DONOTS

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Schlimmer geht immer

Für manchen bedeutet die Kneipe ein Zuhause. Eine richtige Kneipe, mit Herrengedeck und Schlagermusik, die einen auch dann noch reinlässt, obwohl es draußen schon wieder hell ist. Ein guter Ort, um mit den Verantwortlichen über das neue Album der DONOTS zu sprechen: „The Long Way Home“. Für das Gespräch treffe ich die Brüder Ingo und Guido Knollmann und Jan Dirk Poggemann im Berliner Bär, der Kneipe am Hauptbahnhof für Anhänger von Preußen Münster. Das ist ein derzeit viertklassiger Fußballverein, der nach mehr als 40 Jahren immer noch davon zehrt, mal eine Saison lang „ganz oben“ in der Bundesliga mitgespielt zu haben.

So lange sind die DONOTS zwar noch nicht dabei, jedoch stehen die Chancen für ähnliche Entwicklungen gut: Zum 50. Bandjubiläum wäre es denkbar, dass die Beteiligten zurückblicken und feststellen: „Ah, das Jahr 2008 war das beste, so gut waren wir nie wieder.“ Ihre Single „Stop The Clocks“ wurde damals ein großer Erfolg: Er hatte reichlich Airplay und fand auch als Hintergrundmusik Verwendung bei Reportagen über verhaltensauffällige Jugendliche im nachmittäglichen Unterschichtenfernsehen. Und das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass man in der Bundesliga der Rockmusik angekommen ist.

Die DONOTS hatten sich freigekämpft, hatten die Trademarks Fun und Punk und Happyness endlich abgestreift, waren Risiken eingegangen und hatten sich einen durchgeknallten Produzenten gesucht, der „Coma Chameleon“ aufnahm, mit dem Ziel, eine namentlich nicht genannte Plattenfirma zu „zerficken“. Ist ihnen gelungen. Es war das Hammeralbum, heterogen, mit Brüchen und spektakulären Ideen.

Und nun die Platte eins nach Beginn der neuen Zeitrechnung, Nummer acht in der Diskografie: „The Long Way Home“: Wie konnte die Band jetzt, wo alle Wege in alle denkbaren Richtungen frei waren, ein insgesamt so durchschnittliches Album aufnehmen? Zeitgleich mit dieser Einstiegsfrage kippt an der Bar nebenan ein Besoffener mit seinem Barhocker um. Noch bevor der Notarzt eintrifft, hat Ingo sich wieder gefangen und gibt – selbstverständlich – zu Protokoll, dass es das beste Album sei, dass die Band könne und sein Bruder ergänzt: „Genauso müssen die DONOTS klingen, genauso habe ich mir das immer vorgestellt.“ Sie seien dort angekommen, wo sie hinwollten.

Dafür hätte man aber doch nicht den Umweg über so viele tolle Alben zuvor nehmen müssen, voll mit Musik, die dir ins Gesicht springt, mit dir Pogo tanzt und knutschen will, ohne nach deiner Meinung zu fragen, weil sie weiß, dass du es auch willst. Ihr einziger Nachteil war das zügige Auftreten von Abnutzungserscheinungen. Egal, die Laune stimmte – auch noch auf dem Husarenstück von 2008.

Und jetzt? Ist man älter geworden, ruhiger vielleicht, hat einem das Leben zugesetzt, hat man sich dabei eine gewisse Melancholie angewöhnt? Für gewöhnlich fragen Branchenkenner an dieser Stelle: Ist diese Band „erwachsen“ geworden?

Nein, das war sie doch schon längst. Guido habe in der letzten Zeit einfach mehr CURE als RANCID gehört, sagt er, und das gebe der Platte eine besondere, diese melancholische und „schwebende Atmosphäre“, einfach „sphärisch“ eben.

Trotzdem: So langsam wie mit dem Song „Changes“ in ein Album einzusteigen, das geht doch bei den DONOTS nicht klar, findet der erfahrene Fan. „Weißt du“, sagt Ingo und lehnt sich entspannt im Stuhl zurück, „wir sind jetzt lange genug dabei und haben das nicht mehr nötig, immer mit dem großen Tadaa! zu beginnen.“

Ein seltener Kracher mit dem Hergehört-hier-sind-wir-Effekt folgt dann aber auf dem Fuße, sicherheitshalber. Auf Platz 2 der Tracklist befindet sich die neue DONOTS-Hymne „Calling“. An diesem Song wird sich die Band messen lassen müssen in der nächsten halben Stunde. Er wird auf dem Dancefloor genauso gut funktionieren wie im Radio, auf der Party wie im iPod. Denn „Calling“ hat dieses eine bestimmte Tempo, diesen Drive, diesen Refrain – und ein Herz, angetrieben von dem so angesagten 80er-Jahre-Synthesizer, der diese simple und grandiose Melodie spielt, die das erste Album der KILLERS perfekt gemacht hätte, wenn sie ihnen denn eingefallen wäre. Keine Angst vor den Anwälten der Mainstream-Amerikaner? Die Melodie sei ursprünglich lange schon als Gitarrenlinie geplant gewesen, erzählt Guido, und im Studio habe Ingo ihn irgendwann auf diesem alten Casio begleitet, rumgeklimpert, das Keyboard war zufällig auf diesen schrottigen Synthiesound eingestellt. „Und dann wurden alle plötzlich still und haben zugehört. Wir wussten, das muss auf die Platte.“ Produzent Vince hielt das für eine Schnapsidee und eine Wette darauf, dass diese Spur noch am gleichen Tag gelöscht würde, „so scheiße klingt das“. Er hat verloren, und der Song ist ein Hit.

Der Rest der Platte scheint gleichförmig dahin zu gleiten. Natürlich werden Grenzen ausgelotet, ausprobiert, was möglich ist. Ein bisschen Folk, eine Ballade, dazwischen Rock. Nicht unbedingt das spektakulärste Rezept, so scheint es.

Ein weiterer Song schafft es doch, direkt beim ersten Hören Aufmerksamkeit zu erregen. Die Band weiß also noch, wo die Zwölf ist und haut dann umso kräftiger drauf: „Dead man walking“ ist schnell und hart und schmutzig. Guido gibt sein Debüt als Leadsänger, er schreit und hängt den Straßenköter raus, dass es Lars Frederiksen Freude und Ehre wäre. Doch dann: Die Tuba. Bei den DONOTS im Jahr 2010 schafft es nur noch ein einziger Punk-Song auf die Platte und der dann auch nur als eine Persiflage auf Punkrock? Jan Dirk ist irritiert. Moment mal, Mann, das ist eine Polka! Ach so.

Hatte die Band diesmal zu viel Zeit im Studio und die Musik einfach zu lange über- und zerdacht und arrangiert? „Wir haben uns kein Limit gesetzt, kein zeitliches und keines auf die Songs bezogen“, so Ingo. Einfach mal aufnehmen und dann schauen, was passiert. Aber doch mit einem Ziel? Dem Ziel nämlich, ein neues, selbstverständlich noch tolleres Album zustande zu bringen als das vorherige. So wie es sich für eine anständige Rockband gehört. Ingo dazu: „Nein, wir haben diesmal – das erste Mal – nicht in Album-Kategorien gedacht, sondern uns auf die einzelnen Songs konzentriert. Und als wir dann mal eine Bestandsaufnahme als Zwischenfazit machen wollten, war die Platte plötzlich fertig. Und wir sind begeistert vom Ergebnis.“

Zum ersten Mal beschleicht mich die Ahnung, dass „The Long Way Home“ vielleicht gar nicht darauf ausgelegt ist, sofort zu gefallen, unmittelbar verstanden zu werden. Und das ist nicht kalkuliert oder als Attitüde gemeint, sondern eher auf die simple Art: Ich bin, was ich bin, fertig. Ich komme damit sehr gut klar, denn ich bin mit mir im Reinen und wie ihr das seht, ist mir so was von egal. Guido stellt klar: „In erster Linie muss die Musik uns gefallen, alles andere ist zweitrangig.“ Und darüber hinaus sei es ein Traum und etwas Wichtiges, diese Musik schon seit Ewigkeiten gemeinsam mit dem eigenen Bruder zu machen. „Das ist doch der Hammer!“, sagt er und dann kommt bei dem schwer tätowierten Rocker der bodenständige Ibbenbürener Westfale durch, als er anfügt, dass er stolz ist auf seine Familie. Weil sie die Band bedingungslos und hingebungsvoll unterstützt, weil sie Teil davon und Fan gleichzeitig ist und so engagiert. Und weil sie der Ort ist, wo er hingehört. Wo er gelernt hat, mit Rückschlägen umzugehen, positiv zu denken: „Auch wenn’s richtig scheiße ist: Schlimmer geht immer!“

Die DONOTS und ihr Umfeld sind eben mehr als bloß eine auf Sellout angelegte Rockband. Sie sind wie eine Familie, ihr eigenes Zuhause und zu Hause ist eben nicht immer alles spektakulär. Wozu auch? Ein Zuhause ist wertvoll, jeder möchte eins haben, denn es ist ein einzigartiger Ort. Hier kann man so sein, wie man ist. Zuhause, das können Orte, Menschen oder auch eine Platte sein. Der Weg dorthin lohnt sich immer. Auch wenn er noch so lang erscheint.