SLAPSHOT

Foto

Wut fördert Kreativität

Letztes Jahr im Sommer tauchten SLAPSHOT nach Jahren mal wieder in Europa auf und spielte eine Handvoll Shows. Sechs Monate später war die Band dann erneut da. Das Bostoner Straight-Edge-Urgestein scheint es ernst zu meinen, was vor allem mit der anstehenden Veröffentlichung der Band-Doku „Chip On My Shoulder: The Cautionary Tale Of Slapshot“ (Taang!) zusammenhängt. Schließlich klappte es auch mit einem Gespräch, wobei ich ehrlich gesagt nicht genau wusste, was mich beim Treffen mit Sänger und Mitbegründer der Bostoner Hardcore-Szene Jack „Choke“ Kelly erwarten sollte. Schließlich eilt seiner Band und vor allem ihm ein, sagen wir mal, provokanter Ruf voraus. Dabei haben Choke und SLAPSHOT einfach nur klare Prinzipien, zu denen neben der Hingabe zu Straight Edge und Musik vor allem eins zählt: eine ganz eigene Art von Humor.

Du hattest eigentlich schon letztes Jahr vor, im Rahmen einer Spoken Word-Show nach Europa zu kommen. Das Ganze fiel dann aber aus, warum?

Das lag an dem Chaos am Flughafen in New York. Ich hatte von Boston einen Gabelflug über NYC nach Amsterdam. Der Flieger war aber zu spät dran, so dass die Fluggesellschaft uns in einen anderen Flug buchte, dessen Gate leider am anderen Ende des Airports lag. Da angekommen hieß es dann, der ursprüngliche Flieger wäre jetzt doch da. Also schickten sie uns wieder zum ersten Gate zurück. Tja, und das dauerte dann insgesamt so lange, dass die Zeit zum Boarden abgelaufen war und der Flieger ohne mich losflog. Die Nacht verbrachte ich dann am Flughafen und kontaktierte von dort aus Peter, den Veranstalter, der alles organisiert hatte. Ich bot ihm an, am nächsten Tag zu fliegen, aber leider war die Venue für den folgenden Tag schon für eine andere Veranstaltung gebucht, so dass ich mich wieder nach Boston aufmachte.

Hast du vor, in dem Bereich Spoken Word weiterzumachen oder eventuell eine Biografie zu veröffentlichen, so wie andere Persönlichkeiten aus der US-Hardcore-Szene?

Ich finde nicht, dass mein Leben so interessant wäre, um ein Buch damit zu füllen. Was habe ich denn schon gemacht? Ich wurde in diesem verschlafenen Nest Cape Cod an der Ostküste groß, hing oft am Strand ab und bin Straight Edge. Na und? Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder und spiele „World of Warcraft“ – so sieht mein Leben aus.

Jetzt untertreibst du etwas, schließlich warst du mit deiner Band NEGATIVE FX Teil der ersten US-HC-Generation ...

Okay, ich kann ein paar Geschichten darüber erzählen.

... und bist mit Bands wie BAD BRAINS, DYS oder THE MISFITS aufgetreten!

THE MISFITS? I hate the fuckin’ MISFITS!

Wie bitte?! Standest du damals nicht häufiger mit ihnen auf der Bühne?

Das stimmt, aber das hat nicht viel zu bedeuten. Es war damals schwer, überhaupt eine Show zu spielen, also nahm man das, was man kriegen konnte. Nicht mit jeder Band, mit der wir auftraten, waren wir aber auch automatisch befreundet. Ich nahm Hardcore und alles, was damit zusammenhing, damals sehr ernst. THE MISFITS meinten, sich darüber lustig machen zu können. Schließlich hätten eher wir Grund dazu gehabt, sie aufs Korn zu nehmen mit all dem Make-up und ihren Devil Locks!

Wie hast du zu Hardcore gefunden?

Ich zog irgendwann aufgrund des Studiums von Cape Cod nach Boston und wurde schnell auf Newbury Comics aufmerksam, damals noch ein winziger Laden, der damals alle gängigen Punk- und Hardcore-Singles verkaufte. Eines Tages kam Ian MacKaye vorbei, in der Hoffnung ein paar Singles seiner damaligen Band TEEN IDLES an dem Mann zu bringen. Newbury Comics kaufte ihm drei ab. Wie sich kurze Zeit später herausstellte, kaufte eine davon Jamie Sciarappa von SSD, den ich damals übrigens noch nicht kannte, und eine kaufte ich. Von da an interessierte ich mich für harte, schnelle Musik.

Wann wusstest du, dass du selber in einer Band spielen wolltest?

Das war schon wesentlich früher, als ich Johnny Rotten von den SEX PISTOLS zum ersten Mal hörte. Ich wollte wohl die Aufmerksamkeit, die einem als Sänger entgegengebracht wird, und die viele Sänger wohl auch brauchen. Mit NEGATIVE FX traten wir nicht besonders häufig auf – insgesamt spielten wir nicht mehr als eine Handvoll Shows –, aber es waren musikalisch meist gute Bands dabei, wie GI, F.U.’s oder MINOR THREAT. Ich erinnere mich an eine Show 1982 mit BAD BRAINS und GANG GREEN, die letzte, die BAD BRAINS vor den „Rock For Light“-Aufnahmen spielten. Ric Ocasek, der Gitarrist der CARS und Produzent der Platte, war damals ebenso im Publikum; ein wirklich netter Mensch übrigens. Die größte HC-Band war damals aber ohne Zweifel SSD. Eine Band, die wir aufgrund ihrer Offenheit geradezu verehrten, waren MISSION OF BURMA. Keiner war damals musikalisch weiter als sie.

Hast du den Film „American Hardcore“ gesehen?

Ja, vor kurzem. Ich finde den Film insgesamt okay, manche Entscheidungen kann ich aber nicht nachvollziehen. Als Beispiel möchte ich hier nur das Interview mit Harley Flanagan von CRO-MAGS nennen, der davon berichtet, dass anfangs angeblich so viele Kids aus Boston nach New York gekommen wären, um Shows zu sehen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wen er damit meint. Von der Boston-Crew fuhr damals jedenfalls keiner nach NYC, ganz im Gegenteil. Ich persönlich hätte andere Leute interviewt, um den Zuschauern einen Einblick in die East Coast-Szene zu geben, aber um Rat gefragt wurde ich nie. Der Regisseur und ich hatten mal über MySpace Kontakt, das war’s dann aber auch schon.

Deine zweite Band hieß LAST RIGHTS.

Richtig, aufgrund einer Knieverletzung spielten wir aber nur eine Show zusammen mit DEEP WOUND. Posthum erschien dann noch eine Single bei Taang! Records.

Dem Label seid ihr auch mit SLAPSHOT lange treu geblieben. Wie kam der Kontakt zustande?

Curtis Casella, der Betreiber von Taang!, war damals jemand, der zur Szene gehörte. Er ging zu jeder Show und kannte jeden. Eines Tages fragte er mich nach den LAST RIGHTS-Tapes und ich gab sie ihm. Einfach so, ohne Vertrag oder sonst irgendetwas. Aus heutiger Sicht ist das wahrscheinlich kurzsichtig, des Geldes wegen habe ich allerdings nie Musik gemacht. Heute ist das anders, da geht es den meisten nur um Kohle. Klar, bin ich froh, dass ich nach einer Tour wie dieser wieder etwas Geld mit nach Hause bringe, um meine Kinder nach Disneyland einladen zu können. Reich werde ich dadurch aber nicht.

Welche Erinnerungen hast du an den ersten Europabesuch SLAPSHOTs?

Das war im Jahr 1991. Die Kids, die in der ersten Reihe stehen, suchen in Europa gerne den Kontakt zur Band. Etwas, woran ich mich erst gewöhnen musste. Ansonsten war das Thema damals natürlich, ob wir denn aufgrund der STARS AND STRIPES-Veröffentlichung nun eine Nazi-Band wären oder nicht. Die Leute haben echt das Schlimmste von uns angenommen, dabei war das Ganze bloß ein Witz. Gerade, wenn man uns und unsere Geschichte kennt, weiß man, woher wir kommen, was wir machen, und sollte das eigentlich verstehen. Wer die Ironie hinter diesem Oi!-Projekt nicht sieht, dem kann ich nicht helfen.

Ihr habt damals Platten bei We Bite und Lost and Found herausgebracht.

Das lag daran, dass zu dem Zeitpunkt kein anderes Label unsere Musik veröffentlichen wollte. Die Vertreter der beiden Labels lernten wir auf Tour kennen, es waren stinknormale Menschen, die uns versprachen, sich um alles zu kümmern. Hätten wir gewusst, dass wir mit den Deals nicht mal unsere Unkosten decken konnten, hätten wir das Ganze nie unterschrieben. Mit We Bite hatten wir sogar einen Vertrag über drei Alben, keine Ahnung, was uns da geritten hat. Rückblickend ist es aber gut zu wissen, dass die Alben, die bei We Bite erschienen, die mit Abstand schlechtesten SLAPSHOT-Alben sind, so dass sie am Ende doch den Kürzeren gezogen haben, haha!

Zum Glück sind nicht alle so.

Nein, bei Chris Wrenn von Bridge 9 war es fast so wie mit Curtis von Taang! Er hätte alles für uns gemacht. Das einzige Album, das ich auch heute noch von vorne bis hinten anhören kann, ist „16 Valve Hate“ und das haben wir in sechs Stunden eingespielt. Bei den letzten zwei Alben „Digital Warfare“ und „Tear It Down“ dachten wir, dass es so ähnlich laufen könnte. Ich bin aus heutiger Sicht allerdings überhaupt nicht zufrieden mit diesen beiden Releases, was auch kein Wunder ist, da es schwierig ist, ein vernünftiges HC-Album zu schreiben, wenn man nichts hat, über das man sich aufregen kann. Ich saß die meiste Zeit zu Hause, machte es mir bequem, kümmerte mich um meine Familie und tat weiter nichts. Ohne Wut im Bauch ist es schwer, kreativ zu sein.

Was ist mit deinem Job bei Vidal Sassoon?

Ich weiß, dass viele die Vorstellung, dass ich mal als so eine Art Friseur gearbeitet habe, amüsant finden. Die Idee dahinter war die, dass ich vor knapp zehn Jahren ernsthaft überlegt habe, nach Amsterdam zu ziehen. Und als Friseur kann man überall auf der Welt Geld verdienen. Also fing ich an, bei Vidal zu arbeiten. Richtiges Frisieren habe ich dort nie gelernt, es ging eher darum, dem Chef-Coiffeur zuzuarbeiten. Am Ende hasste ich es und nachdem ich meine Frau kennen gelernt hatte, verabschiedete ich mich schließlich von der Idee, nach Europa zu ziehen und kündigte den Job.

Was ist mit der seit langem angekündigten SLAPSHOT-DVD?

Das ist unser aktuelles Projekt und ich kann dir hier und heute versprechen, dass sie dieses Jahr über Taang! erscheinen wird. Produziert hat Ian McFarland, Erzähler ist Dave Smalley. Das Teil ist untypisch für eine Band-DVD, sie ist aufgemacht wie ein Film oder eine Doku und wird sogar auf einigen Film-Festivals laufen. Ich habe bisher nur Teile gesehen. Mark, unser Drummer, hat das Ding ganz gesehen und meinte, dass er an einigen Stellen fast geweint hätte. Ich weiß gar nicht, ob ich den Film jetzt noch sehen will, aber man wird sich über die Jahre doch bewusst, dass die Band ein Teil deines Lebens geworden ist und wir wie eine Familie sind. Ich habe Mark nicht weiter gefragt, auf welche Filmszenen er sich genau bezog, gehe aber davon aus, dass es mit dem Suizid unseres Gitarristen Jordan Wood 1994 zu tun hat. Ausgerechnet der Jüngste nahm sich das Leben, es war tragisch, da auch andere Familienmitglieder vor ihm auf diese Weise aus dem Leben schieden. Sein Tod führte damals dazu, dass wir die Musik für längere Zeit auf Eis legten. Zwei Jahre später erschien dann „16 Valve Hate“, unser bestes Album. Verstehst du jetzt, was ich meine, wenn ich sage, dass man angepisst sein muss, um gute Songs zu schreiben?