UNITS

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Punks mit Tasteninstrumenten

Shawn Foree von DIGITAL LEATHER gehört zu den Fans der UNITS aus San Francisco, die wie auch die SCREAMERS eine jener US-Bands waren, die in den späten Siebzigern das plakativ, aber durchaus zutreffend so betitelte Genre des „Synthpunk“ prägten: Eine Band, die sich im Punk-Kontext bewegte, konsequent alte Bärte abschnitt und auf Rockismen in Form von Gitarren verzichtete, stattdessen auf moderne, futuristische Synthesizer setzte. 30 Jahre später sieht man das anders, da ist elektronischer Charts-Müll der Feind, da ist ehrliche Handarbeit wieder gefragt, so ist eben der Lauf der Dinge. Seinerzeit aber waren Scotty Ryser und seine Band innovativ, wurden in einem Atemzug mit SCREAMERS und TUXEDOMOON genannt, erinnerten an eine Mischung aus TALKING HEADS, O.M.D. und TUBEWAY ARMY, nahmen solch brillante Songs auf, dass die auch heute noch erstaunlich frisch klingen. Kein Wunder also, dass Leute wie Foree und Elektro-Musik-Tüftler aus aller Welt die UNITS verehren und remixen, denn „Synthpunk“ als Genre vermittelt dann doch einen etwas verkürzten Eindruck der Band, die nur von 1978 bis 1984 aktiv war. Nach vielen Jahren, in denen nur Bootlegs ihrer Aufnahmen kursierten, ist seit 2009 mit einer 21-Song-CD endlich eine Zusammenstellung ihrer Aufnahmen erhältlich, deren Linernotes mit dem Satz „Fuck the guitars“ beginnen.

Scott, stell’ dich doch mal bitte vor.

Ich bin Gründungsmitglied und Kopf der UNITS, also der Hauptsongwriter. Und ich spiele Synthesizer.

Punk ging in einst an den Start, um Rockmusik, wie man sie bisher kannte, zu zerstören. Doch so sehr ich guten Punkrock auch mag, macht eine Band wie RANCID ja kaum mehr, als THE CLASH zu kopieren und somit Musik, die vor 30 Jahren bereits besser gespielt wurde. Wiederholt sich die Geschichte?

Ja, das tut sie. Das ist auch das, was mich dazu motiviert hat, etwas anderes zu tun in den Siebzigern. Diesbezüglich habe ich gemischte Gefühle ... Ich mag es, Bands zu hören, die so klingen wie die UNITS damals, aber ich empfinde den neuen Synthpunk mehr als „Entertainment“, denn als echte Herausforderung.

Welche Bands kanntest du damals? Waren dir Bands wie SUICIDE oder KRAFTWERK oder andere deutsche Elektro-Pioniere bekannt?

Als es THE UNITS bereits etwa ein Jahr gab, spielte mir jemand SUICIDE vor. Ich mochte ihr erstes Album, aber ich hielt sie weder für eine Punk- noch für eine Synthie-Band. Sie waren auf jeden Fall Teil dieser coolen New Yorker Szene, die mir gut gefiel, mit SUICIDE, Patti Smith, Lou Reed und Jonathan Richman. Das höre ich mir alles heute noch an. KRAFTWERK mochte ich damals nicht, das erinnerte mich zu sehr an EMERSON, LAKE & PALMER oder YES. Showbiz-Rock halt. Es gab aber andere deutsche Synthie-Bands, die ich jetzt sehr mag, aber von denen habe ich nur die letzten Jahre über im Internet erfahren. Acts wie Matthias Schuster, NO MORE, WELTKLANG, KEINE AHNUNG, BAL PARÉ und andere.

Wie sah eure Vorstellung von guter Musik aus?

Gitarren-Boy-Bands waren damals die Norm und diese Gleichförmigkeit und Beliebigkeit hing uns zum Hals raus. Wir wollten anders aussehen und anders klingen als dieses „Big Business Model“. Synthesizer waren neu und boten sich als ein Weg heraus aus dem Mainstream an. Stilistisch wollte ich, dass unsere Band der elektronische Abkömmling von Wendy Carlos und Iggy Pop ist. Es sollte klingen wie Philip Glass und Terry Riley bei einer alkoholgetränkten Kneipenrauferei. Bis zu dieser Zeit klang elektronische Musik, wie ich es in den CD-Linernotes geschrieben habe, wie ein „höfliches, sozial akzeptierbares, elektronisches Experiment an der Hochschule“. Teilweise lag das daran, dass bis Mitte der Siebziger die Synthesizer die Größe von kleinen Autos hatten und so teuer waren, dass nur Universitäten sie sich leisten konnten. Aber sobald der Minimoog, das war ein kleiner, analoger Synthesizer, rauskam, hatten wir die Möglichkeit, eine tourende Synthpunk-Band auf die Beine zu stellen. Etwas, das total anders war als das, was vor uns da war. Ich liebte Synthesizer und die Freiheit, die sie einem Musiker gaben. Das war das Äquivalent zu der Entwicklung von der akustischen zur elektrischen Gitarre, nur viel besser. Der Synthesizer übernimmt da, wo Jimi Hendrix aufgehört hat. Es erlaubt einem, all das zu spielen, was du dir zwar ausdenken kannst, aber wofür deine Finger zu ungeschickt sind

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Was für Instrumente habt ihr gespielt?

THE UNITS fingen mit mir am Synthie, Brad am Schlagzeug und Tim am Bass an. Als Tims Bass 1977 gestohlen wurde, trafen wir die bewusste Entscheidung, komplett auf Synthesizer umzusteigen. Wir schmissen also eine „Instrumenten-Party“ und sammelten das Geld, um ihm einen Synthesizer zu kaufen. Ein weiteres wichtiges Instrument, das einen großen Unterschied in unserem Sound ausmachte, war der Sequencer. Man spielt ihm ein Riff vor und er spielt es einem nach, so oft man will. Und während er dann deine Synthie-Tasten spielt, kannst du die Töne einstellen, die Dauer der Noten und die Oktaven des Synthies. Das ist, als bekäme man noch ein paar Hände extra. Ich bekam einen der ersten kleinen 16-Ton-Sequencer, die rauskamen, den Sequentical Circuits 800 Sequencer. Das war ohne Frage das vielversprechendste und gleichzeitig aggressivste unserer Instrumente. Es gab keine Batterieunterstützung und man konnte immer nur einen Song auf einmal einprogrammieren. Also musste ich Songs wie „High pressure days“ oder „Warm moving bodies“ immer neu einprogrammieren, bevor wir sie spielten. Nicht daran zu denken, dass ich auch mal angetrunken war oder mein Taktgefühl versagte. Oder dass das Publikum so laut war, dass ich meine eigenen Gedanken nicht hören konnte. Und wenn er ausgesteckt wurde oder eine Sicherung durchbrannte, was oft vorkam: Zack, alles weg! Und dann, sogar, wenn ich es richtig hinbekam, war es Glückssache, dass der Rest der Band dazu synchron spielte. Live sind Sequencer unkooperative Hurensöhne. Sie können nicht improvisieren wie ein 1A-Jazzmusiker. Wenn der Drummer schneller wird, passt sich der Sequencer nicht an, sondern sagt „Fick dich, Arschloch, nach meiner Pfeife wird hier getanzt!“ Noch ein Instrument, das wir etwas anders anwendeten, war das Fender Rhodes Piano, das durch eine Fuzz-Box und einen Marshall-Amp lief. Davon abgesehen nutzen wir verschiedene Arp-, Roland-, Korg- und Casio-Synthesizer.

Wenn es um den frühen Synthpunk geht, kommen einem THE SCREAMERS und THE UNITS in den Sinn. Gab es noch weitere Bands, die die Welt inzwischen aber vergessen hat?

Ja, es gab ein paar andere gute Bands, die nur Synthesizer und Schlagzeug mit einer kreativen Punk-Mentalität verbanden. Ein paar US-Bands, die mir da einfielen, wären NERVOUS GENDER, VOICE FARM, TONE SET, OUR DAUGHTER’S WEDDING, PINK SECTION, CRASH COURSE IN SCIENCE und ein paar andere, die mir gerade nicht einfallen wollen. Wenn man Bands, die Synthies zusammen mit Gitarren verwendeten, noch dazu nimmt, wird die Liste recht lang: CHROME, NEGATIVLAND, TUXEDOMOON ... Aber meiner Meinung nach muss man sich, um als Synthpunkband durchzugehen, der Gitarren gänzlich entledigt haben.

Habt ihr Begriffe wie „New Wave“ oder „Synthpunk“ damals selbst verwendet oder wurden diese eurer Band von außerhalb zugeordnet?

„Synthpunk“ wurde uns nicht nur von außerhalb zugeordnet, es wurde uns 20 Jahre nach Bandgründung zugeordnet. In den späten Siebzigern hat man uns für gewöhnlich als Punkband bezeichnet. Und als dann so um ’79 und ’80 der Begriff „New Wave“ in Mode kam, benutzte man diesen und das ärgerte mich. Gestern waren wir Punk, heute New Wave, morgen Synthpunk. Ich bin mit keinem dieser Begriffe glücklich. Definitionen engen ein. So viel ich weiß, ist das alles nur ein Geschäftstrick, der auf die Furcht der Leute vor Unbekanntem und ihrem Sicherheitsgefühl in der Konformität ausgerichtet ist. Einer der Hauptgründe, warum wir als Band anfingen, war, diese Art der Massenvermarktung der Lächerlichkeit preiszugeben. Sobald es ein Wort für etwas gibt, das du machst – eine Kategorie –, bist du quasi in eine Schublade gezwängt und tot. Ich mag es, wenn ich eine Band sehe und mir denke: „Was zur Hölle ist das?!“

Eure CD-Linernotes beginnen mit den Worten „Fuck the guitars!“ – was ist so schlimm an Gitarren?

Wie ich im Booklet zur CD schreibe, waren Gitarren zu einem negativen Symbol für mich geworden. Sie waren sozial akzeptiert bei jungen Leuten. Die McCulture bedachte den Drang zur Rebellion mit einer guten Marketingstrategie: So lange man eine Gitarre halten und wie ein Affe rumspringen kann, kann man Anti-Establishment-Slogans raushauen, während man gleichzeitig Tonnen von Hamburgern, Bier und T-Shirts verkauft. Eine der Methoden, wie die USA sich selbst gegen abweichende Meinungen immun macht, geht so, dass man sie neu verpackt und den Massen als Fashion und Entertainment verkauft. Gitarrenbands – und das schließt Punk mit ein – waren für den Konsumenten ein bekanntes Produkt. Sie akzeptierten sie als Repräsentanten von Fashion und Entertainment, ohne auf die Songtexte zu achten. Ich hatte das Gefühl, dass die neue, eine andere Meinung verkündende Stimme auch eine neue und andere Stimme sein musste, damit unsere Kultur sie auch ernsthaft betrachten würde: also keine Gitarre.

Nun dachten die Synth-Bands zwar, sie würden eine Revolution lostreten, aber die Musikindustrie war auch hier in der Lage, daraus einen lahmen Modetrend zu machen. Wie sahen deine Beobachtungen dieses Prozesses in den frühen Achtzigern aus?

Da hast du Recht, das ist genau, was passiert ist. Ich schätze mal, das ist unvermeidbar. Es ist leichter, Frisuren und Designerschuhe zu verkaufen als seltsame neue Musik. Und es ist leichter, Synthie-Musik zu verkaufen, wenn sie nach Saxophonen oder wie eine Orgel klingt. Das ist mit wirklich kreativen Bands passiert, wie THE HUMAN LEAGUE und OMD. Man brauchte ein schlichtes, kommerzielles Produkt zum Verkaufen. Zu ihrem Glück waren HUMAN LEAGUE und OMD in der Lage, dieses schlichte Zeug auch zu machen.

Wie hat sich von da an eure Karriere entwickelt und wann, warum und wie endete sie?

Als unsere Karriere sich weiterentwickelte, passierte uns genau dasselbe und wir unterschrieben bei Epic und CBS. Nur waren wir nicht gut darin, populäre Songs zu schreiben! Als die Majorlabels die Veröffentlichung von zwei komplett fertigen Alben immer wieder verschoben hatten, hatten wir die Schnauze voll. Wir waren nur gut darin, seltsam und kreativ zu sein, das Geschäft war nichts für uns. Und so war 1984 unser Weg zu Ende.

Aber was sagt es über den Zustand der Musikwelt aus, wenn elektronische Musik aus den Siebzigern die letzte radikal neue „Erfindung“ seit der Geburt des Rock’n’Roll in den Fünfzigern war? Es scheint, als würde sich alles in der Pop-Musik aus diesen Einflüssen nähren.

So funktioniert die Geschichte, und die meisten Leute blicken eher zurück statt nach vorne. Aber ich finde die Musikwelt gerade ziemlich aufregend. Ich liebe es, wie das Internet es einem ermöglicht, Musik aus verschiedenen Zeiten zu kombinieren und Kollaborationen schnell und auf internationaler Ebene zu initiieren. Ich höre und sehe da viel Experimentierfreude, das ist wundervoll! Ich finde, wie leben in einer sehr innovativen Zeit für Musik.

2009 erschien die Diskographie „History Of The Units“? Wer hat das zusammengestellt, wer bringt es raus?

Viele Jahre, nachdem wir aufgehört hatten, als THE UNITS aufzutreten, trat das Internet auf den Plan. Ich habe gesehen, wie Bootlegs unserer alten Platten für horrende Summen bei eBay verkauft wurden. Ich habe mir welche davon gekauft und war geschockt, wie schlecht die Klangqualität dieser Tonträger war. Und dann kamen auch noch ein paar von den peinlichen Major-Sachen raus, die wir gemacht haben, und ich konnte nichts dagegen tun! Als Nächstes erstellte jemand aus Portland eine gigantische Website über THE UNITS mit vielen unkorrekten Informationen. Ich dachte mir: „Das ist nicht richtig, das sind nicht THE UNITS.“ Es fing an, mich zu nerven. Als wir 1984 aufhörten, dachte ich, die UNITS würden einfach verschwinden, was mir recht gewesen wäre, aber das passierte nicht. Stattdessen wurden wir immer größer, aber auf eine Weise, über die ich keine Kontrolle hatte. Also fing ich an, an einer UNITS-Compilation zu arbeiten und einem Text dazu, der die Platte in einen richtigen Kontext setzen sollte. Ich fand ein kleines Label namens Community Library, das die Compilation rausbringen wollte und Interesse an Qualität hatte und nicht daran, die Leute über den Tisch zu ziehen. Ich dachte mir, wenn ich schon nicht in der Lage bin, teure, schlechte Bootlegs und Fehlinformationen zu stoppen, sollte ich zumindest versuchen, etwas rauszubringen, das gute Qualität und korrekte Informationen besitzt, und das Ganze zu einem fairen Preis. Ein paar Jahre lang habe ich alleine daran gearbeitet und weitere drei Jahre mit Paul Dickow und David Chandler von Community Library. Wir haben alle Songs der ursprünlichen Tape-Aufnahmen remastert und sie klingen fantastisch! Zumindest gibt es jetzt etwas da draußen, von dem ich das Gefühl habe, dass es THE UNITS so repräsentiert, wie sie wirklich waren.

Was für ein Gefühl hast du, wenn du deine Aufnahmen von damals heute hörst?

Ich denke immer noch, dass sie toll klingen! Sie klingen immer noch herrlich kantig. Soweit ich das beurteilen kann, sind sie sehr gut gealtert.

Gab oder gibt es Pläne für eine Reunion?

Alle alten Mitglieder sind daran interessiert, wieder als THE UNITS zu spielen, aber wir warten ab, ob diese neue Veröffentlichung genug Interesse erzeugt, um das zu ermöglichen.

Du bist mit Shawn Foree von DIGITAL LEATHER befreundet, einer Band, die ich sehr mag. Gleichzeitig könnte ich sie aber auch dafür kritisieren, dass sie etwas aufwärmen, dass schon vor 30 Jahren gemacht wurde, statt einen eigenen, radikal neuen Stil zu entwickeln.

Ich mag Shawns Musik. Ich habe ihn live gesehen und finde DIGITAL LEATHER großartig. Auch heutzutage braucht man erstmal den Mut, um in der USA als Synthie-Band zu touren. Wenn man etwas aufwärmt, das vor 30 Jahren gemacht wurde, macht man es besser, als die Leute, die es damals taten, und ich denke, Shawn hat das Potenzial, um genau das zu tun. Ich freue mich auf das, was er als Nächstes macht, was auch immer es sein mag.