CHUCK RAGAN

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Heimat: Gold Country!

Man muss Chuck Ragan eigentlich nicht mehr vorstellen: HOT WATER MUSIC legte das Fundament und seit einiger Zeit ist der Mann zusammen mit Jon Gaunt (Geige) und Digger Barnes (Kontrabass) auch solo unterwegs. Ragan, mittlerweile wohnhaft in Kalifornien, ist gern gesehener Gast auf deutschen Bühnen und erfreut sich mit seiner Interpretation der amerikanischen Roots-Musik stetig steigender Beliebtheit. Nachdem das Interview auf der letzten HWM-Tour leider kurzfristig ausfallen musste, gab es auf den im März abgehaltenen Shows den zweiten Versuch. Ich sprach mit einem vom Vorabend noch etwas gezeichneten Chuck vor seinem Auftritt im Bremer Lagerhaus über den aktuellen Stand der Dinge. Und mein Gesprächspartner erwies sich nicht nur als sehr angenehmer Zeitgenosse, sondern auch als durchaus auskunftsfreudig ...

Chuck, du bist mittlerweile zwei- bis dreimal pro Jahr in Deutschland unterwegs. Es scheint gut zu laufen.

Es läuft großartig, ja, das stimmt. Aber so wie es aussieht, werden das jetzt für einige Zeit erst mal die letzten Shows hier gewesen sein. Diese Termine in Deutschland waren auch nicht wirklich geplant, wir sollten eigentlich nur Frank Turner im UK begleiten, aber dann meinte die Booking-Agentur, dass wir eigentlich auch noch ein paar Shows in Deutschland machen können, wo wir schon mal hier sind. Außerdem kommt Digger Barnes, unser Mann am Kontrabass, aus Hamburg. Den müssen wir also sowieso immer in Hamburg aufpicken, um den Bass im Van zu transportieren.

Warum willst du für längere Zeit hier nicht mehr touren?

So gerne ich auch in Deutschland spiele, es gibt noch eine Menge anderer Orte auf der Welt, wo wir mal gerne auftreten möchten. Ich bin der Meinung, dass man auch zu viel in einem Land touren kann. Wir sind wirklich dankbar für die ganze Unterstützung, die wir hier bekommen, und so gerne ich auch jeden Monat hier spielen würde, es geht einfach nicht. Aber wenn es darum geht, lange Zeit von zu Hause weg zu sein, möchte ich eigentlich immer nach Deutschland, weil wir hier über die ganzen Jahre so viele Freunde gewonnen haben, dass es für mich hier wie in einer Familie ist. Wir haben die anderen Länder ja nie absichtlich nicht bereist, aber irgendwie hat es im Unterbewusstsein eine Rolle gespielt, dass wir uns hier so wohl fühlen. In Kanada und Südamerika zum Beispiel müssten wir dringend mal touren. Wir werden hier jetzt wahrscheinlich mindestens für ein Jahr, vielleicht länger, nicht mehr spielen. Meine Frau und ich veranstalten ja auch die Revival-Tour. Wir sind gerade bemüht, diese Veranstaltung nach Kanada zu bringen. Eigentlich wollten wir damit im Herbst nach Deutschland kommen, aber wir werden damit wohl noch ein bisschen warten. Der Hauptgrund ist, dass ich gerade zusammen mit Brian Fallon von GASLIGHT ANTHEM an einer neuen Platte schreibe, die wir im Mai aufnehmen werden und dann im Herbst veröffentlichen wollen. Ich habe eigentlich vor, ihn dann mit auf die Revival Tour hier nach Deutschland zu bringen.

Wird das eine Splitveröffentlichung mit Brian Fallon oder ein gemeinsames Projekt?

Wir schreiben alles zusammen. Die Hälfte der Songs stammt aus seiner Feder, die andere Hälfte kommt von mir und wir spielen die Stücke dann gemeinsam ein. Es wird wohl alles akustisch sein, so ähnlich wie auf der „Gold Country“-LP. Wir haben auch eine Menge Freunde, die wir für das Projekt gerne mit ins Studio nehmen würden.

Du erwähntest eben, dass du gerne mal in Südamerika touren würdest. Hast du eine Ahnung, wie es da mit den Verkäufen aussieht, oder wie kommst du auf die Idee?

Ich habe keine Ahnung. Ich habe ein paar Leute aus Südamerika kennen gelernt und der E-Mail-Kontakt war auch sehr anregend. Es ist mir egal, ob wir Geld verlieren oder nicht, ich möchte da einfach mal gerne spielen, die Musik in das Land bringen und es natürlich auch für mich selbst kennen lernen, ich war dort noch nie. Das wäre sicherlich eine tolle Erfahrung.

Wo wir gerade von finanziellen Dingen sprechen: Musst du immer noch rechnen und hoffen, dass alles klappt, wenn du hier auf Tour gehst, oder ist das mittlerweile eine sichere Sache für dich?

Um ehrlich zu sein, gibt es da so viele Faktoren, die eine Rolle spielen, dass es schwierig einzuschätzen ist. Wir verdienen Geld, von dem wir leben können, klar. Ich arbeite mit einer Do-it-yourself-Ethik und so sehr ich das auch schätze, ist es auch wirklich schwierig und stressig damit. Wenn ich für viele Aspekte selbst verantwortlich bin, bedeutet das eben auch viel Stress. Ich bringe Leute mit, die mit mir zusammen spielen, dann beschäftigen wir hier auf Tour noch Leute und so weiter. Wir arbeiten ja auch vollkommen ohne Management. Side One Dummy ist ein cooles Label, aber wir veröffentlichen eben auch viel auf unserem eigenen Label Ten Four Records. Du kannst dir auf Tour eigentlich nie richtig sicher sein, manchmal läuft es gut, manchmal nicht. Heute Abend wird es voraussichtlich gut, die Tickets haben sich im Vorverkauf gut verkauft, aber morgen kann es sein, dass wir vor einem Viertel der Leute spielen. Basically, you win some lose some. So ist das eben, wenn du ein unabhängig Arbeitender bist, in welchem Business auch immer. Als ich als Dachdecker gearbeitet habe, war das nichts anderes. Da musste ich mir auch die Arbeit suchen, den Kontakt zu den Kunden halten und mich bemühen, aktiv zu bleiben. Wir sprechen ja auch gerade von dem Business-Teil der Musik, nicht der Passion für die Musik, das sind ja zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Und wenn du Musik machen willst wie wir, dann musst du eben leider auch an das Geschäft denken, anders geht es nicht. Es ist stressig, verrückt und hart, weil du nie weißt, wo dein nächstes Gehalt herkommt. Es gibt eben nur eine ganz geringe Sicherheit, nicht wie als Angestellter bei einer Firma, wo du genau weißt, wenn du zur Arbeit gehst, dann gibt es auch ein Gehalt. Andererseits ist es für mich ein sehr lohnendes Gefühl, unabhängig zu arbeiten. Ich mache das jetzt so lange, dass ich es mir nicht mehr vorstellen kann, unter einem Chef zu arbeiten. Natürlich gibt es Verträge und so, aber am Ende treffe ich meine eigenen Entscheidungen, stelle meine eigenen Regeln auf und gehe meinen eigenen Weg. Das ist für mich sehr zufrieden stellend.

Du hast die Revival-Tour erwähnt. Was hat es damit auf sich?

Ja, das ist eine ganz wunderbare Kollaboration, wirklich die speziellste Art zu touren, die ich bis jetzt erlebt habe. Unser erstes Ziel war es, etwas Neues zu machen, das in der Szene, in der wir uns bewegen, nicht üblich ist. Wir wollten, bildlich gesprochen, Grenzen einreißen und sowohl den Zuschauern wie auch uns zeigen, dass es egal ist, wer Headliner und wer Support ist. Alle sind da, um Musik zu machen. Wir haben also einfach einen Bus gemietet und sind mit befreundeten Musikern losgefahren. Es läuft so, dass alle, die dabei sind, auf der Bühne stehen, wenn die Show beginnt. Wir spielen dann Songs von jedem der Beteiligten zusammen und es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Mal steht jemand alleine auf der Bühne, dann kommen wieder welche dazu, andere gehen dafür. Am Ende spielen wir dann noch mal alle zusammen. Jeder hat also seine festen Songs, die gespielt werden, aber alles drumherum ist jeden Abend anders. Das ist ja eigentlich das, was wirkliche Musiker machen wollen, nämlich miteinander spielen und verschiedene Varianten ausprobieren. Es ist ja nicht so, dass diese Art des Musikmachens neu ist, aber in unserer Szene ist sie das sehr wohl. Manchmal nervt dieses feste Schema von Vorband-Pause-Musik-über-die-PA-Headliner-Ende einfach. Für die Bands ist das nach einiger Zeit langweilig und für die Zuschauer auch. Bei der Revival-Tour gibt es keine Pause. Wenn die Show läuft, dann läuft die Show für drei bis vier Stunden. Meine Frau und ich wollten das eigentlich jährlich veranstalten und auch in andere Länder bringen. Vor allem kann man so auch neue Künstler einem breiteren Publikum vorstellen. Aber gleich im ersten Jahr anzukündigen, dass man die Tour jedes Jahr veranstaltet, war uns dann doch zu riskant. Wir wussten ja weder, ob es beim Publikum ankommt, noch ob es mit den Musikern funktioniert. Es hört sich sehr chaotisch an, besitzt aber eine Struktur. Das erste Jahr ist dann aber so gut gelaufen, dass wir das wirklich regelmäßig machen wollen. Wir sind gerade dabei, dass Ganze auch international aufzubauen. Australien werden wir machen, Kanada im Herbst und Deutschland dann irgendwann Anfang 2011.

Mit Ten Four Records hast du ein eigenes Label. Was hat dich dazu bewegt?

Es war ein weiterer Schritt dahin, selbst ein bisschen mehr Kontrolle zu haben. Es hat wirklich zufällig angefangen. Ich wollte schon immer gerne Platten veröffentlichen, habe mich aber nie in der Rolle des Bürotypen wiederfinden können. Ich sitze so schon genug vor dem Computer, um Touren zu koordinieren. Es fing an, als wir die „Bristle Ridge“-LP aufnahmen und Side One Dummy sie nicht veröffentlichen wollte. Wir hatten da dann zwar andere interessierte Labels, aber irgendwie wollte das niemand schnell genug machen, möglicherweise war ich auch ungeduldig. Ich wollte diese LP auf jeden Fall schnell veröffentlichen und eines Morgens saß ich mit meiner Frau bei einer Tasse Kaffee zusammen und dann haben wir entschieden, das einfach selbst zu machen. Das war der Beginn des Labels. Das sollte ja nur für meine eigenen Veröffentlichungen sein und hauptsächlich eben auf Vinyl. Das ist das Format, das ich liebe. Wir wollen es eigentlich dabei belassen, andererseits gibt es so viele gute Bands, die ich gehört habe und von denen ich denke, dass die Welt die kennen lernen muss. Aber so gerne ich das also machen würde, ich glaube nicht, dass wir den Bands das geben können, was sie verdienen. Wir haben dafür einfach nicht die Zeit. Wir werden vielleicht das Vinyl für die Platte mit Brian Fallon machen, die „Gold Country“-LP haben wir ja auch schon selbst gemacht. Sonst ist da aber nichts in Arbeit.

So wie ich das verstehe, behandelt deine letzte LP „Gold Country“ das Thema Goldrausch in Kalifornien.

Eigentlich geht es gar nicht um den Goldrausch in Kalifornien, sondern vielmehr darum, dass die Stadt, in der ich lebe, zu einer Region gehört, die man „Gold Country“ nennt. Es dreht sich also eher um das Thema Heimat. Die Miene, die bei uns in der Stadt liegt, hat vermutlich das meiste Gold in der Geschichte Kaliforniens gefördert und somit natürlich einen entscheidenden Beitrag in der Geschichte des Goldrauschs geliefert. Viele denken aber in der Tat, dass es sich bei dem Album um eine Goldrausch-Thematik handelt oder auch um Country-Musik, haha. Es geht dabei aber wirklich vornehmlich um den Heimatbegriff.

Du erwähntest die Zusammenarbeit mit Brian Fallon. Um ehrlich zu sein gab es über dessen Band GASLIGHT ANTHEM ja schon so einiges an kontroverser Diskussion. Ich war großer Fan der ersten LP, dann kam die 10“ raus und auf der Thankslist standen Jesus und Gott. Wenn man mit den DEAD KENNEDYS oder BLACK FLAG aufgewachsen ist, ist so was schwer nachzuvollziehen. Für mich war es immer so, dass organisierte Religion in die eine Richtung zeigt, die Punk/HC-Ethik hingegen in die andere, sich beides also ausschließt.

Das sind also Christen, wenn ich das richtig verstehe?! Das wusste ich nicht. Ich kann deinen Standpunkt total nachvollziehen. Ich wuchs in einem sehr religiösen Haushalt auf und musste wirklich oft in die Kirche gehen. Als ich Bands wie DEAD KENNEDYS oder G.B.H hörte, war ich wirklich erschreckt und dachte: Wow, was ist das? Ich fühlte mich genauso wie diese Bands und habe viele ihrer Standpunkte auch für mein Leben übernommen. Wie du schon gesagt hast, organisierte Religion weist in die eine Richtung, schön, ich nehme dann die andere Richtung. Ich habe mit Religion wirklich nichts am Hut, aber ich würde schon sagen, dass ich spirituell bin. Ich finde diese Spiritualität für mich im Wald oder auf dem Wasser. Die Sache ist, dass ich der Meinung bin, dass man niemanden aufgrund seines Glaubens verurteilen sollte, solange er niemanden willentlich verletzt. Wenn Brian seine Meinung in dieser Form vertritt, ist das in Ordnung für mich. Es mag nicht das sein, woran ich glaube, aber ich finde es immer gut, wenn jemand für seine Überzeugung eintritt, dafür verdient er Respekt. Diesen Mut hat nicht jeder. Das Problem ist, dass es einige Leute mit der Religion viel zu weit treiben. Jeder muss irgendwo seinen Sinn und Platz finden und einige finden ihren in der Religion.

Reden wir noch über HOT WATER MUSIC. Was ist der Stand der Dinge?

Wir schreiben an neuen Songs und kommen im Juni nach Europa und Deutschland. Wir sind alle sehr froh darüber, gerade auch, weil es immer schwieriger wird, einen geeigneten Zeitraum dafür zu finden. George spielt mittlerweile bei AGAINST ME!, die ja sehr beschäftigt sind und gerade eine neue Platte aufgenommen haben. Es wird sicher komisch für uns sein, aber wir haben für die Shows Dave von LAGWAGON als Schlagzeuger dabei. Wir hätten das auch nicht gemacht, wenn George nicht gesagt hätte, dass wir uns um einen Ersatz kümmern sollen, der einspringen kann, wenn er selbst eben nicht spielen kann. Wir hatten ein paar Optionen und haben uns dann im Endeffekt für Dave entschieden, der ja auch ein Freund von uns ist. Es war dabei von Anfang an klar, dass George, sobald er Zeit hat, wieder für uns Schlagzeug spielt. Da gibt es keine Diskussionen, das war Dave auch sofort klar und er war einverstanden. Ich denke, es wird gut klappen und jeder wird seinen Spaß haben.

Habt ihr schon was aufgenommen?

Nein, noch nicht. Wir haben Demos für ein paar Sachen aufgenommen, mehr nicht.

Ich stelle mir das schwierig vor: Chris und George wohnen in Florida, du bist in Kalifornien. Wie läuft das, trefft ihr euch in der Mitte?

The magical web, my friend! Zur Zeit schaffen wir es einfach nicht, uns zu viert zu treffen und etwas aufzunehmen. Es findet also nur ein Ideenaustausch statt. Sobald George wieder etwas mehr Zeit hat, müssen wir zusammenkommen und daran richtig arbeiten. Ich habe keine Ahnung, wann das sein wird, und ich weiß auch nicht, welches Label die Platte veröffentlichen wird, oder ob wir das sogar selbst herausbringen. Der Vertrag mit Epitaph ist erfüllt, wir sind also freie Menschen. Im Moment wollen wir einfach nur neue Songs schreiben. Die Demos sind cool, aber ich habe noch keine Ahnung, wie die Platte klingen wird.

Hast du schon Texte geschrieben?

Ich schreibe eigentlich immer, das sammelt sich so an mit der Zeit. Ich bin gerade auch dabei, ein Buch zusammenzustellen, das ein Freund von mir herausbringen wird. Er sprach mich an, ob ich nicht ein Tourtagebuch veröffentlichen möchte. Ich habe viele alte Tagebücher von unterwegs aufgehoben, leider wurde das in den letzten Jahren weniger, bedingt durch das Internet, Meine Idee war es dann, eher ein Buch zu machen, das Texte enthält. Über die Jahre hat sich viel Papier angesammelt, von dem ich mich nicht trennen konnte. Das wäre dann ein guter Grund, den ganzen Mist hinterher zu verbrennen. Ich brauche da einfach Zeit für. Und dann wäre noch die Frage, ob das überhaupt jemanden interessiert.