dieses befindet sich seit einiger Zeit enorm im Wandel. Wie viel bekommt ihr davon mit und inwieweit betrifft euch das?

Ich habe durch mein Studium im Bereich „Musikbusiness“ die letzten drei Jahre nichts anderes als den Wandel der Musikindustrie mitbekommen. Aus meiner Sicht ändert sich da gerade nur eines: Die Frage nach dem Trägermedium für Musik und das damit zusammenhängende Ohnmachtsgefühl der Majors. Ich selbst kann nicht beurteilen, inwiefern uns das betrifft, da ich noch in keiner Band dieser Größe gespielt habe und daher keinen persönlichen Vergleich habe. Sicherlich wird rationalisiert etc., aber ich denke, wenn man sich das Digipak unserer CD anschaut, können wir uns nicht beklagen. Wir haben das bekommen, was wir wollten!

Du denkst also, dass physische Medien als Tonträger eine Zukunft haben?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch lange physische Tonträger im Mainstream-Bereich geben wird. In den Nischen wird es sicherlich weiterhin Tonträger geben. Aber ich denke, dass sich Musikhören in Zukunft serverbasiert abspielen wird.

Abschließende Frage: Wie viel Zeit investiert ihr in die Band?

Unglaublich viel Zeit. Mittlerweile ist es ein wenig ruhiger geworden, aber bis vor etwa drei Monaten ist jede freie Minute in die Band geflossen. Da bleibt nicht so viel Zeit für andere Dinge, wenn man, wie jeder von uns, noch arbeiten oder studieren geht. Da muss man seine Zeit schon gut managen, sonst geht da vorne und hinten nichts.