MONTREAL

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Wenn die Szenepolizei S-Klasse fährt

131 Regentage im Jahr, durchschnittlich 5,5 Sonnenstunden täglich. Durchschnittliche Höchsttemperatur 11,4°C, durchschnittliche Mindesttemperatur 1,4°C. 1,6 Millionen Einwohner, 3,7 Millionen im Ballungsraum. Gelegen am Sankt-Lorenz-Strom, beträgt die Entfernung zum Atlantik 450 Kilometer. Das sind einige der Daten, die mir unser aller Wegbegleiter Wikipedia über die zweitgrößte Stadt Kanadas erzählt, die zweitgrößte französischsprachige Stadt weltweit. Und natürlich, dass Max Power dort geboren ist, jener Max Power, dessen Band, in der er die Drumsticks schwingt, nach jener Stadt namens Montreal benannt wurde. Diese Band nämlich, die seit 2004 mitreißend-melodischen deutschsprachigen (Pop)Punk spielt und bis dato drei Alben veröffentlicht hat. Das letzte davon, „Montreal“, im Herbst 2009 erschienen wie seine beiden Vorgänger und eine EP auf Hamburg Records, dem Label von PYOGENESIS-Mastermind Flo V. Schwarz, der zudem auch als Produzent und Manager für Hirsch (Bass, Gesang), Yonas (Gitarre, Gesang) und eben Max am Schlagzeug tätig ist. Warum es von Vorteil ist, alle Belange in einer Hand zu wissen, was an so genannten Szenepolizisten und redseligen Vollblutmusikern nervt und was zu tun ist, wenn der Major klopft, verrät im Folgenden Hirsch.

In „Erzähl mir mehr“ vom aktuellen Album macht ihr euch über Leute lustig, die den ganzen Tag nur über ihre Band quatschen. Sag mal, ist ein Interview wie dieses hier, in dem ja eigentlich auch nur über die Band gequatscht wird, mit einem solchen Song vereinbar?

Sehr entscheidend ist bei diesem Lied das darin enthaltene Wörtchen „ungefragt“, denn es ist ja an sich nichts dagegen zu sagen, wenn man so wie ich jetzt auf Fragen zu Band und Musik antwortet. Etwas anstrengend wird es aber, wenn Leute Tag und Nacht nur von ihren tollen Bands, dem „amtlichen“ Equipment, dem „freshen Songwriting“ und geplanten „Sideprojects“ reden, ohne zu merken, dass die anderen Menschen im Raum auch gern mal über etwas anderes sprechen würden.

Wenn wir schon bei den Texten sind: Da werden so manche amüsante Schwänke aus der Jugend ausgepackt, in „Mädchen aus Berlin“ etwa, in „Dein neuer Freund und ich“ oder auch in „Discozeit“. Erfahrungsberichte oder frei erfunden?

Im Grunde vermengen wir da mehr oder weniger gekonnt die gesammelten Erlebnisse aus unserem Freundeskreis, mischen ein paar von uns selbst drunter und kochen das Ganze dann mit einer kleinen Prise Fiktion auf.

Und was hat’s mit der „Gang“ so auf sich?

Wir sind alle in einer beschaulichen Vorstadt von Hamburg aufgewachsen, da gab es – wie in vermutlich jeder anderen Kleinstadt auch – diese Gang, die immer vorm Supermarkt rumgelungert, Dosenbier getrunken und Passanten drangsaliert hat. Tja, und wir fürchten, dass im Zeitalter von Dosenpfand und Internet dieses schöne Brauchtum aussterben könnte, und möchten mit „Wir sind die Gang“ dem Nachwuchs eine attraktive Zukunftsperspektive aufzeigen.

In „Solang die Fahne weht“ vom Album „Alles auf Schwarz“ rechnet ihr mit der „Szenepolizei“ ab. Habt ihr Stress mit so genannten „Szenepolizisten“? Wenn ja, womit eckt ihr an?

Wir haben eigentlich gar keinen Stress mit solchen Leuten, denn in erster Linie machen diese sich mit ihrer derart engstirnigen Herangehensweise ja selbst das Leben schwer. Wenn man die Musik einer Band einfach nicht mag – bitteschön, kein Problem. Wenn aber Leute einer Band, die sie selbst bereits seit geraumer Zeit hören, „Kommerz“ oder „Ausverkauf“ vorwerfen, nur weil sie vielleicht drei Platten verkauft hat und mehr als 17 Menschen zum Konzert kommen, amüsiert das dann doch immer etwas.

Trotzdem muss ich an dieser Stelle den „Szenepolizisten“ raushängen lassen: Euch konnte man bereits auf MTVIVA sehen, ihr konntet Chartsplatzierungen verbuchen, ist das noch Punkrock? Lässt sich das mit Punk-Attitüde vereinbaren?

Na klar! In dem Video ist doch mehrfach ein Punk mit echtem Iro zu sehen. Und der Typ fährt auch noch ’ne S-Klasse, ohne einen Führerschein zu haben, trinkt Bier und hat sich vor dem Dreh nicht einmal die Zähne geputzt. Ich wüsste wirklich nicht, was wir hätten besser machen können.

Mit Hamburg Records seid ihr hingegen nicht beim großen Major, sondern eher im Familienunternehmen zu Hause, wo doch Labelbetreiber Flo V. Schwarz zudem auch die Rolle als Produzent und Manager innehat. Woher kennt ihr euch? Wie läuft die Zusammenarbeit?

Wir haben uns damals ganz klassisch in einer Hamburger Kneipe kennen gelernt und seitdem eigentlich alles, was die Band betrifft, zusammen gemacht. Es ist schon recht praktisch, wenn außer uns vieren da keiner groß reinquatscht und man so eben sehr schnell und unkompliziert arbeiten kann.

Und wenn nun doch der große Major an die Türe klopft?

Als höfliche Menschen machen wir die Tür natürlich auf, bitten ihn auf einen Tee und etwas Gebäck herein und hören uns an, was er zu sagen hat. Vermutlich wird es darauf hinaus laufen, dass man nach Tee und Gebäck getrennte Wege geht, aber wenn man irgendwas von James Bond lernen konnte, dann, dass man mit dem Wörtchen „Nie“ vorsichtig sein sollte. Das gilt nicht nur für dieses Thema sondern speziell auch für Bandauflösungen. Da kann man ja inzwischen auch schon ein Buch drüber schreiben, wer alles Stein und Bein geschworen hat, nie wieder zu spielen, um dann früher oder später doch wieder auf der Matte zu stehen.

Zurück zur Musik: Ihr wart bereits mit Bands wie SAMIAM oder auch IGNITE auf Tour. Sind das Bands, die ihr privat hört, mögliche Einflüsse?

Klar haben wir auch Sachen von SAMIAM und IGNITE in der Sammlung, aber Einflüsse waren beide Bands wohl eher nicht. Zudem waren die Touren mit der SONDASCHULE, der BLOODHOUND GANG oder auch die Konzerte im Rahmen der Nikolaus-raus-Tour mit FAHNENFLUCHT, A.C.K. und so weiter viel unterhaltsamer und erquicklicher für uns.

Ihr seid ja, so scheint es, ohnehin permanent unterwegs, hattet schon vor der ersten Platte über 100 Shows auf dem Buckel, spielt gerne auch im Ausland, „17 Länder“ heißt es im Bandinfo. Wie kommt ihr als deutschsprachige Band bei nicht-deutschsprachigem Publikum an?

Überraschend gut! Gerade bei Konzerten im englischsprachigen Raum oder in Russland waren wir vorher etwas unsicher – aber letztlich geht es bei einem Konzert eher um Musik und das, was zwischen Band und Publikum passiert. Die Texte versteht man live ja aus akustischen Gründen meistens ohnehin kaum und so hat das dann auch überall ganz gut funktioniert.