GASLIGHT ANTHEM

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Das Ende der Melancholie

Interviewtage können unheimlich ätzend sein. Sowohl für die Band, die zum zehnten Mal in Folge die Frage nach der nächsten Europatour beantworten muss und eine daraus resultierende Genervtheit oft nicht verbergen kann, als auch für den Schreiber, der genau aus diesen ermüdeten Musikern halbwegs aufschlussreiche Statements herausprügeln muss. Insofern war es vielleicht gar nicht so schlecht, dass THE GASLIGHT ANTHEM ihre zweitägige Promo-Reise nach Berlin anlässlich der Veröffentlichung ihres dritten Albums „American Slang“ kurzfristig absagen mussten. Stattdessen stand ein Telefongespräch mit Ben Horowitz und Brian Fallon an. Beide waren hörbar erleichtert über den Umstand, dass sie am vereinbarten Interviewtag nur noch mit einem weiteren Journalisten gesprochen haben. „Bei einem solchen Interview-Marathon ist dein Kopf spätestens nach dem vierten Gespräch völlig leer und du spulst danach fast immer nur die gleichen Phrasen ab“, meinte Ben dazu. Das blieb ihm, Brian und mir aber glücklicherweise erspart.

Dieser Tage erscheint euer neues Album „American Slang“. Wie zufrieden seid ihr damit?

Ben: Ehrlich gesagt, ist es für mich jedes Mal aufs Neue eine merkwürdige Erfahrung, nach all der Arbeit, die man in so eine Platte gesteckt hat, die Füße hochzulegen und ihr einfach nur zuzuhören. Anfangs konnte ich das nicht wirklich beurteilen, aber nachdem ich mittlerweile etwas Abstand zu der Sache gewonnen habe, bin ich doch insgesamt ziemlich zufrieden.

Ihr wart in den vergangenen zwei Jahren fast ununterbrochen auf Tour. Wie findet man da überhaupt noch die Zeit dazu, neue Songs zu schreiben?

Ben: Der größte Teil des Materials ist tatsächlich erst in der Pause zwischen Tour und Studiotermin entstanden. Wenn man auf Tour ist, lebt man in einer völlig anderen Welt. Zwar haben wir unterwegs beim Soundcheck vor manchen Konzerten einige der neuen Ideen entwickelt, aber so ein richtiges Songwriting-Feeling kam da nicht auf. Deshalb empfand ich es auch als sehr befriedigend, dass wir uns nach dem ganzen Live-Spielen voll und ganz auf das Komponieren der neuen Stücke konzentrieren konnten.

Die dritte Platte von Bands wird ja oft als die wichtigste und für ihre weitere musikalische Entwicklung wegweisende bezeichnet. Habt ihr einen besonderen Druck verspürt, es dieses Mal noch besser oder anders zu machen als auf „The ’59 Sound“?

Ben: Den Gedanken, dass das dritte Album angeblich einen großen Bruch im künstlerischen Schaffen einer Band darstellt, halte ich für einen Mythos. Für mich hat das nie eine Rolle gespielt, zumal der gesamte Songwriting-Prozess auf musikalischer Ebene fast genau der gleiche war wie bei „The ’59 Sound“. Wenn man überhaupt in solchen Kategorien denken will, so glaube ich eher, dass das „wegweisende“ Album einer Band immer noch ihr Debüt ist. Wobei ich, wenn ich genau darüber nachdenke, zugeben muss, dass es jeweils die dritten Alben von THE CLASH und Bruce Springsteen waren, die uns stark beeinflusst haben: „London Calling“ und „Born To Run“. Aber einen gewissen Druck spüren wir immer, wenn wir neue Songs schreiben. Ganz einfach, weil wir nicht stagnieren und es noch besser machen wollen als beim letzten Mal.

Brian, textlich gesehen hat sich im Hinblick auf die letzte Platte einiges verändert bei euch. Während in den Songs auf „The ’59 Sound“ vor allem Geschichten erzählt und mit einer allgemeinen Melancholie gepaart wurden, scheinen die Texte auf „American Slang“ eher eine Aufbruchstimmung zu vermitteln. In „Old haunts“ heißt es zum Beispiel: „Don‘t sing your songs about the good times / Those days are gone and you should let them go“. Das ist doch schon ein ungeheurer Bruch mit dem Motiv der Kindheits- und Jugenderinnerungen, das bisher bei euch vorgeherrscht hat.

Brian: Ja, das ist dieses Mal in der Tat etwas anders. Auf „The ’59 Sound“ war mir dieser Storytelling-Aspekt extrem wichtig. Ich wollte nachzeichnen, was mir selbst und Freunden von mir widerfahren ist, und habe Figuren erfunden, die diese Situationen in den Songs wieder aufleben lassen. Aber damit habe ich abgeschlossen. Ich kann nichts Neues mehr über diese Charaktere erzählen. Das ist, als würde man eine schlechte Fortsetzung zu einem guten Film drehen. Bei der neuen Platte geht es mir weniger um Melancholie als eher darum, direkt zum Hörer zu sprechen, und zwar nicht über Vergangenes oder Zukünftiges, sondern über das, was mich im Hier und Jetzt beschäftigt. Ich will damit gewissermaßen auch die Distanz zu den Leuten verringern, die zu unseren Konzerten kommen und unsere Platten hören. Es ist schon ein Unterschied, ob der Typ, der da auf der Bühne steht, über das singt, was er wirklich erlebt hat, oder seine Aussagen dauernd in irgendwelche Geschichten verkleidet.

Auf „The ’59 Sound“ ging es oft um den Wunsch, aus seiner vertrauten Umgebung auszubrechen, ums Erwachsenwerden – und um unglaublich viele Frauen: Anna, Maria, Gayle, Grandmother, Virginia, Mary, Jane, Sally. Letztere drei sind auch Charaktere in dem Roman „The Catcher In The Rye“ von J. D. Salinger, dessen Handlung mich sehr an deine Songtexte erinnert hat. Hast du das Buch gelesen?

Brian: Nein. Es ist einer der vielen Klassiker, die ich nicht kenne. Von daher ist diese Parallele schon interessant, aber wohl eher ein Zufall. Ich bin ohnehin kein besonders belesener Mensch, dafür bin ich zu ungeduldig. Ich lese meistens nur den Anfang und den Schluss eines Romans. Den Rest lasse ich aus. Das letzte Buch, das ich mir wirklich von Anfang bis zum Ende gegeben habe, war ein Sachbuch über Gibson-Gitarren. Und das ist auch schon ein paar Monate her.

Und die Anspielung auf Nick Hornbys „High Fidelity“ in „Stay lucky“ vom neuen Album?

Brian:[/b] Na ja, ich habe nur die Verfilmung gesehen. Mit Rob, der Hauptfigur, kann ich mich unheimlich gut identifizieren. Eigentlich kenne ich niemanden, der das nicht kann. In „Stay lucky“ spreche ich ihn direkt an: „Hey, du hast dein Bestes gegeben, aber vergiss deine Ex-Freundin. Es ist vorbei.“ Was schon etwas komisch ist, da ich damit an eine Person appelliere, die gar nicht existiert.

Ein wiederkehrendes Thema ist auch auf der neuen Platte New York City. Was verbindet euch mit der Stadt?

Brian: Ich wohne jetzt seit knapp sechs Monaten hier und bin jeden Tag aufs Neue von dieser Stadt begeistert. Wenn man wie wir aus einem kleinen Ort in New Jersey kommt, ist New York wie eine komplett andere Welt. Du kannst hier zu jeder Tageszeit rausgehen, verrückte Leute kennen lernen und etwas Neues entdecken. Auch aus musikhistorischer Sicht gibt es hier unglaublich viel zu sehen, schließlich war New York einer der Geburtsorte von Punkrock und Hardcore. Die RAMONES haben hier mit dem Musikmachen angefangen, genauso wie MURPHY’S LAW und SICK OF IT ALL. Insofern ist es hier natürlich unglaublich inspirierend.

Ben: Jeder Ort, an dem du dich für längere Zeit aufhältst, wird dich früher oder später in dem, was du tust, beeinflussen. „The ’59 Sound“ haben wir in Los Angeles aufgenommen und daher finden sich in den Texten auch viele Bezüge zu diesem ganzen Hollywood-Mythos.

In der Washingtoner Tageszeitung Express erschien ein Artikel über euch, in dem ihr sinngemäß mit den Worten zitiert werdet, dass ihr alle aus recht normalen Mittelklassemilieus stammt und aus eurer Band bisher noch keiner mit wirklich harten Schicksalsschlägen zu kämpfen hatte. Nun verarbeiten Musiker wie Mike Ness von SOCIAL DISTORTION oder Tom Waits in ihren Songtexten ja oft Knast- oder Drogenerfahrungen und werden dadurch von vielen als „authentisch“ betrachtet – was auch immer das heißen mag. Wollen manche Leute einen erst leiden sehen, bevor sie einem glauben und das als „echt“ abnehmen?

Brian: Das kann durchaus sein. Die Leute wollen solche Storys eben hören. Andererseits ist das Leben für jeden von uns jeweils auf eine ganz eigene Weise hart und ungerecht. Wir wollen unsere Situation nicht dramatischer darstellen, als sie ist. Wir können von dem Geld, das wir mit der Band verdienen, unsere Mieten bezahlen, ja. Aber reich werden wir damit sicher auch nicht. Hart ist es für uns insofern, da wir nicht wissen, wo wir in ein paar Jahren stehen werden und ob es die Band dann immer noch geben wird. Und diese Unsicherheit kann einem ganz schön zu schaffen machen. Mit so einem Leben kann man natürlich keine längerfristige Zukunft planen.

Im Internet kursieren Videomitschnitte von den Festivals, bei denen ihr im vergangenen Jahr mit Bruce Springsteen aufgetreten seid und mit ihm gemeinsam euren Song „The ’59 sound“ gespielt habt. War das seine Idee oder eure? Und wie habt ihr euch kennen gelernt?

Ben: Wir kennen Bruce nicht so gut, wie das vielleicht den Anschein hat. Uns verbindet keine tiefe Freundschaft und ich bezweifle sogar, dass er mich auf der Straße wieder erkennen würde. Der Hintergrund der ganzen Geschichte ist aber der, dass er und Brian sich mal nach einem unserer Konzerte getroffen haben. Bruces Sohn ist, soweit wir das mitbekommen haben, ein Fan unserer Musik und so ist er wohl auf uns aufmerksam geworden. Als wir ihn kurz vor unserem Auftritt beim Glastonbury Festival wieder getroffen haben, hat er spontan vorgeschlagen, bei dem Song mitzuspielen, was uns ganz schön unvorbereitet getroffen hat. Brian hat ihm schnell noch die Akkorde gezeigt und irgendwann stand er plötzlich mit uns auf der Bühne. Das war ganz schön abgefahren.

In der Aufnahme von dem besagten Konzert in Glastonbury sieht man eine Person im Publikum, die die ganze Zeit eine riesige USA-Flagge umherschwenkt. Nun sind die Zuschauer auf einem Festival zwar nicht gerade mit der gewöhnlichen Zielgruppe einer Band zu vergleichen, aber glaubt ihr trotzdem, dass manche Leute euch als patriotisch betrachten? Für euch, als Band aus der Punkrock-Szene, muss das doch unangenehm sein.

Brian: Ich hoffe nicht, dass uns die Leute so sehen. Und wenn doch, ist das ganz sicher nicht unsere Intention. THE GASLIGHT ANTHEM ist keine patriotische Band. Uns geht es nicht um Politik, sondern um Menschen, egal welcher Herkunft. Welchen politischen Ideen sich die Leute zugeneigt fühlen, müssen sie für sich entscheiden. Am Ende zählt nur, wie wir als menschliche Wesen miteinander umgehen, und dass wir uns gegenseitig helfen. Das heißt aber beispielsweise nicht, dass uns völlig egal ist, mit welchen Bands wir die Bühne teilen. Wenn wir merken, wir können uns mit den politischen Ansichten mancher Bands nicht identifizieren, würden wir auch nicht mit ihnen spielen oder auf Tour gehen. Und da ist es auch scheißegal, ob sie erfolgreich oder uns persönlich sympathisch ist. Wir begreifen uns ja als Punkrocker, und daher tragen wir diese Attitüde immer noch in uns.

Ben: Ich fände es ziemlich merkwürdig, wenn wir als patriotische Band betrachtet werden, nur weil irgendein Typ auf einem unserer Konzerte mal mit den Stars and Stripes herumgewedelt hat. In diesem speziellen Fall war ich so auf den Auftritt konzentriert, dass mir das auch gar nicht aufgefallen ist. Und selbst wenn, hätte ich es wohl ignoriert. Ich bin nicht antiamerikanisch, würde aber auch niemals eine USA-Fahne umherschwenken, weil es einfach nur idiotisch ist.

„American Slang“ ist schon im April im Internet aufgetaucht – knapp zwei Monate vor dem eigentlichen Release-Termin. Ist das frustrierend für euch oder habt ihr es nicht anders erwartet?

Ben: Das war natürlich alles andere als überraschend. Ich bin auch auf niemanden sauer, der sich das Album schon vor der offiziellen Veröffentlichung heruntergeladen haben. Eigentlich ist es sogar eine Bestätigung für uns als Band, dass so viele Menschen unsere Musik hören wollen. Außerdem mussten wir dadurch nicht so lange auf die ersten Meinungen zur Platte warten. Und an den Plattenverkäufen verdienen wir ohnehin so gut wie nichts. Drei Leute, die zu unseren Konzerten kommen, bringen uns unterm Strich mehr als drei verkaufte Alben.

Brian: Seitdem wir die Band gegründet haben, wollten wir von den Leuten beachtet werden. Sollen wir uns jetzt, da wir es geschafft haben, auch noch darüber beschweren? Das würde wohl ganz schön komisch wirken.

Eine Stabilisierung der Plattenverkäufe ist derzeit nicht in Sicht. Viele Bands suchen mittlerweile nach neuen Wegen, von ihrer Musik leben zu können. Und da scheint auch der Schulterschluss mit der Privatwirtschaft kein Tabu mehr zu sein: Bands wie HATEBREED, SPARTA und ANTI-FLAG lassen ganze Touren von Firmen wie Eastpak oder Vans sponsern. RISE AGAINST steuerten einen Song zu dem Spiel „Guitar Hero“ bei. Was geht euch im Hinblick auf diese Entwicklung durch den Kopf? Wurden euch auch schon derartige Angebote unterbreitet?

Ben: Nein, bisher noch nicht. Und wir haben keine besonderen Ambitionen, in naher Zukunft etwas in dieser Richtung zu machen. Ich kann allerdings nicht sagen, dass so ein Deal für uns völlig undenkbar wäre. Wenn es um die blanke Existenz geht, überlegt sich früher oder später wohl jede Band, welche Kompromisse man eingehen könnte und welche nicht. Die Frage, ob das überhaupt noch mit den Werten von Punkrock vereinbar ist, stelle ich mir selbstverständlich auch. Aber andererseits bezweifle ich wirklich, ob diese Musik überhaupt noch mehr kommerzialisiert werden kann, als sie es ohnehin schon ist. Selbst in der so genannten Underground-Szene tummeln sich so viele verlogene Leute, denen die Kohle im Zweifel wichtiger ist als die Musik. Von daher bezweifle ich, dass diese Firmen zwangsweise schlimmer sind als die Strukturen, in denen wir uns zur Zeit bewegen. Falls wir jemals so ein Angebot bekommen sollten, werden wir genau prüfen, ob wir das mit uns vereinbaren können oder nicht. Und bei einem Konzern, der lediglich andere Menschen und unsere Musik ausbeutet, wäre das ganz sicher nicht der Fall.

Brian: Es hängt auch immer davon ab, mit welchen Leuten man zusammenarbeitet und ob man sich mit der Philosophie der Firma überhaupt identifizieren kann. Um mal das Beispiel Vans aufzugreifen: Ich trage diese Schuhe schon seit meiner Jugend, und wenn sie uns fragen würden, ob wir unsere Tour von ihnen sponsern lassen würden, wäre mein erster Gedanke: Hey, ich kenne diese Firma und habe eine Verbindung zu ihr. Warum nicht? Wenn es allerdings irgendein zwielichtiges Unternehmen wäre, dem es nur ums Geld geht, würde ich das nicht machen.


 


2007 erschien mit „Sink Or Swim“ das erste Album der aus New Brunswik, NJ stammenden, 2005 gegründeten GASLIGHT ANTHEM auf Gunner Records – und wir waren zwar musikalisch angetan, aber auch etwas verwundert angesichts von Fabelwesen wie „God“ und „Jesus“, die in der Thankslist auftauchten. Den Vorwurf, eine explizit christliche Band zu sein, konnte die Band in einer darauf folgenden Diskussion entkräften – und fiel im weiteren in dieser Hinsicht auch nicht mehr unangenehm auf. 2008 erschien „The ’59 Sound“ auf Side One Dummy, und GA schafften es, sich seitdem mit ihrem immer wieder auf Bruce Springsteen, aber auch THE CLASH Bezug nehmenden rauh-melodiösen Sound, der auch mit dem von HOT WATER MUSIC, AGAINST ME! und HOLD STEADY verglichen wurde, weltweit eine wachsende Fangemeinde zu erspielen. In den USA und England sind sie drauf und dran, sich im Mainstream-Bereich zu etablieren, und auch in Deutschland dürften die Zeiten, da Brian Fallon (vocals, guitar), Alex Rosamilia (guitar), Alex Levine (bass), Benny Horowitz (drums) in kleinen Clubs genossen werden konnten, mit dem dritten Album „American Slang“ der Vergangenheit angehören.