MELANIE & THE SECRET ARMY

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Frauenpower

Die Band aus dem Ruhrpott steht mit dem zweiten Album „Wahre Lügen“ in den Startlöchern. War die erste Scheibe ausschließlich ein Tribut an COCK SPARRER und enthielt nur Songs aus der Feder der britischen Punklegende, so haben Melanie und ihre vier Jungs jetzt ihr erstes „eigenes“ Album auf die Meute losgelassen. Ich habe der Band ein bisschen auf den Zahn gefühlt, denn gerade eine Oi!-Band mit Sängerin gibt es nicht so häufig. Wenn die Dame dann noch mit kessem Ruhrpottcharme und starkem Engagement daherkommt, umso besser.

Wie sieht es bei euch aus? Aufgeregt vor der Veröffentlichung oder alles Routine? Traditionellen deutschsprachigen Oi! gibt es jetzt nicht so häufig und spielt schon in Sachen Songwriting und Arrangements der neuen Platte ganz oben mit.

Melanie: Gut sieht es bei uns aus, wir sind zufrieden und harren der Dinge, die da bald kommen. Und natürlich sind wir aufgeregt und gespannt, wie unser neues Album so ankommen wird.

Marcel: Einige erwarten jetzt vielleicht, dass das neue Material wie COCK SPARRER klingt, nur eben selbst geschrieben. Ich denke, dass für jeden etwas dabei ist.

Wie genau meinst du das? Wen alles hofft ihr damit zu erreichen?

Marcel: Ich denke, dass sowohl die Leute, die mit einer COCK SPARRER-Platte gerechnet haben, als auch die Leute, die ohne Erwartungen an diese CD herangehen, was für sich entdecken können. Mit unserer neuen CD haben wir einen guten Mix aus Punk, Rock und ein wenig Metal abgeliefert, so dass da eben für jeden etwas dabei sein dürfte. Eine spezielle Zielgruppe haben wir meiner Meinung nach nicht wirklich. Jeder, der unsere Mucke mag, ist willkommen.

Die Platte ist sehr melodisch, teilweise melancholisch geworden. Wer ist für die Texte verantwortlich, die teilweise sehr tief gehen? „Alter Freund“, „Eure Gesellschaft“ oder „Kein Weg zu lang“ sind neben „Engel“ sehr emotional.

Melanie: Für die Texte bin ich verantwortlich. So was kommt halt dabei raus, wenn Frauen Texte schreiben ... Da dies meine ersten Versuche sind, habe ich mir alles von der Seele geschrieben, was da so brannte. Und manche Themen sind dann halt etwas emotionaler geworden. Außerdem, so dachte ich mir, fehlen heutzutage Texte, in denen es mal nicht nur ums Saufen und Szene geht. Schließlich sind solche Sachen wie Liebe, Kinder und verlorene Freunde auch ein großer Teil des Lebens, egal, welcher Subkultur man angehört.

Marcel: Sicherlich wollten wir bewusst ein wenig von diesem „Fußball, Ficken, Alkohol“-Image weg. Klar, wir haben auch eine Nummer wie „Freitag Abend“ am Start, aber auch hier gilt, alles, was uns berührt oder interessiert, wird als Text verarbeitet und da kommen dann halt auch mal andere Themen vor.

Welche Bands haben euch dabei beeinflusst oder sogar geprägt?

Melanie: Bands, die mich beeinflusst haben sind ganz klar COCK SPARRER, aber auch STOMPER 98 zum Beispiel haben mich beeinflusst, denn das ist der Beweis dafür, dass Oi! mit deutschen Texten auch gut sein kann. Und auch Bands wie GIRLSCHOOL und alles, was in meinem Plattenschrank steht und hier den Rahmen sprengen würde.

Marcel: Alles fing bei mir mit den TOTEN HOSEN an, dann kamen aber relativ schnell härterer Punk, Hardcore und Metal dazu. Heutzutage höre ich eigentlich alles, was mir gefällt, da muss nicht immer nur harte Mucke dabei sein.

Gerade um Oi!-Bands oder Bands mit Skins in der Besetzung gibt es immer wieder Diskussionen, inwieweit eine „antipolitische“ Haltung nach außen getragen werden sollte oder ob Politik in der Musik überhaupt was zu suchen hat. Für mich ist es wichtig, dass eine Band was zu sagen hat, und gerade im Punk spielt, sich zu Missständen äußern und Dinge anprangern, die einem aufstoßen, eine große Rolle. Für belanglos halte ich die Texte der „Klassiker“ keineswegs. ANGELIC UPSTARTS, 4SKINS, COCKNEY REJECTS – sie alle nahmen die Gesellschaft und ihre Tücken ins Visier. In welcher Tradition seht ihr Oi! 2010?

Melanie: Ich bleibe bei der alten Tradition auch im Jahre 2010. Wer in einer Band spielt und die Möglichkeit hat, Missstände anzuprangern, sollte das auch tun. Dies spielt ja nicht nur in der Punk- oder Skinhead-Szene eine Rolle, auch im Pop-Bereich werden sozialkritische Texte geschrieben. Wo fängt denn antipolitisch an und wo hört es auf? Ich mache mir keine Gedanken darüber, ich schreibe, was mir wichtig ist, und ob es dann antipolitisch ist oder nicht, ist mir egal.

Die Arrangements auf „Wahre Lügen“ lassen auf versierte Musiker schließen. Stell uns die SECRET ARMY bitte vor, die ja doch nicht mehr so geheim ist.

Melanie: Da wären Daniel und Marcel an der Gitarre, am Bass haben wir Samson und am Schlagzeug Stoffel. In dieser Besetzung spielen wir jetzt schon eine geraume Zeit und wir sind zu einer super Band zusammengewachsen. Damit meine ich, dass wir ein richtig gutes Team sind. Es macht irre viel Spaß, zusammen zu spielen, ob live oder im Proberaum, und ich bin froh, dass ich die Jungs in genau dieser Besetzung an meiner Seite habe. Daniel und Marcel spielen auch bei EMSCHERKURVE 77 mit, und bis jetzt sind wir uns immer einig geworden und haben uns untereinander abgesprochen, bevor Termine zugesagt wurden. Wichtig ist für uns, dass die Songs allen in der Band gefallen. Deswegen feilen wir hier und da schon mal länger an den Stücken. Für mich muss die Melodie stimmen, auch wenn sie einfach oder billig erscheinen mag. Diese „120.000 Noten in zehn Sekunden“-Angeberei brauchen wir nicht, haha.

Melanie, du trägst deinen Lebensstil sehr stark nach außen und hast dich mit Tätowierungen im Gesicht auch im klassischen Sinne von „der Gesellschaft“ abgegrenzt. Auf der anderen Seite bist du als Mutter einer kleinen Tochter ja auch irgendwie Teil des Ganzen. Wie reagiert die Welt da draußen auf eure kleine Familie?

Melanie: Ja, das hat mein Tätowierer auch gesagt, als ich den Termin hatte, haha. Die Welt hat ja schon vor meiner Gesichtstätowierung gesehen, dass wir nicht ganz normal sind. Komischerweise kommen wir eigentlich ganz gut mit der „Gesellschaft“ klar. Am Anfang gibt es natürlich immer dumme Blicke, aber wenn man die Leute ein paar Mal getroffen und mit ihnen gesprochen hat, legt sich das in der Regel. Oft bekommt man das aber auch alles gar nicht mit, denn das Meiste spielt sich ja eh immer hinter dem Rücken ab. Ich finde sowieso, dass die ganze „normale Welt“ nur eine Fassade ist und bei kurzem Ankratzen der Oberfläche kommt ziemlich viel Dreck zum Vorschein – gerade, weil alles hinter dem Rücken abläuft.

Wie schwer oder leicht ist es, sich als Frau in der ja doch eher von Männern und Männerthemen dominierten Oi!/Streetpunk-Szene zu behaupten?

Melanie: Bis jetzt habe ich nicht das Gefühl gehabt, dass mir jemand das Ganze schwer machen möchte. Natürlich habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob meine Texte vielleicht zu melancholisch sein könnten. Aber ich bin nun mal nicht männlich und habe auch keinen Bock, mich zu verstellen, um in der Männerwelt zu bestehen. Dann wäre ich nicht ehrlich und so was mag ich gar nicht. Das, was ich da geschrieben habe, bin zu hundert Prozent ich, und jeder, der mich kennt, kann das bestätigen. Von daher glaube ich, kommt das auch so an.

Also kein „Anhängsel“, wie in chauvinistischen Kreisen gerne die Skinheadsubkultur beleuchtet wird. Jeder Soziologe interpretiert da Männlichkeitswahn rein, doch die Frauen sind in meinen Augen oft noch aktiver, wenn sie etwas auf die Beine stellen. Oder täusche ich mich da? Das Cover der ersten Platte ziert nun mal nicht dein Gesicht, sondern dein Ausschnitt. Sex sells?

Melanie: Auch! Aber ich fand einfach, es ist an der Zeit, dass Frauen sagen: Klar, wir sind der schönere Teil der Menschheit – und wir haben auch kein Problem damit, das zu zeigen, haha.

Mit der Sängerin von WALLS OF JERICHO hast du ein Duett auf der Scheibe eingesungen, eine Coverversion von „All the lessons“ von ROSE TATTOO. Wie kam es dazu? Siehst du Gemeinsamkeiten bei euch beiden?

Melanie: Candace kenne ich jetzt schon seit ein paar Jahren. Wir haben uns auf einem Konzert kennen gelernt und seitdem hat sich da eine Freundschaft entwickelt. Ich bin ein riesiger Fan von dem, was sie da macht. Musikalisch ist es sicher nicht ganz mein Ding, aber mit ihr auf der Bühne wird eine Show von WALLS OF JERICHO immer der Hammer. Letztes Jahr beim Endless Summer habe ich Candace erzählt, dass wir gerade im Studio sind, und da hat sie mir sofort angeboten, dass wir etwas gemeinsam machen könnten. Das lass ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Ja, und nachdem wir uns dann geeinigt hatten, dass wir „All the lessons“ zusammen machen wollen, haben wir hier den Song soweit fertig gemacht und ihn dann nach Amerika geschickt. Dort hat Candace den Song dann in einem Studio aufgenommen und wieder zurückgeschickt. So einfach ist das heutzutage. Gemeinsamkeiten? Klar wir machen beide Musik in einer männerdominierten Szene und lieben die Musik. Candace und ich sind beide Fans voneinander, ich denke, sie findet das, was ich mache, genauso gut, wie ich das mag, was sie macht. Frauenpower halt.

Wie gehen andere Frauen innerhalb der „Szene“ mit Musikerinnen um? Was hast du da für Erfahrungen gemacht?

Melanie: Ich war überrascht eine doch sehr große, positive Resonanz aus der weiblichen Ecke zu bekommen. Ich hätte mit mehr Zickenterror gerechnet, dem war aber nicht so und das ist auch gut so.

Wie sehen die Pläne für 2010 aus? Habt ihr viele Gigs geplant? Wie läuft das generell bei euch ab? Bekommt ihr Hilfe von außen oder macht ihr das alles alleine?

Melanie: Geplant sind konkret bis jetzt das Sunny Bastards Festival im Februar und das Punk & Disorderly an Ostern 2010 in Berlin Wir hoffen natürlich, dass da noch mehr kommt. Hilfe bekommen wir von M.A.D, bei denen man uns buchen kann. Und wir arbeiten natürlich auch schon am nächsten Album.

Marcel: Genau. Uns ist es wichtig, das Album nun zu promoten und direkt mit dem Songwriting für die nächste Platte zu beginnen. Vielleicht machen wir ja vorher noch eine Split-CD oder so was.