PVC

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... in NYC

Wenn man die staubigen Geschichtsbücher zum Thema „Punk in Deutschland“ durchblättert, taucht der Name PVC zwangsläufig immer wieder auf. Klar, die erste Punkband West-Berlins hat ja auch einige All-time-Classics wie „Wall city rock“ oder „Berlin by night“ in die Runde geworfen. Anfang 2009 machte ich eine überraschende Entdeckung, denn PVC sind noch oder wieder am Start. 30 Jahre lang Punkrock, unterbrochen von diversen Pausen und zig Besetzungswechseln – wahrscheinlich könnte man ein Buch darüber schreiben. Gitarrist und Sänger Gerrit Meijer hat die PVC-Fahne in der langen Zeit immer wieder hochgehalten und ist als einziges Urmitglied noch dabei. Im Sommer 2009 hatten PVC es sogar für einen Kurztrip nach New York geschafft – und Gerrit viel zu erzählen!

Wie kam es dazu, dass PVC nach New York geflogen sind?

2008 war eine gewisse Joy Rider in der Stadt. Das ist eine Freundin von uns, die ist Sängerin und hat Anfang der Achtziger sieben Jahre in West-Berlin gelebt. 1980 ist die durch einen New Yorker Impressario nach Berlin gekommen, daraus hat sich ergeben, dass sie sieben Jahre hier geblieben ist. Sie hat hier mehrere Platten rausgebracht, das waren drei LPs und Singles bei Bellaphon, Polydor, Mercury, RCA und CBS. Bis 1987 war Joy hier, ich habe 1981 eine Polentour mit ihr gemacht. Joy war damals mit dem PVC-Gitarristen Jimmy Fox befreundet, der war aber anderweitig verpflichtet und deshalb war ich damals für drei Gigs mit ihr in Polen, das war kurz bevor dort das Kriegsrecht verhängt wurde. Wir kannten uns also gut. Letztes Jahr war sie wieder hier auf der obligatorischen Europatour mit ihrem mittlerweile 19-jährigen Sohn, den keiner von uns kannte, das war halt nach unserer Zeit. Wir haben auch einen Gig mit ihr in der UFA-Fabrik gespielt und dann kam sie bei unserem Gig dazu und war auch im Proberaum und meinte: „Ihr müsst unbedingt mal in New York spielen.“ Dann haben wir im September 2008 festgelegt, dass wir das im Mai 2009 machen, weil es im Hochsommer in New York zu heiß ist. Wir konnten auch zum Glück bei ihr wohnen, denn wenn man da keine Privatunterkunft hat, geht man finanziell baden. Dadurch kam das zustande und dann waren wir zehn Tage im Mai in New York, haben fünfmal gespielt – und zwar unter allen erdenklichen Bedingungen: von ultra-unplugged, ohne Schlagzeug, so dass wirklich kaum noch was zu hören war, bis elektrisch. Das war natürlich insofern interessant, dass man da ziemlich flexibel sein muss, weil die Szenen sich da sehr überlappen. Die Szenen grenzen sich gegenseitig nicht so ab, da ist ein sehr großer gegenseitiger Respekt vorhanden – wichtig ist nur, dass man’s auf der Bühne bringt ...

Also du meinst, dass diese Trennung zwischen beispielsweise Punk-, Jazz-, Rock-Szene gar nicht so groß ist ...

Genau. Ich kann nur von unseren Erfahrungen innerhalb von zehn Tagen reden, aber es gab ein paar Anhaltspunkte, dass es wohl generell so ist –zum Beispiel beim so genannten Joey-Ramone-Birthday-Bash. Da waren wir ja nur Gäste, weil wir dort einen Promoter getroffen haben. Das war im Filmore, ein sehr schönes altes Theater. Es drehte sich immerhin um Joey Ramone, aber du hast das, was du hier unter Punk verstehst, gar nicht gesehen. Die existieren da nicht. Die sehen da ganz normal aus, bestenfalls haben die mal eine Lederjacke an, aber mit Iro und total besoffen, die gibt’s da nicht, die würden da auch sofort rausfliegen. Und an diesem Abend haben auch völlig unterschiedliche Bands gespielt. Also drei Bands, die man gar nicht unbedingt mit den RAMONES in Verbindung gebracht hätte. Zum einen FISHBONE, die sind tierisch gut, die haben das gesamte Spektrum an schwarzer Musik auf sehr clevere Art integriert. Dann hat eine ganz grässlich langweilige Rockband gespielt, die SUPERSUCKERS. Zum Schluss gab es noch so eine Punk-Allstar-Band, das war aber auch langweilig. Da war als Star der Formation Richie Ramone dabei, das ist irgendein Trommler, der bei der 25. RAMONES-LP mitgemacht hat. Und der Laden war pieksauber, wir haben einen Pappbecher gefunden, und wer den auf dem Boden deponiert hat, der hatte wohl vorher gut recherchiert, ob nicht ein Ordner in der Nähe war, sonst wäre er wohl rausgeflogen. Wir haben uns nach dem Konzert noch mit dem Promoter unterhalten, aber keine zwei Minuten nach Ende des Konzerts war der Laden dicht.

War das überall so?

Nein, da gab’s noch einen anderen Laden namens Otto’s Shrunken Head, da haben wir unseren letzten Gig gespielt. Das war sehr geil, als wir das erste Mal da waren. Da war Rock’n’Roll-Nacht und ein paar asiatische Kids, die sahen aus wie aus der West Side Story, haben da Platten aufgelegt und einen Sound hinbekommen wie aus der Jukebox. Da ist mir erstmal klar geworden, dass die Musik total was mit dem Equipment der Zeit zu tun hat, damit es richtig geil klingt. Hinter der Theke gab’s ein Schild: „You puke, you clean, 20 dollars fee.“ Und das fand ich total geil: Du kotzt, du machst sauber und zahlst noch 20 Dollar Strafe. Ich dachte nur, das ist der Unterschied zu Berlin. Und das funktioniert. Du läufst abends durch die Straßen und bist total sicher.

Wie seid ihr bei dem Publikum angekommen? PVC ist ja in Deutschland zumindest in der Punk-Szene ein Name, der nicht ganz unbekannt ist. Wusste denn jemand in New York, wer da kommt?

Angekommen sind wir eigentlich sehr gut. Joy Rider hat natürlich viel von uns herumerzählt, aber da kannte uns keiner. Mir ist nur klar geworden, wenn man da bleiben würde, da könnte man durchaus einen Stich sehen, nicht in dem Sinn, dass man da riesige Plattendeals bekommt. Aber du hast unheimlich viele Anknüpfungspunkte, und dadurch, dass die Szenen so offen sind, gibt es total viele Möglichkeiten, mit anderen Leuten was zu machen. Musikmachen ist eine Sache, die da sehr viel Spaß macht, das war die Erkenntnis. Aber du kannst da nicht leben, das ist barbarisch teuer da, leben möchte ich dort nicht. Die haben einen Lebensstandard wie in Rumänien. Wenn du nicht mehrere Jobs hast, sondern nur einen, dann lebst du da nicht, sondern existierst einfach. Und wer sich das schönredet, sieht das durch eine rosarote Brille. Mich hat die Stadt völlig kalt gelassen, ich fand das völlig uninteressant. Ich bin auch der festen Meinung, dass von da keine Impulse mehr kommen, und was wir so das „amerikanische Zeitalter“ nennen, das ist vorbei. Das ist einfach nur da und es ist groß. Es ist eigentlich wie hier, es ist alles in so einem Danach-Zustand.

Insgesamt habt ihr dort fünf Gigs gespielt, oder?

Ja, der erste Laden, in dem wir gespielt haben, war das Don Pedro’s. Der Clubbesitzer sah original aus wie der junge Frank Sinatra, mit Flanellhose und Jackett. Das war sensationell. Mit dem sind wir prima ausgekommen, die Clubs haben auch alle Equipment und da lief es sehr gut.

Wo habt ihr gewohnt?

Wir haben in Staten Island gewohnt, das ist die unterste Insel von New York. Das ist ein bisschen abseits. Du musst, um Manhattan zu erreichen, mit der Fähre fahren. Als Tourist ist das ganz nett, dauert ungefähr eine halbe Stunde, wenn du aber in Staten Island wohnst und willst was erledigen, musst du das jeden Tag machen. Es ist also etwas abgelegen und deshalb mehr eine Gegend für Underdogs. Da, wo wir gewohnt haben, hat die Stadt nebenan obdachlose schwarze Kids reingesetzt und die haben ihre Rap-Musik so laut gespielt, dass die Straße vibriert hat, manchmal bis in die Nacht. Es hat so ein bisschen Kreuzberg-Flair. Wir haben da in einem Buchladen mit Café nebenan gespielt. Später kam dann so ein Typ an und erzählte uns, dass David Johanson von den NEW YORK DOLLS in diesem Laden aufgewachsen ist. Mit den Dolls ist das auch so eine Sache – die haben einen monströsen Stellenwert. Da herrscht ein ganz anderer Lokalpatriotismus. Man sollte auch etwas aufpassen, wenn man Sachen nicht so toll findet. Da sollte man nicht sagen, das ist totale Scheiße, eher so was wie: ist nicht mein Ding. Die legen das sonst als totale Arroganz aus, weil Leistung da in jeder Form gewürdigt wird – selbst wenn es nicht so toll ist, ist es wichtig, dass man was macht.

Wo habt ihr noch gespielt?

Dann waren wir noch in einem Irish Pub, das war ganz fürchterlich. Das war richtig scheiße. Wir kamen da hin und da ist gerade einer erschossen worden, der für die lokale Fernsehshow zuständig war. Als wir da ankamen, ist wieder einer erschossen worden, der leider nicht mehr weitergeben konnte, dass wir an dem Abend spielen, und deshalb wusste niemand in dem Laden, dass wir auftreten. Dann kam die Polizei, das war recht spannend, weil die in dem Pub Alk an einen Jugendlichen verkauft hatten. Die Polizei war drauf und dran den Laden zu versiegeln, also mussten wir da rein, um an unser Equipment zu kommen. Der Gig war irgendwas zwischen unplugged und gar nichts. Das Ding war voller Iren, die haben sich überhaupt nicht für uns interessiert, es war mörderisch laut, da liefen Baseball-Übertragungen im Fernsehen, dann lief noch Musik, dazu haben die miteinander gebrüllt und dann haben wir noch gespielt.

Warst du vorher schon mal in den USA?

Nee, aber ich hab jetzt auch nach dem Trip, das Gefühl, nie da gewesen zu sein. Wenn man New York zeigt, dann immer nur Manhattan mit den Türmen, der Rest ist ziemlich flach. Manhattan ist ja nicht New York, sondern nur ein Teil davon. Das hat mich gar nicht richtig angeturnt. Ansonsten kannst du da billig Jeans kaufen. Aber alles andere ist barbarisch teuer. Da gibt’s auch keine richtigen Supermärkte, nur so Tante-Emma-Läden. Ich bin eigentlich Rotweintrinker und für eine Flasche Rotwein hab ich 14 Dollar bezahlt, für eine 0,2-Dose Beck’s sieben Dollar.

Okay, wenn du ein Fazit von dem ganzen New-York-Trip ziehen musst, wie sieht das aus?

Zum Musikmachen ist es super, allerdings warten die da auch auf keinen, man müsste da immer präsent sein. Für mich war’s interessant zu sehen, dass mein Englisch nicht total scheiße ist. Aber da leben – nein danke. Die ganzen Asseln, die hier „Deutschland verrecke“ schreien, die müssten sehen, wie sie da über die Runden kommen. Die wirkliche Faszination, die die USA mal ausgemacht hat, funktioniert vielleicht noch bei der unmittelbaren Nachkriegsgeneration. Aber alles, was die uns mal voraus hatten, das gibt es bei uns so mittlerweile auch.