VEIL

Außer den RYKERS hat wahrscheinlich keine deutsche Hardcore Band innerhalb so kurzer Zeit annähernd soviel geschafft wie VEIL, die kürzlich mit BETTER THAN A THOUSAND tourten und bei Century Media/Kingfisher ihren zweiten Longplayer "Words against nothing" veröffentlicht haben. Der Vergleich zu den RYKERS scheint mir deswegen passend, da mittlerweile VEIL auch einem gewissen Druck aus der Szene ausgesetzt sind, der in die gleiche Kerbe wie bei den Kasselern schlägt, von wegen Kommerzialisierung des Hardcore, Ausverkauf, blabla. Als fünftes Rad am Bandbus kam mir ein Interview zunächst komisch vor, von wegen Hofjournalismus im Bayrischen Sinne, aber die Offenheit, mit der Raoul und Flo geantwortet haben, spricht glaube ich dafür, daß hier einfach nur vier Menschen ihr Ding machen, ohne irgendein erkennbares Konzept zu haben, auf Grund dessen ihnen irgend etwas unterstellt werden könnte.

Florian, beschreib´ uns mal den Weg von einer selbstproduzierten Punkrock-7" zu einem Century Media Deal.

Flo: In den letzten drei, vier Jahren hat sich in unserem Band- und Privatleben sehr viel verändert. Kurz nach dem Erscheinen der erwähnten ,Big fish'-7" haben wir einen kleinen Besetzungswechsel gehabt. Nils hat den Gitarrenpart übernommen, und mit Raoul bekamen wir einen sehr fähigen Sänger in die Band.

Durch diesen Wechsel und unser persönliches Interesse an ,härterer' Musik ging unsere Musik auch mehr in Richtung des aggressiven New-School-Hardcore. Bei unserem ersten Gig mit dieser Besetzung kam auch gleich eine Anfrage von dem kleinen holländischen Undergroundlabel Threesome Records, welches eine 7" mit uns machen wollte. Wir waren natürlich super begeistert über dieses Angebot und veröffentlichen dann unsere ersten beiden 7"s auf Threesome. Dann wollten wir aber gerne einen Longplayer veröffentlichen und fragten aus diesem Grund Frontline, ob wir nicht auf ihrem Label etwas rausbringen könnten. Und so brachten wir dann im Herbst '96 das Album ,The burden of life' raus. Frontline arbeitet mit Intercord zusammen, und da wir für Frontline nicht genug Platten verkauft haben, kickten sie uns halt und wir gingen mit neuem Material auf die Suche nach einem neuen Label. Kingfisher war von unseren neuen Sachen sofort begeistert und bringt jetzt unser neues Album ,Words against nothing' raus.

Wieso hat sich jetzt musikalisch ein Mischmasch aus QUICKSAND und NUCLEAR ASSAULT ergeben, der ja mit der ersten, sehr STRIFE-ähnlichen 7" nicht mehr viel zu tun hat?

Flo: Dass unsere Musik jetzt zwischen NUCLEAR ASSAULT und QUICKSAND steht, liegt glaube ich einfach an dem Reifeprozeß, den jeder Mensch für sich durchmacht, den jede Band durch ihre vielfältigen Erfahrungen durchmacht und den letztendlich auch jeder Musiker mitmacht, da man sich ja auch musikalisch weiterentwickeln möchte und nicht ständig auf dem gleichen Niveau Musik machen möchte.

Unabhängig von der Art der Musik steht die Szene, aus der ihr stammt, vermeintlichen "Major"-Companies wie Century Media oder Lost & Found bekanntlich skeptisch entgegen. Wo liegt denn jetzt für dich der Vorteil, dich aus dem DIY-Kreis zu lösen?

Flo: Der Vorteil der sogenannten ,Majors' ist einfach die Unterstützung, die sie einem geben können. Sie können im größeren Rahmen dafür sorgen, daß deine Musik unter die Menschen kommt, und durch die finanziellen Mittel, die sie haben, können sie dich auch auf diversen Touren oder ähnlichem unterbringen. Denn leider funktioniert das ganze nicht ohne Geld, und das ist auch der Punkt, den manche Leute ganz einfach übersehen, wenn sie meinen, daß ein Majordeal ein Sellout ist. Es gibt halt einen Punkt, wo man als Band die Schnauze voll hat, wenn man ständig nur drauflegt und nichts zurückbekommt. Wir können uns das auch einfach nicht mehr leisten, und dann sucht man sich halt einen Sponsor, der dein Hobby unterstützt. Nachteile kann ich zur Zeit nicht nennen, da die ,Majors', bei denen wir unter Vertrag sind/waren, uns immer noch als Menschen und nicht als das Produkt VEIL behandeln und auch immer sehr fair zu uns sind.

Mit dem Wechsel von den Jugendzentren in größere Clubs auf der BIOHAZRD-Tour,standet ihr ja plötzlich Leuten gegenüber, die Hardcore einfach nur als "Auf die Fresse hauen" und "Prollsein" begreifen. Ich finde das eher peinlich...

Flo: Es braucht uns nicht peinlich zu sein, wenn wir mal vor einem Metal-Crossover-Publikum und danach wieder vor Straight Edgern spielen. Man sollte als Band nach allen Richtungen hin offen sein und sich nicht nur auf eine Zielgruppe festlegen, denn je mehr verschiedene Menschen unsere Musik hören und gutfinden, umso interessanter wird es auch für uns. Zumal es auch teilweise sehr unbefriedigend ist, ständig vor den gleichen Leuten zu spielen und es einem immer wieder einen neuen Kick gibt, wenn man vor einem neuem Publikum spielt und dessen Reaktion nicht vorhersagen kann. Wenn wir wieder so ein Angebot wie die BIOHAZARD-Tour bekommen, werden wir es auf jeden Fall wieder machen und für uns wird es nie einen Punkt geben, an dem uns irgend etwas peinlich sein wird. Wir stehen zu den Sachen, die wir machen, und wenn das einer nicht gutfindet oder nicht verstehen will, dann finde ich das schade, aber es ist wohl nicht zu ändern.

Jetzt nach der BETTER THAN A THOUSAND Tour müßtet ihr ja eigentlich mal Amerika in Angriff nehmen, oder wollt ihr noch fünf weitere Touren durch die gleichen Clubs machen?

Flo: Natürlich reizt uns Amerika, aber ich denke es ist zu diesem Zeitpunkt noch etwas verfrüht, darüber konkrete Pläne zu fassen. Erstmal müssen wir Europa erobern und das wird noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen. Aber generell denke ich sollten wir, falls wir nach Amerika gehen, unsere Erwartungen auf Null senken und über jeden Menschen froh sein, der sich für uns interessiert. Aber vielleicht kann man ja als Support für eine Ami-Band mehr Erfolg verbuchen. Wir werden sehen.

Raoul, wenn man die Lyrics der einzelnen Platten liest und den Titel der neuen Platte übersetzt, stellt sich oft die Frage, was dich beschäftigt, um "Words against nothing" zu schreiben bzw. Texte wie "How does it feel to stand in the pain..." von dir zu geben. Also, was läuft da falsch?

Raoul: Meine Texte sind Ausdruck meiner inneren Unruhe und Verzweiflung, aber auch meiner Hoffnung. Für mich stellt das Nichts eine Leere da, die ich stellvertretend für eine Grundtendenz und Lebenseinstellung im allgemeinen sehe: Daß alles egal ist, daß es keinen Unterschied macht, ob ich existiere oder nicht, und daß es sowieso keinen Sinn macht Ideale zu haben, da das Leben an sich eh nicht mehr bedeutet außer Spaß zu haben und zu verdrängen. Meine Worte sind vielleicht nicht viel gemessen an dem Nichts, das existiert, aber sie sind ein Versuch und gleichzeitig Zeichen, daß ich nicht aufgeben will, daß ich "dagegen" bin, um zu leben. Ich glaube, daß meine Liebe zu Musik mich so stark geprägt hat, daß ich dem, was die Musik für mich darstellt - und das ist mehr als nur Unterhaltung -, verpflichtet bin, diese Einstellung weiterzutragen. Musik ist für mich immer noch eine Quelle der Kraft und der Überzeugung, aber auch die für mich einzige Möglichkeit, das, was ich denke und fühle, auszudrücken. Ich bin, auch wenn manche meiner Texte das andeuten, kein Pessimist. Meine Texte sind Ausdruck eines Kampfes, einer Auseinandersetzung mit mir selbst und meiner Position in dieser Welt.

Speziell deine und Nils Thanksliste liest sich wie ein Who is Who der Hare Krisna-Szene. In welchem Kontext siehst du deinen Glauben und deine Musik?

Rauol: Das Krishna-Bewußtsein nimmt eine wichtige Position in meinen Texten ein. Auch wenn diese vielleicht nicht typisch SHELTER-mäßig klingen, hat für mich jeder Song einen spirituellen Hintergrund. Im wesentlichen drehen sich die Texte um die Frage nach der Identität, der wirklichen Identität, und nicht jene Fassaden, die ich um mich herum aufbaue. Spiritualität hat mir in den letzten Jahren sehr geholfen, mir mehr über meine wirkliche Identität bewußt zu werden. Ich kann Dinge jetzt gelassener sehen als früher und ich kann zumindestens schon einmal theoretisch akzeptieren, welche Dinge für mein Leben nicht gut sind. Spiritualität hat für mich in meinem Leben viel bewirkt, und die Musik sehe ich für mich als Ausdruck dieser inneren Veränderung, als Energie, die mich wirklich vorantreibt z.B. Musik zu machen.

Musikalisch wie auch textlich ("And now I find a place...") richtungsweisend scheint der Song "Place to be" zu sein - sieht so eure musikalische Zukunft aus?

Rauol: Ziemlich schwierige Frage. Ich denke, daß wir auf jeden Fall nicht mehr zurückgehen werden. Die Zukunft ist mir allerdings insofern klar, als daß ich auf jeden Fall anstrebe Fortschritte zu machen. "Place to be" war eine nette Überraschung, mit der wir selber nicht so richtig gerechnet haben; ich denke, da wird in der Zukunft auch noch mehr in diesem Punkt passieren. Meine Text waren immer persönlicher Natur und daran werde ich auch nichts ändern.

Im Vergleich zu früher ist mir bei den letzten Konzerten aufgefallen, daß du diese S.E.-typischen "Zeigefinger"-Ansagen nicht mehr gemacht hast: keinen Bock mehr drauf oder geht es jetzt mehr um "Party"?

Rauol: VEIL hatten nie so etwas wie eine klare Message. Meine Ansagen kommen immer von mir persönlich und sind das, was ich über einen bestimmten Song gedacht habe. Das wird sich in Zukunft nicht ändern. Straight zu leben ist für mich immer ein Standpunkt und Ideal gewesen und wird es auch bleiben. Wenn meine Ansagen jetzt weniger in diese Richtung gehen, ändert das nichts an meiner Position. Ich möchte einfach, daß meine Ansagen jeden ansprechen, und das ist manchmal schwierig, da ich hierbei einen sehr großen Bogen schlagen muß - aber ich arbeite daran.

Was macht ihr eigentlich privat bzw. beruflich, um den in eurem Song "Nine to five" beschriebenen Lifestyle der sogenannten Bürger in deinen Texten beschreiben bzw. kritisieren zu können?

Raoul: Ich und Flo studieren und jobben, Jens macht seinen Zivildienst und Nils lebt zur Zeit in einem Krishna-Tempel. Deine Frage zielt vermutlich eher auf die Frage hin, welche Erfahrung ich mitbringe, um einen Text wie "Nine to five" zu schreiben. Natürlich habe ich - zum Glück - kein Nine-to-five-Leben, sondern kann mir meine Zeit noch ganz gut einteilen. Meine Erfahrungen ziehe ich aus dem, was ich um mich herum sehe und was mir Menschen an Erfahrungen mitgeben. Ich habe genug gesehen um zu wissen daß ich niemals einen Job haben will, der mir nur zum Verdienen meines Unterhaltes dient und mich ansonsten anödet. "Nine to five" ist auch viel weniger über Arbeit als vielmehr über die Grundeinstellung, die viele Menschen haben. "To survive we bleed our lives and freeze inside" - um überhaupt leben zu können, quälen wir uns und vergessen das wirkliche Ziel im Leben, nämlich Selbstverwirklichung. Es geht nicht darum, daß ich Arbeit ablehne und mich auf die faule Haut lege, sondern darum, daß ich mein Leben nicht ausschließlich von Geld und Konsum leiten lassen will. Wenn du wirklich lebst und dein Leben für dich mehr bietet als um dein Überleben zu kämpfen, dann nutze diese Zeit. Das Leben ist dazu da, um sich Fragen über die tiefere Bedeutung zu stellen und Antworten darauf zu finden. Auch wenn ich bisher, außer in meinem Zivildienst, noch kein ausschließliches Arbeitsleben gehabt habe, weiß ich doch, daß dieses für mich niemals existieren wird. Meine Arbeit soll mich 24 Stunden am Tag beschäftigen, sie soll ein Teil meines Lebens sein und nicht bloß ein unangenehmer Weg, mir mein Leben zu finanzieren. Ich sehe meine Zeit als etwas kostbares an und nutze sie deshalb, und zwar jede Sekunde.