CWILL

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Anleitung zum Selbermachen

Es ist bestimmt schon zehn Jahre her, als ich auf einem Sampler einen Beitrag der Schweizer Crustcore-Band CWILL hörte, und mir gefiel auf Anhieb die Kombination aus Crust-Keule und melodisch-schräger Violine. CWILL können mittlerweile auf 18 Jahre Bandgeschichte, einige Veröffentlichungen – zuletzt „Trotz allem“ – und unzählige Konzerte zurückblicken. Da sich CWILL ganz dem D.I.Y.-Gedanken verschrieben haben, Schlagzeuger Peter mit Prawda Records selbst sein eigenes kleines Label und einen Plattenladen in Rorschach betreibt, schickte ich ihm und Sänger Thom einige Fragen zu CWILL und zur D.I.Y.-Szene in der Schweiz. Die Antwort soll angesichts des derzeitigen Labelsterbens Mut machen zum Selbermachen und Eigeninitiative.

Als Einstieg zum Interview zitiere ich aus dem Titelstück eurer aktuellen Platte:„Trotz allem Mensch sein ... bleiben ... bewahren ... lieben ... nicht verkümmern ... leuchten ... ertragen ...“

Thom: Beim Schreiben der Texte ist mir wichtig, die Realität, oder zumindest das, was ich als Realität empfinde, widerzuspiegeln. Meine persönliche Realität ist vor allem in der Vergangenheit durch einige Apokalypsen geprägt worden. Meine psychische Gesundheit war über Jahre sehr fragil. Klinik rein, Klinik raus, Therapie, Medikamente, die ganze Palette. Der Wunsch nach und die Beschäftigung mit dem Tod und letztlich doch immer wieder die Entscheidung zu leben, haben mich geprägt. Das versuche ich in den Texten auch wiederzugeben, was natürlich, wie beim Verfassen jedes persönlich geprägten Textes auch ein Egotrip ist. Dieses „Trotz allem“ ist für mich persönlich und gesellschaftlich gesehen schon vor langer Zeit eine Lösung geworden, die für mich lebbar ist. In der täglichen Perversion trotz allem weiterzumachen, so weit das möglich ist, nicht Teil dieser Perversion zu werden, das zu bewahren, was uns zu Menschen macht und menschliche Qualitäten sind. Wenn ich nicht versuche, das zu bewahren, dann ende ich im Stillstand, in der Aufgabe und Resignation. Die Entscheidung, weiterzugehen und Widerstand zu leisten, sei das nun gegen meine persönlichen Nöte oder gegen gesellschaftliche Missstände, fokussiert für mich darum auch immer beide Aspekte: die Beschreibung der Realität, aber auch die Beschreibung, wie mit dieser Realität umzugehen, zu leben und andere Wege zu gehen.

Euer Markenzeichen ist die Violine, die in all der Brachialität immer wieder einen Hauch von Melodie zulässt. Wie kam’s dazu?

Peter: Bassist Harry und ich spielten vorher bei WORNOUT. Nach deren Split waren wir uns schnell einig, es muss was Derbes werden, aber mit Geige! Wir waren schon immer fasziniert von der Kombination aus Brutalität und schönen Momenten. Inspiriert wohl auch durch eine Band, die kaum jemand kennt: die LEGENDARY NICE BOYS aus Hamburg. Ich lernte ziemlich zeitgleich meine damalige Freundin Kili kennen. Sie mochte unsere alte Band und spielte Geige. Dann habe ich unseren alten Freund Thom bei einem GRAY MATTER-Konzert in Zürich gefragt, ob er brüllen mag, und vier Monate später nahmen wir bereits unsere erste 10“-EP auf.

Was bedeutet es für euch, in der Schweiz eine der dienstältesten Bands in Sachen Hardcore zu sein, und habt ihr eine Art Vorbildfunktion?

Peter: Ich finde es schon cool, primär aus persönlichen Gründen. Vorbildfunktion haben wir hoffentlich insofern, dass die Leute erkennen, dass man nicht in zwei Jahren hundert Konzerte und drei Platten machen muss, um glücklich zu sein. Und eine der Spaß- und Sinngaranten bei uns ist sicherlich, dass es bei uns nie um Geld ging.

Thom: Ich weiß nicht, ob wir Vorbilder sind. Ich hoffe es nicht. Gerade im Punk sollte die Individualität im Vordergrund stehen. Ich fände es auch sonderbar, wenn uns Leute als Vorbild nehmen, denn die meisten Zuschauer kennen uns nicht persönlich. Wenn Vorbild, dann insofern, dass wir uns immer in einem D.I.Y.-Netzwerk bewegten und Leute, die neu in die Hardcore-Szene kommen, sehen können, dass es prima funktioniert, seine Sachen selbst zu machen, und man den legalen und pseudo-alternativen Kulturmüll und dessen Netzwerk nicht braucht, um etwas auf die Beine zu stellen. Natürlich gibt es immer wieder Leute, die es kaum glauben können, dass eine Band so lange zusammen und immer noch unterwegs ist. Aber da sind wir ja nicht die Einzigen.

Heute seid ihr live nur noch sporadisch unterwegs. Warum?

Thom: Wenn wir wollten, könnten wir ständig touren und jedes Wochenende spielen. Da drei von uns aber schon Kinder haben, andere Dinge im Leben für uns genau so wichtig wie die Band sind, wir Berufe haben, die uns nicht auf Rosen betten, und wir auch an Wochenenden arbeiten müssen, Kili mittlerweile in Wien, der Rest in der Schweiz wohnt, ist es für uns zeitlich und finanziell nicht mehr möglich, mehr beziehungsweise ständig unterwegs zu sein, was wir manchmal bedauern.

Peter: Und der angenehme Nebeneffekt: Man brennt so nicht aus und wir freuen uns auch nach 18 Jahren immer noch richtig auf jedes einzelne Konzert!

Und wie steht es um die D.I.Y.-Szene in der Schweiz?

Thom: Super! So klein das Land ist, so klein ist auch die Szene. Ich kann hier nur über die sehr familiäre Hausbesetzer- und Crust-Szene sprechen, mit vielen aktiven Leuten, die in Bands spielen, Fanzines machen oder Konzerte organisieren. In der Schweiz kommst du gar nicht darum herum, etwas selbst zu machen, weil sonst nichts los wäre. Es gibt hier ganz viele feine Leute, die sehr viel bewegen und sich immer wieder den Arsch aufreißen. Das finde ich bewundernswert und deshalb schwärme ich diesbezüglich von der Schweiz. Die Leute hier machen ihr Ding und hängen das nicht an die große Glocke. Die machen das, weil sie Lust darauf haben, und nicht, um sich damit einen Namen zu machen. Ich empfinde die Leute hier als sehr integer und echt. Sie sind sehr kreativ. Die reden nicht nur davon, sich jenseits der Norm zu bewegen, sie tun es wirklich mit viel Wärme und Herz, ohne Pomp und Prahlerei und in allen Bereichen.

Ihr seid ja auch schon alle um die vierzig. Warum seid ihr noch mit dabei und was ist eurer Meinung nach der Grund, warum mit steigendem Alter bei vielen Leuten das Interesse an einer alternativen Lebensweise schwindet?

Peter: Ich bin noch dabei, weil – und mag das auch noch so pathetisch klingen – es mein Leben ist. Ich bin einfach so. Warum es andere nicht mehr sind ...? Viele machen den Fehler zu denken, mit Hardcore könne man die Welt verändern. Wenn sie nach einigen Jahren feststellen, dass immer noch derselbe Scheiß läuft wie immer, dann verlieren sie die Lust und Motivation. Ein anderer Grund ist, dass man körperlich und geistig älter wird. Manche werden Papa oder Mama, und der Lebensinhalt verändert sich. Ein ganz normaler Vorgang vermutlich. Und bei einigen anderen hält sich dieses Lebensgefühl dann aber dennoch, auch wenn sie Eltern geworden sind.

Thom: Alternativ zu leben beinhaltet für mich weit mehr, als Punk zu hören, zu Konzerten zu fahren, diese zu veranstalten oder ein Label zu machen. Alternativ zu leben bedeutet für mich in erster Linie, wie ich mit meinen Mitmenschen umgehe und dass ich emotional und materiell nicht über Leichen gehe. Dazu kommt für mich, dass zu einer Alternative auch maßgeblich dazu gehört, wie und bei wem ich meine Brötchen verdiene. Ich habe auch festgestellt, dass jene, welche das Maul am wenigsten aufreißen, wirklich etwas bewegen, aktiv und immer noch dabei sind. Denen ging es nie darum, ausschließlich über Hardcore einen Lebenssinn zu finden. Die sehen alle über den Tellerrand hinaus und definieren sich nicht nur über Musik und eine Zugehörigkeit zu einer Szene.

Was denkt ihr über ethische Verantwortung in der Punk- und Hardcore-Szene, und wie richtet ihr euer Leben danach aus?

Thom: Ich finde es grundsätzlich falsch zu sagen, dass es eine explizite ethische Verantwortung innerhalb der Hardcore-Szene gibt. Wenn ich unethisch handle, dann schade ich jemandem, egal wo. Das ist ja gerade das Verlogene an manchen Leuten, die glauben, nur weil sie sich in der Hardcore-Szene bewegen, per se ethisch zu handeln. Das ist Blödsinn. Für mich gibt es keine Punk-Ethik. Ethisch zu handeln ist keine Frage von Szenezugehörigkeit. Ethik ist ein innerer Antrieb, eine innere Haltung.

Sicher sind auch an euch die Schwierigkeiten der Musikbranche in den letzten Jahren nicht spurlos vorbeigegangen. D.I.Y. lohnt sich also wieder, oder? Inwieweit seid ihr als Band, Label, Mailorder und Store davon betroffen und was habt ihr nach welcher Erfahrung geändert, um selbst nicht zu viel Schaden zu nehmen?

Peter: D.I.Y. lohnt sich immer. So hat man immer über alles die Kontrolle. Als Band waren wir von dieser Entwicklung nie betroffen. Wir sehen uns ja auch nicht umsonst eben nicht als Teil der Musikbranche. Wir stehen nicht unter dem Zwang, so und so viele CDs verkaufen zu müssen, und T-Shirts und so Zeugs gibt es auch sehr selten von uns. Anders ist das natürlich beim Label Prawda Records, beim Onlineshop oder im Laden. Dort macht sich das Downloaden bemerkbar. Im Juli musste ich nach zwölf Jahren den Prawda-Shop in Zürich schließen, und jetzt gibt es nur noch den Laden hier in Rorschach. Beim Label sieht es ähnlich aus: CDs verkaufen sich kaum noch, also werde ich wieder vermehrt auf Vinyl setze, doch das freut mich sogar. „Trotz allem“ konnte ich aus finanziellen Gründen nicht wie sonst selbst als CD und LP veröffentlichen. Die CD-Version erschien auf Prawda Records, für das Vinyl haben wir mit Kleister und Skuld Releases ein perfektes Label gefunden.

Thom: D.I.Y. hat sich finanziell noch nie gelohnt, emotional hingegen umso mehr. Könnten wir von der Band leben, würden wir das vielleicht tun. Aber dazu müssten wir uns als Band und als Individuen verkaufen, was wir allerdings nicht wollen. Die Szene interessiert mich generell nicht. Es sind einzelne Menschen innerhalb dieser Szene, mit denen ich mich verbunden fühle. Ich nehme diese nicht bloß als Teil der Szene wahr, sondern ganz einfach als das, was sie sind und tun.