INSIDE ARTZINE

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20 Jahre of abgefuckte Kunst

Im Jahre 1990 erschien die erste Ausgabe dieses Fanzine-Kleinodes, welches sich inhaltlich auf ambitionierte Weise mit dem Auswurf der Untergrundkunstwelt beschäftigt. Herausgeber und Grafiker Jenzzz versammelt in jeder Ausgabe obszöne, filigrane, aber doch alles in allem optisch ansprechende Werke einheimischer wie internationaler Künstler und Künstlerinnen, die eine beachtliche stilistische Bandbreite aufweisen können. Zum Jubiläum bot es sich an, mit Hauptkurator Jenzzz bei Kerzenschein und billigem Bier über Kunstschmutz und Druckerschwärze zu diskutieren.

20 Jahre Inside Artzine, aber nur 13 Ausgaben. Irgendwie stimmt da was nicht, oder?

Ja, ist schwach, sehe ich auch so, haha. Mittlerweile bin ich darauf eingependelt, eine Ausgabe im Jahr rauszubringen, aber setze mich da auch nicht mit irgendeiner Deadline unter Druck. Ich habe in meinem Job als Grafiker schon genug damit zu tun, insofern sehe ich das Inside eher als Gesamtkunstwerk. Wenn das Heft nicht voll wird, kommt es halt später raus als geplant. Mag zwar jetzt extrem unprofessionell rüberkommen, aber ich lege großen Wert auf Qualität, nicht auf Quantität.

Was würdest du sagen, hat sich in Retrospektive seit der ersten Nummer bei der Herangehensweise großartig geändert?

Also in Bezug auf das Fanzine hat sich die Machart nicht so sehr geändert. Damals in den Neunzigern kannte ich die meisten Leute, die im Heft drin waren. Das waren halt Kollegen und Bekannte oder Leute, die man auf Konzerten getroffen hat. Seitdem ich ab 2000 das Zine in Farbe und in Englisch mache, kenne ich die Künstler nicht mehr persönlich, das sind dann wahrscheinlich irgendwelche Familienväter, die einfach ein wenig Druck ablassen müssen. Natürlich sind auch paar dabei, die mittlerweile einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt haben, wie zum Beispiel Chris Mars, der mittlerweile in New York ausstellt und für dessen Bilder du sehr viel Geld hinblättern müsstest. Somit ist das Einzige, was sich bei der Herangehensweise geändert hat, ist, dass ich jetzt überwiegend Leute anhaue, beim Inside mitzuwirken, die ich nicht kenne. Geld kann man damit immer noch nicht verdienen, weder ich noch die Leute, die im Heft sind.

Nach welchen Kriterien wählst du die Künstler und Künstlerinnen aus?

Oberste Instanz ist mein eigener Geschmack. Früher musste ich den Leuten hinterherrennen wegen ihrer Bilder, mittlerweile schicken mir aber aus aller Welt die Interessenten ihre Werke per Mail zu, so dass ich besser auswählen kann, was mir gefällt und was nicht. Insofern ist das Inside Artzine immer noch eine Art Egozine, wenn man so will. Klar kommen dann auch mal einige an und fragen mich, wieso ich gerade diese Scheiße im Heft abgedruckt habe, aber wenn ich mich spontan dafür entschieden habe – oder zu dem Zeitpunkt betrunken war –, dann passt das auch.

Also ist es nicht so, dass du „akademischen Pinselschwingern“ eher den Vorzug geben würdest als einem Hobby-Malkastenakrobaten?

Wie gesagt, ich kenne die Leute ja mittlerweile gar nicht mehr, und nur vom E-Mail-Kontakt kannst du ja auch nicht wissen, was genau die Herrschaften so treiben. Die Arbeiten schwanken ja auch schon allein beim bloßen Betrachten, wo man sieht, das sind Profis, die gute Sachen machen und ihr Handwerk verstehen, oder auch Leute, die nur mit Tusche irgendwas Wirres aufs Blatt krickeln. Es muss jetzt auch nicht handwerklich perfekt sein, weil ja gerade so der „Psychopathenfaktor“ im Vordergrund stehen sollte. Die Nummer des Verstörens passt eigentlich immer ganz gut, jetzt egal, ob verstörend brutal oder verstörend kitschig, es muss hauptsächlich offensiv sein.

Findest du, dass Kunst provozierend sein muss, oder kannst du auch schmückenden Wandbildern, wie man sie gerne mal in Arztpraxen findet, etwas abgewinnen?

Na ja, bei „schmückend“ bist du ziemlich schnell angelangt bei Ikea-Kunstdrucken, die einfach nichts sagend schön aussehen sollen. Aber da kann man sich auch nicht unbedingt festlegen, es gibt ja auch abstrakte Bilder, die keinen erkennbaren Inhalt oder politische Aussage aufweisen, aber trotzdem „schmückend“ sein können. Wobei „schön“ ja die Schwester von scheiße ist, also orientiere ich mich an meinem eigenen Geschmack oder gehe nach meiner jeweiligen Stimmung. Insofern können auch einfach nur nette Sachen ins Zine reinkommen, aber generell bevorzuge ich schon Kunst, die erkennbar etwas transportiert. Natürlich ist eine Message wie „Esst kein Schweinefleisch“ oder „Kauft keinen Atomstrom“ unterstützenswerter, aber gibt auch abstrakte Sachen, die einfach nur optisch gut sind.

Apropos Message: Da triffst du dann aber auch einige Kandidaten, die sich dadurch selber in den Vordergrund drängen, anstatt ihre Kunst für sich sprechen zu lassen.

Es kommt halt immer drauf an, wie intelligent man das macht. Wenn man ein Schwein mit einem Messer im Rücken malt, um die Schweinezucht als Sauerei anzuprangern, finde ich das platt. Sollte die Aussage des Künstlers wichtiger sein als das eigentliche Bild, stimmt auch irgendwas nicht, das Bild sollte trotz allem auch visuell für sich stehen. Nimm so einen wie Jonathan Meese, der fett im Kunstbusiness drin ist, dessen einzige Message es ist zu verstören, aber die Sachen, die er macht, sind einfach nur schlecht bis langweilig und auch nicht wirklich intelligent. Da ist dann nur seine Message der ganze Inhalt seines Handelns. Ich bevorzuge eher Sachen, die auch optisch beziehungsweise handwerklich was her machen oder auf intelligente Weise etwas darstellen können, auch wenn sie handwerklich nicht begnadet sind, anstatt Sachen von Leuten, die vielleicht gar kein Talent haben und dumm sind, aber unbedingt irgendeine Message transportieren müssen wollen. Es kommt halt auf die Mischung an.

Leider hast du aber auch diese Art von Menschen, gemeinhin Kunstkritiker genannt, die gerne alles zu Tode interpretieren müssen.

Es gibt ja klare Symbolik in der Kunst, solange man das geschickt und nicht platt interpretiert in Worte fasst, habe ich kein Problem damit. Ganz tricky finde ich aber das, was nicht richtig eindeutig zu interpretieren ist. Wir hatten mal Jeremi Rimel im Heft, der diese autopsybabies.com-Geschichte gemacht hat, der hat Babypuppen mit Flammenwerfern bearbeitet, ihnen die Augen rausgeschnitten, Narben appliziert und so. Das ließe sich bei oberflächlicher Betrachtung natürlich leicht interpretieren, und der Typ hat auch mächtig Ärger bekommen. Das reichte dann von Anschuldigungen, dass er Kinderschänder sei, bis hin zu Morddrohungen und ähnlichen Scherzen. Aber das ist der Trick an Kunst meiner Meinung nach, denn seine Kunst kann auch ganz anders verstanden werden. Eine gute Botschaft ist zwar immer angesagt, aber sobald man wie er darüber steht und ein Kunstwerk gegen Kinderschänder macht, ist halt die Eigenleistung einiger Betrachter zu gering, um das wahrzunehmen. Gute Kunst sollte immer zur Diskussion führen, finde ich.

Sollte Kunst dann vielleicht nicht doch besser einer Zensur unterliegen?

Haha, das ist eine gute Frage! Das beste Beispiel finde ich sind immer noch die Mohammed-Karikaturen, die man immer wieder mal im Netz findet, auch trotz übelster Drohungen jedem gegenüber, der diese hochlädt. Da ist es so, dass die Bilder weder gut noch schlecht gezeichnet sind, sondern eine Karikatur des Mohammed eher mehr oder minder intelligent für jeden anders interpretiert wird. Diese Bilder lösten ja schon eine ziemliche Kontroverse aus, was sogar so weit führte, dass einige die Publizisten beziehungsweise den Künstler ermorden wollten. Hier sollte man doch eher selbst vorher abschätzen, was für Reaktionen man damit hervorrufen will. Wir hatten auch mal überlegt eine Sonderausgabe zum Thema Religion rauszubringen, wie zu unserer Terror-Ausgabe, die das Thema Terrorismus ganz allgemein behandelt hat. Aber Religion lässt sich zu einfach angreifen. Es basiert ja nicht auf Tatsachen sondern nur auf den jeweiligen Glauben, und sobald du jemanden sagst, dass sein Glaube falsch ist hast du sofort einen Gegner am Hals der dich wahrscheinlich deswegen auch noch umbringen will. Insofern ist das schon ein Tabu was ich mir auferlegt habe, weil wieso soll ich mich so einem unsinnigen Stress aussetzen?

Wie finanziert sich das Inside Artzine?

Also, das finanziert sich eigentlich gar nicht. Ich überprüfe vor jeder Ausgabe den Druckpreis bei verschiedenen Druckereien und lege daraufhin den Preis für das Heft fest, aber großartig Buchführung mache ich dann doch nicht. Ich buttere doch sehr viel Geld rein, da viele Hefte auch als Promos rausgehen oder um mit Leuten in Kontakt zu kommen. Das Geld, das ich mit Werbejobs verdiene, stecke ich halt in das Heft rein, während andere Leute wahrscheinlich das eher in ihr Auto, Urlaub oder die Freundin investieren würden. Auch alle Werbeanzeigen, die du im Heft findest, sind nicht bezahlt, sondern das läuft auf Tauschbasis mit anderen Zines oder Künstlern ab. Es stand mal im Raum, irgendwelche Anzeigenflächen zum Verkauf anzubieten, aber dann versuchen dir irgendwelche Anzeigenkunden am Ende ins Heft reinzureden, wo sie gerne ihre Werbung stehen haben wollen, da hab ich mir dann gedacht, ich lasse es lieber gleich ganz bleiben.

Befürchtest du ein Aussterben der Fanzine-Kultur?

Das Problem ist, dass die meisten jungen Leute gar nicht erst in Berührung damit kommen, weil sie schon von Anfang an mit dem Internet aufgewachsen sind und den Wert einfach nicht abschätzen können. Du musst halt, wie gesagt selbst aktiv werden, während du im Internet einfach und umsonst ein paar Mal klickst, liest dir das durch und das war’s. Vielleicht bookmarkst du die Seite noch im besten Fall. Beim Inside haste noch wenigstens den Anreiz, etwas schön Gedrucktes in den Händen zu halten und dir ins Regal zu stellen. Aber meiner Meinung nach verhält es sich mit Fanzines genauso wie mit Vinyl, auch wenn die Auflagenzahlen immer mehr runtergehen werden, wie man ja jetzt schon beobachten kann, wird es doch immer noch Puristen geben, die diesem Medium treu bleiben. Ein komplettes Aussterben wird es nicht geben.