Udo Lindenberg

Der Autor dieser Zeilen genießt seit etwa 18 Jahren das in Deutschland seltene Privileg einer Geheimgesellschaft anzugehören, die zwar vom Rest dermusikverschlingenden Zunft mitunter amüsiert registriert, jedoch weder ernstgenommen, geschweige denn als Teil der eigenen Musikkultur verstanden wird. Es handelt sich um eine anonyme Gesellschaft von Fans eines Mannes, über den Freund Bodo letzte Nacht treffend bemerkte: "Die Tommies haben ihren Elton John, die Amis haben Michael Jackson und wir haben unseren Udo!" Auch wenn es sich bei dieser Aufzählung durchweg um Personen handelt, die man entweder liebt oder hasst, hat Udo Lindenberg jedoch die undankbare Rolle, ein deutsches Phänomen zu sein, das heisst, von einer Fangemeinde zu zehren, die sich in der letzten Dekade weitestgehend von ihm distanziert hat. Sprüche wie "Der ist ja nur noch peinlich!" kann man vielleicht aufgrund einiger musikalischer Ausrutscher ("Renate von Stich" oder auch "Gummi in Berlin" - Ach, Udo!!!) verstehen, doch hier muss ich Udo zitieren, der mir musikalische Fehltritte damit erläuterte, dass man ja als Abenteurer "nicht immer im El Dorado ankommt, sondern manchmal auch in irgendwelchen Katakomben". Soviel dazu, doch der weitverbreiteten Ansicht "Der kopiert sich ja nur noch selber!" habe ich einiges entgegenzuhalten, da diese Haltung auf Lindenbergs Spleens abzielt, also Hut, Sonnenbrille, Paniksprache, Genöle. Dass eben diese Markenzeichen (bis auf den Hut) in den 70ern für Hunderttausende von nassen Höschen und durchgeheulte Kopfkissenbezüge verantwortlich waren, ist ein Phänomen, das sich damals wenige und heute noch weniger erklären können. Doch diese Bedeutung, die Lindenberg für viele mehr oder weniger Gestrandete immer noch hat, rekrutiert sich (wenn auch die Musik absolute Geschmackssache ist) aus den Texten der Paniknachtigall. Obwohl sich Udo-Geheimbundskollege Tom Tonk in seiner Retroplattenecke im Ox schon am Beispiel von Udos ´76er "Sister King Kong"-Album darüber ausgelassen hat, muss ich hier auf Never-out-of-date-Titel wie "Satellite City Fighter" verweisen, der seinem "Pauker die Fresse poliert / Seine Nerven waren einfach schon zu strapaziert." Oder das Flippmädchen "Jenny", das "Randale will", auf der Suche ist nach dem "verschärften Leben" und ihrer Generation ein Armutszeugnis ausstellt: "Gerade erst 16, doch jetzt schon keine Power mehr!" Für den Autor selber war Lindenberg in der (nicht enden wollenden) Pubertät, durch 33er Vinylscheiben ständig in Kontakt, eine Vaterfigur, mit der er soviel gemeinsam zu haben schien wie mit keiner Realperson. Wer sich an die Lindenberg-Platten vom ´72er "Daumen imWind" bis zur, na ja, ´84er "Götterhämmerung" heranwagt, der wird feststellen, dass dieser versoffene Gigolo sich trotz seines offensichtlichen Schutzwalls aus Coolness und Panik-Rat-Pack auf seine Platten und vor allem (auf Livealben gut zu hören) auf der Bühne regelrecht auszieht. Der lindenbergsche Seelenstrip hat dem Autor die Zweifel an übermenschlichen/männlichen Gegebenheiten zwar nicht genommen, aber doch zumindest gezeigt, dass er nicht in einem nur von ihm alleine abgesteckten Frust-Claim saß. Frank Spilker von den Sternen sagte kürzlich über Udo, dass ihn als einziges "diese frauenfeindlichen Texte" stören würden. Ich habe daraufhin alle meine Udo-Platten nach Machoismen durchsucht, und ich lege mein Veto ein.Wenn Lindenberg offen zugibt, dass er gerne mal "ausflippt und drei Tage nicht nach Hause kommt", dann wünscht er sich eine "wie ´ne Schwester, die auch solche Flipps versteht". Harter Tobak, zumal Udo ja schon bei leichten Eifersuchtsanflügen reif für den Nervenarzt und Dr.Gorbatschow ist. Ist aber ´ne Realität. Genauso ergiebig für ein durstiges Teenagerherz sind Lindenbergs genölt gekickte Texte über Regierung, Schule und Eltern, die meine Beziehung zu Autoritäten bis heute entscheidend beeinflusst haben: "Militär wird abgeschafft, das wär ´n geiles Ding / Wenn Krieg ist, steigen die Staatschefs selber in den Ring")

Sorry für die lange Einleitung, das war jetzt für Nichteingeweihte, und die wahren Lindianer werden schon von selbst auf das, was nun folgt, geswitcht haben, nämlich das am 1. September aufgezeichnete Interview, das ich mit Udo im Kölner E-Werk anlässlich des einzigen Deutschlandkonzertes des Original-Panikorchesters gemacht habe. Leicht nervös stand ich dem Panikrocker gegenüber, der während der ersten zwei Minuten unseres Gespräches bedrohlich mit demHut wackelte. Der laut Presseerklärung seit elf Jahren (Herzattacke 1989) nicht rauchende und nur alle acht Wochen heavysaufende Exzessor (so der Albumtitel) erschien zum Interview um fünf mit Kölsch und Kippe und erwies sich, nachdem ich schon befürchtet hatte, alle meine Teenieträume zerplatzen zu sehen, als einer, der auf allen Gefühlsebenen zuhause ist. Irgendwie ein verletzlicher, romantisch-gestörter Kumpel. Ladies & Gentlemen, I proudly present you The Leader Of The German Rat Pack!

Udo, du bist jetzt wieder mit dem Panikorchester unterwegs, den Jungs, mit denen du dich jetzt immer wieder zusammengetan hast. Vermisst du diese Zeit, als ihr noch jedes Jahr ein bis zwei Platten gemacht habt und auf Dauertour wart?

"Das ist ´ne ständige Freundschaft, die machen auch eigene Projekte und spielen mal hier mal da. Und manchmal können die dann auch nicht, und dann arbeite ich auch mit anderen Kollegen zusammen. Aber es ist halt eine der weltbesten Bands, um mal zu untertreiben, die Panikband. Und die entwickeln sich auch weiter, es ist auch keine Rückblende auf die 70er oder 80er, sondern es klingt heute viel bewusster, viel heavier, wie die spielen. Und das macht total Spaß, dieser Druck, da fühlt man sich wirklich absolut sicher mit so ´ner Band im Rücken, dem Wind, der da kommt."

Du warst ja der erste deutschsprachige Rock´n´Roll-Star mit eigenen Texten. Was schießt dir denn so durch den Kopf, wenn du diese unglaubliche Industrie an Deutsch-Hiphop wachsen siehst?

"Fanta 4, Freundeskreis, Beginner, Moses P, Sabrina, Xavier und so weiter, ich check das schon, ich hab jetzt ´n Duett mit Moses gesungen auf der neuen Platte "Evolution Revolution". Das ist auch ´ne prima Freundschaft und Zusammenarbeit, auch mit Freundeskreis war es sehr inspirierend, und es gibt ja auch ´ne Menge Parallelen in den Texten, weißte? Nicht nur Entertainment, sondern auch, guck dir an, die Welt, in der wir leben.Die machen sehr smarte Texte, eben auch politische, wo Unterhaltung noch was mit Haltung zu tun hat., und die leben das auch sehr konsequent, das find´ ich echt gut."

Deine Texte waren oft ziemlich persönlich, und du wurdest ja mit denen 100% identifiziert. Hast du dich nicht manchmal bloß gestellt gefühlt, da über solche Sachen zu singen? Kritiker gab´s ja immer genug, und hast du das alles so rock´n´rollmäßig weggesteckt wie der Udo in deinen Texten?

"Ja, Kritik ist auch wichtig, weil ich will ja nicht nur halleluja, und alle sagen ja zu dem, was ich mache, und ich meine konstruktive Kritik ist auch richtig und ich bin ja auch nicht über jeden Zweifel erhaben und es gibt auch mal Experimente, die nicht so gut gelingen oder Texte, wo ich mich dann in Ausnahmesituationen begebe und so, weißt du, der Abenteurer der mal hinter den Horizonten checkt, was da so los is´ und so, und du kommst nicht immer in El Dorado an, sondern auch in irgendwelchen Katakomben, und wenn Kritiker das auch ein bißchen beleuchten und mich verfolgen, wenn´s geht konstruktiv, dann ist es in Ordnung, ich hab halt ´ne Menge persönliche Sachen gemacht, genau die ersten Erfahrungen mit Drogen, das erste Petting, das erste RamBam und so, die erste Sauferei, der erste Nervenarzt und so, Stories, die praktisch auch jeder kennt, aber auch politische Songs haben wir immer gemacht, das soll auch weitergehen, dass man sich einmischt in gesellschaftliche Prozesse und sowas, du kannst halt wirklich über Millionen Sachen singen, das mit den Themen hört ja gar nicht mehr auf..."

Wie gehst´n du mittlerweile mit der Presse um, die es ja viel interessanter findet, über deine Sauftouren mit Harald Juhnke zu berichten als über die Platten...

"Ich les´ den ganzen Schmutz nicht mehr, das hat mir irgendeiner erzählt in der Kneipe, das mit dem Fass Wodka für 20.000 Mark, ich sach: Wie? Ja, hab´ich gelesen. Das glaubt sowieso kein vernünftiger Mensch, was die da für´n Müll verbreiten. Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht ganz so dramatisch, weil eben das ganze Sex & Drugs & Rock´n´Roll, das gehört ja auch dazu und deswegen brauche ich auch ´n bißchen Exzess. Ich heiße ja auch Der Exzessor. Es ist völlig normal: Wir machen total straight unsere Jobs, Ausstellungen, Konzerte jetzt in Hannover Rock gegen Rechts und so. Wer soviel malocht, ist dann alles gut gelaufen, gehn wa einen saufen. Das ist auch für das Betriebsklima sehr gut in der Panikband."

Danke, Udo. Krieg ich ´n Foto mit dir?

"Na klar!"

Dem Autor blieb fast die Spucke weg, als er von Udo nach der Show auf "transsylvanische Kichercocktails" eingeladen wurde ("Komm einfach mit!"), wo sich die Panikfamilie versammelt hatte, was sich als sehr aufschlussreich erwies, da der Autor einigen Musikergesprächen lauschen konnte, die ihn in dem festen Glauben ließen, nicht richtig gehört zu haben. Ob es um Fachsimpeleien über Schlagzeugerhandschuhe ging ("Das sind die gleichen, die ich auch bei Maffay benutzt hab!" Bertram Engel) oder um Statements, die ihren Verkünder in den dringenden Verdacht stellten, nicht nur bei Grippebefall gelegentlich durch den Mund zu atmen ("Die Leute wundern sich immer wieder, woher wir noch soviel Power haben!" ebenfalls Bertram Engel, der Schmiede aus Burgsteinfurt). Der Verlockung, bei dem rothaarigen Rumänenrocker die wirklich große Asche zu machen, konnten in den 80ern zwei des Panikorchesters nicht widerstehen (Udo: "Das mit Maffay hätten die mir echt nicht antun dürfen, da war ich dann doch etwas gekränkt...")

Seine Kichercocktails konsumierte der Autor dann viel zu schnell, um sich noch gut zu benehmen. Aber - positiv aufgefallen! - selbst der schwankende Jungspund wurde hier nicht schief angesehen, sondern von einem stets galanten Personal mit weiteren Wodkageschossen versorgt. Er bekam vonUdo attestiert, dass er ja aussähe "wie einer von den Kinks oder den Faces, musse mal hören, geile Bands!"

Ob Udo an diesem Abend noch in Panik geriet, kann ich nicht sagen, unvergesslich dagegen, dass kurz vor seinem Abflug mit Dorkas Kiefer ins Hotel nochmal ein paar Rollstuhlfahrer in die Bar geschoben wurden, bei denen Udo sich lässig auf die Lehne setzte und sehr lange mit ihnen plauderte. Zwar war mir klar, dass ich an jenem Abend nicht den "wahren" Udo kennen gelernt habe, ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er das alles verdammt so meinte. Kaum noch zu toppen auch die schnauzbarttragenden Enddreißiger, die sich, ein alkophorisches "UUUÜEHDOÖHH!" auf den Lippen, mit Zunge küssten.

Zum Schluss sei noch ein Wort an alle Rock´n´Rollerinnen und Rock´n´Roller gerichtet, die dieses Heft lesen: Udo ist bestimmt nicht der Einzige, aber in mancher Hinsicht der Erste. Geht auf den Flohmarkt und holt euch seine 70er-Scheiben, man muss ihn eigentlich lieben. Alles Gute, Udo!