VARSITY DRAG

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Musikalische Zeitreisen von 1988 nach 2010

THE LEMONHEADS sind eine dieser ganz wenigen Bands, deren Entwicklung ich seit dem ersten Demoband bis heute mitverfolge. Ben Deily war in der frühen Phase der LEMONHEADS neben Evan Dando für das Songwriting zuständig, verließ die Band aber 1989, um mit PODS bis 1994 musikalisch aktiv zu sein. Seit der Veröffentlichung von „For Crying Out Loud“ im Jahr 2006 und der darauf folgenden Europatournee ist Ben Deily mit seiner Band VARSITY DRAG auch hierzulande wieder im Gespräch. Mit „Night Owls“ kam Ende 2009 das zweite Album, das mich musikalisch ins Jahr 1988 zurückversetzt. Grund genug, den zeitlosen Musiker mit der unnachahmlichen Stimme zu kontaktieren, um über die letzten Entwicklungen in der Band zu plaudern.

Ben, das Songwriting bei VARSITY DRAG erinnert mich sehr an dein Material für das LEMONHEADS-Konzeptalbum „Creator“. Ist das okay für dich oder würdest du lieber etwas anderes dazu hören?

„Creator“ war die einzige Taang!-Veröffentlichung, die von Anfang bis Ende durchdacht, an einem aktuellen Trend orientiert geplant war. Ich freue mich darüber, dass du beim Hören der VARSITY DRAG-Stücke das Gleiche empfindest wie bei meinen alten Songs, da ich nie etwas an meinem Songwriting verändert habe. Noch immer liebe ich die Mischung aus verzerrter und akustischer Gitarre, wechselnde Gefühlsstimmungen in den Arrangements, Dynamik, den wohl überlegten Einsatz von Keyboards und Klavier oder mehrstimmigen Gesang. Und ich schreibe frei von Stilrichtungen, deshalb spiele ich auch heute noch LEMONHEADS- und PODS-Stücke in den Konzerten, zudem das Publikum ansonsten verärgert wäre.

Wieso hat sich die Besetzung von VARSITY DRAG eigentlich so stark verändert?

Na ja, wir zogen zurück nach Massachusetts, Ian ist Landwirt in Österreich und alle anderen hatten auch nicht gerade wenig zu tun, so dass es nicht möglich war, in der „For Crying Out Loud“-Besetzung weiterzumachen. Nachdem Boss Tuneage die Platte veröffentlicht hatte, kam das Angebot, in Europa zu touren. Für Ian was das kein Problem, aber Will wusste nicht, ob er es hinbekommen würde, da er zum zweiten Mal Vater wurde und nicht klar war, ob er als Konrektor einfach so eine Weile von der Schule beurlaubt werden würde. Also fragte ich meine Frau Lisa, ob sie sich nicht Bassspielen lernen wollte, um mit auf Tour zu kommen, als sich Will in letzter Minute doch noch dazu entschied, nach Europa mitzukommen. Ein Glück für Will, dass Lisa ein so mitfühlender Mensch ist und ihn dafür nicht erwürgte. Lisa war aber dann trotzdem mit dabei, um sich um all den wichtigen Tourkram vor Ort zu kümmern. Nach der Tour waren Lisa und ich wieder im Nordosten und mit Joshua, unserem ersten Schlagzeuger, spielen wir seitdem wieder gemeinsam Auftritte.

Wie lief eigentlich eure gemeinsame Show mit den LEMONHEADS ab? Tut sich da mit Evan Dando und dir vielleicht in Zukunft musikalisch doch wieder etwas?

Es war toll mit Evan, Vess und all den anderen im Bowery Ballroom in New York aufzutreten, aber wir spielen keine Stücke gemeinsam auf der Bühne. Das hatten einige Besucher erwartet und waren darüber etwas enttäuscht, wie ich im Internet lesen konnte. Der richtige Zeitpunkt ist einfach noch nicht gekommen. Aber wir sprachen bereits darüber, irgendwann, wahrscheinlich in Boston, gemeinsam einen Akustik-Gig zu spielen. Und da werden wir dann ganz sicher die alten Sachen auspacken.

Was ist aus den alten LEMONHEADS-Weggefährten Doug Trachten, Jesse Peretz, John Strom and Corey Loog Brennan geworden?

Mit John hatte ich all die Jahre Kontakt. Dank Facebook verfolge ich seit einiger Zeit auch wieder die Aktivitäten von Jesse und Corey. Wir schreiben uns ab und zu. Niemand wusste bis vor kurzem, was aus Doug geworden ist, bis mich eines Tages ein Reporter der Spin-Redaktion kontaktierte, um alle früheren LEMONHEADS-Mitglieder ausfindig zu machen. Also gab ich ihm die mir bekannten Einzelheiten und tatsächlich fand er Doug, der mittlerweile in Neu-England Professor für Musikethnologie und ein ordinierter Zen-Priester ist.

Du hast 2006 in Eigenregie eine Doppel-CD mit dem Titel „All These Years Gone By: Selected Songs, 1986-2006“ veröffentlicht, die in unseren Breiten nicht erhältlich war und mittlerweile ausverkauft ist. Was ist uns hier entgangen?

Es gab unzählige Anfragen, ob ich nicht irgendwann eine Art „Best Of“ mit LEMONHEADS-Taang!-Material, PODS-Stücken und weiteren Aufnahmen veröffentlichen würde. Irgendwann setzte ich das um und produzierte diese Doppel-CD. Mittlerweile häufen sich wieder die Anfragen, so dass ich überlege, nachzupressen oder das Material zum Download auf unserer Internetseite anzubieten.

Ich hatte 2007 das Glück, euch zum Auftakt der Europatour in Frankfurt zu sehen. War das Live-Album „Rock’n’Roll Is Such A Hassle: Live In Europe“ aus dem letzten Jahr mit Aufnahmen dieser Tour eigentlich geplant?

Gedanklich waren wir noch irgendwo über dem Ozean, als wir in Frankfurt spielten. KICK JONESES sind ganz tolle Jungs. Die ganze Tour war eine super Erfahrung, schließlich war ich ja 1989, kurz vor der ersten Europatournee der LEMONHEADS ausgestiegen, so dass ich das erste Mal hier auf Tour war. Es kamen Leute auf mich zu, die mir sagten, dass sie seit 18 Jahren darauf warten, diese Lieder endlich einmal live zu hören zu bekommen. Und was das Live-Album betrifft: Wir waren in Innsbruck im Weekender Club und machten gerade Soundcheck. Der Tontechniker wollte uns weismachen, dass er noch nie eine so laute Band abgemischt hätte. Dementsprechend mies sei der Sound. Als er sich dann auch noch über meinen Gesang lustig machte und meinte, ich würde falsch singen, war’s das erst mal. Aber nach dem Gig drückte er mir eine CD mit dem Konzertmitschnitt in die Hand und meinte, so schlecht wären wir gar nicht gewesen. Dieser Mitschnitt wurde für das Live-Album „Rock & Roll Is Such A Hassle“ eins zu eins übernommen.

Und wann gibt es ein Wiedersehen mit euch in Deutschland?

Für Joshua wird das aus beruflichen Gründen schwierig werden. Vielleicht finden sich für die Tour übergangsweise ein passender Schlagzeuger und jemand, der das Booking in die Hand nimmt.

Ben, ruf’ bei mir durch, wenn’s losgehen soll!